Nr. 13.

Die Gleichheit.

9. Jahrgang.

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage etnmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 21. Juni 1899.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

-

Man kann die

Die Zuchthausvorlage. Der englische liberale Frauenverband und die Frage des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes. Von Margaret E. Mac­donald- London  . Die württembergische Gewerbeinspektion im Jahre 1898. Von Wilhelm Keil  . I. Die Durchführung der Arbeiterinnen­schutzgesetze in der Schweiz  . Von Dionys Zinner. Wahrheit nicht verdunkeln. Von W. L. Rosenberg.( Gedicht.) Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Frauenarbeit auf dem Arbeits­Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. bedingungen der Arbeiterinnen.- Frauenstimmrecht.- Frauenbewegung.

Die Buchthausvorlage.

"

Nicht nur Bücher haben ihre Geschichte, auch Gesetzesvorlagen. Das bestätigt besonders die dem Reichstag zugegangene Zuchthaus­vorlage, die sich in heuchlerischer Schönrederei Entwurf eines Gesezes zum Schuße des gewerblichen Arbeitsverhältnisses" betitelt, die aber in Wirklichkeit den bösartigsten Arbeitertruz bringt und lediglich den Schuß des kapitalistischen   Profits und der kapita­ listischen   Herrengewalt erstrebt. Die Geschichte des ungeheuerlichen reaktionären Wechselbalgs, den die juristische Kniffelei und politische Rückwärtserei eines reinblütigen Klassenstaats gezeugt haben, ist ein interessantes und äußerst lehrreiches Kapitel aus der Geschichte der preußisch deutschen Reichsherrlichkeit, die in jedem Zuge das Gepräge der schonungslosesten, kurzsichtigsten Herrschaft des Kapital­magnatenthums trägt, verbösert durch selbstherrliche Regiererei.

"

"

"

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

betreffend, beruhigen mußte. Ein Wort von geschichtlicher Bedeutung, das mit unübertrefflicher Klarheit und Treue das Wesen des kapi­ talistischen   Staates wiederspiegelt und auch für den naivsten Träumer die gaukelnde Seifenblasenpracht der Gleichberechtigung von Arbeiter und Arbeitgeber in diesem Staate, die Seifenblasenpracht der Mission des sozialen Königthums in nichts zerstäuben läßt. Am 6. September 1898 erklärte der Kaiser in seiner berühmten Tisch­rede zu Deynhausen, daß sich ein Gesetz der Vollendung nahe, " das mit Zuchthaus Jeden bestrafe, er möge sein, wer er will, und heißen, wie er will, der einen deutschen Arbeiter, der willig wäre, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern versucht oder gar zu einem Streit anreizt". Noch ehe das Zuchthausgesetz kam, trat der Zuchthauskurs in Kraft. An der kaiserlichen Tischrede entflammte sich der Pflichteifer scharfäugiger, deutungskühner und vor Allem strebsamer Behörden und Gerichte zu den höchsten Leistungen. Es fiel jener Spruch von Geschworenen, der in den Herzen und der Geschichte der deutschen Proletarier als das Löbtauer Bluturtheil verzeichnet steht.

Nun ist auch die Zuchthausvorlage da.

Was ist des neuesten Gesezespudels reaktionärer Kern? Die vollständige Bertrümmerung des Koalitionsrechts der Arbeiterklasse; die Niederbüttelung und Erdrosselung der Gewerkschaftsbewegung, ja überhaupt jeder proletarischen Aktion, die auf Erringung günstigerer Arbeitsbedingungen abzielt, die den Männern und Frauen der Arbeit eine menschenwürdige Eristenz sichern will. Gewiß erklären mit dreister Stirn die berufsmäßigen Möchte- gern- Begründer des elenden Machwerks, daß die Koalitionsfreiheit der Arbeiter durch das neue Gesetz nicht angetastet und beschränkt werden solle. Aber jede einzelne Bestimmung des Entwurfs straft ihre Versicherung Lügen. Von seinen elf Paragraphen ist nur der einzige letzte so harmlos", wie nach dem begründenden Gelegenheits- und Ver

der Gewerbeordnung für aufgehoben, jenen tückischen Paragraphen, fraft dessen schon jetzt die Koalitionsfreiheit des Proletariats schädlich eingeengt ist, ja bei etwas gutem Willen in vielen Fällen so gut wie illusorisch gemacht werden kann. Das Interesse des Proletariats heischt längst und dringend die Beseitigung der einschlägigen Be­stimmungen. Das beantragte Gesetz aber sieht die Aufhebung des Paragraphen nicht vor, um zum Wohle des arbeitenden Volkes zu verbessern, vielmehr lediglich, um der kapitalistischen   Raffgier zu Liebe zu verbösern. Nicht ein gesichertes, unbeschränktes Koalitions­recht tritt für das deutsche Proletariat an seine Stelle, wohl aber ein Ausnahmegesetz, wie es unberechtigter, brutaler, niederträchtiger und deutungsfähiger nicht ausgeflügelt werden kann.

,, Und Stumm sprach", damit setzen die Anfänge der jüngsten Zuchthausvorlage ein. In der That: seit der ungekrönte König von Saarabien im preußischen Herrenhause erklärte, daß die Be­stimmungen der Gewerbeordnung über das Koalitionsrecht, revisions­bedürftig" seien, hat der Gedanke dieser Revisionsbedürftigkeit" innerhalb der gefeßgebenden Gewalten immer weitere Kreise gelegenheitsgerede die ganze Vorlage sein soll. Er erklärt§ 153 zogen, immer festere Gestalt gewonnen. Es wurden die Sinne geschärft für die Entdeckung des sagenhaften, gruseligen Streif­terrorismus", es wurde die Pflichterkenntniß mächtig befeuert, zu Nutz und Frommen des Kapitals hierin Wandel zu schaffen. Im Juli 1897 fündete der Kaiser in Bielefeld   schwerste Strafe Dem, der sich untersteht, seinen Nebenmenschen, der arbeiten will, an freiwilliger Arbeit zu hindern". Es steigerte sich die Verständniß­innigkeit, mit welcher klassenstaatliche Gerichte von Rechts wegen Streifvergehen auf Grund des§ 153 der Gewerbeordnung er­fannten, nachwiesen und ahndeten, mit welcher sie Paragraphen des Strafgeseßes, groben Unfug, Erpressung, Hausfriedensbruch 2c. betreffend, zur gebührenden" Abstrafung von Streikbrüdern" erfolgreich anriefen. Im Dezember des nämlichen Jahres erfolgte der berühmte Geheimerlaß, durch welchen Posadowsky, der Minister für jene Sozialreform, welche im Zeichen des Krebses steht, die behördliche Sammlung von Material über den proletarischen Streif­terrorismus" in die Wege leitete. Das deutsche Proletariat saß bei den Wahlen zu Gericht über das geplante Attentat auf sein dürftiges Koalitionsrecht. Die herrschenden Gewalten aber nahmen seinen Urtheilsspruch mit jener Verständnißlosigkeit und Nichtachtung auf, mit welcher nach ihrer erleuchteten Vorstellung ein weises Regiment" allein das Wünschen und Wollen der frohndenden Masse geziemend beantwortet. Mit der ihm eigenen temperamentvollen Schärfe prägte der Kaiser das Wort, das unnöthig besorgte kapita­listengemüther über die Absichten der Regierung, das Koalitionsrecht

"

Die proletarische Tagespresse hat eingehend die Gefahren auf­gezeigt, welche in jeder einzelnen Bestimmung des Entwurfs auf die Proletarier lauert, die nach höherer Kultur verlangend gemein­schaftlich dem Kapital bessere Arbeitsbedingungen abringen wollen. Alle einzelnen Bestimmungen flingen in der Tendenz zusammen, die Ausübung des Koalitionsrechts in unverfrorenſter Einseitigkeit für das Proletariat zu verunmöglichen. Und diese offensichtlich arbeiterfeindliche Tendenz des beantragten Gesezes wird künftighin ein würdiges Seitenstück schaffen zu der berüchtigten vormärzlichen Preßfreiheit mit dem Galgen daneben: die Koalitionsfreiheit mit dem Zuchthaus daneben.

Die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs stellen jede Hand­lung unter Strafe, die zur wirksamen Ausübung des Koalitions­