rechts erforderlich ist. Was immer von Arbeitern und Arbeiterinnen gethan wird, um einen Streik, eine Lohnbewegung zu berathen, vorzubereiten, zu organisiren und durchzuführen, es ist strafbar. Strafbar ist jedoch nicht blos die vollendete einschlägige That, strafbar ist schon das bloße„Unternehmen" einer solchen That. Und nicht nur alles Thun und Unternehmen auf rein gewerkschaftlichem Gebiete verwandelt sich unter den vieldeutigen Bestimmungen des Entwurfs in ein gesetzwidriges, abänderungsbedürftiges Unterfangen. Vielmehr jedes Thun und Unternehmen der Proletarier überhaupt, um durch eine gemeinschaftliche, planmäßige Aktion auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzuwirken. Zu Strafthaten werden mithin die so segensreichen, unerläßlichen Bestrebungen der organisirten Arbeiter, zur Durchführung des gesetzlichen Arbeiterschutzes mitzuwirken, die Erweiterung des gesetzlichen Schutzes, den Ausbau der Gewerbeinspektion zu fördern w. Das ganze Gebiet der Sozialpolitik wird durch die raffinirt ausgeheckten Bestimmungen praktisch der Wirksamkeit des Proletariats verschlossen. Und das obgleich gerade auf diesem Gebiete die positive Mitarbeit der Arbeiter eine der wesentlichsten Vorbedingungen für das Erfassen und Lösen der vorliegenden Aufgaben ist. Daß der Geltungsbereich des Zuchthausgesetzes von dem sozialpolitischen Gebiete auf das politische hinübergleitet und auch hier die Bethätigung des Proletariats lahmlegen kann, versteht sich bei seiner Tendenz und der salomonischen Weisheit unserer kapitalistenstaatlichen Juristen am Rande. Früher wurde zum Zwecke der Meuchelung der Gewerkschaftsbewegung in manchen Bundesstaaten jede gewerkschaftliche Aktion ohne viel Witz und mit viel Behagen zu einer strafbaren politischen Morithat unigedeutelt. Tritt das Zuchthausgesetz in Kraft, so wird voraussichtlich künftighin der Spieß umgekehrt. Je nach Belieben und Bedürfniß der Kapitalistenklasse und des Kapitalistenstaats wird der Charakter politischer Vereine, Versammlungen, Aktionen in einen wirthschaftlichen um— definirt. Und zwar nicht blos in dem und jenem deutschen Vaterlande, sondern:„das ganze Deutschland soll es sein", das die Annehmlichkeiten der neuen Rechtsprechung erfährt. Was in der angedeuteten Beziehung der Wortlaut des beantragten Gesetzes nicht besagt, das kann in diese Worte dank der schwammigen, dreh- und deutelbaren Fassung hineingelegt werden. Diese Fassung ermöglicht es, daß von den bekannten, die Rechtsprechung angeblich beherrschenden„Buchstaben des Gesetzes" jederzeit ein X für ein U treten kann; sie fordert die kühnsten juristisch-logischen Seiltänzereien geradezu heraus. Daß es aber unsere Juristen auf dem Gebiete dieser löblichen Kunst zu den waghalsigsten Leistungen bringen werden, daß es von kleinen Gneistchen wimmeln wird, die„alles beweisen können", dafür bürgt der Pflichteifer und die Strebsamkeit der Herren, die wohl wissen, was unter der heutigen Ordnung ihres Amtes ist. So wird praktisch das Zuchthansgesetz nicht blos als schmachvolles Ausnahmegesetz gegen die Gewerkschaftsbewegung wirken, sondern als schmachvolles Ausnahmegesetz gegen die moderne Arbeiterbewegung überhaupt. Das offizielle Organ der sächsischen Regierung, die„Leipziger Zeitung", die über die Absichten und Ziele an„leitender Stelle" doch wohl unterrichtet sein muß, begrüßt denn auch mit zynischem Frohlocken den Entwurf als einen Ersatz für das Sozialistengesetz. Hätte die Reaktion den Muth ihrer Infamie, sie müßte der Tendenz des Entwurfs entsprechend das beantragte Gesetz in folgende zwei Paragraphen fassen: 8 1. Die deutschen Arbeiter besitzen unbeschränktes Koalitionsrecht, sie besitzen das Recht zu freier gewerkschaftlicher und politischer Bethätigung. 8 2. Jeder Arbeiter, welcher das Koalitionsrecht benutzt und sich gewerkschaftlich oder politisch in Gemeinschaft mit anderen Arbeitern bethätigt, der wird bestraft. Einseitig als Ausnahmegesetz gegen das Proletariat soll das Zuchthausgesetz wirken, darüber vermag alles Gerede von der „paritätischen Behandlung" der Arbeiter und Unternehmer nicht hinwegzutäuschen. Die eingeschworenen Organe des protzigsten Kapitalistenklüngels stellen denn auch jubelnd fest, daß das Herrenrecht der Unternehmer auf Terrorismus wider„arbeitswillige" Arbeiter und Betriebsinhaber nicht angetastet wird. Nach wie vor können die Kapitalgewaltigen mittels von schwarzen Listen der Rachgier ihrer„Erwerbsgenossen" arbeitswillige Proletarier denun- ziren und diese brotlos von Betrieb zu Betrieb Hetzen. Nach wie vor können sie durch Konventionalstrafen, trockene Wechsel zc. Unternehmer zur Aussperrung ihrer Arbeiter, zur Einhaltung bestimmter Arbeitsbedingungen zwingen. Nach wie vor können sie sich bankettirend bei Sekt und Austern zur Niederhaltung ihrer Lohnsklaven„zusammenrotten". Es gehört die ganze gewerbs- und gewohnheitsmäßige freiwillige Blindheit einer regierungslüsternen Umfallspartei dazu, um mit dem Zentrum zu entdecken, daß der Entwurf Proletarier und Kapitalisten mit dem gleichen Maße mißt. Ganz zu geschweigen von der jedem sozialpolitischen Kinde nachgerade bekannten Thatsache, daß auch bei Gleichstellung durch den Buchstaben des Gesetzes in Wirklichkeit Arbeiter und Unternehmer nicht gleichgestellt sind. Der wirthschaftlich abhängige Lohnsklave steht von vornherein seinem„Brotgeber" nicht als Gleicher gegenüber, sondern als Schwacher. Die kümmerlichen Feigenblättchen, durch welche die Bestimmungen des Entwurfs dessen„xartieo llontsuses", die einseitige, ausnahmsgesetzliche Tendenz zu verbergen suchen, sind übrigens in der Begründung und der Denkschrift gefallen. Hier offenbart sich der ausnahmsgesetzliche Charakter der Zuchthausvorlage unverhüllt, in nackter Häßlichkeit. Weder die Begründung noch die Denkschrift weist auch nur die leisesten Spuren des Bestrebens auf, in„paritätischer Behandlung" auch Material über den Terrorismus der Unternehmer beizubringen. Und doch thürmt sich einschlägiges, unanfechtbares Material bergehoch auf und könnte von den Behörden mit einem geringeren Aufwand von Liebesmüh entdeckt werden, als die brüchigen Thatsachen über das„Schreckensregiment" der „Streikreisenden" und„Streikbrüder". Dagegen hat behördlicher Fleiß im Schatten des Geheinierlasses einseitig, tendenziös Scheinbeweise über den Terrorismus der Streikenden zusammengeklaubt. Und welche Beweise, und wie zusammengeklaubt! Die begründende Denkschrift ist ein total unkritisches, aber dafür um so tendenziöseres Sammelsurium von unvollständig und schief dargestellten Einzelfällen von„Streikvergehen", vor Allem aber von kapitalistischen und behördlichen Klagen, Kannegießereien und Wünschen, das -s-s-s- Koalitionsrecht des Proletariats betreffend. Dem armseligen Händchen voll Ziffern in den Gesctzesmotiven fehlt jede Beweiskraft. Die Begründung jonglirt leichtfertig mit absoluten Zahlen, und solche beweisen gar nichts bezüglich der Thatsachen, dafür aber sehr viel betreffs der unfähigen oder gewissenlosen Art der Bearbeitung. Aus dem Umstand, daß 1892 nur 74 Personen wegen Streikvergehen verurtheilt wurden, 1896 aber 252 Personen und im folgenden Jahre 254, kann kein leidlich vernünftiger und unterrichteter Mensch ein bedenkliches Anschwellen des„Streik- terrorismns" herauslesen. Ein statistischer Abcschütze weiß, daß zur Beweiskraft der Ziffern nöthig wäre der Vergleich mit der Zahl der Streikenden in den betreffenden Jahren, die Würdigung der Thatsache, daß die Fähigkeit der Gerichte, Streikvergehen zu fassen, gewaltig gewachsen ist. Wie vortheilhaft heben sich von dem offiziellen Talmimaterial nicht die Ziffern und Thatsachen ab, die Legien, der„Streikreisende",„Hetzer" und Zuchthauskandidat in seiner trefflichen Broschüre„Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter in Theorie und Praxis" zusammengestellt hat. Von ihm und Anderen in strenger Sachlichkeit gesammelte Thatsachen erweisen klärlich, wie überflüssig das Zuchthausgesetz ist. Von 1892 bis Oktober 1898 kamen auf je 1660 Streikende durchschnittlich 3,3 Verurtheilungen wegen Strcikvergehen. Dagegen entfielen nach der deutschen Kriminalstatistik von 1882 bis 1891 auf je 1060 strafwürdige Personen 10,8 Bestrafte. Professor Tönnies wies in seiner lichtvollen Abhandlung über den Hamburger Hafenarbeiterstreik nach, daß nur 1 Prozent der 16000 Ausständigen wegen Streikvergehen verurtheilt wurden. 1893 zählte man auf je 1000 Studenten 8,3, die wegen Vergehen und Verbrechen wider Reichsgesetze bestraft wurden. Ebenso lehrreich reden die folgenden Ziffern von der Neigung des Proletariats zu Gesetzwidrigkeiten und dem gesetzliebenden Sinn des Unternehmerthums. In den drei Jahren 1894/96 wurden in den inspektionSpflichtigen Betrieben festgestellt: 61562 Gesetzesübertretungen wider die Bestinmiungen zum Schutze der jugendlichen Arbeiter, 29 384 Verfehlungen gegen die Schutzvorschriften zu Gunsten der Arbeiterinnen. Dabei ist zu beachten, daß nur
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9 (21.6.1899) 13
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