Mrs. Amie Hicks hat den meisten Generalversammlungen des Verbands beigewohnt, seit dieser im Jahre 1892 anfing, sich mit der Arbeiter­frage zu beschäftigen, und sie hat hier jederzeit die Forderung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes vertreten. An der Generalversamm­lung des Jahres 1895, die einen den Arbeiterinneninteressen so schäd­lichen Beschluß faßte, nahm sie keinen Theil. Auch außerhalb Londons  hat sie eine rege Agitation zu Gunsten des gesetzlichen Arbeiterinnen­schutzes entfaltet. In vielen Zweigvereinen des liberalen Frauen­verbands hielt sie Vorträge über die Frage, und erst dieses Frühjahr unternahm sie zusammen mit Miß Ramsay, der Organisatorin des Verbands, auf Kosten der Lady Carlisle zur Förderung des gesetz­lichen Arbeiterinnenschutzes eine Agitationstour in Nordengland  .

Der Erfolg ihres Wirkens fand seinen Ausdruck in der so be= bedeutend zusammengeschrumpften Majorität der grundsätzlichen Geg­nerinnen des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, ferner auch in der thatsächlich einstimmigen Annahme einer Resolution zu Gunsten einer Bill, die gesetzliche Regelung der Hausarbeit betreffend. Man hatte heftige Opposition gegen diese Bill erwartet, die von dem Zentral­ausschuß für Frauenarbeit" beantragt worden ist. Des Weiteren ge­langte eine von Mrs. Hicks eingebrachte und von Lady Mary Murray unterstützte Resolution zur Annahme, welche die strenge Durchführung der Fabrikgesetze fordert und vorsieht, daß die Einschüchterung von Arbeitern und Arbeiterinnen, welche den Beamten der Fabrikinspektion Mittheilungen über Mißstände machen, als Behinderung der Fabrik inspektoren und Inspektorinnen bei Ausübung ihrer Amtspflichten gelten und straffällig sein soll; weiter, daß Klausel 40 des Fabrik­gesetzes von 1895 die Einzelheiten betreffs der Arbeit und der Lohnzahlung der Arbeiter festlegt auch für alle Art Akkordarbeit Anwendung finden soll. Mr. Hicks zog ihrerseits mehrere Sonder­anträge zurück, für die sie eintreten wollte, und dies lediglich deshalb, damit die Frage der gesetzlichen Regelung der Hausarbeit gründlicher erörtert werden konnte. Einstimmig erklärte sich die Generalversamm lung auch durch eine Resolution für die von Mr. Cobson im Parla­ment eingebrachte Bill, welche die gesetzliche Altersgrenze für die so­genannten Halbzeitler" auf zwölf Jahre festlegt. Gegen diesen so geringfügigen Schutz von Kindern hatte die Generalversammlung nichts einzuwenden. Dagegen widersetzen sich noch immer zahlreiche Frauenrechtlerinnen dem Schutz der Arbeiterinnen, weil sie meinen, daß er eine Schädigung und Herabsetzung des weiblichen Geschlechts bedeute. Sie vergessen dabei zweierlei: Erstens, daß die männlichen Arbeiter sehr zufrieden wären, wenn ihnen gesetzlicher Schutz zu Theil werden würde; zweitens, daß es den Arbeiterinnen in Folge ver­schiedener Umstände weit schwerer ist als den Arbeitern, sich durch Gewerkschaften und andere Mittel der Selbsthilfe zu schützen.

Die letzte Generalversammlung des liberalen Frauenverbands" zeigt jedoch, daß in dieser kräftigen Organisation eine gesündere Auf­fassung der einschlägigen Frage Platz greift. Es ist ein hoffnungs­volles Anzeichen für einen anhaltenden Umschwung zum Besseren, daß gerade die jüngeren Mitglieder des Verbandes sehr zahlreich in der Minorität vertreten waren, die für den besonderen gesetzlichen Arbeiterinnenschutz stimmte. Ebenso ist das große Interesse zu deuten, mit welchem alle Fragen des gesetzlichen Schutzes der Arbeit über­haupt erörtert wurden, so daß dieselben thatsächlich im Mittelpunkte der gesammten Verhandlungen standen. Die Vorkämpferinnen für die Auffassung, daß die arbeitenden Frauen ein Recht auf gesetzlichen Schutz haben, sind überzeugt, daß sie in einem oder zwei Jahren die Majorität der Generalversammlung auf ihrer Seite haben.

Die württembergische Gewerbeinspektion im Jahre 1898.

Von Wilhelm Keil  . I.

Die schwäbischen Gewerbeinspektoren galten noch vor einigen Jahren als Männer von mäßigem sozialpolitischen Verständniß und dürftiger Befähigung für ihr Amt. Die Soziale Praxis" Heinrich Brauns   hat ihnen dies Zeugniß seiner Zeit wiederholt mit ungenirter Offenheit ausgestellt. In den letzten zwei, drei Jahresberichten ist jedoch ein merklicher Umschwung zum Besseren zu beobachten, und wenn die Herren auch fünftig in dem bisherigen Tempo auf dem Wege der Besserung weiter marschiren, sollen ihnen ihre früheren Sünden gern vergessen und verziehen sein. Eine ähnliche Entwicklung wie sie machen übrigens ihre Kollegen in manchen Bundesstaaten durch. Die in Deutschland   noch in den Kinderschuhen steckende Fabrik­aufsicht muß langsam selbst die Kräfte erzeugen, die für die richtige Durchführung und Weiterbildung des gesetzlichen Arbeiterschutzes Ver­ständniß und Fähigkeit besitzen. Was das Erfassen ihrer Aufgaben anbelangt, so ist die Gewerbeaufsicht von Baden, Bayern   und Hessen  

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derjenigen der anderen Staaten vorausgeeilt. Nun sind auch die württembergischen Beamten in die Reihen der Fabrikinspektoren ge­treten, deren Wirken vorbildlich für die Thätigkeit ihrer Kollegen in den meisten deutschen Einzelstaaten sein kann. Denn in Norddeutsch­land beweisen nur ganz vereinzelte Gewerbeaufsichtsbeamte, daß sie ihren Aufgaben mit Gründlichkeit und gesundem sozialpolitischen Sinn gerecht zu werden suchen.

Die Berichte der württembergischen Inspektoren beweisen, daß die Beamten die Schule der Praxis mit gutem Erfolg durchmachen. Es ist das nicht sowohl in den die Arbeiterinnen betreffenden Kapiteln wahrzunehmen, als bei den allgemeinen Betrachtungen, namentlich den Mittheilungen über die Arbeiterbewegung, über Streifs 2c. Während die Herren in früheren Jahren aus ihrer Antipathie den modernen Arbeiterorganisationen gegenüber kein Hehl machten, be­urtheilen sie dieselben heute sehr vernünftig, ja der Beamte des dritten Bezirks widmet ihnen sogar ein besonderes Kapitel, das in seinen Ausklängen deutlich gegen den Zuchthauskurs protestirt: Aus dem Vorstehenden geht hervor", so heißt es, wie die gesammte Industriearbeiterschaft, ohne Unterschied der Partei und der Kon­fession, von dem ernsten Streben durchdrungen ist, den Arbeiter­stand geistig und sittlich zu heben."

Die gleiche Werthschäzung zeigt der Beamte des zweiten Be­zirks, der seine Erörterungen über Ausdehnung und Thätigkeit der verschiedenartigen Arbeiterorganisationen so abschließt: Wenn auch die Wege, auf welchen die christlichen Vereine die Arbeiter in geistiger und materieller Hinsicht zu fördern und deren Interessen nach außen zu vertreten suchen, sowohl von denen der Vereinigten Gewerkschaften als zum Theil auch unter sich von einander abweichen, so treffen doch die Bestrebungen der verschiedenen Arbeiterorganisationen darin zusammen, daß der weitere Ausbau der Arbeiterschutzgesetz­gebung ein besonderes Anliegen Aller ist; namentlich treten für die Bestrebungen um allgemeine Einführung der Koalitions­freiheit( wie sie in Württemberg besteht) auch verschiedene christliche Arbeitervereine ein." Das Wörtchen auch" charakterisirt die christ­lichen Arbeitervereine in ihrer Gesammtheit vortrefflich.

Eine nicht minder vernünftige Ansicht über den Werth der Arbeiterorganisationen entwickelt der Beamte des ersten Bezirks. Er sagt: Nach unserer Ansicht ist eine ehrliche gegenseitige Verständigung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei gut organisirten Arbeitern weit eher möglich, als mit den einzelnen Arbeitern, und die Arbeit­geber sollten sich daran gewöhnen, in den Organisationen nicht ihre prinzipiellen Gegner zu erblicken und dieselben eher fördern als be­kämpfen."

Ich kann mich hier auf die beachtenswerthen Darlegungen der Berichte( das Land ist in drei Bezirke eingetheilt und der Inspektor eines jeden Bezirks fertigt seinen selbständigen Bericht) nicht näher einlassen, ebensowenig auch auf die vielfach vernünftigen Reform­vorschläge, die sich auf die Arbeiterverhältnisse im Allgemeinen be­ziehen. Ich beschränke mich vielmehr darauf, aus dem Bericht das herauszugreifen, was die Arbeiterinnen besonders interessirt.

Die Zahl der in der Industrie beschäftigten erwachsenen Arbei­terinnen ist auch in Württemberg in beständiger Zunahme begriffen. Sie stieg von 1894 bis 1898 um 8067, und zwar betrug sie 1894: 31675, 1898 aber 39 742. Eine Vergleichung dieser Ziffern mit denen der insgesammt in Fabriken beschäftigten Arbeiter ist nicht möglich, da die Zahl der letzteren in früheren Jahren nicht angegeben wurde. Auch heute läßt die Statistik in den Berichten noch viel zu wünschen übrig. Mit einiger Mühe kann man jedoch berechnen, daß im Jahre 1898 die erwachsenen Arbeiterinnen 27,5 Prozent der in allen der Inspektion unterstellten Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte( 144 429) ausmachten. Die Zahl der Betriebe, in denen erwachsene Arbei­terinnen beschäftigt wurden, betrug 1894 1093, 1898 1301, stieg also um 19 Prozent, während sich die Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen laut obigen Ziffern um 25,4 Prozent vermehrte. Die Zunahme der Zahl der erwachsenen Arbeiterinnen war während der 5 Jahre eine anhaltend gleichmäßige.

Ueber die Ursachen der Zunahme läßt sich der Inspektor des dritten Bezirks mit Bezug auf die Zementfabriken an der oberen Donau   folgendermaßen aus: Die in Frage stehenden Arbeiter waren früher meist im Besitze kleiner Bauerngüter, deren Bewirth­schaftung immerhin die Mithilfe der ganzen Familie erforderte. Bei Errichtung der Zementfabriken zogen nun viele dieser Kleinbauern die lohnendere Beschäftigung in denselben vor, was zur Folge hatte, daß ihr kleines Gut nicht mehr in der früheren Weise bebaut werden konnte, und daher ein Theil desselben, sowie ein Theil des Viehs veräußert werden mußte. Je kleiner das einbehaltene Besitzthum an Land und Vieh wurde, desto geringer war das Einkommen, desto unlohnender der Betrieb und bald sah sich auch die Hausfrau ge­nöthigt, durch eine einträglichere Beschäftigung das Einkommen ihres