Die Ethik des Kampfes.

Ueber die proletarische und bürgerliche Frauenbewegung hat Dr. Fr. Wilh. Förster, der Sekretär des internationalen ethischen Bundes, im Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine einen längeren Artikel veröffentlicht, der sich mit der Frage beschäftigt, ob der Gegensatz zwischen beiden ein sittlich berechtigter, und ob die Kampfesweise der proletarischen gegen die bürgerliche Frauenbewegung eine ethische iſt.

Im Anfang seiner Betrachtung setzt der Verfasser ganz richtig den wesentlichen Unterschied zwischen der Frauenrechtelei und der Arbeiterinnenbewegung auseinander, indem er betont, daß diese über­haupt keine Frauenbewegung, sondern eine Bewegung der Lohn­arbeiter beider Geschlechter ist und ihre sozialen und ökonomischen Ergebnisse die einzige Basis für die Erhebung der Frau aus ihrer geschlechtlichen Abhängigkeit sein werden", er giebt ohne Umschweife unsere häufig ausgesprochene Ansicht wieder, daß jede ehrliche Kämpferin für die Befreiung der Frau eintreten müsse in die große sozialistische Armee, welche allein die gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen vermöge, unter welchen die Emanzipation der Frau zur Thatsache werden könne." Danach zu schließen, fennt Dr. Förster unsern Standpunkt, er müßte also auch begreifen, warum wir mit der bürgerlichen Frauenbewegung, die von ganz anderen Grund­anschauungen ausgeht, nicht gemeinsam arbeiten können, warum sie uns als etwas Minderwerthiges nothwendig erscheinen muß und wir unsere Meinung über sie nicht unausgesprochen lassen dürfen, weil jede Reformarbeit nicht nur darin besteht, durch Ausbreitung ihrer Jdeen Anhänger zu gewinnen, sondern auch durch Bekämpfung der als falsch erkannten Ideen deren Ausbreitung zu verhindern. Die Grundidee aber der bürgerlichen Frauenbewegung, daß die Be­freiung der Frau im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung durch das organisirte Vorgehen des weiblichen Geschlechts erreicht werden kann, erscheint uns ganz falsch. Alle Ziele der bürger­lichen Frauenbewegung, Zulassung zu den gelehrten Berufen und sind für uns nur Etappen staatlichen Aemtern, Wahlrecht 2c. 2c. auf dem Wege zum Ziel. Wir treten auch für sie ein, wir erkennen es rückhaltslos an, wenn die Frauenrechtler energisch für sie kämpfen und kleine Siege erringen, aber halten es für lächerliche Großmanns­sucht, diesen Kampf als einen weltbewegenden zu verherrlichen, wie es auf den Frauenfongressen geschieht. Zu solchen Verirrungen führt die Organisation der Frauen als Geschlecht, die auch nach anderer Richtung hin wahrhaft degenerirend wirkt, indem sie jenen Typus des Mannweibes züchtet, das allein schon geeignet ist, die Frauen­bewegung in Mißkredit zu bringen.

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Die Geschichte der bürgerlichen Frauenbewegung beweist, daß sie eine Klassenbewegung ist. Daraus machen wir ihr keinen Vor­wurf, wir konstatiren nur eine Thatsache, die wir allen Versicherungen der Parteilosigkeit gegenüber aufrecht erhalten müssen. Sie ist aus dem Kampf der Frauen der Bourgeoisie um Erweiterung ihrer Er­werbsmöglichkeiten entstanden, sie hat sich mit den ,, ärmeren Schwestern" zunächst gar nicht beschäftigt.

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Nur die Wohlthätigkeits- Bestrebungen, die mit der Frauen­bewegung nichts zu thun haben, wußten etwas von ihnen. Wo es die Solidarität darauf ankam, den Grundsatz des Feminismus, aller Frauen, durch die That zu beweisen, geschah es nicht: als die Polizei die Arbeiterinnenvereine abschlachtete, sah die bürgerliche Frauenbewegung ruhig zu, als der Kampf gegen das bürgerliche Gesetzbuch geführt wurde, fiel es ihr nicht, ein für die Rechte der Frau als Arbeiterin, oder für die Abschaffung der Gesindeordnung einzutreten. Als der Bund deutscher Frauenvereine gegründet wurde, wurden die Arbeiterinnenvereine offiziell ausgeschlossen. Jede radikale Gesinnung wird nicht nur sachlich, sondern in der Person ihrer Trägerinnen bekämpft und in Acht und Bann gethan; Leistungen, die nicht ihren Stempel tragen, werden mit Vorliebe todtgeschwiegen. So haben wir erst kürzlich auf dem Umwege über Amerika , durch das Bostoner Womans Journal", erfahren, daß Frau Marie Stritt in England bei der Erörterung der deutschen Stimmrechtsbewegung erklärte, dem Reichstag habe noch nie ein Antrag auf Einführung des Frauenstimmrechts vorgelegen, obwohl sie wissen mußte, daß ein solcher im Jahre 1895 von unserer Partei eingebracht wurde und zu lebhafter Diskussion führte. Und ein neuestes Beispiel: Wie kläglich ist die Haltung der Frauenrechtler in der Dienstbotenbewegung! Aber wir brauchen nicht bei Deutschland stehen zu bleiben: in Eng­land, diesem Land der Seligen für alle Sozialreformer, dessen Frauen­bewegung Dr. Förster nicht genug zu preisen weiß, ist sie es gerade, die mit fanatischem Eifer die Arbeiterinnen- Schutzgesetzgebung bekämpft.

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Wir sind demnach nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die bürgerliche Frauenbewegung zu bekämpfen. Aber es kommt Dr. Förster fast mehr auf die Art des Kampfes, als auf den Kampf selbst an:

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Wir führen ihn in gehässiger" Weise, wir behandeln unsere Gegner verächtlich" und" geringschäßig", wir belächeln" ihre Beschlüsse und machen uns über ihre schönen Reden" lustig. Daß dergleichen vorkommt, geben wir ohne Weiteres zu, und wir verschmähen es, dafür die landläufige Entschuldigung anzuführen, daß unsere Gegner nicht anders verfahren, daß sie sogar die Verleumdung für eine nicht zu schlechte Waffe im Kampfe gegen uns ansehen, daß sie unserm Thun mit Vorliebe niedrige Beweggründe unterschieben. Die schwer­wiegenden Momente, die zugleich Erklärung und Entschuldigung in sich schließen, vergißt jedoch Herr Dr. Förster. Er denkt nicht daran, daß die proletarischen Kämpfer und Kämpferinnen zum größten Theil nicht das Glück hatten, von sorglichen Eltern in den Formen der guten" Gesellschaft erzogen zu werden. Sie haben nicht gelernt, den Galanteriedegen zu führen, sondern den Knüttel. Als sie Kinder waren, umgab sie das Gewühl der Straße und der Hinterhäuser. Sie hörten rohe Worte von früh auf, und als sie in den Dienst, in die Fabrik oder in die Werkstatt eintraten, begegnete man ihnen nicht anders. Die Kaserne mit ihrem bekannten Lerika der feinen Lebens­art vollendete die Erziehung der Männer, die wieder der Frauen Erzieher wurden. Neben diese äußeren Momente treten dann die inneren: Der Kampf des Proletariats dreht sich nicht um Augen­blickssiege, um Vortheile aller Art, wie der, den zum Beispiel die bürgerlichen Frauen kämpfen. Erreichen diese ihre Ziele nicht, so berührt das ihr persönliches Leben wenig, sie haben trotzdem für sich und ihre Kinder ausreichende Nahrung für den Körper und den Geist, sie stehen nicht täglich vor der Möglichkeit völligen Ruins wie die Proletarierinnen, die um ihre ganze Existenz ringen, die sich aus dem tiefsten Elend überhaupt erst zu einem menschenwürdigen Dasein emporarbeiten, deren kränkelnde, blasse, um Jugend- und Lebensfreude schuldlos betrogenen Kinder jenen Mutterhaß in ihnen erwecken, der ebenso stark ist, wie die Mutterliebe und sich gegen die Gesellschaft wenden muß, die ihre Glieder zu Grunde richtet, sobald sie das Ver­brechen begingen arm zu sein. Daß die bürgerliche Frauenbewegung mit ihren Kongressen, deren Theilnehmerinnen einander an Pracht der Kleider überbieten man lese nur die Londoner Berichte!

mit ihren Damenklubs, mit ihren Vereinen und Vereinchen solchen Kämpferinnen lächerlich erscheint, daß sie sie sogar verächtlich finden, wenn sie von ihren Kämpfen und Leiden mit denselben Worten spricht, wie die Arbeiterbewegung von den ihren das ist nicht nur begreiflich, sondern dazu sind die proletarischen Kämpferinnen auch berechtigt. Denn thatsächlich ist das Eine ein weltumfassender Kampf mit einem Ziele, dessen Bedeutung alles überragt, um was bisher Menschen gerungen haben, und das Andere ist nur ein Sturm, der von dem Baume der Weltentwicklung einige schon längst vertrocknete Blätter abschüttelt.

Dr. Förster trägt jene rosige Brille vor den Augen, die ein Kennzeichen grade der wohlwollendsten bürgerlichen Sozialreformer ist. Damit betrachtet er das Musterland England, ohne zu bemerken, daß die Arbeiter dort noch nicht einmal das allgemeine Wahlrecht besitzen, daß die Arbeiterinnen auf der niedrigsten Stufe der Auf­flärung stehen, und daß das Elend auch dort noch vielfach erschreckend ist. Damit sieht er auch Deutschland an, und seine Brille scheint so starke Vergrößerungsgläser zu tragen, daß die winzige Schaar wirklich frei denkender Ethiker sich ihm zur gesammten Bourgeoisie erweitert. Er sagt nämlich:" Wann wird der Arbeiterinnenbewegung wohl einmal klar werden, daß der soziale Kampf thatsächlich schon längst kein Klassenkampf mehr ist, weil der ethische Widerstand der Gebildeten gegen die Unterdrückung bereits ebenso start ist, wie der natürliche Widerstand der Organisation der Unterdrückten?" Wirklich, man muß sich bei diesem Sage an die Stirn fassen und sich fragen: Lebt denn der Mann auf dem Monde? In einem Lande, wo die Zuchthausvorlage möglich war, wo der Zuchthauskurs täglich Opfer um Opfer fordert, wo der Fall von Löbtau so gut wie spur­los an der Bourgeoisie vorüberging, jeder Sozialdemokrat von Polizei und Gesellschaft wie ein halber Verbrecher abgestempelt ist, in einem solchen Lande wagt er es von dem ethischen Widerstand der Ge­bildeten" zu sprechen?! Und auf Grund dieser ungeheuerlichen An­sicht fordert er von der Arbeiterbewegung, daß sie in ihrem Kampfe darauf Rücksicht nehmen, und sich die sittliche Gewinnung der Ge­bildeten" angelegen sein lassen soll! Die Arbeiterbewegung würde nie zum Ziele kommen, wollte sie darauf ihre Kräfte richten; die ver­gangenen Jahrhunderte der Weltgeschichte beweisen das, ihre bittere Lehre ist es, durch die das Proletariat endlich erkannte, daß es sich nur durch eigene Kraft befreien kann. Alle ethischen Bewegungen, die größte, die christliche, an der Spizze, haben an dem Egoismus der herrschenden Klassen Schiffbruch gelitten, oder sind von ihnen für ihre eigenen Zwecke ausgenutzt worden.

Nicht von den sittlichen Ueberzeugungen edler Menschen wird der Fortschritt der Welt getragen, sondern von der Klassenbewegung