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einzudämmen, erwähnte Niemand: gesetzlichen Arbeiterinnenschutz;| gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen; volle Koalitions freiheit für alle Lohnarbeitenden, die Dienstboten einbegriffen; Ab­schaffung der Gesindeordnungen; ernste soziale Reformen auf der ganzen Linie. Die Delegirtenversammlung nahm denn auch folgende Resolution an:

,, Der Verband fortschrittlicher Frauenvereine erflärt im Sinne der Fédération abolitionniste internationale, bei den gesetzgebenden Körperschaften und städtischen Behörden für die Aufhebung der staat lichen Reglementirung der Prostitution zu wirken und bessere Schutz­gesetze für Minderjährige zu beantragen und die öffentlichen Häuser, sowie jede Lokalisirung der Prostitution zu verbieten. Er wird aber auch bemüht sein, soziale und gesetzliche Reformen herbeizuführen, welche die Jugend des Volkes vor sittlichem Niedergang schützen." Des Weiteren erklärt das Programm, in welchem die Sittlichkeits­frage bezeichnender Weise an erster Stelle steht, daß der Verband für die Lösung der Sittlichkeitsfrage wirken werde durch die Grün­dung örtlicher Vereine und durch Bekämpfung der doppelten Moral. Die Behandlung der Arbeiterinnenfrage zeigt das gleiche Gemisch von guten Absichten, Verständniß- und Rathlosigkeit, großen Sym­pathiebetheuerungen an die Adresse der Proletarierinnen und schwachen Anläufen zu kleinen Thaten in ihrem Interesse, welches für die radi­falen Frauenrechtlerinnen von jeher charakteristisch gewesen ist. Im Programm des" Verbands" heißt es zur Frage: Der Verband lehnt jede Trennung der bürgerlichen Frau von der Arbeiterin entschieden ab. Er wird aufrichtig bestrebt sein, die Arbeiterinnen für seine Ortsvereine zu gewinnen und so eine gemeinsame Arbeit im Inter­esse des Arbeiterinnenstandes( sic!) zu ermöglichen." Damit wird ein Rattenkönig von Jrrungen und Wirrungen der Auffassung und schönen Verheißungen an Stelle bestimmt formulirter Forde­rungen zu Gunsten der Arbeiterinnen gesetzt. Im Anschluß an die Verhandlungen über die Arbeiterinnenfrage gelangte eine Resolution zur Annahme, welche einen Versuch darstellt, ein bestimmtes ein­schlägiges Aktionsprogramm zu schaffen. Die Vereine Frauenwohl" sollen sich theoretisch und praktisch mit der Arbeiterinnenfrage be­schäftigen und zu diesem Zwecke eine Kommission einsetzen, welche die nöthigen Schritte thut, um Verständniß für diese Frage herbei zuführen durch Vorträge und Einrichtung von Kursen über Gewerk­vereine, Gewerkschaften, Arbeiterschutzgesetze, Art und Weise Enqueten zu unternehmen 2c." Des Weiteren soll die Kommission unter Hinzu­ziehung von Arbeiterinnen als gleichberechtigter Mitglieder, Organi­sationen der in jeder Stadt vorhandenen Arbeiterinnen in den ein­zelnen Berufen" anbahnen. Was dieses Programm den Arbeiterinnen bietet ist blutwenig. Im Wesentlichen ist es mit Rücksicht auf die Belehrung der Frauenrechtlerinnen selbst über die Arbeiterinnenfrage zugeschnitten. Gewiß ein guter, ein löblicher Zweck. Sollte er er­

Sie nichte.

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Gern."

Ruhig wandte sie sich mit ihm zu dem Strandweg, der zu der Landungsbrücke führte.

" Wollen wir nicht einen Augenblick Plaz nehmen? Die Zeit genügt."

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Sie setzte sich mit ihm auf eine einsame Bank am Meere. Nun?"

Martin schaute auf den breiten, weißen Strand, über dem die Sonne tanzte mit einem Lichte, das keine Wärme, und einer Helligkeit, die keine Freude gab.

Er begriff nicht, daß er vor wenigen Minuten das Meer schön gefunden hatte. Leer, häßlich, unfruchtbar erschien ihm die rein­liche Sandfläche. Ein Gefühl kalten Unbehagens ging durch seinen Körper.

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reicht werden, und sollten die Damen um Frau Cauer aufhören, sich durch ihre Unkenntniß auf sozialem Gebiet zu kompromittiren, so würden wir das als einen anerkennenswerthen Fortschritt betrachten. Wenn dagegen der radikale Verband die Gründung von Nur- Frauen­gewerkvereinen" vorsieht, so läßt er sich in seiner Herzensunschuld auf ein Experiment ein, das durch die Erfahrungen in England längst verurtheilt worden ist. Miß Routledge   scheint auf dem inter­nationalen Frauenkongreß in Berlin   für die Damen in den Wind gesprochen zu haben. Daß in den Organisationen der Geist oder richtiger Ungeist der Harmonieduselei walten soll, dafür sprechen die Verhandlungen, dafür spricht der Charakter und die Geschichte des Hilfsvereins für kaufmännische Angestellte" in Berlin  . Den Kampf für die volle Koalitionsfreiheit aller Lohnarbeitenden sieht das Pro­gramm im Zeitalter des Zuchthauskurses nicht vor; ebensowenig das Wirken für einen durchgreifenden gesetzlichen Arbeiterinnenschutz. Was es bietet und was es nicht bietet ist charakteristisch dafür, daß die Arbeiterinnen eine kraftvolle Vertretung ihrer Interessen auch von den radikalen Frauenrechtlerinnen nicht zu erwarten haben.*

Die Verhandlungen über die Arbeiterinnenfrage waren ein Durch­einander von richtigen und falschen Einzelheiten, die der Zusammen­fassung unter leitenden großen Gesichtspunkten ermangelten. Das Referat der Frau Zerbst   rollte nicht die Frage in ihrer Gesammtheit auf, sondern brachte nur einzelne Angaben über die Frauenarbeit in der Hausindustrie. Ueber die einschlägigen Verhältnisse sprach die Referentin als Arbeiterin sachgemäß, zog aber nicht die richtigen Konsequenzen aus den Thatsachen. Nicht durch den Kampf gegen das Unternehmerthum, sondern durch von bürgerlichen Damen beschüßte und geleithammelte Organisationen werden nach ihr die Arbeiterinnen bessere Arbeits­bedingungen erringen. Ein Fräulein Auerbach empfahl als Mittel zur Lösung der Arbeiterinnenfrage, die jungen Proletarierinnen sollen Dienstmädchen und nicht Arbeiterinnen werden! Pfarrer Hoffet hatte ein anderes wundersames Rezept in petto: Die bürgerlichen Damen sollen die Arbeitgeber boykottiren, welche den Arbeiterinnen schlechte Löhne zahlen! Einen blühenden Blödsinn leistete sich Frl. Lischnewska in ihrem Referat über die Stellung und die Aufgaben des Ver­bandes", in welchem sie übrigens für Forderungen eintrat, die leider nicht in dem Programm der radikalen Organisation enthalten sind: für Koalitionsfreiheit, gesetzlich- sanitären Schuh, weibliche Fabrik­inspektoren, Wohnungsreform, gleichen Lohn bei gleicher Leistung,

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* Was die den Arbeiterinnen angebotene Hilfe" anbelangt, so sei bemerkt, daß die Damen um Frau Cauer mit ihren Beschlüssen den Thaten nichtradikaler Frauenrechtlerinnen nachhinken. Wir erinnern an das unsererseits bei aller Kritik anerkannte Wirken von Frau Gnaud- Kühne, Fräulein Dyrhenfurth, Frau Schwerin  . Und weiter: vom Beschluß zu Thaten ist ein weiter Weg.

über den schönen Frauenleib- ,, ästhetische dégoûts. Aber so­weit es mir paßt, kannst Du auf alles vorbereitet sein." Martin sah die Entschlossenheit in ihrem Gesicht.

Ich werde mit Ludolf sprechen."

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" Du sagst ihm nichts Neues. Weißt Du, was er für mich ist?"

Sie blies über ihre zitternde Hand.

Eine Null, ein Nichts."

Sie hatte sich erhoben.

Wie betäubt schritt Martin neben ihr den Strandweg. Plötzlich stand sie stille.

Du bist fertig, nicht wahr?"

Er nickte stumm.

,, Aber ich bin nicht fertig", stieß sie heiser hervor. Mit welchem Rechte darfst Du mich fragen? Du, der Du Ludolfs  

Nun", wiederholte er grollend, weißt Du wirklich nicht, Jugendsünden kanntest? Ihr mich zur Rechenschaft ziehen! Ihr, was ich von Dir will?"

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Natürlich weiß ich's. Ich soll diesen schönen, dummen Jungen laufen lassen und Ludolfs ehrbare Gattin bleiben. Ein köstlicher Einfall."

Das Blut stieg Martin ins Gesicht.

"

Warum köstlich?"

Meinst Du etwa, er sei der Erste? Er ist nicht der Erste

und er wird auch nicht der Letzte sein."

Mit jähem Ekel blickte Martin sie an.

Eine maßlose Bitterfeit trat in ihr Gesicht.

,, Beruhige Dich, die Ehre Eures Namens bleibt unan­

getastet.

Ich habe nun einmal fühles Blut und" ein Schauer ging

die Ihr mich in diesen Schmutz gestoßen!" Er blickte in ihr verzerrtes Gesicht.

,, Alice, glaube mir, ich wußte sehr wenig von Ludolf."

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Du wußtest sehr wenig? Wußtest Du nicht, daß ich nach meiner Heirath jahrelang frank war und durch wen ich's wurde?"

Er zuckte zusammen. Ein unheimlicher, einst niedergezwunge­ner Verdacht trat ihm als Gewißheit entgegen.

Alice!

"

Ludolf."

Ich hatte nicht die geringste Sicherheit über " Sicherheit?" rief sie empört, genügte die Möglichkeit nicht? Wie durftest Du Ludolf heirathen lassen?" Martin senkte die Augen.

"