Nr. 6.

Die Gleichheit.

10. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3122) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch den 14. März 1900.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Inhalts- Verzeichniß.

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Heuchlerische Flausen. Wesen und Entwicklung der Konsumgenossenschaft. Von Adele Gerhard. Kinderarbeit in Ziegeleien. Von M. Kt. Wie der Militarismus die heilige Stellung" der Frau festigt.- Aus der Bewegung. Feuilleton: Der Mann mit dem biblischen Panorama. Von Mark Twain . Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Frauenarbeit auf dem Ge­biete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Arbeitsbedin gungen der Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. -Sittlichkeitsfrage. Frauenbewegung.

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Heuchlerische Flaufen.

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In den Froschteich der kapitalistischen Ausbeutungs- und Ver­bauungsseligkeit ist ein winziges Steinchen geschleudert worden: die Erhebung, welche der Bundesrath laut Beschluß des Reichstags über die Fabrikarbeit verheiratheter Frauen angeordnet hat. So zerfahren diese Erhebung vor sich geht, so äußerst mangelhaft fie in Folge des Wie der Umfrage in manchen Bundesstaaten ausfallen muß: den Herren Unternehmern ist sie unbequem. Sie fürchten sie als ein Anzeichen, daß der jetzt bestehende, durchaus ungenügende und unsichere gesetzliche Schuß der Arbeiterinnen etwas ausgedehnt und gesichert werden könne. Ausdehnung und Siche­rung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzgesetzes bedeutet aber Ein­schränkung der kapitalistischen Ausbeutungsmacht und Ausbeutungs­freiheit in ihrem Wehrwolfswüthen gegenüber Arbeitskräften, die sozial besonders schwach und widerstandsunfähig sind, deren rücksichts­lose Auswucherung deshalb besonders reichen Profit einheimsen läßt. Daher die Eile, mit der die Unternehmer aus dem diebs- und feuersicheren Geldschrank das bekannte arbeiterfreundliche Herz" hervorholen, welches dort sonst so wohlverwahrt steht, daß es we­der Ausbeuter noch Ausgebeutete an seine stille Existenz mahnt. Im Interesse der Arbeiterinnen und der Arbeiterfamilie und selbst verständlich nur in diesem Interesse erheben die kapitalistischen Auch­Arbeiterfreunde" warnend den weisen Schulmeisterfinger gegen eine weitere Beschränkung der Frauenarbeit in den Fabriken", das heißt gegen einen vermehrten geseßlichen Schutz der Lohnsklavinnen.

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Allen voran, erklärlich genug, die Gilde der Tertilbarone. Die Tertilindustrie verwendet im größten Umfang weibliche Arbeits­fräfte, sie münzt wie faum eine zweite Industrie sowohl die weib­lichen Vorzüge der Gewandtheit und Fingerfertigkeit, wie die weib­lichen Fehler der Rückständigkeit und Bedürfnißlosigkeit und die weibliche Rechtlosigkeit in flingenden Gewinn aus. Die Textil­industriellen haben mithin ein besonderes geldsackgründiges Interesse an der gesetzlich möglichst ungeschorenen Freiheit der Ausbeutung, die sie in eine unbeschränkte Freiheit der Erwerbsthätigkeit der Frau umlügen. Gerade aus Bezirken, wo die Frau seit vielen Jahr­zehnten als Textilarbeiterin im Banne der kapitalistischen Ausbeutung frohndet, wo die hohe Kindersterblichkeit und das augenscheinliche törperliche Verkommen der arbeitenden Bevölkerung über diese Aus­beutung ein vernichtendes Urtheil fällen und beredt einen gründlichen gesetzlichen Schutz der Geopferten fordern: erhoben die Fabrikanten am ersten und am lautesten bewegliche Klage über die Beun­ruhigung der Industrie" lies des kapitalistischen Profits durch die Erhebung. Im sächsischen Voigtland , in Chemnitz 2c. haben die Organisationen der Textilindustriellen den Versuch unter­

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( Bundel), Stuttgart , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

nommen, Stadträthe und Gewerbeinspektion, Handelskammern, das sächsische Ministerium und das Reichskanzleramt gegen einen weiteren gefeßlichen Schuß der Arbeiterinnen mobil zu machen. Die Neut linger und die Rottweiler Handels- und Gewerbekammern haben sich den württembergischen Industriemagnaten zu Liebe der Petition des Verbands der sächsischen Textilindustriellen an das Reichskanzler­amt angeschlossen.

Nichts da mit einer weiteren Beschränkung der Frauenarbeit, so erklären die edlen Nuznießer und Anwälte der kapitalistischen Ausbeutungsmacht über Proletarierinnen, denen als Arme, als Bestylose die wirthschaftliche Kraft mangelt, ihre Interessen als Menschen, Frauen, Mütter ausreichend vertheidigen zu können. Eine weitergehende gesetzliche Regelung der Frauenarbeit ist nach der Reutlinger Handels- und Gewerbekammer, ein Eingriff in die persönliche Freiheit und die freie Erwerbsthätigkeit der Arbeiterinnen, die in ihrem Interesse und dem ihrer Familien am meisten zu beklagen wäre". Sie bedeutet nach dem Verband der sächsischen Tertilindustriellen eine schwere Schädigung der Arbeiterfamilie, die vielfach auf den Verdienst der Frau angewiesen ist", ja deren ,, Existenz geradezu in Frage gestellt wird", wenn eine Beschränkung der Erwerbsthätigkeit der Frau erfolgt.

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Die Herren, welche den Wauwau dieser Gründe gegen einen weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes loslassen, halten die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter augenscheinlich für ebenso dumm, als die Kapitalistensippe verlogen ist.

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Wie, sie wagen es, im Namen der persönlichen Freiheit und der freien Erwerbsthätigkeit der Arbeiterinnen zu sprechen, und sie fürchten nicht, an dieser Lüge zu ersticken? Wo denn besteht unter der Herrschaft des Kapitals die Freiheit der Person und der Gr­werbsthätigkeit für die Proletarierinnen? Die Ausbeutung und Armuth der Eltern, die dürftige Bildung durch die Volks- und Armenschule, die vorliegende bittere Nothwendigkeit, sobald als möglich zu verdienen und die Familie von einem Esser" zu befreien: rauben der jungen Proletarierin die Freiheit der Be­rufswahl und zwingen ihr eine Erwerbsthätigkeit auf, die im leßten Grunde gar nicht durch die persönliche Neigung und Ver­anlagung bestimmt wird, vielmehr durch den Hinblick auf das nöthige Stück Brot. In Fabrik und Werkstatt, auf dem Felde und im Hüttenwerk aber findet die Proletarierin keineswegs die ,, freie Erwerbsthätigkeit", sondern nur die ausgebeutete Lohnsfla­berei. Weder die Bedingungen und Umstände, unter denen sie thätig ist, noch der Lohn, den sie für ihr Mühen erhält, werden von ihrem Ermessen, von der Rücksicht auf ihre Bedürfnisse und Wünsche bestimmt. Die kapitalistische Geldsacksgewalt ist es, die geleitet von dem Polarstern des einzusäckelnden Profits Arbeitszeit, Beschaffenheit der Werkräume, Lohn 2c. festsetzt. Kraft seiner Herrschafts- und Ausbeutungsmacht greift das Kapital mittelst der freien Erwerbsthätigkeit" so brutal, so selbstherrlich in das Leben der Arbeiterin ein, daß ihre persönliche Freiheit" zu einer Märchengestalt wird, die nicht einmal in den Köpfen, die nur in trügensollenden Reden der Herren Kapitalisten herumspukt. Zeugt es vielleicht von persönlicher Freiheit, zeugt es nicht vielmehr von der schlimmsten Sklaverei, daß die Arbeiterin den größten Theil ihrer Zeit, Nachtruhe und Sonntagsfeier unter Umständen inbe­griffen, daß sie den besten Theil ihrer Kraft der freudlosen, qual­reichen, geisttödtenden Frohn widmen muß, die ihr kaum die nackte Existenz sichert, dagegen fremden Reichthum mehrt? Daß für die Be­