fallen zu lassen. Die Anhänger des geschorenen und gescheitelten Kirchendogmas haben es so eilig, die moderne Kunst und mit ihr den modernen Geist zu fnebeln, daß von ihren sittlichkeitsfrohen Wünschen und Wollen für die Sicherstellung der Ehre von Arbeiterinnen und Dienstmädchen nichts übrig bleibt. Und doch erweisen Thatsachen über Thatsachen, wie dringend nöthig es wäre, dem Weibthum, der Menschenwürde der Proletarierinnen größeren gesetzlichen Schutz gegen die Zumuthungen geiler Ausbeuter zu Theil werden zu lassen. In Folgendem einige Beispiele. Bei dem Direktor der Würzburger Filiale der bayerischen Bank, Herrn Grundmann, war das Dienstmädchen M. vom 15. Mai vorigen Jahres ab in Stellung. Das Mädchen war hübsch und hatte bald unter der Zudringlichkeit des ,, ehrenwerthen Bürgers" zu leiden. Fräulein M. blieb gegen seine ,, Liebenswürdigkeiten" taub. Nun versuchte es der saubere Patron, auf brutalere Weise zu seinem Zwecke zu gelangen. An einem Sonntag rief er das Dienstmädchen in das Badezimmer, wo er sich im Adamskostüm befand. In noch gemeinerer Weise, die nicht geschildert werden kann, wiederholte er vergeblich seinen Versuch, das Mädchen gefügig zu machen. Nun hatte Fräulein M. die Hölle im Hause und wurde in jeder Weise chikanirt. Unter Anderem mußte sie dem Herrn Direktor jeden Morgen, nach dem Ankleiden, die Kleider reinigen und dabei der Vorderseite des Wüstlings besondere Sorgfalt angedeihen lassen. Als sich Ende August Differenzen mit der Hausfrau ergaben, klärte das Dienstmädchen Frau Grundmann über das schmachvolle Benehmen ihres Gatten auf. Die Folge davon war, daß der Herr Direktor Abends das Mädchen in sein Zimmer rief, die Thüren verschloß und die Wehrlose 10 bis 12mal ohrfeigte. Das Schöffengericht verurtheilte den Menschen, der seine Gemeinheiten durch eine Rohheit abschloß, zu 3 Tagen Gefängniß und 50 Mt. Geldstrafe. Beleidigung und Mißhandlung eines Dienstmädchens find billige Vergnügen.
Die Paschagepflogenheiten eines angesehenen Kaufmanns" offenbarte eine Gerichtsverhandlung vor dem Schöffengericht zu Königs berg. Ein Herr Kay, Inhaber des Waarenhauses„ Kay& Co.", flagte gegen den antisemitischen Deutschen General- Anzeiger ", weil dieser, wie zahlreiche sozialdemokratische Blätter, die jedoch nicht verfolgt wurden, über Schamlosigkeiten berichtet hatte, die sich Katz gegen seine Verkäuferinnen hatte zu Schulden kommen lassen. Der Redak teur des Blattes wurde zu 100 Mark Geldstrafe verurtheilt, weil die Ueberschrift des betreffenden Artikels eine beleidigende war, und weil es im Artikel selbst fälschlicherweise hieß, Raß sei als Sittlichkeitsverbrecher verhaftet worden. Dagegen wurde in der Verhandlung durch Zeugenaussagen u. A. Folgendes festgestellt: Frl. Lisbeth St., die fünf Jahre bei Katz im Geschäft war, wurde von dem Herrn öfter attatirt, sollte ihn in seiner Wohnung besuchen und erhielt von ihm 1898 eine Aussteuer zugesichert, als er erfuhr, sie habe einen Bräutigam. Fräulein Gertrud W. warf Herrn Kazz sammt dem Stuhl um, als er sie im Komptoir gewaltsam um die Taille faßte und sie zu sich niederzuziehen versuchte. Fräulein Anna F., die wenig über 16 Jahre alt und mit 20 Mark Monatsgehalt angestellt war, sollte Herrn Katz in seiner Wohnung besuchen und ,, nicht so spröde sein". Als Lohn dafür wurde ihr sofort gute Zulage verheißen. Das junge Mädchen wies den Lüstling drastisch ab, erzählte den Vorgang den Eltern und trat aus dem Geschäft aus. Mehrere Mädchen haben Fräulein F. erzählt, daß Kaz sie mit unfittlichen Anträgen verfolgt hätte. Buchhalter St. weiß von einem Fräulein G., daß Raz mit derselben geschlechtlich verkehrte. Die Dame war als Zeugin geladen, aber nicht erschienen, sie soll angeblich nach Rußland gegangen sein. Geschäftsführer L. bekundet, daß im Geschäft zwischen Prinzipal und Verkäuferinnen ein freier Ton" herrsche, anzügliche Redensarten, Küsse, Um- die- Taille- fassen komme öfter vor. Er gab auch zu, von Angestellten erfahren zu haben, daß Herr Katz mit seinem weiblichen Personal geschlechtlich verkehre, auch im Geschäftslokal. Der Hausdiener Karl habe ihm eines Tages erzählt, unabsichtlich den Chef und eine Angestellte dabei ertappt zu haben. Alle Zeugen, auch solche die Katz nicht belasteten, stimmten darin überein, daß der Ton, der im Geschäft zwischen dem Chef und seinen Verkäuferinnen üblich sei, jedem Anstand Hohn spreche. Ratz duzte alle Mädchen, streichelte ihnen die Wangen, füßte sie, wenn er aufgelegt" war und ging im Streicheln, Befühlen und Klopfen noch weiter. Ein Kommentar zu diesem Sittenbild ist überflüssig.
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Und noch mehr Material zum Arbeitgeberparagraph der lex Heinze. In einer großen Weißenfelser Schuhfabrit wollte vor Weihnachten eine Arbeiterin Feierabend nehmen, ohne gekündigt zu haben. Der Fabrikant drohte für den Fall der Ausführung dieser Absicht, das Mädchen mit Hilfe der Behörde zwangsweise an die Arbeit zurückführen zu lassen, und verweigerte die Aushändigung der Papiere. Am nächsten Morgen fam nicht die Arbeiterin, wohl aber deren Mutter zur Fabrik und verlangte Lohn und Papiere der Tochter.| Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Betkin( Bundel) in Stuttgart .
Als ihre Forderung abgeschlagen wurde, hielt sie dem Herrn Fabrikanten, der als Don Juan in Weißenfels bekannt ist, ein nettes Sündenregister vor. Hierbei wurde es bekannt, daß das betreffende Mädchen sich Mutter fühlt, und daß der Fabrikant es geschwängert hat. Der Herr leugnete das durchaus nicht, sondern erklärte: er habe der Arbeiterin verschiedentlich Geldbeträge gegeben und wolle nun auf Grund dessen sie der Sittenpolizei denunziren, damit sie unter Kontrolle gestellt werde!! Pfui Teufel über solch einen Lumpen in Frack und Zylinderhut! Schlimmer fann unsere moderne Sklaverei, die für die Frau nicht nur Lohn-, sondern auch Geschlechtssklaverei ist, nicht gebrandmarkt, besser nicht illustrirt werden, als durch das angeführte Vorkommniß. Der Arbeiterin werden vom Arbeitgeber unfittliche Anträge gestellt, ist sie nicht willig, fliegt sie hinaus. Für heute ist durch ihre Festigkeit ihre Ehre gerettet, aber das Brot ist ihr genommen. Findet sie nicht bald anderswo eine Frohngelegenheit, so zwingt der Hunger und der Frost sie übermorgen vielleicht schon einem anderen Wüstling in die Arme. Ist dieser ihrer überdrüssig oder war das Mädchen, wie in dem geschilderten Falle, den Verführungskünsten des Prinzipals gegenüber nicht fest genug und hat irgend Geschenke angenommen, dann hat das Strafgesetz im§ 361 einen famosen Passus, mit dessen Hilfe die" armen",„ verführten" Bourgeois sich unbequem gewordener Liebschaften entledigen können. Dem„ feinen" Wüstling geschieht nichts, er geht um einige Grade interessanter aus der Affaire hervor. Ja! wir leben in der„ herrlichsten" der Welten und im Lande der vollendetsten" Rechtsgarantien. Louise Zietz.
Frauenbewegung.
Frauenstudium an der Universität Heidelberg . Beim Senat der Universität Heidelberg lief am 5. d. Mts. ein Erlaß des badischen Ministeriums, betreffend die Zulassung der Frauen zur Immatrikulation, nachstehenden Inhalts ein: Frauen, welche den akademischen Vorschriften gemäß das Reifezeugniß eines deutschen staatlich anerkannten Gymnasiums bezw. in den hierfür bestimmten besonderen Fällen eines derartigen Realgymnasiums oder einer derartigen Oberrealschule vorlegen und im Uebrigen die erforderlichen Nachweise für die Immatrikulation erbringen, werden, zunächst jedoch nur versuchs- und probeweise, zur Immatrikulation an den beiden Landesuniversitäten zugelassen."
Frauenstudium in Württemberg . Wie der„ Staatsanzeiger für Württemberg" fürzlich mittheilte, ist vom fgl. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens die Anordnung getroffen worden, daß Mädchen, welche den Nachweis der für die Zulassung zu den Apothekerprüfungen erforderlichen wissenschaftlichen Vorbildung führen wollen, von der Ministerialabtheilung für Gelehrten- und Realschulen auf Ansuchen einem Gymnasium oder Realgymnasium zu einer für diesen Zweck abzuhaltenden außerordentlichen Prüfung zugewiesen werden. Durch diese an eine testimmte Zeit nicht gebundene, sowohl schriftlich als mündlich vorzunehmende Brüfung soll die Erreichung des Lehrziels in sämmtlichen Fächern der 8. Klasse( Unterſefunda) eines Gymnasiums bezw. Realgymnasiums ermittelt werden. An die zu prüfenden Mädchen dürfen keine geringeren Anforderungen in wissenschaftlicher Beziehung gestellt werden als an die Schüler, welche die Versetzung von Untersekunda nach Obersekunda erstreben.
Frauen als Mitglieder der kommunalen Armenkommis fion und deren Ausschüsse sollen fünftighin in Amsterdam laut Beschluß des Gemeinderaths aufgenommen werden.
Zur Schulaufsicht sind Frauen in verschiedenen hollän dischen Gemeinden zugelassen. In Zwolle müssen 4 bis 8 von den 16 Mitgliedern des Schulraths Frauen sein; in Enschede gehören 5 Frauen dem Schulrath an; in Deventer sollen künftighin die Frauen zur Schulaufsicht herangezogen werden.
Quittung.
Für den Agitationsfonds gingen bei der Unterzeichneten ein: Aus Hamburg durch Genossin 3ieß 55,40 Mt. Dankend quittirt
Ottilie Baader , Vertrauensperson, Berlin O., Straußbergerstraße 28, 4 Tr.
Berichtigung.