paragraphen die sogenannten Kunst- und Theaterparagraphen erkauft. Die Sittlichkeit der Arbeiterinnen ist ihnen weniger werthvoll, als die Knebelung der Kunst und Literatur. Das schwere Herz", mit dem Herr Gröber und seine schwarze Garde den Arbeitgeberparagraph fallen ließ, um den Polizeiknüttel gegen Künstler und Schriftsteller zu erhaschen, wiegt nicht die Sittlichkeit einer einzigen Proletarierin auf, die durch die straflose Verführung. seitens ihres Brotherrn in die Arme des Lasters getrieben wird. Das Greinen von der Zwangslage", in welche die bürgerlichen Auch- Schüßer der Tugend armer Mädchen und Frauen durch die Haltung der Regierung versetzt seien, ist nichts als Spiegelfechterei. Die Täuschung der Massen ist den Reaktionären noch immer ein paar Krokodilsthränchen werth gewesen.

"

Die Herren haben es nur ihrer charakterlosen Haltung zuzu­schreiben, wenn ihre sittliche Entrüstung über das Umsichgreifen der Prostitution, über Kuppelei und Zuhälterthum von dem werkthätigen Volke und insbesondere von den proletarischen Mädchen und Frauen für eitel Geflunker und Heuchelei gehalten wird. Vorauszusehen war ja, daß die nämliche Regierung, die seinerzeit zum Schuße der nacktesten, einseitigsten Unternehmerherrschaft die Zuchthausvorlage fabrizirt hat, nicht geneigt sein würde, die Ausbeutungs- und Herrscher­macht der Besitzenden ein klein wenig zu zügeln, um die Tugend und Ehre von Arbeiterinnen und Dienstmädchen sicher zu stellen. Pflicht aufrechter Volksvertreter wäre es gewesen, den Widerstand der Regierung zu brechen, statt sich ihm zu beugen. Im Grunde des Herzens mag aber mancher von Denen, welche es in den bösen Zeiten des allgemeinen Wahlrechts für flug fanden, in zweiter Lesung für den Arbeitgeberparagraphen zu stimmen, recht froh gewesen sein, durch einen billigen Vorwand in dritter Lesung um die unangenehme Nothwendigkeit herumzukommen, das Herrenrecht der Unternehmer­flasse etwas einzuschränken. Denn die Sittlichkeit der Arbeiterinnen ist den Herren gewiß heilig sie versichern es mit vollen Backen aber heiliger noch ist ihnen die Machtstellung des Besitzes. Das Schicksal des Arbeitgeberparagraphen hat den Proletariern und Proletarierinnen wieder einmal gezeigt, wie viel sie von dem, warmen Herzen" der Regierung und der sozialen Fürsorge" der Besitzenden zu erwarten haben. So ist's auch Recht: Die jämmerlichen Burschen, die von dem unsittlichen Lebenswandel ihrer Spinnen" Vortheil ziehen, wandern ins Zuchthaus ; der Arbeitgeber, der die Unschuld seiner Untergebenen vernichtet und sie im Laster unterrichtet, ist und bleibt ein Ehrenmann das ist auch eine Illustration zu dem schönen Grundsatz: Gleiches Recht für Alle!" und zu der Art und Weise, wie die Sittlichkeit geschützt wird.

Die Untersuchung weiblicher Gefangenen.

Von der Gefängnißdirektion zu Fuhlsbüttel - Hamburg ging uns das folgende Schreiben zu:

" In Veranlassung des Aufsatzes der Frau Louise Zieß über die Untersuchung der weiblichen Gefangenen im Zentralgefängniß zu Fuhlsbüttel in Nr. 3 Ihrer Zeitung, die mir erst jetzt zur Kenntniß gekommen, gestatte ich mir im Auftrag meiner Behörde folgende Mittheilung, deren Inhalt Sie Ihren Lesern nicht werden vorent­halten wollen.

52

Gefangener gründlich geändert worden ist, und daß dem Schamgefühl der zu Untersuchenden Rechnung getragen werden soll. Aber warum ist die Gefängnißdirektion betreffs der dringend gebotenen Reform auf halbem Wege stehen geblieben? Warum soll dieselbe nicht auch den zu längeren Strafen oder wegen Sittenvergehen Verurtheilten zu Gute kommen? Nicht jede auf Wochen, Monate, vielleicht auf Jahre ins Gefängniß geschickte Frau, nicht jede Dirne ist eine Ver­worfene, wenngleich sie eine Gefallene ist. Mag vielleicht in ihrer Brust auch nur noch ein schwaches Fünfchen von Schamgefühl, von Frauenwürde glimmen, dieses Fünfchen gilt es durch geeignete Be­handlung zur läuternden Flamme anzublasen, statt es durch rücksichts­lose Nichtachtung des Weibthums auszutreten. Die Gefallene zu heben, nicht sie noch tiefer hinabzustoßen, muß das Leitmotiv jedes vernünftigen Strafvollzugs und der damit zusammenhängenden Maß­regeln sein. Die Direktion des Fuhlsbütteler Gefängnisses hat gute, aber halbe Arbeit geleistet, möchte sie sich recht bald entschließen, ganze Arbeit zu thun. Und zwar ganze Arbeit nicht nur insofern, daß bei der Untersuchung aller weiblicher Gefangenen peinlichste Rücksichtnahme auf das Schamgefühl walten muß, sondern auch durch Erfüllung der Forderung: weibliche Aerzte mit der Untersuchung weiblicher Ge­fangenen zu betrauen.

Des Weiteren protestiren wir nachdrücklichst gegen jene Rede­wendungen des Schreibens, welche indirekt die Glaubwürdigkeit der von Frau Zietz gemachten Angaben herabzumindern suchen, die aber in ihrer vagen Form gar keinen Werth beanspruchen dürfen. Genossin Zieh hatte betreffs der ärztlichen Rüpelei, betreffs der Umstände, unter denen die Zwangsuntersuchung vor sich ging, eine Reihe ganz be­stimmter Thatsachen angeführt. Diese Thatsachen galt es die eine nach der anderen durch positive Gegenbeweise zu widerlegen. Die Redens­arten: soweit sich die Angaben bestätigten", soweit sie überhaupt eine thatsächliche Grundlage haben", entkräften feine der erhobenen Beschuldigungen, sondern schränken nur die Glaubwürdigkeit der Genossin Zietz ein, und zwar ohne auch nur den Schatten eines Be­weises für die Berechtigung dieser Einschränkung beizubringen. Auch eine Behörde ist in dem vorliegenden Falle nicht der Pflicht enthoben, Thatsachen statt Redensarten zu geben. Aber freilich: woher die Thatsachen nehmen, wenn eingestandenermaßen die gekennzeichneten, hygienisch ebenso gemeingefährlichen, wie sittlich verwerflichen Zu­stände, ohne Wissen der Behörde" bestanden haben!

Unseres Erachtens ist dieses Eingeständniß eine Selbstbezich­tigung und Selbstverurtheilung, wie sie schwerer nicht gedacht werden fann. Man dente! Eine Behörde, deren Pflicht die Durchführung des Strafvollzugs ist, weiß in mancher Hinsicht nichts von den Be­dingungen, unter denen dieser Strafvollzug vor sich geht und muß erst durch böse sozialdemokratische Zeitungen darüber orientirt werden. Wenn die Direktion geschwiegen hätte, so hätte man ihre Behörde für eine pflicht unterrichtete Behörde halten können. Daß sich Frau Zieh nicht bei der Gefängnißdirektion beschwerte, ist erklärlich. An der vollzogenen Thatsache hätte die Beschwerde nichts geändert. Außerdem mußte unsere Genossin annehmen, daß die ihr zu Theil gewordene Behandlung den Vorschriften entsprach, und daß die Be­hörden über das Wie der Zwangsuntersuchung unterrichtet wären. Unserer Meinung nach hat Frau Zieh durchaus recht gehandelt und sich wohl verdient gemacht, indem sie der Deffentlichkeit muthvoll die schweren Mißstände enthüllte, die sie aus eigener Erfahrung fennen gelernt hatte. Wir zweifeln start, daß die bescheidene Reform erfolgt wäre, wenn Genossin Zieß sich nur beschwert und sich nicht im Inter­esse ihrer Geschlechtsgenossinnen ,, in die Deffentlichkeit geflüchtet" hätte.

Frau Zieß hat im Sommer v. J., gleich nachdem sie die ihr zuerkannte dreitägige Gefängnißstrafe verbüßt hatte, in einer hiesigen Parteiversammlung Klage über das vom Hilfsarzt des Gefängnisses ihr gegenüber eingehaltene Verfahren geführt. Bei der Behörde hat Frau Zieß sich nicht beklagt. Gleichwohl hat die Behörde, sobald sie durch die öffentlichen Blätter davon Kenntniß erhalten, die Sache aufgenommen und das Verhalten des Arztes, soweit sich die Angaben Wesen und Entwicklung der Konsumgenossenschaft. bestätigten, entsprechend gerügt. Außerdem aber hat sie Veranlassung genommen, das bis dahin ohne ihr Wissen eingehaltene Verfahren bei Untersuchung weiblicher Gefangener gründlich zu ändern und anzuordnen, daß fortan alle weiblichen Gefangenen, die mit kurzen Strafen und nicht wegen Sittenvergehen bestraft sind, den Anstalts­ärzten nur völlig angekleidet vorgeführt werden, und daß letzteren bei der ihnen freistehenden Untersuchung alle Rücksichtnahme auf das Schamhaftigkeitsgefühl derselben auferlegt werde.

Die Ausführungen, zu denen Frau Zieß, die über die Unter­suchung selbst früher mit keinem Worte geklagt hatte, sich jetzt bewogen gesehen, beziehen sich also, soweit sie überhaupt eine thatsächliche Grundlage haben, auf einen nicht mehr bestehenden, schon vorher abgeänderten Zustand." ( Unterschrift unleserlich.)

Dieses Schreiben fordert in verschiedener Hinsicht die Kritik heraus. Wir anerkennen, daß die Behörde das flegelhafte Benehmen des Hilfsarztes an dem Gefängniß gerügt hat. Sie hat damit ihrer Pflicht genügt, und zwar einer recht selbstverständlichen Pflicht. Wir anerkennen ferner, daß das Verfahren bei Untersuchung weiblicher

Vortrag von Adele Gerhard .

Gehalten im Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse zu Berlin .

( Schluß.)

Das echte demokratische Verwaltungs- und Vertheilungsprinzip der Konsumgenossenschaft sehen wir zuerst in England auftauchen, dem Lande, welchem wir uns zunächst zuwenden wollen, da es auf rein ökonomischem Gebiete die am weitesten vorgeschrittene Genossen­schaftsbewegung zeigt. Ohne auf die vorher genannten Versuche in England eingehen zu wollen, die feine tiefere Bedeutung für die Entwicklung hatten, wollen wir uns dem 1844 gegründeten Konsum­verein der vielgenannten Rochdaler Pioniere zuwenden, der in erster Linie eben durch seine demokratischen Prinzipien aufblühte und gedieh und vorbildlich für die heute so machtvolle englische Genossen­schaftsbewegung ward. Die Erzählung, wie diese Rochdaler Pioniere

28 halb verhungerte Weber an einem trüben Tage einen Laden unter allgemeinem Hohn und Spott eröffneten, wie sie zuerſt nur einen wöchentlichen Umsatz von 40 Mt., ein Kapital von 500 Mt.