einigen Worten näher eingehen möchte. Dieser Verein ward 1884 ge- gründet. Der geringe Geschäftsantheil ward in wöchentlichen Beiträgen von 80 Pf. mühsam gesammelt. Nach monatelanger Arbeit ward die erste Verkaufsstelle in Plagwitz mit sehr primitiven Einrichtungen eröffnet. Die Zahl der Mitglieder belief sich auf nur 68. Nach etwa einem Jahre mar sie schon auf ca. 120 gestiegen. 1890 erfolgte der Ankauf eines Grundstücks, auf dem eine prächtige Bäckerei an- 'gelegt ward. Zweimal mußten seitdem neue Grundstücke erworben werden, weil die Bäckerei so prosperirte und so viel Anforderungen an sie herantraten, daß sie in immer größerem Stil errichtet werden mußte. 1893 hat der Verein eine Mühle gepachtet, außerdem 1897 ein Kohlenlager eröffnet. Im letzten Geschäftsbericht 1398/1899 ver- zeichnete der Verein einen jährlichen Waarenumsatz von über 6000000 Mk., einen Reingewinn von 600000 Mk. und eine Mit- gliederzahl von ca. 19000. Neuerdings hat eine Verschmelzung mit der Konsumgenossenschaft der Ostvorstadt stattgefunden. Ich denke die erwähnten Zahlen sprechen für sich selbst. Ich möchte noch hin- zufügen, daß der Geschäftsführer des Leipziger Konsumvereins aus dem Arbeiterstande hervorgegangen ist und niemals früher eine kaufmännische Stellung bekleidet hatte, ehe er in den Verein eintrat. Im Allgemeinen muß allerdings zugegeben werden, daß prak- tisch genommen einer der wichtigsten und schwierigsten Punkte bei der Gründung der Konsumvereine der ist, die geeignetsten Verwallungs- kräfte für sie zu finden, wie überhaupt von Beginn an das Unter- nehmen in praktische und richtige Bahnen zu bringen. Um so froher muß bei uns in Berlin ein Versuch begrüßt werden, zu dem gerade in den letzten Wochen die ersten Schritte eingeleitet wurden. Wie Ihnen wobl bekannt, haben sich in Berlin in den letzten Jahren, besonders in dem allerletzten Jahre, eine Reihe Konsumgenossen- schaffen aus Arbeiterkreisen gebildet. Einige dieser Vereine sind nun jüngst zusammengetreten, um sich zu einem Bunde zu vereinen und gemeinsam der Hamburger Großeinkaufsgesellschaft beizutreten. Neben dem großen Nutzen, den dieser Entschluß an sich schon für die einzelnen, noch schwachen Vereine hat, ist außerdem vor Allem auch in Aussicht genommen, daß der Geschäftsführer des Bundes auch neu zu gründen- de» Berliner Vereinen mit Rath und That zur Seite gehen soll. Es ist wohl ohne lange Ausführungen klar, welchen großen Werth dieser Bund für die neu zu gründenden Vereine erlangen kann, wie für die bereits bestehenden, die jetzt natürlich noch schwach sind. Verehrte Anwesende! Ich sagte zu Beginn, daß gerade die Frau als Konsumentin, die täglich und stündlich mit den Forderungen des Gebrauchs in Berührung kommt, ein ganz besonderes Interesse an der Konsumgenossenschaft haben müßte, und mit diesem Hinweis möchte ich auch schließen. Sie haben nicht nur bei der Betrachtung des Auslandes, sondern auch bei dem Blick auf Sachsen gesehen. was eine aufblühende Genossenschaftsbewegung an näheren materiellen Vortheilen der Arbeiterklasse bieten kann, wie auch, welch wichtiges Mittel sie sein kann, daß die Arbeiterklasse lernt, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten. Sie haben gesehen, was es heißt, wenn die Macht der Arbeiter als Konsumenten nicht mehr vergeudet, sondern von größeren Gesichtspunkten aus nutzbar gemacht wird. Ich möchte noch hinzufügen, daß die Genossenschaften auch ein wirksamer Stützpunkt der Gewerkschaften werden können und in Belgien und England bereits sind. Es ist eben unmöglich, alle diese einzelnen Punkte in dem Rahmen eines kurzen Vortrags eingehend zu beleuchten. Ich muß damit zufrieden sein, wenn es mir gelungen ist, Ihnen durch die Schilderung dessen, was bereits besteht, wie auch durch die Darlegung der demokratischen Idee und des Wesens der Konsumgenossenschaft genügendes Interesse erweckt zu haben, daß Sie den besprochenen Wirthschaftsgebilden näher treten und sich praktisch für diese interessiren. Es sind in Berlin junge, tüchtige Kräfte in der Arbeiterschaft, die von dem erzieherischen Werth, wie von dem materiellen Nutzen der Konsumgenossenschaft für die Arbeiterklasse aufs Tiefste durch- drungen sind. Ich neige aber dazu, die allergrößte Bedeutung für das Voranschreiten der Genossenschaft bei uns darin zu sehen, ob die Frau der arbeitenden Klasse der Konsumgenossenschaft näher tritt, ihre ideellen wie materiellen Vortheile würdigen lernt. Denn in der Hand der Frau ruht die Vergebung der Kundschaft. Ich habe in früheren Jahren häufig mir entgegenhalten höre», daß das Interesse für die Genossenschaft die Arbeiterklasse vom poli- tischen Kampfe abziehe. Nun, verehrte Anwesende, ich glaube hieran nicht. Es sind meines Erachtens im Allgemeinen durchaus andere Kräfte dazu berufen, im politischen Kampfe zu wirken, als es diejenigen sind, welche sich in der langsammen, praktischen Arbeit der Genossen- schaften nutzbar machen können. Es handelt sich bei dieser Frage nicht um eine höhere oder geringere Beanlagung, sondern um eine anders geartete Beanlagung. Wenn ich glaubte, daß das Eintreten für die Genossenschafts- bewegung die Arbeiterklasse vom politischen Kampfe abzöge, so würde ich niemals die Genossenschaftsidee propagirt haben. Denn was die politische und gewerkschaftliche Bewegung für die Arbeiterklasse leistet, das kann die Genossenschaftsbe- wegung niemals ersetzen; sie kann höchstens dem Gewerk- schaftskampf als Stützpunkt dienen. Nicht ersetzen kann sie jene beide Bewegungen, wohl aber ergänzen— ergänzen, indem sie aus der Arbeiterklasse den Stamm zu einer in gemeinsamer, praktischer Arbeit erprobten Demokratie heranreifen läßt, indem sie zu einer demokratischen Verwaltung des wirthschaftlichen Lebens hinüberleitet. Aus der Bewegung. Boa der Agitation. In Schlesien unternahm Genossin Ihrer Ende Februar im Auftrag der Organisation der Textil- arbeiter eine Agitationstour, welche vor Allem die Arbeiterinnen zum Anschluß an den Verband veranlassen sollte. Die Schwitrigkeiten, mit denen die Bemühungen zur Organisirung der Arbeiterinnen überall zu kämpfe» haben, werden in Schlesien durch verschiedene liebliche „Eigenthümlichkeiten" vermehrt und verschärft, von denen die folgenden Ausführungen Proben geben. In Seidenberg bei Görlitz , einem Orte, der etwa 2000 Arbeiter und Arbeiterinnen zählt, war kein Wirth zu bewegen, einen Saal zur Abhaltung einer Versammlung herzugeben. Doch man wußte sich zu helfen. Es wurde am 17. Februar ein Ball für die Arbeiter und Arbeiterinnen arrangirt, bei welchem die Ge- nossin Ihrer eine Festrede hielt. Auch in Friedeberg bei Görlitz war kein Versammlungslokal aufzutreiben, obgleich im Orte große Fabriken bestehen, deren Arbeiterschaft zum Unterhalt der Gastwirthe beiträgt. Die für diese Arbeiterschaft bestimmte Versammlung mußte Sonntag Nachmittag in Göppersdorf stattfinden, einem Fabrikdorf, das eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt. In rücksichts- losester Weise hatte das Unternehmerthum gegen die Filiale des Textil- arbeiterverbandes gewüthet, die früher etliche Zeit bestanden hatte. Die Leiter der Organisation wurden arbeils- und brotlos und fanden in der ganzen Umgegend keine Beschäftigung, weil ihre Namen auf die„schwarzen Listen" gesetzt worden waren. Nicht nur sie, jeder Arbeiter, der sich offen als Mitglied des Verbandes bekannte, verfiel dem Boykott durch die Unternehmergewalt. Trotz der Erinnerung an jene Schreckenstage wohnten die Arbeiter und Arbeiterinnen in er- sreulich großer Zahl der Versammlung bei. Auch der Pastor und seine Frau waren in ihr anwesend, und das Schweigen des Herrn darf wohl als stille Zustimmung zu den Ausführungen der Referentin auf- gefaßt werden. Die dritte Versammlung fand in Görlitz statt. In der Diskussion sprach hier ein Anarchist, dessen unklare, Widerspruchs- volle Ausführungen Unruhe in der stark besuchten Versammlung hervor- riefen. Als seiner Weisheit letzten Schluß empfahl er an Stelle von starken Verbänden eine Zersplitterung der Kräfte in Lokalorganisationen. Der Herr wurde gebührend abgeführt. Zum Schlüsse wurde beantragt, eine weibliche Vertrauensperson zu wählen, damit eine stete, energische Agitation unter den zahlreichen Arbeiterinnen von Görlitz geführt wird und eine Stelle vorhanden ist, wo diese ihre Be- schwerden über die sehr vielen Mißstände in den Fabriken vorbringen können. Der Antrag wurde dem Gewerkschaftskartell überwiesen, das eine geeignete Persönlichkeit ausfindig inachen soll. Die rege Diskussion zeugte davon, daß in Görlitz reges Interesse für die Sache des Proletariats vorhanden ist. In Langen bielau waren die Textilarbeiter und-Ar- beilerinnen so zahlreich zu der Versammlung erschienen, daß sich das Lokal bald als viel zu klein erwies. In dem zwei Stunden langen Zentrum der Textilindustrie sind die großen Säle nämlich wohl für Vergnügungen zu haben, dagegen nicht für Versammlungen, obgleich die Schnaps- budenbesitzer, denen die großen Lokale gehören, ihre behagliche Existenz den Arbeitergroschen zu verdanken haben. Nur im sogenannten„Ober- dorf" stehen der Arbeiterschaft kleinere Lokalitäten zu Versammlungen zur Verfügung. Leider fehlt der schlecht genährten Bevölkerung der nöthige Muth, die Giftbuden zu meiden und deren Besitzern am Geld- beule! fühlen zu lassen, wer eigentlich der Herr ist. Die Ausführungen der Referentin fanden volle Zustimmung. Es gelangte eine Resolution zur Annahme, durch welche die Anwesenden sich verpflichteten, in erster Linie für die Organisirung der Arbeiterinnen zu wirken. Die Arbeiterschaft Langenbielaus bedarf des Schutzes der Organisation in dringender Weise. In der Versammlung und in den Straßen erzählten die bleichen, schmalen Gesichter, die ausgemergelten, verfallenen Ge- stalten in beredter Sprache vom Elend der Textilarbeiter- und-Arbeite- rinnen. Die kahlen, langgestreckten Fabrikbauten muthen den Fremden an wie Zuchthäuser, die sich in unabsehbarer Reihe dehnen. Von der Außenwelt abgeschlossen arbeiten in diesen Bastillen unserer Zeit Männer und Frauen in fieberhafter Hast. Hier dringen dichte Staub- wölken aus einer Spinnerei, dort qualmt eine Färberei athemraubenden
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10 (28.3.1900) 7
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