Nicht die Anzahl der öffentlich bekannten Mißgriffe der Polizei fann für uns entscheidend sein, sondern die Thatsache, daß das Gesetz feine Abhilfe gewährt.
Die Fälle, in denen unbescholtene Mädchen von den Hütern der öffentlichen Sitte aufs Polizeiamt geschleppt wurden, um dann nach der schmählichen Untersuchung einfach entlassen zu werden, sind übrigens weit häufiger, als Diejenigen vermuthen, welche die schrankenlose Instruktion der Sittenpolizei nicht kennen. Da eine genügende Sühne bei der Lage der Dinge doch nicht zu erreichen ist, sind die schwer Beleidigten meist ängstlich bedacht, den Vorfall zu verschweigen und zu vertuschen. Sie fürchten durch die Bekanntmachung eine Einbuße an ihrem guten Namen Nur zufällige Nebenumstände sind es, die den Uebergriff der Polizei bekannt geben, wie z. B. die Verhandlung wegen Beamtenbeleidigung vor Kurzem hier in Berlin . Zwei Herren waren einem Mädchen, welches sich gegen die Angriffe einiger Fremden heftig sträubte, zu Hilfe gekommen und hatten einige scharfe Worte gebraucht, ehe sich die Sittenbeamten als solche zu erkennen gaben. Die Herren wurden verurtheilt. Daß das ganz unschuldige Mädchen die Nacht im Gewahrsam zubrachte, wurde bei der Verhandlung nebenhin erwähnt. Es bildete keineswegs den Gegenstand einer Klage, denn die Beamten waren in ihrem Recht. Sie war ihnen verdächtig erschienen; das war Grund genug zur Sistirung.
Wir hoffen und erwarten, der hohe Reichstag werde unserer Forderung Gehör schenken und die ungerechtfertigte Willfür, gegen die wir ankämpfen, durch Streichung des von uns angefochtenen Sages beseitigen.
( Folgen die Unterschriften.)
Notizentheil.
( Von Tily Braun und Klara Betkin.)
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Das traurige Kapitel von der Ausbeutung der Arbeiterinnen wird durch die folgenden Thatsachen um einen Beitrag vermehrt. In den Glasfabriken zu Penzig sind etwa 300 Arbeiterinnen neben 800-1000 Arbeitern beschäftigt. Die Arbeiterinnen, deren Beschäftigung sehr anstrengend und zum Theil ungesund ist, verdienen im Akkordlohn wöchentlich 6 bis 7 und höchstens 8 Mt. Und mit diesem Bettelgroschen heißt es für gar Manche den ge= sammten Lebensunterhalt decken! Mit der niedrigen Entlohnung geht eine hochgradige Ausbeutung Hand in Hand, die sich nicht selten über die gesetzlichen Vorschriften fühn hinwegsetzt. So soll es oft vorkommen, daß die Arbeiterinnen die Nacht von Freitag zu Sonnabend in der Fabrik bleiben. Der nasse 3ement fußboden, auf dem etwas Stroh liegt, ist ihre Lagerstatt. Hier ruhen sie einige Stunden, stehen früh um 1 oder 2 Uhr auf, und bei dicht verhängten Fenstern geht es dann an ein intensives Schaffen, trotz des gesetzlichen Verbots der Nachtarbeit der Frauen. Angesichts dieser greuelhaften Zustände drängt sich die Frage auf: Ist denn kein Fabrikinspektor da? Jedenfalls beweisen die Verhältnisse in den Penziger Glasfabriken, wie dringend die Arbeiterinnen des Schutzes der Gewerkschaft bedürfen. Ohne eine starke gewerkschaftliche Organisation, welche über die strenge Durchführung der gesetzlichen Vorschriften wacht, bleibt der gefeßliche Schuß vielfach todter Buchstabe, und ohne die Macht der Gewerkschaft werden die Arbeiterinnen nicht menschenwürdige Entlohnung erringen. E. J.
Frauenbewegung.
Die Vorgänge im Lager der radikalen österreichischen Frauenrechtlerinnen betreffend, sendet uns Genossin SchlesingerEckstein eine Berichtigung unserer Ausführungen in Nr. 5. Wir veröffentlichen dieselbe um so lieber, als unsere Genossin seit Jahren mit beiden Seiten persönlich befreundet ist und sowohl Frl. Fickert und Frau Mayreder wie Frau Lang warme Anerkennung und persönliche Hochachtung entgegenbringt. Dieser Umstand in Verbindung damit, daß sie an Ort und Stelle lebt und aus eigener Anschauung einen Einblick in die Verhältnisse besißt, läßt uns ihr Urtheil als durchaus objektiv und für uns deshalb als sehr werthvoll erscheinen. Genossin Schlesinger- Eckstein schreibt:
,, Daß die drei ursprünglichen Herausgeberinnen der ,, Dokumente der Frauen" nicht würden lange in ersprießlicher Weise zusammenarbeiten können, das wäre eigentlich vorauszusehen gewesen. Dazu sind sie an Temperament und Lebensauffassung zu verschieden. So
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel) in Stuttgart .
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fonnte es nicht ausbleiben, daß sich sowohl auf dem Gebiet der redaktionellen als auch der finanziellen Leitung des Blattes tief= gehende Meinungsverschiedenheiten ergaben, die schließlich ein Zus ſammengehen unmöglich machten. Frau Lang war es, die am längsten nichts von einer Trennung hören wollte, und es bedurfte dringender Bitten und Vorstellungen von Seiten der beiden anderen Damen, besonders der Frau Mayreder, um sie endlich dazu zu bewegen, alleinige Herausgeberin und Redakteurin des Blattes zu bleiben.
Die der„ Gleichheit" gewordene Mittheilung, Marie Lang werde die Zeitschrift ihren persönlichen Interessen dienstbar machen", enthält einen durchaus ungerechtfertigten Vorwurf. Seit die„ Dokumente der Frauen" ins Leben gerufen wurden, hat Frau Lang der Zeitschrift ihre ganze Kraft, und zwar eine sehr erhebliche Kraft, schranfenlos gewidmet, ohne je an ihre persönlichen Interessen zu denken. Sie wurde für ihre Thätigkeit in keiner Weise entschädigt und hat auch auf Entschädigung keinen Anspruch gemacht, obgleich sie sich gezwungen sah, um den Anforderungen, die das Blatt an sie stellt, zu genügen, Arbeiten aufzugeben, denen sie sonst oblag, und die ihr materiellen Gewinn brachten. Eine gleich aufopfernde Hingabe wird aber das Blatt noch durch unabsehbare Zeit in Anspruch nehmen, da seine Geldmittel äußerst beschränkte sind und auch Niemand da ist, der der Herausgeberin einen erheblichen Theil der Arbeit abnehmen würde.
Die Befürchtung ist keineswegs begründet, daß die ,, Dokumente der Frauen" ihren entschiedenen Charakter verlieren könnten, weil Frl. Fickert und Frau Mayreder aus der Redaktion austraten. Die Mitarbeiterschaft der beiden Damen hat fast gänzlich aufgehört, lange bevor dieselbe offiziell eingestellt wurde, auch haben sich diese an der Leitung des Blattes schon seit vielen Monaten nicht betheiligt. Die ganze administrative und der allergrößte Theil der redaktionellen Arbeit lag von Anfang an in den Händen der Frau Lang. Außerdem ist Marie Lang stets die radikalste von den drei Frauen gewesen, und es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß sie ihren Standpunkt ändern werde. Ich erinnere daran, wie vortheilhaft ihr entschiedenes und von ernster sozialer Erkenntniß zeugendes Auftreten auf dem Londoner Abolitionistenkongreß im Sommer 1898 nicht nur von dem der englischen Frömmler und„ Ethifer", sondern auch von dem der äußersten Linken" der deutschen Frauenbewegung abstach. Mit sozialdemokratischem Gruß
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Therese Schlesinger- Eckstein."
Die Nichtzulassung von Frlu. Vos als Mitglied der Arbeitskammer für das Konfektionsgewerbe in Amsterdam , ist nicht darin begründet, wie uns aus Holland mitgetheilt wird, daß die Gewählte eine Frau ist, vielmehr darin, daß sie im Sinne des Gesetzes feine Arbeiterin ist, weil sie im Hause für Privatkundschaft arbeitet. Des holländische Gesetz, die Errichtung von Arbeitskammern betreffend, hat den Frauen sowohl das aktive wie das passive Wahlrecht verliehen.
D. Z. Für die hauswirthschaftliche berufliche Ausbildung des weiblichen Geschlechts hatte das Budget der schweizerischen Eidgenossenschaft eine Subvention von 169 000 Frs. vorgesehen. Das Budget für gewerbliche, industrielle und kommerzielle Bildungszwecke überhaupt betrug 1276000 Frs.
Als Schulinspektorinnen im Staate Illinois sind kürzlich 10 Damen gewählt worden. Die meisten der Gewählten gehören der demokratischen Partei an oder ihr wesenverwandten Fraktionen.
Haushaltungsschulen für Arbeiterinnen bestehen in Wien seit 1892, in welchem Jahre die erste dieser Anstalten in Folge einer Anregung des Gewerbeinspektors Migerka gegründet wurde. Der Unterricht erstreckt sich auf theoretische und praktische Unterweisung im Kochen, wie es in Arbeiterfamilien üblich ist, im Nähen, Flicken und Handarbeiten. Der theoretische Lehrstoff umfaßt: Allgemeines über die Ernährung, der Nährstoff der wichtigsten Nahrungsmittel, Zubereitung und Aufbewahrung 2c. von Nahrungsmitteln, Besprechung der Brenn- und Beleuchtungsmittel, Krankenpflege, Gesundheitsregeln. Die Kurse sind unentgeltlich und wurden bis Anfang dieses Jahres von 500 Schülerinnen besucht.
Zwei Ateliers für die Ausbildung bildender Künstlerinnen sollen an der Pariser Kunstakademie eröffnet werden. Die Kammer hat zu diesem Zwecke der Akademie eine besondere Subvention bewilligt. Bis jetzt hatten die Frauen nur zu den Vorlesungen über Kunstgeschichte, Perspektive 2c. Zutritt, nun tönnen sie sich auch in staatlichen Ateliers ausbilden, von denen das eine für Malerinnen, das andere für Bildhauerinnen bestimmt ist. Die Forderung:„ gleiche Bildungsmöglichkeit für beide Geschlechter" hat damit einen Erfolg errungen, der ganz wesentlich dem warmen Eintreten des sozialistischen Abgeordneten Viviani zu verdanken ist.
Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. 5.) in Stuttgart .