Nr. 15.

Die Gleichheit.

10. Jahrgang.

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Die ,, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3122) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 18. Juli 1900.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

Reaktionäres Geschwister. Luise Zietz  - Hamburg  .

und Wäscherinnen. von Arnim.

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Beiträge zum Kapitel Heimarbeit". Von Die Bewegung der Berliner   Plätterinnen Aus der Bewegung. Feuilleton: Bettina

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

endet. Die Pachtungen und Eroberungen, das Gerede von der ,, Auftheilung" Chinas  , das diftatorische Auftreten der Mächte, die da wähnten, wie in einem eroberten Lande schalten und walten zu können: all das mußte die glimmende Empörung zu helllodern­den Flammen anblasen. Nichts thörichter und ungerechter, als sich im Namen aller Kulturgüter" darüber zu entrüsten, daß der

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Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. Kapitalismus   dort Sturm erntet, wo er Wind gesäet hat. Dienstbotenfrage.- Frauenbewegung.

Reaktionäres Geschwister.

Die Weltpolitik der gepanzerten Faust, die Weltpolitik der goldenen Internationale des Kapitalismus beginnt in China   ihre Früchte zu zeitigen. Mögen die Tendenznachrichten jener Blätter noch so übertrieben sein, welche in Berichten über die entsetzlichsten Greuel schwelgen und flotten- und mordfroh zum furchtbarsten Rachekrieg hegen; mag die fanatische und die Massen fanatisirende Sette der Borer in Auflehnung gegen die chinesische Regierung oder im geheimen Einverständniß mit ihr dem Vordringen fremd= ländischer Religion, fremdländischer Kultur und Barbarei ein Ziel sezen wollen: an dem Ernst und der geschichtlichen Bedeutung der Situation wird dadurch nichts geändert. Eine mächtige, von den breitesten Volksschichten getragene Bewegung hat sich im Reiche der himmlischen Mitte mit aller Energie dem weiteren Vorwärts der weißen Teufel" entgegengeworfen und ringt mit der Kraft der Verzweiflung, die Macht der Fremden zu brechen, ihren Ein­fluß zu verdrängen, China   den Chinesen und ihrer alt eingewur­zelten nationalen Kultur zu erhalten.

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Es hat der Kampf begonnen nicht etwa um die Erschließung, viel­mehr um die Auftheilung des letzten großen Gebiets, das der Kapita­lismus seiner Ausbeutung und Herrschaft unterwerfen will. Darum auch lauert hinter der Aktion der vereinigten Mächte gegen China  die Möglichkeit der schwersten Konflikte der Mächte untereinander, die Möglichkeit des Weltkriegs und des Weltkrachs. In schwaz  schweifigen Phrasen, deren Sinnlositeit nur von ihrer Niedertracht und Rohheit übertroffen wird, suchen die bürgerlichen Blätter für den Krieg bald die Schreckensthat, bald jenes Unterfangen der Chinesen verantwortlich zu machen, die barbarisch" genug sind, ihre nationale Freiheit und Kultur vertheidigen zu wollen, und zivilisirt" genug, die Treffsicherheit Kruppscher Mordwerkzeuge und die Vorzüglichkeit des Unterrichts deutscher Offiziere an deutschen Soldaten zu er= proben. Mit der unvergleichlichen Unverfrorenheit dumm drauf loslügender Lakaien sezen sie die Wirkung an Stelle der Ursache. Der revolutionäre Kapitalismus   hat in China   seit Jahren den Boden für eine blutige Voltserhebung vorbereitet und eine Saat von Haß, Verachtung, Feindseligkeit gegen die Träger europäischer Kultur ausgestreut, die üppig in die Halme geschossen ist. In ungezügelter Profitgier hat er die wirthschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Landes umgewälzt und zersetzt; durch die Ein­führung moderner Erzeugnisse und Einrichtungen, durch den Bau von Eisenbahnen 2c. ganze Schichten der Bevölkerung ihres Brotes beraubt, die religiösen, sittlichen, nationalen Ueberzeugungen gröblich verlegt. Es war ihm keineswegs darum zu thun, die Chinesen langsam und sicher von der Ueberlegenheit der modernen Kultur zu überzeugen, er wollte sie sich so rasch als möglich ausbeutungs­pflichtig unterwerfen. Was er begonnen, das hat die Politik des abenteuerlichen und gewaltthätigen Evangeliumkurses schnell voll­

Die Weltpolitik der Staaten, die gegenwärtig äußerlich noch einig zusammenstehen, um das Allerheiligste der bürgerlichen Welt­ordnung, den kapitalistischen   Profit gegen die gemeinsame Gefahr zu schüßen, ist nicht auf Frieden, freiheitliche Entwicklung, Gleich­berechtigung aller Nationen gerichtet, sondern auf Eroberung, Ge walt, Unterdrückung, Absperrung gegeneinander. Sinnenfällig be­weist das eine Thatsache. Während man die Ermordung des deutschen Gesandten und die Niedermezelung von Missionären betriebsam mit dem Geschäftssinn erfahrener Händler ausschlachtet, um das Recht auf eine Nache zu begründen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat", überliefert man seelenruhig viele Tausende von Fremden der schwersten Bedrängniß, vielleicht dem Tode, in­dem man sich weigert, Japan   das Mandat zur Wiederherstellung der Ordnung in China   zu übertragen, d. h. ihm eine hervor­ragende Machtstellung und seinen Antheil an der Beute zu sichern.

Diese reaktionäre Weltpolitik der Eroberung und Abgrenzung von Machtgebieten der einzelnen kapitalistischen   Staaten ist ein sicheres Anzeichen, daß die bürgerliche Gesellschaftsordnung sich auf dem absteigenden Aste ihrer Entwicklung bewegt, daß sie unfähig wird, die vom Kapitalismus entfesselten riesigen Produktivkräfte zu leiten und zu höherer Entfaltung zu führen. Sie geht des­halb Hand in Hand mit einer ebenso reaktionären Sozialpolitit, mit der sie im innigsten ursächlichen Zusammenhang steht. Das wahnwißige Vorwärts, Bolldampf voraus, einer phantastischen Welt­politik der Eroberung von Pläzen an der Sonne", ber erträumten Weltreichsgründungen und das erbärmliche Rückwärts der Sozial­politit des Zuchthauskurses, der Brot- nnd Fleischvertheuerung, der reformlerischen Unfruchtbarkeit, sind rechtmäßige Geschwister.

Die in der fapitalistischen Gesellschaftsordnung enthaltenen Gegensäße haben sich ausgewachsen und drängen zur Lösung. Dafür spricht die chronische Ueberproduktion; dafür spricht der sich immer schärfer zuspißende proletarische Klassenkampf. Die bürgerliche Welt und ihr Staat weiß aber auf das Drängen und Ringen der Arbeiterklasse nach einem Aufwärts zur Kultur nur eine Antwort: Niederbüttelung, Unterwerfung der arbeitenden Klasse unter die Ausbeutung und Herrschaft der Kapitalistenklasse. Diese Politik der geganzerten Faust statt der offenen Hand gegen das Proletariat muß zwei Folgen zeitigen. Je härter, rücksichtsloser die Bestzenden die Besißlosen unter der Fuchtel halten, je weniger sie ihnen durch eine vernünftige Sozialpolitik einen Antheil an Wohlstand und Kultur sichern, einen um so gewaltigeren Umfang muß die Ueberproduktion annehmen, die im Wesen des Kapita­lismus, in seinem Ausdehnungsbedürfniß begründet ist. Je mehr die kapitalistische Uebermacht bestrebt ist, die Proletarier auf das Niveau lebendiger Arbeitsmaschinen herabzudrücken, ihnen die Ent­wicklung ihres Menschenthums vorzuenthalten, um so leistungs­unfähiger muß die Arbeiterklasse werden, um so mehr muß die Industrie der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ermangeln. Derweilen im Lande viele Zehntausende der Volksgenossen ihre Lebensbedürfnisse nicht in einer Weise zu befriedigen vermögen,