hinein. Und der Gesammtverdienst, den die Heimarbeit der Familie bringt? Wenn fünf, sechs und noch mehr Kinder da sind, die schon mit Preisgabe der Nachtruhe mit frohnden können, so beträgt er für die ganze Woche gewöhnlich nicht mehr als 6 bis 7 Mt. Thränen­den Auges versicherte mir eine Frau, obgleich mein Mann und ich den Tag und bis spät in die Nacht hinein arbeiten, reicht's nicht weiter als bis zum trockenen Brot. Wenn wir uns Sonntags etwas Fleisch gönnen können, sind wir froh."

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Heimarbeit in der Dütenfabrikation.

Die Firma H. Gerson, Stralsund , läßt sämmtliche Düten von Heimarbeiterinnen anfertigen. Seit kurzer Zeit wird denselben das Material gebracht, und die fertige Waare wird abgeholt. Früher mußten die Arbeiterinnen das selbst besorgen. Die Arbeiterinnen haben das Papier nach eingehändigten Mustern zuzuschneiden, zu fleben den Kleister müssen sie kaufen- die fertigen Düten am Bind­faden aufzureihen und sie zu verpacken. Die Lohnsätze dafür sind die folgenden: Für einen Zentner weißes Papier, das zu Vier- bis Sechspfunddüten verarbeitet wird, erhalten die Arbeiterinnen 4 Mt.; werden Ein- und Zweipfunddüten hergestellt, 5 Mk.; 1/4 und 1/ 2- Pfund­düten 6 Mf.; für die Verarbeitung eines Zentners grauen, blauen oder braunen Papiers beträgt der Lohn nur 2 Mt. bis 2 Mt. 50 Pf. Eine geschickte, eingeübte Arbeiterin, die früher in einer Spiel­fartenfabrik thätig war, fonnte bei täglich 10-12stündigem Schaffen einen Wochenverdienst von 6 bis 8 Mt. erzielen. Aber die Betreffende arbeitet unter verhältnißmäßig günstigen Umständen. Sie hat ihre Mutter bei sich, die ihr die Wirthschaft besorgt, auch mitunter mit Hand bei der Arbeit anlegt. Eine andere Arbeiterin, die ihven Haushalt und Kinder selbst versorgen muß, und die deshalb meistens erst in den Abend- und Nachtstunden für den Erwerb arbeitet, brachte es wöchentlich auf 2 Mt. 50 Pf. bis 3 Mt.

Die Herstellung der übrigen Dütensorten wird nach dem Tau­send bezahlt. Für 1000 Zigarrendüten giebt es 50 Pf. Die erstgenannte Arbeiterin erklärte, 2500 bis 3000 davon täglich fertig­stellen zu können. Das Kleben eines Tausend Hutbeutel stellt die Tagesarbeit einer guten Arbeiterin und einen Verdienst von 1 Mk. dar. Von den noch größeren Kranzdüten fann eine tüchtige Ar­beiterin zirka 500 täglich kleben, für 1000 werden 2 Mt. 50 Pf. be= zahlt. Der Lohn für das Tausend Schlipsdüten beträgt 2 Mt. 75 Pf., 1000 bis 2000 können davon täglich angefertigt werden. Am meisten verdienen noch die Arbeiterinnen bei der Herstellung der so­genannten Klosettdüten, die zwar nur mit 40 Pf. pro 1000 ent­lohnt werden, aber auch leicht anzufertigen sind, so daß 4000 an einem Tage geliefert werden können. Voraussetzung für die ange­gebenen Leistungen ist stets, daß die Arbeiterin geschickt und eingeübt ist und ungestört ihre 10 bis 12 Stunden täglich schuftet. Am un­angenehmsten sind die Samendüten zu arbeiten. Die Anfertigung dieser kleinen Dingerchen ist so schwierig, daß das Kleben von 2000 eine tüchtige Tagesarbeit darstellt. Das Tausend Samendüten wird mit 40 Pf. entlohnt. Sehr schlecht verdienen die Arbeiterinnen auch bei der Herstellung der doppelten Kaffeedüten, obgleich für das Tausend 3 Mt. bezahlt wird. Die Arbeit ist nämlich sehr zeitraubend, weil die Düten dreimal geklebt werden müssen. Wenn die Seiten­wände zweimal geklebt worden sind, so kommen die Düten zum Drucker, der den Namen der betreffenden Firma darauf druckt, dar­auf wandern sie wieder zur Kleberin, die nun den Boden klebt. Die zuerst genannte Arbeiterin verdient bei dieser Arbeit wöchentlich 4 Mt. 50 Pf. bis 5 Mt. Der Höchstverdienst, den eine geschickte Arbeiterin pro Woche erzielt, beträgt 9 Mt. 60 Pf. Bei Arbeiterinnen, die nicht sehr ge­schickt sind, oder ihren Haushalt mitbesorgen müssen, schwankt der Verdienst zwischen 2 Mt. 50 Pf. bis 5 und 6 Mt. die Woche. Arme Witwen, die Kinder zu ernähren haben, kleben in der Regel die gröberen Dütensorten, damit die Kinder mitarbeiten können und der Verdienst dadurch etwas steigt. Aber mehr als trockenes Brot, Kar­toffeln und Zichorienbrühe bringt die Arbeit auch in diesem Falle nicht ein.

Heimarbeit in der Bernstein industrie .

In der Nähe der alten preußischen Krönungsstadt Königs berg liegt der Ort Palmnicken , früher ein elendes Fischernest, das erst durch die Gewinnung des Bernsteins sich zu seiner jetzigen Be­deutung entwickelt hat. Der Bernstein kommt hier in großen Mengen und seltenen Stücken vor. Die Herren Stantin und Becker, letzterer früher ein armer Hausirer, sind durch die Gewinnung des Bernsteins Millionäre geworden. Der Bernstein wurde früher gefischt, später bergmännisch gewonnen, was auch heute noch der Fall ist. In Königsberg wird der rohe Bernstein verarbeitet. Der betreffende Betrieb ist seit kurzer Zeit durch Kauf an den Fiskus übergegangen. Wenn die in diesem Erwerbszweig beschäftigten Heimarbeiterinnen gehofft haben sollten, im Königlichen Bernsteinwerk" besser bezahlt

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zu werden, als früher im Stantin und Beckerschen Betrieb, so sind sie gewaltig enttäuscht worden. Das genaue Gegentheil ist ein­getreten.

Die Heimarbeiterinnen erhalten in der Regel 2 bis 21/2 Pfund Bernstein mit nach Hause, den sie zu schaben und zu säubern haben. Die einzelnen Stücke werden mit der linken Hand gegen die Brust gepreßt und mit einem Messer von dem anhaftenden Schmutz ge­säubert, der meist steinhart ist. Dabei muß die Arbeiterin sorgfältig Acht auf diesen Abfall geben, da derselbe wieder mit abzuliefern ist, um später zu Siegellack verarbeitet zu werden. Für das Schaben und Säubern der größeren Stücke Bernstein , Dickplatten" genannt, giebt es 40 Pf. pro 100 Gramm. Früher bei Stantin und Becker wurde für das gleiche Quantum 50 Pf. gezahlt. Der preußische Staat bewährte sich als kapitalistischer Musterbetriebsinhaber", er übte die höchste aller kapitalistischen Tugenden: Sparsamkeit auf Kosten der ausgebeuteten Arbeitskräfte. Um 2 bis 22 Pfund Dick­platten fertigzustellen, muß eine Arbeiterin 4 bis 5 Tage arbeiten, den Tag zu 12 bis 14 Stunden gerechnet. Die kleineren Stücke Bern­ stein sind bedeutend schlechter zu bearbeiten als die Dickplatten, da sie oft so klein sind, daß man sie kaum zwischen den Fingern halten kann. Stücke von der Größe einer Perle sind die Regel unter der Sorte, die man Knüppel 2 und 3" nennt. Für das Schaben und Säubern dieser kleinen Stücke wird pro 100 Gramm 50 Pf. gezahlt, doch kann eine Arbeiterin in weniger als 6 Tagen nicht 2 bis 21/2 Pfund fertigstellen. Ihr Wochenverdienst beträgt also 6 Mt. bis 6 Mt. 50 Pf., vorausgesetzt, daß der abzuliefernde Bernstein unbeanstandet abgenommen wird. Wird bei der Abnahme auch nur das kleinste dunkle Pünktchen entdeckt, so müssen die Arbeiterinnen das betreffende Stück nacharbeiten. Zu dem Zwecke wird der Bernstein in flares Wasser gelegt und die Arbeit mit dem Messer beginnt aufs Neue, sie nimmt nicht selten noch einen ganzen Tag in Anspruch, wird aber mit feinem Pfennig vergütet. Zwei junge Mädchen klagten mir: ,, Oft thut uns des Abends die Brust von dem strammen Gegendrücken so weh, daß wir des Nachts nicht schlafen können vor Schmerzen. Und wir haben es noch gut, da wir bei den Eltern sind. Wir können eher einmal aufhören, falls wir gar zu müde und abgespannt sind. Viele unserer Kolleginnen aber, die gänzlich auf sich selbst angewiesen sind, und nicht nur Kost und Logis, sondern auch Kleider, Schuhe u. s. w. baar bezahlen müssen, sind gezwungen, manche Nacht durch­zuarbeiten oder auf die Straße zu gehen!"

Heimarbeit in der Lebensmittelindustrie.

Daß Kaffee im Hause verlesen wird und unter welchen Ver­hältnissen, ist an dieser Stelle früher schon einmal geschildert worden. Heute ein Beispiel dafür, wie viel Heimarbeiterinnen verdienen, welche Erbsen und Bohnen verlesen. Die Firma Paul Noste in Königs­ berg beschäftigt eine Reihe von Heimarbeiterinnen. Für das Ver­lesen von Erbsen erhalten dieselben pro Zentner 70 Pf. Unter Um­ständen, wenn gar zu viel Schmutz dazwischen war, haben die Ar­beiterinnen auf wiederholtes Drängen 90 Pf. bis 1 Mt. erhalten. Das Verlesen eines Zentners Bohnen wird gar nur mit 50 Pf. ent­lohnt. Für die angegebenen Sätze müssen die Arbeiterinnen die Waare abholen und zurückliefern, wobei sie die Zentnersäcke auf dem Rücken zwei Treppen herab resp. hinaufzuschleppen haben. Ob die Gesundheit der Frauen in der gröblichsten Weise unter dieser Ueberbürdung leidet, wer fragt darnach? Haben die Ar­beiterinnen die verlesene Waare glücklich nach oben geschafft, so müssen sie nicht selten einen halben Tag auf die Abnahme warten. Wehe ihnen, wenn man unter dem Abzuliefernden noch eine schwarze Erbse oder Bohne findet. Der Sack wird dann umgestürzt, und die Arbeiterin muß seinen Inhalt auf dem Boden nochmals verlesen. ,, Mit meinen Kindern zusammen kann ich im besten Falle 2 bis 212 Zentner pro Tag verlesen," erklärte mir eine Frau. Oft schickt mir meine Nachbarin ihre Kleine zum Helfen herüber, weil unsere Noth ihr leid thut. Wenn wenigstens das lange Warten und das Nach­lesen nicht wäre. Ist man noch so fleißig gewesen, hat des Nachts faum ein paar Stunden geschlafen, am Tage die ganze Hausarbeit liegen lassen, um ein paar Pfennige mehr zu erarbeiten, so wird durch das Warten und Nachlesen ein dicker Strich durch die Rechnung gemacht."

Die Frau war ohne Abendbrot in eine Versammlung gekommen, in der ich sprach. Der Verdienst reiche nicht so weit", gab sie als Grund dafür an. Ein Blick auf ihr Aussehen bestätigte ihr Elend, sie war so ausgemergelt und schwach, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte.

Aehnliche, entsetzliche Bilder entrollen sich überall unserem Auge, wenn wir die Heimarbeit, einerlei in welcher Industrie, betrachten. Um so bedauerlicher ist es, daß bis dato die Gesetzgebung stets vor der Heimarbeit Halt gemacht hat Gerade die Heimarbeiter und