meister wird erfahren, daß diese Erbitterung sich umsetzt in eine stärkere Betheiligung an der Arbeiterbewegung. Die Versammlung in Kahla   war sehr stark besucht, sie führte den einzelnen Organi­sationen neue Mitglieder zu, und es wurde der Grund gelegt für eine Bahlstelle des Fabrikarbeiterverbandes. In Lehesten   wies die Ver­sammlung ebenfalls einen prächtigen Besuch auf, erfreulicherweise waren auch die Frauen recht stark in ihr vertreten. In Lehesten  wohnen viele hundert Schieferarbeiter, von denen nicht ein einziger organisirt ist. Das Bedürfniß nach der Organisation ist wohl vor­handen, doch ist die Furcht vor Maßregelungen allzu groß. An dem Tage der Versammlung fanden sich eine stattliche Anzahl von Per­sonen zusammen, die unter der Leitung des dortigen Vertrauens­mannes den Anschluß der Schieferarbeiter an den Bergarbeiter- oder an den Fabrikarbeiterverband herbeiführen werden. In Nord­ halben   wurde uns in letzter Stunde der Saal abgetrieben, ja der Wirth gewährte der Hegerin" nicht einmal Quartier, so daß Ge­noffin Zieh noch des Abends spät nach Geroldsgrün   pilgern mußte. In einer gutbesuchten Versammlung in Hof wurden dem Textil­arbeiterverbande neue Mitglieder zugeführt. Die Textilarbeiter und -Arbeiterinnen der Stadt sind in eine lebhafte Bewegung für den Zehnstundentag und die Abschaffung des Prämiensystems eingetreten. In Elsterberg   wo viele männliche und weibliche Textilarbeiter und Tabatarbeiter beschäftigt sind, wurde die Versammlung verboten, weil angeblich sich das Lokal nicht eigne. In Naumburg   a. S., wo besonders die weiblichen Fabrikarbeiter so elendiglich entlohnt werden, gelang es, eine Zahlstelle des Fabrikarbeiterverbandes zu gründen, der auch sofort einige Frauen beitraten. In Kösen, Osterfeld, Weißenfels   und Merseburg   waren die Versammlungen recht gut besucht. Den verschiedenen Organisationen wurden in all diesen Orten neue Mitglieder gewonnen. Ist durch die liebevolle Fürsorge" einzelner Behörden auch eine Anzahl Versammlungen hintertrieben worden, so hat doch auch die stattgefundene Agitationstour ihr gut Theil zur Ausbreitung und Kräftigung der Arbeiterbewegung bei­getragen. L. Z.

In Schwiebus fand am 16. Juni eine von Frauen gut be­suchte Versammlung statt. Genossin Vogel- Charlottenburg refe­rirte über 3weck und Nußen der gewerkschaftlichen Organi= sation" und fand lebhaften Beifall der aufmerksam den Ausführungen folgenden Versammelten. Leider schlossen sich dem Verbande der Textilarbeiter nur drei neue Mitglieder an, so daß in Schwiebus jetzt insgesammt 15 Textilarbeiter und Arbeiterinnen, organisirt sind. Es ist dies eine erschreckend kleine Zahl, denn in der Textilindu­strie des Orts find gegen 2000 bis 3000 Personen beschäftigt, wovon die Mehrzahl aus Frauen besteht. Daß die Betheiligung der Schwie buser Textilarbeiterschaft an der gewerkschaftlichen Organisation eine so winzige ist, erklärt sich zum Theile aus dem sehr niedrigen Ver­dienst, über den wir in nächster Nummer berichten werden. Er bedingt eine jämmerliche Lebenshaltung und damit dumpfen Sinn. trotz allem muß die vorhandene Gleichgiltigkeit gegen die Gewerk­schaft gebrochen werden. Auch in Schwiebus müssen die Textil­arbeiter und Arbeiterinnen organisirt für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Der Verlauf, den die letzte Versammlung nahm, berechtigt zu der Hoffnung, daß dies in absehbarer Zeit geschehen wird, daß insbesondere auch die Arbeiterinnen mehr und mehr ihre Pflicht er­kennen, sich aufzuklären und der Gewerkschaft anzuschließen. A. V.

Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Aber

Weibliche Vertrauenspersonen für die Gewerbeaufsicht in Sachsen  . Nach einem Beschluß des Ministerium des Innern sind in Sachsen   vom 1. Juli an weibliche Vertrauenspersonen der Gewerbeaufsicht bestellt worden. Den Vertrauenspersonen soll es obliegen, Beschwerden, welche die Arbeiterinnen dem männlichen Aufsichtsbeamten nicht anver­trauen mögen, entgegenzunehmen und den Kreishauptmannschaften zu übermitteln. Wie groß die Zahl der ernannten Vertrauenspersonen ist, in welchen Bezirken sie wirken sollen, wer sie sind, und welche Bürg­schaften sie für verständige und pflichteisrige Erfüllung der über­tragenen Aufgaben aufweisen: darüber fehlen jegliche Anhaltspunkte. Nicht einmal die bürgerlichen Blätter, welche die Neuerung meldeten, wissen über diese sehr wichtigen Fragen etwas zu berichten, geschweige denn, daß die zuständigen Amtsstellen geruht hätten, die Arbeiter­presse genau zu informiren. Und doch wäre diese Informirung von sehr wesentlicher Bedeutung dafür, daß die Arbeiterinnen, die an der Einrichtung das stärkste Interesse haben, rasch über dieselbe

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unterrichtet würden und sich ihrer bedienen könnten. Die Aufstellung weiblicher Vertrauenspersonen ist das einzige Konzessiönchen, zu dem sich die sächsische Regierung an die Forderung der Arbeiterinnen verstanden hat, Frauen zur Gewerbeaufsicht heranzuziehen. Die Soziale Praxis" irrt sich, wenn sie in Nr. 39 annimmt, daß im letzten sächsischen Etat Mittel bewilligt worden wären, um versuchs­weise zwei weibliche Hilfskräfte der Fabritinspektion anzustellen, und daß also neben den weiblichen Vertrauenspersonen noch Assistentinnen der Gewerbeaufsicht funktioniren würden. Durchaus unbegründet ist mithin auch ihre wohlwollende Vermuthung, auf Seiten der Regie­rung scheine die Absicht vorzuliegen, auf Grund von Erfahrungen zu ermitteln, welcher Weg am besten zum Ziele führt die Heran­ziehung weiblicher Beamter oder Vertrauenspersonen". Wer das Wesen und die Thaten der sächsischen Regierung fennt, der weiß, daß sie bis jetzt ebenso ängstlich als erfolgreich auch den leisesten Schein gemieden hat, als liege ihrerseits je die Absicht vor, zu Gunsten der Arbeiterinnen und Arbeiter auch nur die bescheidenste Reform durchzuführen. Unterdrückungsmaßregeln und abermals Unterdrück­ungsmaßregeln, aber nicht Reformen, das ist es, was sie dem Prole­tariat noch jeder Zeit geboten hat. Es heißt deshalb wirklich den Gipfel jener vernebelten weltfremden Phantastik erklimmen, in welcher die Berlepscherei athmet und lebt, wenn man der sächsischen Regie­rung die Absicht anfabulirt, sie wolle auf dem Weg der Erfahrung erproben, welche Maßregel am geeignetsten sei, die Interessen der Arbeiterinnen zu wahren. Wie denn liegen die Dinge? Im Früh­jahr 1899 erklärte allerdings der sächsische Bevollmächtigte im Reichs­tage, offenbar in einem Anfalle voreiliger Scham, seine Regierung sei der Frage der Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten ,, näher getreten". Daß dieses Nähertreten" aber kaum ein Viertel­schrittchen nach vorwärts bedeutete, lehrte der Etat. In diesen wurden ganze 2000 Mark eingestellt für die Honorirung weiblicher Vertrauenspersonen, welche bestimmt sind, Beschwerden und Mit­theilungen von Arbeiterinnen entgegen zu nehmen, welche sich scheuen, mit den Beamten der Gewerbeinspektion unmittelbar ins Benehmen zu treten". Es ist also gar keine Rede von der Anstellung fest be= soldeter Hilfsbeamtinnen mit bestimmten Machtbefugnissen zur Kontrolle der Betriebe, in denen Arbeiterinnen beschäftigt sind; mit bestimmt vorgeschriebenem Pflichtkreis, die Wahrung der Gesetze und der Rechte der Arbeiterinnen betreffend. Das Unzulängliche wird obendrein noch so ungenügend als möglich gethan. Für die Honorirung der Ver­trauenspersonen sind 2000 Mark ausgeworfen, und in Sachsen   giebt es 13 Fabritinspektionsbezirke, denen im letzten Jahre 168833 Arbeite­rinnen unterstellt waren. Auf den einzelnen Inspektionsbezirk entfällt durchschnittlich eine Aufwendung von rund 154 Mart, um eine bessere Durchführung der gesetzlichen Schutzvorschriften zu Gunsten der Arbeiterinnen zu gewährleisten. Dazu kommt noch Eins. Die auf­zustellenden weiblichen Vertrauenspersonen sollen nicht einmal mit der Gewerbeaufsicht in Verbindung stehen, sondern mit der Kreis­hauptmannschaft. Man mag die Neuerung drehen und wenden wie man will, sie erweist sich als eine grobe Karikatur auf die Thätig­feit weiblicher Fabrikinspektoren und Hilfsbeamten. Vertrauens­personen der Arbeiterinnen aufzustellen ist nicht Sache der Regierung oder der städtischen Behörden- in Chemnitz   soll der Rath beschlossen haben, eine ihm geeignet dünkende Frau für den Posten in Vorschlag zu bringen, sondern lediglich Sache der Arbeiterinnen selbst und ihrer berufenen und bewährten wirthschaftlichen Interessenvertretung, der Gewerkschaft. Pflicht der sächsischen Regierung ist es dagegen, weibliche Gewerbeaufsichtsbeamten anzustellen, denen bestimmte Ver­pflichtungen obliegen und bestimmte Vollmachten dem Unternehmer­thum gegenüber eignen. Was ihres Amtes nicht ist, da sollte die Regierung ihren Vorwitz lassen und dafür thun, was das Amt heischt.

Ueber die Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten in der Schweiz   haben sich fürzlich die schweizerischen Fabrikinspek­toren in einem Gutachten an den Bundesrath geäußert. Es heißt darin, daß die Mithilfe der Frauen bei der Inspektion unter Um­ständen erwünscht und nothwendig sei. Die Ausdehnung der Arbeiter­schutzgesetzgebung werde mit der Zeit die Heranziehung der Frauen zur Fabrikinspektion nothwendig machen, zumal dann, wenn Arbeiter­schutz und Gewerbeaufsicht auf die Hausindustrie ausgedehnt würden. Das Gutachten bedeutet einen Fortschritt in der Auffassung der Fabrikinspektoren über die strittige Frage. Noch im vorigen Jahre hatten sie sich in einem Gutachten gegen die Berufsthätigkeit der Frau auf dem Gebiete der Gewerbeaufsicht erklärt. In der Presse waren sie ob dieses ihres Standpunkts als 3öpfe" scharf kritisirt worden. In dem kürzlich erschienenen Bericht der schweizerischen Fabrikinspektion für die Jahre 1898 und 1899 sucht der Fabrifinspektor Herr Rauschenbach diese Kritik zurückzuweisen. Was er zur Recht fertigung des früheren Gutachtens der Fabrikinspektoren sagt, scheint uns wenig beweiskräftig. Herr Rauschenbach ist übrigens kein grund­