10. Jahrgang.1p SleilMZeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.ZVilhelm Liebknecht fEin Verlust, so schwer, so schmerzlich, daß er noch fastunfaßbar erscheint, hat die deutsche Sozialdemokratie, die deutscheArbeiterklasse, das internationale Sozialistenheer getroffen.Wilhelm Liebknecht wurde durch einen jähen, aber schmerzlosenTod vom Kampfplatz gerissen. Ein mildes Schicksal hat ihm,dem stets Jugendfrischen und Kampfesfrohen, die Qual eineslangsamen Siechthnms in müder Greisenhafiigkeit erspart. Involler Rüstigkeit, Arbeitspläne entwerfend, von Kampfesstim-mnng beseelt schied er, der sich stolz„einen Soldaten derRevolution" genannt, einem Krieger gleich aus dem Leben,den der Tod von der Walstatt ruft.Ein noch so gedrängter Ueberblick über Liebknechts Lebenund Wirken im Dienste der sozialistischen Idee geben zuwollen, hieße die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegungschreiben, hieße wichtige Kapitel aus der Geschichte der inter-nationalen Arbeiterbewegung aufrollen. In seiner Person ver-körpert sich ein bedeutsames und glorreiches Stück des modernenproletarischen Emanzipationskampfes.Von der bürgerlichen Revolution die Freiheit, Gleichheit,Biüderlichkeit alles Dessen hoffend, was Menschenantlitz trägt,nahm er an den revolutionären Kämpfen von 1849 thätigenAntheil. Seinen Idealismus büßte er mit langen Jahrendes Exils in London, mit langen Jahren der schwärzestenSorge. Umfassende Studien, befruchtet und vertieft durch denVerkehr mit Marx und Engels, ließen hier seine bürgerlichrevolutionäre zu einer sozialistisch revolutionären Ueberzeugungausrufen. Als er 1862 ins Vaterland zurückkehrte, war ervon der Erkenntniß durchdrungen, daß das Proletariat seineBefreiung nicht im Kampfe mit der Bourgeoisie erringen könne,vielmehr im Kampfe gegen diese ertrotzen, daß es als selb-ständige politische Klassenpartei die Schlachten seines Eman-zipationsringens schlagen müsse. Er gehörte zu den Begründernder sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er war ihr glänzender,unermüdlichster Agitator in Wort und Schrift. Er zählte zuihren hervorragendsten parlamentarischen Vertretern. Er warihr sturmerprobter Führer. In den Zeiten der inneren Gäh-rung und Entwicklung wie in den Tagen des heißesten Kampfesmit der Reaktion hat er für die Partei gleicherweise Un»schätzbares geleistet. Es giebt kein Gebiet des Parteilebens,auf dem sich du glänzende Publizist, der hinreißende Redner,der kraftvolle Politiker nicht erfolgreich bethätigt hat. Waser in den Anfängen der sozialistischen Bewegung gewirkt, waser unter dem schmachvollen Ausnahmegesetz für diese gewesen,das allein würde schon hinreichen, ihm in der Geschichte derSozialdemokratie unsterblichen Ruhm zu sichern.Aber nicht das deutsche Proletariat allein trauert anseiner Bahre. Die Sozialisten aller Länder haben mit ihmeinen der Ihrigen verloren. Er war es besonders, der dieinternationalen Beziehungen zwischen der sozialistischen, derArbeiterbewegung aller Länder pflegte und förderte. SeinWissen von dem proletarischen Klassenleben im Ausland,seine Freundschaft mit den sozialistischen Führern jeder Nationall-tär, seine Sprachkenntnisse befähigten ihn wie keinen Zweiten,die Bande der internalionalen Solidarität im Proletariatfester und fester zu knüpfen. In Frankreich. England, Italien,den Vereinigten Staaten, überall wo sich Proletarier zumEvangelium von der Befreiung der Arbeit bekennen, wirdLiebknecht als Verkörperung der deutschen Sozialdemokratie,als Verkörperung des Gedankens des internationalen Sozia-lismns verehrt und geliebt. Er war der internationale Sozia-list pur excellence, er gehörte dem Proletariat aller Länder.Aufs Tiefste ergriffen treten die deutschen Genossinnen,die deutschen Proletarierinnen an sein Grab. Sie haben inLiebknecht nicht blos den kühnen, begeisterten Veitheidigerihrer Klasseninteressen verloren, sondern auch den überzeugten,thalkräftigen Vorkämpfer für die Gleichberechtigung ihres Ge-schlechtes. Wieder und wieder hat er das hohe Lied von dersozialen Befreiung der Frau verkündet, unablässig hat er inden eigenen Reihen wie den Massen gegenüber an die Roth-wendigkeit gemahnt, die Frau als aufgeklärte, gleichberechtigteMitkämpferin zum Streit, zur Arbeit für eine neue Gesell-schaft zu rufen. Wann und wo immer das Vorurtheil gegendas weibliche Geschlecht sein Haupt erhob, mit den wohlfeilenGeschossen platter Witze, die Frau in die alte Beschränktheitzurückzuscheuchen versuchte: da trat Liebknecht von großengeschichtlichen Gesichtspunkten aus, ein Apostel des historischenWerdens und der freien Entwicklung jeder Persönlichkeit,jeden Btenschenthums mit jugendlichem Feuer für die Würdeund Rechte der Frauen ein. Aller Arbeitslasten ungeachtetwar er jederzeit bereit, die prolctariscke Frauenbewegung mitRath und That zu fördern, sein reiches Wissen, seine großeErfahrung, seine machtvolle Beredtsamkeit in ihren Dienst zustellen. Nie riefen die Genossinnen ihn vergebens, nie versagteer der Einzelnen von uns seinen freundschaftlichen Rath, seinefreundschaftliche Hilfe, mochte es sich um Parteiangelegen-Helten oder um das persönliche Leben handeln. Ein zuver-lässiger, treuer Freund ist uns Allen geschieden, rin Meisterund Lebrer unserer Kinder, der diesen— und das werdenwir Mütter ihm nie vergessen— das Vorbild eines ganzen,reichen, selbstlosen, opferfreudigen Lebens im Dienste derhöchsten Ideale gegeben. Möchte die Verehrung, welche dieGenossinnen, die Proletarierinnen dem thenren Tobten zollen,Derjenigen ein Trost sein, welche in bescheidener Stille mitihm getreulich lange Jahre alle Lasten des schweren Kampfesgetragen hat.Was die Sozialdemokratie, was wir Alle an Liebknechtverlieren, bemißt sich nicht nur an Dem, was er gekonnt, waser geleistet und gewirkt. Es muß auch nach Dem bewerthetwerden, was er gewesen. Seine Persönlichkeit hängt aufsInnigste mit seinem Werke zusammen. Eine großzügige, un-endlich vielseitige Persönlichkeit schritt er uns voran, den Blickunverwandt und unbeirrt über des Tages kleine Geschehnisse