foftet ungefähr 20 Mt. monatlich, bei Weitem nicht alle Arbeiter­familien können so viel für Miethe ausgeben. Dazu kommt, daß die Arbeiterbevölkerung viel schneller zugenommen hat als die Zahl der Wohnungen. Es besteht in der Folge fortwährende Woh­nungsnoth. Auch die Besitzer alter baufälliger Häuser sind sicher, daß dieselben immer überfüllt werden, und sie benüßen oft diese Lage, um die armen Miether schändlich auszubeuten, die nothwendigsten Reparaturen aber zu unterlassen u. s. w. Viele neugebaute Häuser bleiben dagegen leer, weil der Miethzins der Wohnungen für die Mülhauser Lohnverhältnisse viel zu hoch ist. Die von Jean Dollfus gegründeten berühmten Cités- Häuser sind nach und nach ein Gegen­stand der Spekulation geworden und entsprechen ihrem ursprünglichen Zwecke nicht mehr.

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Bei den oben geschilderten Wohnungszuständen ist es der über­anstrengten Arbeiterfrau so gut wie unmöglich, Kinder, Leibwäsche und Zimmer sauber zu halten. Zumal wenn sie dem Erwerb nach­gehen muß und nur wenig Zeit für die Wirthschaftsführung zur Ver­fügung hat, reißt durch Schuld der engen, schlechten Wohnung Un­ordnung und Unsauberkeit ein. Manche Arbeiterfrauen schätzen auch in Folge des Elends, in dem sie von Kindheit an aufgewachsen sind, in Folge vernachlässigter Erziehung die Reinlichkeit und ihren Ein­fluß auf die Gesundheit nicht hoch genug. Das Unterlassen aus Noth oder Unwissenheit der einfachsten Maßregeln der Hygiene und Reinlichkeit ist von Einfluß auf die große Sterblichkeit der Kinder, die durch die Schwächlichkeit der Eltern, mangelnde Pflege und ungünstige Lebensbedingungen verursacht wird. Die kräftigsten Kleinen bleiben trotz aller ungünstigen Einflüsse am Leben, aber sie wachsen im Schmuße auf, werden selten gebadet und sind später bleichsüchtig, oft schwindsüchtig! Viele Kinder sind von Geburt an strophulös oder rhachitisch. Zahlreiche Kleine sterben im Säuglings­alter, weil ihnen eine gesunde Nahrung fehlt. Die meisten Frauen sind zu schwach und arbeiten zu hart, um ihre Kinder lange stillen zu können und gesunde kräftige Milch zu haben. Die künstliche Nah­rung aber ist oft schlecht und wird nicht mit genügender Sorgfalt zubereitet. Sterilisirte Milch ist nicht allgemein im Gebrauch. Wie der Säugling und das Kind zarten Alters, so ist auch die Wöchnerin sehr übel dran. Nach der Niederkunft steht die Frau zu früh auf, besorgt selbst den Haushalt schon am dritten Tage, geht nach acht Tagen aus, arbeitet womöglich in Privathäusern und nimmt nach zwei bis drei Wochen die Fabrikarbeit wieder auf. Kein Wunder, daß sie in der Folge oft ihr Leben lang leidend und siech bleibt. Das Stehen am Webstuhl, das Einathmen des Baumwollstaubes in der Spinnerei, das Sitzen an der Nähmaschine, kurz, alle die Vor­richtungen und Umstände, welche die Gesundheit der Arbeiterinnen schädigen, werden der Wöchnerin, die noch nicht ihre volle Kraft zurückerlangt hat, besonders verderblich. Den Wöchnerinnen zahlen die Krankenkassen der Fabritarbeiterinnen während 18 Tagen die Hälfte ihres Lohnes aus. Der Betrag ist in jedem Falle ganz un­genügend. Viele Frauen sind daher genöthigt, sich an die Wohl­thätigkeit zu wenden, die aber auch nicht ausgiebig zu sorgen vermag, davon abgesehen, daß die Proletarierinnen nicht Wohlthaten erbitten, sondern ihr Recht fordern müssen.

Krippen sind angesichts der vorhandenen Mißstände dringend nöthige Einrichtungen. Die Stadt Mülhausen aber besitzt deren nur zwei, von denen jede 30 bis 50 Kinder aufnehmen kann. In den Krippen sind katholische Schwestern thätig. Die große Zahl der Ar­beiterinnen, die ihre Kinder nicht pflegen können, würde den Bestand von wenigstens 20 Krippen fordern; so wie die Dinge liegen, gehen Schaaren von Kindern körperlich und geistig zu Grunde. Die Klein­kinderschulen, deren 21 vorhanden sind, nehmen die Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren auf. Die Schulen sind zahlreich, aber in den meisten lernen die Kinder leider mehr Katechismus als Dinge, welche sie für das Leben und ihren Beruf vorbereiten.

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Was die Kleidung anbelangt, so verwendet die Mülhauser Arbeiterin weit mehr darauf als auf die Nahrung. Die Putzsucht spielt leider dabei vielfach eine größere Rolle als höhere Beweg­gründe. Frauen und Mädchen, die schmutzige Leibwäsche tragen, nicht immer gefämmt und gewaschen sind und in unsauberen Betten schlafen, darben sich vom Munde ab, um einen Spitzenkragen oder einen Federhut anschaffen zu können. Es verdient gewiß alle Sym­pathie, wenn die Arbeiterinnen aus dem Bedürfniß nach sozialer Gleichberechtigung oder aus Schönheitsgefühl heraus darnach streben, hübsch und geschmackvoll gekleidet und einer Dame" ähnlich zu sein. Und wenn Jemand ein Recht darauf hat, sich zu schmücken, so sind es gewiß die hart arbeitenden Frauen und Töchter des werkthätigen Volkes. Aber der öden, äußerlichen Pußsucht ist durch Aufklärung und Erziehung entgegen zu arbeiten. Ganz besonders dann, wenn ihr Mittel geopfert werden, die für Ernährung, für Bildung, ge­werkschaftliche Organisation 2c. weit nüßlicher verwendet würden.

Werfen wir nun einen Blick auf den Verdienst und die Arbeitszeit der Arbeiterinnen, und zwar zunächst in der Textilindustrie. Mädchen von 17 bis 20 Jahren können täg­lich 1,40 Mt. verdienen, viele jedoch erreichen den angegebenen Satz nicht. Mädchen und auch Frauen, welche an den" Bambrosch" arbeiten, erzielen allerdings einen höheren Verdienst; 25 oder 28 Mt. in 14 Tagen. Aber es kommt andererseits auch vor, daß Mädchen im Alter von 15 bis 16 Jahren nur 6 Mt. in 14 Tagen erhalten! Mädchen, welche in der Carderie"( Wollfabrik) arbeiten, verdienen in 14 Tagen gewöhnlich 20 Mt., es kommt höherer, manchmal aber auch geringerer Verdienst vor. Das Alter der Mädchen beträgt meist 20 Jahre und mehr. In der Fabrik Heilmann erhalten die Arbei­terinnen in 14 Tagen 22 Mt., ihr Verdienst gilt als ein guter. In der Baumwollspinnerei dauert die regelmäßige Arbeitszeit von 6 Uhr früh bis 12 Uhr und von 1 bis 6 Uhr; in der Wollspinnerei von 6 bis 12 und von halb 2 bis 6 Uhr.

Bei den Näherinnen in der Kleider- und Wäschekonfektion ist die Arbeitszeit sehr verschieden und dauert gewöhnlich 9 bis 10 Stun­den, von 8 bis 12 Uhr Vormittags und von halb 2 bis 7 Uhr Nach­mittags. Aber diese Zeit wird sehr oft bedeutend überschritten. Die Ueberstunden werden gering berechnet, je nach dem Lohn. Mädchen von 16 bis 17 Jahren verdienen monatlich 16 Mt., andere Nähe­rinnen, die 20 Jahre und darüber alt sind, bringen es wohl bis auf 38 und 40 Mt., doch ist der Verdienst gewöhnlich geringer. Die erste Arbeiterin( Aufseherin") erhält bis 80 Mt. Eine Arbeiterin, die 38 bis 40 Mt. verdienen will, muß schon etwas Tüchtiges leisten können. Durchschnittlich stellt sich der Lohn der Näherinnen pro Stunde auf etwa 12 bis 14 Pf. Von dem Verdienst wird noch das Kranken­fassen und Invaliditätsversicherungsgeld abgezogen, so daß der that­sächliche Taglohn 1,20 Mt. beträgt, und zwar unter der Voraus­setzung, daß die Arbeiterin geübt und fleißig ist. Von dem geringen Einkommen müssen die Mädchen Kost, Logis und Kleider bezahlen. Leider sind die Näherinnen nicht organisirt, ein Umstand, der zu den schlechten Lohnverhältnissen beiträgt, ebenso zu dem Unfug der Ueber­zeitarbeit. In der guten Geschäftszeit wird zum Beispiel die Ar­beitszeit oft bis 12 Uhr Nachts und noch darüber ausgedehnt, ja sie dauert bis 3 und 4 Uhr Morgens. Wer noch einen Funken gesunder Empfindung besitzt, dem muß das Herz weh thun, wenn er diese ab­gerackerten Menschenkinder spät Nachts mit einer Laterne nach Hause wandern sieht, und wenn er daran denkt, daß sie früh Morgens wie­der an die anstrengende Arbeit gehen müssen. Die Arbeitgeber, die sich so gern wegen Diesem und Jenem belobigen, rühmen sich der Ueberzeitarbeit nicht. In einem Geschäft der Altkirchergasse dürfen die Näherinnen in der flauen Zeit Morgens eine halbe Stunde später kommen und Abends eine Stunde früher nach Hause gehen, müssen aber dafür in der flotten Zeit Abends oft bis 12 Uhr arbeiten und bekommen nichts für die Ueberzeitarbeit. Eine solche Ausbeutung lassen sich nur diejenigen bieten, welche nicht weiter denken, als sie eben sehen!

Die Lage der Kellnerinnen ist in Mülhausen ebenso schlecht wie in anderen Städten. Manche von ihnen arbeiten von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr in der Nacht und bekommen keinen Lohn, sondern sind auf die Trinkgelder angewiesen. Manchmal wird den Kellnerinnen noch obendrein ungenügende und schlechte, ja sogar efel­hafte Rost geboten.

In gewissen Waarenhäusern sind als Verkäuferinnen junge Mädchen thätig, von denen viele der Prostitution verfallen müssen, dafern sie nicht Hungers sterben wollen, denn ihr Gehalt beträgt etwa 10 Mt. im Monat, und dabei müssen sie noch elegant gekleidet sein.

Noch Vieles wäre über geringen Verdienst, lange Arbeitszeit, ungesunde Arbeitsbedingungen und das armselige, von Sorgen ver­bitterte Leben der proletarischen Frauen und Mädchen in Mülhausen zu sagen, aber ich muß für heute diesen schon langen Bericht schließen. Mülhausen , Dezember 1900. A. L.

Die Wäschenäherinnen rühren sich!

Ats im Sommer letzten Jahres die Altplätterinnen in eine Lohn­bewegung eintraten und in raschem Anlauf bei geschickter Führung eine bedeutende Verbesserung ihrer Lage errangen, konnte Niemand daran zweifeln, daß andere Arbeiterinnenkategorien dem gegebenen Beispiel bald folgen würden. Und thatsächlich haben sich auch die Arbeiterinnen der Berliner Wäschefabrikation die mit den Alt­plätterinnen als berufsverwandt in einer Organisation zusammen­geschlossen sind alsbald geregt. Die Neuplätterinnen haben( siehe ,, Gleichheit" Nr. 24 von 1900) in öffentlichen und Vereinsversammlungen ihre Arbeitsverhältnisse und die Mittel zu ihrer Besserung erörtert,

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