Nr. 4.
Die Gleichheit.
11. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch den 13. Februar 1901.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Für das tägliche Brot. a. b- n.
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Inhalts- Verzeichniß.
O. W. Payer.
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Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Weibliche Fabrikinspektoren. Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Vertehrswesens. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Soziale Fürsorge für Mütter und Kinder. FrauenSozialistische Frauenbewegung im Auslande. stimmrecht. Frauenbewegung. Vermischtes. Adressen der weiblichen Vertrauenspersonen.
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Für das tägliche Brot.
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Wem wohl drängt sich in drückenderer Schwere die Sorge ums tägliche Brot auf, als der Arbeiterfrau, der Arbeiterin? Der Arbeiterfrau, an die täglich, stündlich die Aufgabe herantritt, mit knappem und knappstem Wirthschaftsgelde den Tisch für die Familie zu bestellen, an dem gewöhnlich nicht wenige, oft aber sogar sehr viele Hungrige fizen! Der Arbeiterin, die mit kargem Lohn, wohl auch mit wahren Bettelgroschen ihres Leibes Nahrung und Nothdurft bestreiten muß! Im Haushalt der Einen wie der Anderen aber spielt das Brot die wichtigste Rolle. Brot ist für die proletarische Hausmutter und die Ihrigen, ist für die Arbeiterin der Stab des Lebens", um mit den Engländern zu reden, das Hauptnahrungsmittel, dem an Bedeutung kein anderes gleich tommt. Die Näherin oder Fabriklerin, die Morgens, Mittags oder Abends ihre Schmalzstulle" in Zichorienbrühe„ stippt", welche sich trügerisch unter dem Namen Kaffee einführt; die Arbeiterfrau, die nach berühmten Rezepten bürgerlicher Auch- Arbeiter freunde aus Knochen, Kartoffeln und Gemüseabfällen„ kräftige Rost" bereitet: ste tönnen sich ja nur einen winzigen Verbrauch von Fleisch, Butter, Eiern, Milch 2c. gestatten.
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Brotvertheuerung in Aussicht! Wie furchtbar muß deshalb nicht dieser Ruf Millionen deutscher Proletarierinnen in die Ohren gellen. Gin Heer finsterer Plagen wälzt sich gegen sie mit dem Steigen der Brotpreise heran.
Brotvertheuerung in Aussicht! Und warum? Weil eine Erhöhung der Getreidezölle die Preise der Botfrucht in die Höhe treiben soll. Also will es das Krautjunkerthum, und der Wille dieses je und je voltsgefährlichen Klüngels scheint in Deutschland das höchste Gesez. Stramm wie ein Unteroffizier ist die Regierung den Wünschen der schreienden Agrarierfippe von Ostelbien und anderwärts eingeschwenkt. Nach den Erklärungen des plauderfrohen Bülow ist kein Zweifel, daß sie bereit ist, den Hunger des Volkes den beutegierigen Großgrundbesizern zur gründlichsten Ausplünde rung auszuliefern.
Schon jetzt ist, Dank des geltenden Zolles von 3 Mt. 50 Pf. auf den Doppelzentner Roggen und Weizen, jeder Laib Brot, jedes Kaffeebrötchen, das die Proletarierin eintauft, wesentlich vertheuert. Deutschland baut nicht genug Brotgetreide, um den Bedarf seiner Bevölkerung zu decken, und der durch den Zoll künstlich in die Höhe geschraubte Preis des eingeführten Auslandkornes treibt den Preis der einheimischen Frucht in die Höhe. Nach amtlichen Berechnungen stellt sich in Deutschland der Getreideverbrauch pro Person jährlich im Durchschnitt auf 200 Stilo, für eine fünftöpfige
Buschriften an die Redaktion der„ Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart , BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Familie also auf 1000 Stilo oder eine Tonne. Diese Zahlen besagen, daß die Jßenplize und Röckerize vermittelst des durch den Zoll vertheuerten Brotes jeder Arbeiterin durchschnittlich im Jahre 7 Mt. abknöpfen. In den meisten Fällen sogar noch mehr, und gerade der Aermsten noch mehr. Denn je ärmlicher der Verdienst ist, den die Arbeiterin nach harten Werkeltagen heimbringt, um so weniger vermag sie mit ihrem„ Schlemmerlohn" sich eine ordentliche Mahlzeit, eine genügende Portion Fleisch zu vergönnen, um so größer ist ihr Verbrauch an Brot. Die Arbeiterfrau aber, die für eine fünfköpfige Familie wirthschaftet, muß den Herren Ochsengrafen und ihren Erwerbsgenossen" in Folge des vertheuerten Brotes nicht weniger als 35 Mt. durchschnittlich steuern. Und auch ihre unfreiwillige Liebesgabe" ist um so höher, je armseliger der Küchenzettel der Familie ausfallen muß.
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Jede Erhöhung des Getreidezolls aber bedeutet eine weitere Bertheuerung des Brotes. Noch wissen wir nicht, wie hoch die Steigerung des Zolles sein wird, mit welcher die Regierung den begehrlichen Nachkommen der raubenden und reutenden Stegreifritter den Mund zu stopfen gedenkt. Aber aus all den Rebensarten von genügend";" angemessen" 2c., die dehnbar wie Kautschuk sind, darf man sicher annehmen, daß sie recht ansehnlich sein wird. Was die fürstlichen und gräflichen Brotwucherer als„ genügend" und angemessen" erachten, das haben ihre Preßkulis und politischen Sachwalter seit Langem verkündet. Einen Zoll von 7 und 8 Mt. fordern Die, welche sich als die Bescheidenen" aufspielen, einen Zoll von 10 Mt. Jene, welche einen noch robuſteren Appetit nach fetten Profiten verspüren. Und wenn auch die agrarischen Bäume nicht bis in den Himmel des verlangten Hungerzolls wachsen, so ist doch jede Erhöhung über den geltenden Satz von 3,50 Mt. hinaus, ja die Aufrechthaltung dieses Sazes selbst, ein Raub, ein Verbrechen an den Volksmassen.
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Legen wir die angeführten amtlichen Zahlen über den durchschnittlichen Getreideverbrauch zu Grunde, so würde bei einer Erhöhung des Roggen- und Weizenzolls auf 5 Mt. für den Doppelzentner der jährliche Brotbedarf der Arbeiterin im Durchschnitt um 10 Mt. vertheuert, bei einem Zoll von 6 Mt. um 12 Mr., bei einem solchen von 7 Mt. um 14 M., ein 8 Mt.- Saß steigerte ihre Ausgabe um 16 Mt. Die Hausmutter einer Proletarierfamilie von 5 Personen müßte im Durchschnitt dem erhöhten Zollsage entsprechend 50, 60, 70 und 80 Mt. jährlich mehr für Brot aufwenden, als es ohne den Zoll der Fall wäre.
Welchen Jammer dieſe trockenen Zahlen in sich schließen, kann man nur ermessen, wenn man ihnen das Einkommen der Arbeiterin, der proletarischen Familie gegenüberstellt. Nach einer Erhebung des Berliner Magistrats( S. Nr. 2 der„ Gleichheit") hatten 1898 von 39 Arbeiterinnenkategorien 14 einen Jahresver dienst von unter 500 Mt., ja 4 davon unter 400 mt. In Halle verdienen nach dem Bericht des Gewerkschaftskartells die Tertil arbeiterinnen im Minimum 250, im Maximum 450 Mt., im Durchschnitt 300 Mt. jährlich; die Holzarbeiterinnen erzielen Wochenlöhne von 6 Mt. bis 10 Mt. 60 Pf. Leipart berechnet in seiner sehr sorgfältigen Studie„ Die Lage der Arbeiter in Stuttgart " den durchschnittlichen Wochenverdienst einer ledigen Arbeiterin in dieser Stadt mit 9 Mt. 8 Pf. Das jährliche Durchschnittseintommen eines verheiratheten Berufsarbeiters beträgt nach der gleichen Quelle in Stuttgart 1187 Mt. Daß dieses Einkommen für Zehntausende deutscher Arbeiterfamilien ein unerreichbares Glück" ist,
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