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lichen Gebäude, selbst auf den Gefängnissen, die drei schönen, aber noch immer inhaltlosen Worte ,, Liberté, Egalité, Fraternité"( Freiheit Gleichheit, Brüderlichkeit) stehen, haben die Arbeiter ebenso unter dem Joche des Kapitalismus zu leiden, wie in den Fabriken des Zarenreichs oder bei uns, im Musterlande der Sozialreform". Wie richtig diese Anschauung ist, lehrt uns eine Betrachtung französischer Arbeiterinnenverhältnisse, die auf Grund eines jüngst erschienenen, durch die Fülle seiner Materialien werthvollen Buches* möglich ist. Man zählte 1891 in Frankreich   468773 Arbeiterinnen im Berg­bau und in der Großindustrie( 36 Prozent der beschäftigten Personen), 821 662 Arbeiterinnen in der Klein- und Hausindustrie( 44 Prozent der Beschäftigten), 1244965( 29 Prozent) in der Landwirthschaft, dem Wein- und Gartenbau und verwandten Berufen, somit im Ganzen 2535400 Lohnarbeiterinnen gegenüber 4788737 Lohnarbeitern; auf je 1000 Arbeiter beider Geschlechter tamen somit 346 Arbeiterinnen. Hierzu kommen noch die zahlreichen in den Berufen des Handels thätigen Frauen und Mädchen. Genau so wie bei uns beobachtet man in Frankreich   einen steigenden Antheil der Frauenarbeit an der Produktion und im Handel. Das Kapital hat überall den gleichen Nußen der Frauenarbeit für sich entdeckt, bei oft gleicher Leistungs­fähigkeit, häufig größerer Genauigkeit, übertriebener Gefügigkeit, er­heblichere Billigkeit als die Mannesarbeit. Für Diejenigen, die sich viel Nutzen von der Verstaatlichung innerhalb unserer Wirthschafts­ordnung versprechen, mag es nicht uninteressant sein, daß die fran­ zösische   Staatsgewalt nur im Interesse der Ersparung Männerarbeit durch Frauenarbeit ersetzt hat. 1891 kamen im französischen   Post­und Telegraphendienst auf 22700 definitiv Angestellte beider Ge­schlechter 9000 Schalterbeamtinnen und daneben fast ebenso viele nicht definitiv angestellte Beamtinnen; diese erhalten 640 bis 1440 Mt. im Jahre für eine Arbeit, die Männern mit 960 bis 3200 Mk. ent­schädigt wurde. Dieses System hat so gut gefallen, daß man sich 1894 entschloß, in den Pariser   Postämtern die Hälfte des Dienstes von Mädchen und Frauen versehen zu lassen. Die Telephonistinnen verdienen nach einer mehrmonatlichen Lehrzeit, während welcher fie auf jede Entschädigung verzichten müssen, 640 Mt. Jahresgehalt für eine der ungesundesten, nervenzerstörenden, in überhitzten Räumen zu leistende Arbeit.

Fürchterlich leiden die Arbeiterinnen, die den Zucker in Stücke zu theilen haben. Man braucht nur ihre Hände zu betrachten! Ihre Fingernägel sind zur Hälfte zerfressen, das letzte Glied des Fingers ist durch die Abreibung der Haut und durch die Abnutzung halbflach gequetscht, oft sieht man gar nichts vom Finger, sondern nur einen blutenden, mit einem Stück Leinwand umhüllten Stummel; trotz ihrer schweren Arbeit haben diese Arbeiterinnen keine Schwielen, der Zucker raspelt alles ab. Für 2 Mt. bis 2,16 Mt. arbeiten diese Frauen ohne Unterbrechung zwölf Stunden, gebogen über die Zuckerbrech maschine, oder die Zuckerstange unter die Säge hinstoßend, oder 16 Kilogramm schwere Zuckerfisten schleppend. Eine Arbeiterin hat im Tage 700 bis 8C0 solche Risten je 25 Meter zu schleppen. Männer würden in Paris   für eine Arbeit dieser Art 40 Pf. pro Stunde er­halten und schwer für diesen Lohn zu finden sein, die Arbeiterinnen speist man mit 16 Pf. pro Stunde ab. In der eigentlichen Zucker­fabrikation müssen sie zur Nachtzeit Runkelrüben verladen, sie wer­den den Männern bei dieser Arbeit vorgezogen, weil sie sich anstelliger zeigen und trotz Straßenschmutz und Regen ihre Arbeit fortsetzen; diese Arbeiterinnen erhalten einen Tagelohn von 1,60 bis 1,80 mf., während die Männer, die weniger leisten, 3,20 bis 3,60 Mt. erhalten. Ebenso ist das Verhältniß in der Spinnerei, die Arbeiterinnen er­halten 1,80 bis 2 Mt., die Männer dagegen 3,20 bis 3,60 Mt. In der Feilenindustrie von Cosne, einem Orte zwischen Paris   und Lyon  , arbeiten Frauen 15 bis 16 Stunden für einen Tagelohn von 1 bis 1,20 Mt., obgleich die Arbeit außerordentlich ungesund ist; im Hospital des Ortes liegen fast stets an Schwindsucht erkrankte Feilenhauerinnen.

Für eine bestimmte Theilarbeit in der Schuhmacherei von Angers   erhielten bis vor wenigen Jahren die Arbeiter 36 Pf. pro Stück, jetzt wird dieselbe Arbeit von Frauen für 25 Pf. ausgeführt. Je nach ihrer Geschicklichkeit verdient eine Verfertigerin von Todtenkränzen in Paris   48 bis 96 Pf. in einem Tage von zwölf Arbeitsstunden. Die Korsett und Fächerarbeiterinnen in Nemours   erhielten im Monat bei zwölfstündiger Arbeitszeit 15,20 bis 28 Mt., das heißt im Durch­schnitt einen Stundenlohn von 6% Pf. Aber selbst dieser Stunden­lohn wurde noch tiefer herabgedrückt; am 21. Juli 1894 wurde den Arbeiterinnen ein Lohntarif aufgezwängt, der die Entlohnung der Arbeitsstunde auf nicht ganz 32/3 Pf. pro Stunde herabdrückte. Diese Bettellöhne sind aber nicht Ausnahmefälle, erklärt doch der energischste Gegner des Sozialismus in Frankreich  , Leroy Beaulieu, der Führer

* Pelloutier  , Fernand et Maurice, La vie ouvrière en France ( Das Arbeiterleben in Frankreich  ). Paris   1900, C. Reinwald. 344 S.

der französischen   Manchesterleute, daß im Innern Frankreichs   200 000 Arbeiterinnen täglich weniger als 40 Pf. verdienen!

Wie können nun die auf sich allein angewiesenen Arbeiterinnen bei diesen niedrigen Löhnen auch nur vegetiren? Selbst in Paris  giebt es Arbeiterinnen, welche tagaus, tagein nichts anderes zu Mittag essen als um 8 Pf. Kartoffeln und zu Abend eine magere Gemüsesuppe; eine Pariser   Hemdennäherin gab täglich von ihrem Arbeitslohn von 1 Mt. für die Ernährung 60 bis 72 Pf. aus, und zwar 16 Pf. für ein Pfund Brot, 8 Pf. für Milch, 20 Pf. für Fleisch, 8 Pf. für Wein, 4 Pf. für Kohle, 8 Pf. für Gemüse und ebenso viel für Butter. Sicherlich sehr bescheiden! Aber wie müssen erst die Arbeiterinnen sich nähren, die glücklich wären, wenn sie so viel Tage­lohn hätten, als die Pariser   Hemdennäherin für ihre Ernährung ausgiebt; leider wissen wir über die Lebenshaltung der Ausgebeutetsten am allerwenigsten.

Leider ist nur ein verschwindend kleiner Theil der Arbeiterinnen, nur wenige Tausende, organisirt. 1893 gab es wenigstens blos 114 die neben Gewerkschaften- nicht einmal der zehnte Theil aller männlichen auch weibliche Mitglieder aufgenommen hatten. In Lyon  , wo 150 Gewerkschaften bestehen, haben blos neun auch Arbeiterinnen zu Mitgliedern, in Bordeau nur fünf und in Toulouse   nur drei, selbst in Paris   giebt es unter 262 Gewerkschaften nur elf mit männlichen und weiblichen Mitgliedern, daneben acht, die nur aus Frauen be­stehen; in diesen waren 821 Arbeiterinnen organisirt, ein verschwin­dend kleiner Bruchtheil der Arbeiterschaft.

Was den französischen   Arbeiterinnen, von verschwindenden Aus­nahmen abgesehen, fehlt, das ist das Klassengefühl, die Erkenntniß, daß ihre Nothlage nicht ein persönliches Unglück, sondern eine Folge unserer wirthschaftlichen Organisation ist, daß lediglich auf dem Wege des politischen Kampfes und der gewerkschaftlichen Organi­sation diese jammervolle Ausbeutung, unter der sie hoffnungslos seufzen, eingeengt und abgeschafft werden kann.

Aus der Bewegung.

a. b- n.

Von der Agitation. In Berlin   fanden im Kösliner Hof und in den großen Festsälen von Keller zwei Volksversammlungen statt, die von den Vertrauenspersonen der Genossinnen einberufen und bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Genossin Zetkin   sprach unter lebhafter Zustimmung der Versammelten über das Thema: ,, Was fordern die Hausfrauen und Mütter von der Gemeinde?" Sie zeigte, welche kommunalen Reformen nöthig geworden sind, um die Führung des Haushalts zu vereinfachen und zu erleichtern, um die Schwangere und Wöchnerin, sowie den Säugling zu schüßen, um die häusliche Erziehung des Kindes durch öffentliche Einrichtungen zu ergänzen. Eine unerläßliche Vorbedingung dafür, daß die Gemeinde alle ihre Aufgaben den Massen gegenüber erfülle, sei die Erringung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, ohne jede einschränkende Klausel, für alle Gemeindeeinwohner ohne Unter­schied des Geschlechts. Nur das kämpfende Proletariat werde auch auf dem Gebiet des kommunellen Lebens der herrschenden Gesellschaft die nöthigen Reformen abringen. Als Arbeiterin, als Hausfrau und Mutter werde die Proletarierin durch ihre Interessen gezwungen, an diesem Kampfe theilzunehmen. Die Diskussion, an der sich Genosse Stadtverordneter Hinze, Genossin Gubela 2c. betheiligten, brachte in beiden Versammlungen zustimmende Ausführungen. In Kellers Festsälen forderte Genossin Wengels, im Kösliner Hof Genossin Mesch die Anwesenden, besonders aber die Frauen, mit kraftvollen Worten zum Eintritt in die gewerkschaftliche Organisation und zum Kampfe in den Reihen der Sozialdemokratie auf.

In Schöneberg   fand eine gut besuchte Versammlung statt, in der nach einem Vortrag des Genossen Zubeil Genossin Meiling ihren Bericht als Vertrauensperson gab. Zum Zwecke der Agitation wurden von ihr im letzten Jahre 100,55 Mt. vereinnahmt und 91,51 Mt. verausgabt. Als Vertrauensperson für Schöneberg  wurde Genossin Meiling gewählt, als Revisorinnen die Genossinnen Selle und Schulz. Das Amt der Vertrauensperson für den Kreis Teltow Beestow Charlottenburg wurde Genossin Thiel über­tragen. In der Diskussion sprachen die Genossinnen Menze und Röntsch.

Von den Organisationen. In Mülhausen   i. E. hat sich eine Gruppe proletarischer Frauen zusammengeschlossen und seitens der Behörden die Genehmigung als Verein erhalten, die auf Grund des Gesetzes vom 10. April 1834 und Artikel 291 des französischen  Strafgesetzbuchs nöthig ist. Der Verein bezeichnet seinen Zweck in § 1 seines gebilligten Statuts wie folgt: Frauen und Mädchen jeden Standes durch praktische Anleitung in den verschiedenen Handfertig­keiten, sowie durch populäre Vorträge zu belehren, die allgemeine