die gewerbliche Nachtarbeit der Frau in der Fabrik begleiten, das erhellt aus dem folgenden Gutachten, das die Pariser Akademie der Medizin erstattete, als sich die französische Kammer mit der Be­rathung des Gesetzes von 1892 zum Schutze der Frauenarbeit be­schäftigte. Es gründet sich auf die Beobachtungen und Studien der Professoren Brouardel, Proust, Tarnier und Rochard und lautet:

,, Die Nachtarbeit in den Fabriken schädigt die Gesundheit der Frauen und die ihrer Kinder, sie schädigt ihre Sittlichkeit und die Interessen ihrer Familien. Die Nachtarbeit ist an und für sich schädlich und hat ernste Unzuträglichkeiten zur Folge, sogar dann, wenn sich die Frauen am Tage ausruhen können. Der Mangel an Schlaf ist für den Menschen eine der am schwersten zu tragenden Entbehrungen. Er wird noch drückender empfunden, wenn er sich zu einer einförmigen und durch Wiederholung der nämlichen Bewegungen ermüdenden Arbeit gesellt. Er ist vor Allem verhängnißvoll für die Gesundheit der Frauen. Bei Nachtarbeit magern sie ab und werden blutarm, und bald treten nacheinander und im Zusammenhang mit­einander alle Störungen des Nervensystems auf, welche die Blut­armuth nach sich zieht.

Gleichzeitig wird durch die lange Stunden bei unruhig flackern­dem Gaslicht verrichtete Arbeit das Sehvermögen geschwächt. Im Mutterschaftsfalle versiecht ihre Milch, und die ohnehin schon durch ihre beständige Abwesenheit stark geschädigte Gesundheit des Säug­lings wird endgiltig geopfert. Wir Franzosen wenden mit Recht unsere Aufmerksamkeit der ungenügenden Zahl der Geburten und der außerordentlich hohen Sterblichkeit der Kinder zartesten Alters zu; wir haben ein Gesetz gemacht, um diese zu beschützen, die Er­gänzung dieses Schutzgesetzes ist die Abschaffung der Nachtarbeit der Frauen, denn diese schädigt die Arbeiterbevölkerung an der Wurzel, indem sie die Familienmütter erschöpft.... Die Akademie erklärt, selbverständlich vom Standpunkt der Hygiene aus, daß ein Gesetz, welches den Frauen erlaubt, des Nachts in Fabriken und Werkstätten zu arbeiten, für deren Gesundheit die unheilvollsten Folgen haben

würde."

In dem gleichen Sinne erklärten sich 1890 vor einer parla­mentarischen Kommission der französischen Kammer mehrere Unter­nehmer, welche die kapitalistische Profitgier nicht ganz blind gegen schreiende Schäden gemacht hatte. Der Besitzer einer großen Woll­spinnerei in Tourcoing erklärte:

" Ich lasse seit vier Jahren in der Nacht arbeiten. Ich habe mehrmals Versuche gemacht, die Nachtarbeit der Frauen einzuführen. 3weimal mußte ich sie wieder abschaffen. Die Frauen ruhten am Tage nicht genug aus, weil sie die Wirthschaft versorgten und wuschen, so daß sie mit großer Neigung in die Fabrik kamen, über der Arbeit einzuschlafen. Meine durch wiederholte Versuche nun befestigte An­sicht geht dahin, daß die Frauen unfähig sind, des Nachts zu arbeiten."

Ein Mitglied der Handelskammer von Tourcoing äußerte sich wie folgt:

,, Die Frauen, welche Nachts gearbeitet haben, fommen nach Hause und versorgen die Wirthschaft, statt sich auszuruhen. Sie legen sich um 8 oder 9 Uhr Morgens schlafen. Um 11 Uhr stehen sie wieder auf, um das Frühstück zu bereiten, gegen 1 Uhr legen sie sich dann wieder nieder und schlafen bis um 5 Uhr. Der gewöhnliche Schlaf dieser Frauen beträgt nie mehr als fünf Stunden, und es ist ein unterbrochener Schlaf. Eine Frau, welche zehn Jahre in der Nacht gearbeitet hat, ist abgerackerter als eine Frau, die zwanzig Jahre am Tage gearbeitet hat."

Zeugnisse von Arbeiterinnen vor der erwähnten Kommission erhärten auf Grund von bitteren Erfahrungen am eigenen Leibe die charakteristischen verhängnißvollen Thatsachen. So erklärte eine Frau:

" Sechs Monate Nachtarbeit reichen hin, mich zu erschöpfen." Eine andere sagte:

" Ich habe drei Kinder. Fünf sind an Krämpfen gestorben oder verunglückt. Seit acht Jahren arbeite ich des Nachts."

Was in den vorstehenden Aussagen in Betreff der verwüstenden Folgen der Fabrikarbeit der Frau gesagt ist, das trifft ebenso für andere Frauen ihrer beruflichen Thätigkeit zu. Als der Abgeordnete Waddington der französischen Kammer Bericht über den Entwurf des erwähnten Gesetzes von 1892 erstattete, bestätigte er dies durch die folgenden Erklärungen junger Arbeiterinnen:

,, Drei Viertel der in Werkstätten beschäftigten Arbeiterinnen leiden an Blutarmuth und Bleichsucht. Die Nachtarbeit verschafft uns nur die Mittel, welche für den Ankauf von Medikamenten nöthig sind. Alle Arbeiterinnen, welche Nachts arbeiten, sind nach sechs Wochen frank und können nicht weiter schaffen."

Die Vertreterinnen der Arbeiterinnen in Pariser Schneiderwerk­stätten erklärten sehr bestimmt, daß sie absolutes Verbot der Nacht­arbeit forderten. Eine ältere Näherin meinte unter Zustimmung

anderer Arbeiterinnen:

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Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( 8undel) in Stuttgart. -

Wenn wir nicht so viel in der Nacht gearbeitet hätten, so müßten wir heute nicht fortwährend wegen Krankheit die Arbeit unterbrechen."

Mindestens ebenso zerstörend als die Nachtarbeit in Fabrik und Werkstatt wirkt die nächtliche Heimarbeit auf die Gesundheit der Frau ein. Ja in recht vielen Fällen wird sie dieser noch verderblicher werden, da sie meist unter den ungünstigsten sanitären Umständen stattfindet und begleitet von der niedrigsten Entlohnung, also von besonders schlechter Lebenshaltung und entsprechend geringer Wider­standskraft. Die blutleeren, abgespannten Gesichter, die fieberhaft glänzenden Augen unserer Heimarbeiterinnen, ihre eingesunkene Brust, der frühzeitig gefrümmte Rücken sprechen davon und die häufigen Erkrankungen der Athmungs- und Verdauungsorgane, des Nerven­systems u. s. w. bezeugen es.

Nachgewiesenermaßen steigert die Nachtarbeit für alle Arbeiter die gesundheitsschädlichen Einflüsse, unter welchen die ausgebeutete Arbeit leidet. Aber zwei Umstände bedingen es, daß die gewerbliche Nachtarbeit die Frau noch schwerer schädigt als den Mann. Einmal ist ihr Körper gegen gefährliche Einwirkungen widerstandsunfähiger als der seinige. Dann aber ist sie doppelt mit Arbeit und Pflichten belastet, zu der Erwerbsthätigkeit tritt das häusliche Schaffen.

Wohl ist in Deutschland für die Fabritarbeiterinnen die Nacht­arbeit gesetzlich verboten. Eine stattliche Reihe von Verordnungen und Ausnahmebestimmungen durchlöchern jedoch das Verbot. Der Beginn der Arbeit in den frühesten Morgenstunden und ihr Schluß nach der gesetzlich festgelegten Zeit rauben ganzen Arbeiterinnen­kategorien zeitweilig das genügende Maß an Nachtruhe. Die Be­willigung von Ueberstunden bewirkt das Gleiche, ebenso der gesetzes­brecherische Unfug, den Fabriksklavinnen Arbeit zum Ausfertigen mit nach Hause zu geben. Die Nachtruhe zahlreicher weiblicher Handelsangestellter ist eine dürftige, skandalös gering ist die Spanne nächtlicher Ruhe, welche den Kellnerinnen gewidmet werden soll. Davon zu schweigen, daß in der Heimarbeit dem nächtlichen Rackern und Schuften der Frau nicht die geringsten Grenzen gezogen sind. Wir fordern deshalb absolutes Verbot der Nachtarbeit für weibliche Arbeiter und Angestellte, ein absolutes Verbot, das keine Ausnahme­bewilligungen zuläßt, das Uebereinander vor Fabrikarbeit und Klein­arbeit ausschließt und durch die geforderte gesetzliche Regelung der Letzteren für alle Arbeiterinnen wirksam wird.

Fort mit der Nachtarbeit der Frau!

Frauenstimmrecht.

Für die Zuerkennung des Wahlrechts an die Frauen in dem australischen Staatenbunde, der bekanntlich alle englischen Kolonien Australiens umfaßt, hat sich Barton, der Premierminister des Bundes, in seiner Programmrede erklärt. Er verwies darauf, daß zunächst für die Wahlen zum Bundesparlament das Wahlrecht in den einzelnen Bundesstaaten das nämliche ist, wie für die Wahlen zum Staatsparlament. Daraus ergiebt sich, daß in den Kolonien, wo die Frauen das Wahlrecht zum Staatsparlament besigen, sie auch an den Wahlen zum Bundesparlament als stimmberechtigt theilnehmen. Nun wird allerdings das Bundesparlament ein einheitliches Wahl­gesetz für alle Bundesstaaten schaffen. Indessen ist es nach dem Premierminister ausgeschlossen, daß ein einmal zuerkanntes Wahlrecht den Wählern wieder genommen werde. Die Frauen werden mithin auch in diesem Falle dort, wo sie das Stimmrecht besigen, dieses Recht bei den Wahlen zum Bundesparlamente ausüben. Der Premier­minister fügte diesen Feststellungen noch folgende Aeußerungen hinzu: Ich war bisher oft im Zweifel über die Zweckmäßigkeit eines all­gemeinen Großjährigkeits- Wahlrechts, das also auch auf die Frauen ausgedehnt ist. Allein ich bin der Ansicht, daß das Wahlrecht in allen Bundesstaaten ein einheitliches sein sollte, um Verwirrung zu vermeiden. Obgleich die bisherigen Erfahrungen mich gelehrt haben, daß die Ausdehnung des Wahlrechts nicht die erwarteten Erfolge gebracht hat, so muß doch zugegeben werden, daß auch andererseits die vorausgesagten verhängnißvollen Folgen nicht eingetreten sind. Wenn daher das allgemeine Wahlrecht weder dem politischen noch dem häuslichen Leben schadet, kann das dann nicht als ein Grund für ein einheitliches Wahlrecht gelten? Ich muß meine Aeußerung jedoch insofern einschränken, als ich gegen die Ertheilung des Rechts an Frauen bin, einen Sitz im Parlament einzunehmen, falls Frauen gewählt werden sollten." Daß der Vorbehalt des Ministers gegen das passive Frauenwahlrecht ungerechtfertigt und ein Ueberlebsel alten Vorurtheils ist, erweisen Thatsachen. Ueberall, wo Frauen als Er­wählte in kommunalen oder gesetzgebenden Körperschaften Siz und Stimme haben, hat dies dem politischen und häuslichen Leben" ebenso wenig zum Schaden gereicht, wie daß Frauen als Wählerinnen zur Urne gehen.

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Drud und Verlag von J. H. W. Die Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart .