zogen sich ausnahmslos auf„etwas besser gestellte Arbeiter", sogar auf verhältnißmäßig gut gestellte Arbeiter. Und doch erwiesen sie das Fehlen der wichtigsten materiellen Vorbedingungen, unter denen eine leistungsfähige Wirthschaftsgenossenschaft zu funktioniren vermag. In Wirklichkeit kann also der genossenschaftliche Großhaushalt nur von Proletariern getragen werden, die sich in sehr guten, in ausnahmsweise günstigen Verhältnissen befinden. Die Schichte dieser Proletarier, die sich mit ihrem Einkommen, ihrer Lebenshaltung bürgerlichen Verhältnissen nähern, ist winzig dünn. Genossin Braun rechnet aber wiederholt mit einer sehr beträchtlichen Ausdehnung der Wirthschaftsgenossenschaften. Denen, welchen es Kraftvergeudung dünkt, eine Reform durchzusetzen, die nur einem kleinen Kreise zu Gute kommt, hält sie entgegen:„Alle Reformen, auch die größten, haben klein angefangen". Sie verweist darauf, daß„aus dem kleinen Kramladen der armen Arbeiter zu Rochdale die riesige englische Konsum- genossenschaftsbewegnng herausgewachsen ist". Offenbar hofft also Genossin Braun für die Wirthschaftsgenossenschaftsbcwegung auf eine ähnliche Entwicklung, und dies trotz der wesentlich verschiedenen wirthschaftlichen und psychologischen Bedingungen, welche für die eine und andere in Frage kommen. Genossin Braun stellt ferner als Folge„sehr starker Ausbreitung von Wirthschaftsgenossenschaften" eine Förderung des Einschreitens gegen die Hausindustrie in Aussicht. Ebenso erwartet sie, daß die von ihr empfohlene Reform der Hauswirthschaft zur Lösung der Dicnstbotenfrage beiträgt, weil sie ermöglicht, daß„die Dienstboten aus dem persönlichen Verhältniß zu ihrem Dienstherrn heraustreten und sich der Stellung der Fabrikarbeiterin annähern". Es versteht sich am Rande, daß auch diese Erwartung sich nur bei einem mächtigen Aufschwung der Wirthschaftsgenossenschaftsbewegung erfüllen kann. Entweder setzt also Genossin Braun mit Nichtbeachtung ausschlaggebender Verhältnisse die Möglichkeit voraus, daß die Wirthschafts- genossenschaftsbewegung über die kleinen Kreise der proletarischen „Oberen Zehntausend" hinausgreift und auch ausgedehnte Arbeiterschichten mit Durchschnittseinkommen erfaßt, oder aber sie hat die angezogenen Hoffnungen in die Luft gebaut. Der Satz, welcher den Kreis der Genossenschafter einschränkt, entpuppt sich mithin als eine inhaltslose Formel. Es sei an dieser Stelle eine sich aufdrängende Abschweifung von der Hauptfrage gestattet. Genossin Braun erklärt, daß eine Lösung der Dienstbotenfrage durch Annäherung der Stellung der Dienstboten an die der Fabrikarbeiterin„nur in Wirthschaftsgenossenschaften möglich, wo neben höherem Lohn und besserer Wohnung eine Regelung der Arbeitszeit durchführbar ist". Nun sei es fern, die letzteren Vortheile zu leugnen und den Einfluß zu unterschätzen, den eine sehr ausgedehnte Wirthschaftsgenossenschafts- bewegung auf die Umwandlung der Stellung der Dienstboten auszuüben vermag. Aber diese Umwandlung geht dank des Zusammenwirkens verschiedener Umstände auch in dem Privathaushalte vor sich und ist nicht nur in Wirthschaftsgenossenschaften möglich. Die Ansätze zur Annäherung der Stellung der Dienstboten an die der gewerblichen Arbeiter zeigen sich mehr oder minder deutlich erkennbar in Australien , Amerika , England und sogar in Deutschland . Die diesbezügliche Entwicklung scheint besonders in Australien schon weit fortgeschritten. Ein großer Theil der Dienstmädchen hat hier — dafern richtig ist, was wiederholt berichtet wurde— auch im Privathaushalt höheren Lohn, bessere Wohnung und kürzere, bestimmt begrenzte Arbeitszeit. Arbeitsleistungen, die nicht in dieselbe fallen, müssen durch besondere Hilfskräfte erledigt oder besonders bezahlt werden. Die Lösung der Dienstbotenfrage in Genossin Brauns Jdeal- genossenschaft erscheint übrigens in einem höchst eigenthümlichen Lichte. Die Haushaltungsarbeiten— von dem Reinigen der Wohnungen abgesehen— für 50 bis 60, ja 80 Familien, und zwar vielköpfige Proletarierfamilien, sollen von einer erfahrenen Wirth- schafterin mit Hilfe von einem oder zwei Küchenmädchen besorgt werden. Auch wenn man annimmt, daß diesem Wirthschaftspersonal die vollrommensten arbeitsparenden Maschinen und Einrichtungen zur Verfügung stehen, bleibt doch eine respektable Summe von Arbeit übrig, die nicht eben auf eine kurze Arbeitszeit schließen läßt. Genossin Braun überweist ferner die Pflege- und aufsichtsbedürftigen Kleinen der 50, 60 oder 80 Familien ihrer Genossenschaft einer einzigen Kinderwärterin! Es ist dies eine so verblüffende Lösung dec Dienstbotenfrage, daß sie zweifelsohne eine Prämiirung seitens unverfälscht„guter Hausfrauen" verdient, bei denen eine blinde Sparwuth jede Rücksicht auf die Person der Kinderwärterin, aber auch jede Rücksicht auf das Gedeihen der Kinder todtgeschlagen hat. Denn die unglückseligen Pfleglinge der einzigen Jdealgenossenschafts- Kinderwärterin wären unstreitig ebenso tief zu beklagen, als diese lebendige Kinderwartemaschine selbst. Man vergesse doch eins nicht. Es handelt sich um die angegebene Zahl von Proletarierfamilien. Diesen eignet aber bekanntlich und glücklicherweise nicht die Gepflogenheit jener äußerlich gebildeten, aber innerlich rohen und geschmacklosen Herren und Damen, die als wichtigstes Stück der Aussteuer das Präservativ gegen die Empfängniß mit in die Ehe bringen und deshalb nie über das berühmte„einzige Kind" oder das„wohlassortirte Pärchen" hinauskommen. Die Arbeiterfamilien sind in der Regel kindergesegnet. Auch den Umstand berücksichtigt, daß sicherliche viele Kinder der Genossenschaster die Schule besuchen, bleiben doch so zahlreiche Kleine zu beaufsichtigen und zu warten, daß die Kräfte einer einzigen Person für die verantwortungsreiche Aufgabe durchaus ungenügend sind. Selbstverständlich wird es Niemand im Schlafe einfallen, die eine Kinderwärtertn aus Genossin Brauns Jdealgenossenschaft als Beweis für die llndurchführbarkeit des kooporativen Großhaushalts auszuspielen. Wenn die wichtigsten praktischen Vorbedingungen für Gründung und Existenz einer Wirthschaftsgenossenschaft vorhanden sind, ermöglichen die Ersparnisse des Großbetriebs sicher ohne erhebliche Schwierigkeiten die Anstellung eines genügend zahlreichen Wirthschasts- und Wartepersonals, das bei kurzer, geregelter Arbeitszeit ohne Ueberanstrengung allen Anforderungen entsprechen kann. Wohl aber sind die krilisirten Einzelheiten charakteristisch für die Nichtachtung— um einen milden Ausdruck zu gebrauchen, — mit der Genossin Braun an den Thatsachen des realen Lebens vorübergegangen ist. Und zwar nicht blos an Thatsachen, welche für die Beantwortung der strittigen Frage von so verhältnißmäßig nebensächlicher Bedeutung sind, als die bemängelten Umstände. Vielmehr auch an Thatsachen, die eindringlich, beweiskräftig dar- thun, daß die Wirthschaftsgenossenschaft ein unerreichbares Ideal gerade für die proletarischen Schichten bleibt, denen das kapitalistische Regime die Erwerbsarbeit der Frau aufzwingt, die mithin der Wirthschaftsgenossenschaft am dringendsten bedürfen, den größten Nutzen von ihr hätten. Kann trotzdem die Wirthschaftsgenossenschaft eine Bedeutung für die Arbeiterklasse beanspruchen, die eine kräftige Agitation zu ihren Gunsten rechtfertigt, herausfordert? Die Antwort auf diese Frage in dem folgenden Schlußartikel. Klara Zetkin . Frauenarbeit in Hessen - Darmstadk. I. Die Arbeiterinnen nnd die Gewerbeaufsicht. In dem Anfangs Mai erschienenen Jahresbericht der groß- herzoglich hessischen Gewerbeinspeklion für das Jahr 1900 glaubt der Aufsichtsbeamte für Mainz feststellen zu können, daß wohl die männlichen Arbeiter, besonders die organisirten, das rechte Verständniß für die Gewerbeaufsicht zeigen, die Arbeiterinnen dagegen sich noch in ihrer Mehrheit theilnahmslos verhalten.„Trotzdem sich die Assistentin viel Mühe gegeben hat, war leider ein Erfolg in keiner Weise zu erblicken." Die von den Vertrauensleuten des Offenbacher Gewerkschaftskartells— hierunter befindet sich auch eine Frau, die mit der Assistentin für die Arbeiterinnen in Verbindung tritt— vorgebrachten Beschwerden zeichnen sich nach dem Zeugniß des Aufsichtsbeamten durch Sachlichkeit aus;„es ist anzunehmen, daß dieselben, bevor sie den Beamten vorgetragen werden, von den Vertrauensleuten einer Prüfung unterzogen werden." Die Arbeiterinnen einer Hadernsortiranstalt des Darmstädter Aufsichtsbezirkes beschwerten sich bei dem Aufsichtsbeamten über schlechte Behandlung durch ihre Aufseherin, willkürliche Lohnabzüge u. f. w. Nach mündlicher und schriftlicher Auseinandersetzung mit dem Inhaber der Anlage und der Aufseherin bestätigten später die Arbeiterinnen dem Beamten, daß eine entschiedene Besserung der Verhältnisse eingetreten sei. lieber den Werth der Einführung weiblicher Beamten in den Aufstchtsdienst
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11 (17.7.1901) 15
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