auch einige Gegenwartserfolge zu opfern, muß bereit sein, um der fünftigen Siege willen etliche vorübergehende Wahlniederlagen mit in den Kauf zu nehmen. Die Forderung des Frauenwahlrechtes ist außerdem für die Sozialisten eine grundsätzliche Forderung, die durch das Prinzip der Gleichberechtigung bedingt wird, welches die Grundlage des sozialistischen Programms bildet. Uebrigens haben die Klerikalen die Frage nur in den Vordergrund geschoben, um die Opposition zu theilen. Im Hinblick auf die unausbleiblichen Folgen werden sie sich wohl bedenken, das Frauenwahlrecht thatsächlich einzuführen. Berragan betonte nachdrücklich: Wir vlämischen Sozialisten fürchten das Frauenwahlrecht nicht. Wenn die Frauen nicht genügend politisch aufgeklärt sind, so ist das zum Theil unsere eigene Schuld. Bertrand erklärte darauf, daß diese Ausführungen ihn überzeugt hätten, und daß er der Meinung der Majorität beitrete, welche für das Frauenstimmrecht war. Mit allen gegen eine Stimme nahm darauf der Generalrath folgende Resolution an:„ Der Generalrath erinnert die Organisationen und Mitglieder der Partei an die früheren Beschlüsse, die politische Gleichberechtigung beider Geschlechter anbelangend und fordert sie auf, die Agitation unter den Frauen mit allem Nachdruck zu betreiben." Die belgischen Sozialistinnen, die unter Führung der Genossin Gatti de Gamond eine rührige Agitation für das Frauenwahlrecht betreiben, dürfen auf Grund ihrer Leistungen ihr Theil Verdienst an diesem Beschluß beanspruchen.
Die Anhänger des Frauenstimmrechtes in England find bis unter den Ministern zu finden. Nicht weniger als vier Mitglieder des gegenwärtigen Kabinets sollen für die Einführung des Frauenwahlrechtes sein, nämlich die Minister Mr. Balfour, Lord Selborne, Mr. Wyndham und der Ministerpräsident Salisbury selbst. Ein Verein männlicher Wähler in London unterstützt bei den Wahlen nur solche Kandidaten, die Anhänger des Frauenstimmrechtes sind.
Das Gesetz, welches den steuerzahlenden Frauen des Staates New York das kommunale Wahlrecht verleiht, ist fürzlich vom Gouverneur bestätigt worden. Die Agitation für diese Neuerung, welche nun in Kraft tritt, begann in den achtziger Jahren. Mehrmals beschloß das Unterhaus, den Steuerzahlerinnen das Gemeindewahlrecht zu verleihen, der Senat aber stimmte das betreffende Gesetz stets nieder. Schließlich aber ist dieser mit 27 gegen 14 Stimmen dem letzten Antrag zu Gunsten des Frauenwahlrechtes beigetreten.
Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.
Die Wiener Genosfinnen bei der Landtagswahl in Favoriten. In dem Wiener Bezirk Favoriten, der hauptsächlich von Arbeitern bewohnt ist, fand kürzlich eine Erfahwahl für den niederösterreichischen Landtag statt. Genosse Dr. Adler, der auf opfernde, verdiente und kenntnißreiche Vorfämpfer des Sozialismus in Desterreich, trug es im Kampfe über den Kandidaten des christlich sozialen Reaktionsgesindels davon. Der Sieg, der von den Sozialisten aller Länder mit freudiger Genugthuung begrüßt wird, ist um so höher einzuschätzen, als er auf Grund eines reaktionären Wahlrechts errungen werden mußte. Das Wahlrecht zu dem niederösterreichischen Landtag ist an einen Zensus gebunden, dessen geringster Satz noch 3 Gulden 60 Kreuzer beträgt, ferner an die Zuständigkeit und dreijährige Seßhaftigkeit. In der Folge konnten gegen 12000 Proletarier weniger stimmen, als es beim allgemeinen und gleichen Wahlrecht der Fall gewesen wäre. Dazu kam, daß die Christlichsozialen mit allen Mitteln der Macht und List in der skrupellosesten Weise für ihren Kandidaten wirkten. Daß der Sozialist trot Allem den Sieg errang, ist auch der ungemein rührigen und planmäßigen Arbeit der Wiener Genossinnen zu verdanken. Sie organisirten u. A. eine öffentliche Frauenversammlung, in der die Zuhörerinnen über die Befugniß des Landtags und die Thätigkeit der Landtagsabgeordneten unterrichtet wurden. Die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen wohnten der Versammlung massenhaft bei. Die Genossinnen hielten außerdem sektionsweise Versammlungen ab, und zwar meist geschlossene Versammlungen, in denen die Frauen darüber belehrt wurden, wie sie sich in der Wahlkampagne nützlich erweisen könnten. Ihre Aufmerksamkeit wurde auf die christlichsozialen Agitatoren gelenkt, welche die Häuser mit Flugblättern 2c. überschwemmten, in denen die Sozialdemokratie und Genosse Adler in der gemeinsten Weise verleumdet und beschimpft wurden. Hier galt es gerade durch die Wachsamkeit und den Eifer der Frauen den Finsterlingen entgegen zu wirken. Ferner mußten die Frauen über all die gewaltthätigen und schlauen Kniffe und Pfiffe aufgeklärt werden, deren sich die Christlichsozialen am Wahltag zu bedienen pflegen, um Stimmen zu fangen. Schließlich wurden die Frauen in all den praktischen Kleinarbeiten unterwiesen, die vor und während der Wahl nothwendig werden. Die Genossinnen von Favoriten, der Mehrzahl nach Arbeiterinnen, haben sich mit größter Freudigkeit und ohne Rücksicht auf die erforderlichen Opfer an Zeit
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und Mühe in den Dienst des Wahlkampfes gestellt. Sie halfen be den Schreibarbeiten, bei Vertheilung der Wahlschriften, sie arbeiteten am Wahltag in den Sektionen mit, sie holten säumige Wähler zur Urne, sie verfolgten das Treiben der christlichsozialen Agitatoren und Wahlschlepper und durchkreuzten es in zahlreichen Fällen erfolgreich 2c. Neben den Proletarierinnen und erprobten Genossinnen wirfte auch eine Anzahl bürgerlicher Frauen, die für gewöhnlich nicht im politischen Leben hervortreten, für den Sieg des Sozialisten. Sie gingen von Wähler zu Wähler, um zur Wahl des Sozialdemokraten aufzufordern 2c. Wie die Genossinnen, so wanderten sie treppauf, treppab und steckten manche Grobheit, manche Beleidigung ein. In jeder Hinsicht bethätigten die Damen einen Muth und eine Opferfreudigkeit, wie sie die deutschen Frauenrechtlerinnen bisher nicht einmal für einen gut bürgerlichen Kandidaten aufgebracht haben, geschweige denn für einen Mann des Umsturzes". Wie in den Wohnungen, so flogen auch in den Straßen den Frauen, welche für die Wahl Dr. Adlers thätig waren, allerhand Insulten nach. Daß sie alle zu„ Jüdinnen" gestempelt wurden, war oft noch der mildeste Schimpf, den man ihnen anhing. Auch an„ freundlichen Mahnungen" fehlte es nicht, lieber zu kochen und Strümpfe zu stopfen, als für einen Juden zu agitiren 2c. Als endlich am Abend des Wahltags der Sieg des Genossen Adler verkündigt wurde, da befanden sich unter den. begeisterten Voltsmassen, die nach den sozialistischen Versammlungslokalen wogten und diese überfüllten, auch dichte Schaaren von Frauen.
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Die Christlichsozialen haben sich für die Wahlarbeit der Frauen in einer Weise gerächt, die allein hinreicht, diese Reaktionäre für immer der tiefsten Verachtung aller anständig denkenden Menschen zu überantworten. Die Deutsche Zeitung", ein führendes Organ der Luegerpartei, die doch auf ihre antisemitischen„ Amazonen" so stolz war, schrieb:„ Sie haben es also wirklich erreicht, die Sozialdemokraten und ihre Verbündeten von den Prostituirten an bis hinauf zu den Automobilbesitzern... Von den einfachen Mitteln der Wahlbeeinflussung bis zum offenen Straßenraub haben die Sozialdemokraten und ihre Helfershelfer geleistet, was nur zu leisten war. Doch damit nicht genug, setzten sie noch einen neuen Trick in Szene, der hiermit allen Geistesverwandten der Sozialdemokraten empfohlen, für alle Zeiten aber zur Schmach und Schande dieser Partei, die Thron, Altar und Familie den Tod geschworen hat, festgenagelt sei: Dutzende von„ Priesterinnen" der freien Liebe, von denen ein Theil als Insassinnen eines in der Novaragasse unschwer anfzufindenden Hauses festgestellt wurde, wurden mit der bekannten Talmi- Eleganz aufgeputzt und in Fiaker gesetzt, um säumige Wähler für Dr. Adlers Wahl zu interessiren. Mit was für Mitteln diese Dirnen es dahin gebracht haben, die Wahlberechtigten zu überzeugen, daß der Jude Adler der richtige Vertreter für den Bezirk Favoriten sei, daß weiß außer den„ Betheiligten" nur noch die Polizei, welche mehrere dieser Hetären abfing und ihnen ihr sauberes Handwerk zumindest für die Dauer des heutigen Tages legte. Die Arbeiter aber, welche von ihrem sauer erworbenen Verdienst zu den verschiedenen sozialdemo= kratischen Fonds beizusteuern gezwungen sind, mögen es wissen, wohin ihre Arbeiterkreuzer gewandert sind. Billig sollen die„ Pensionsvorsteherinnen" aus der Novaragasse ihre lebende Waare nicht außerdienstlich weiter geben. Einem fünftigen Sueton möge es vorbehalten sein, dieses Schandkapitel aus der Geschichte sozialdemokratischer Korruption festzuhalten! Für die Bundesgenossen der Sozialdemofraten muß es aber ein erhebendes Gefühl sein, Schulter an Schulter mit diesem weiblichen Abschaum der Menschheit gefämpft zu haben für den Juden Adler, in einer Reihe gestanden zu sein mit öffentlichen Schanddirnen, als es galt, den Antisemiten ein Mandat zu entreißen." Das Deutsche Volksblatt" leistet sich folgende Gemeinheit: Bemerkenswerth und kennzeichnend für die tiefe Stufe, auf welcher die Sozialdemokratie bei uns steht, ist auch der Umstand, daß zwölf Prostituirte mit aller Kraft für die Sozialdemokratie agitirten." Und die Reichspost" spricht von„ Priesterinnen der freien Liebe", von„ jüdischen Prostituirten aus der Leopoldstadt ", vom Abschaum des weiblichen Geschlechtes"...
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Die Wiener Arbeiter Zeitung" antwortet auf diese bodenlose Niedertracht treffend das Folgende:" Es ist ein widerwärtiges Geschäft, einen Strolch öffentlich zu züchtigen. Aber hier wird die Züchtigung zur Pflicht, und so erklären wir den Menschen, der diese Schamlosigkeiten niedergeschrieben, hiermit laut und öffentlich für einen ehrlosen Schuften, für einen niederträchtigen Lumpen, und wir bedauern lebhaft, daß wir nicht seinen Namen kennen, um den Schandbuben Jedermann kenntlich an den Pranger zu stellen. Wenn in der Redaktion des christlichsozialen Blattes nur ein Funke von Ehrgefühl lebt, so wird sie sich diese öffentliche Brandmarkung eines ihrer Mitglieder nicht gefallen lassen fönnen. Sie wird darauf bestehen, daß der elende Kerl flage, daß er den unsäglichen Schimpf,