Nr. 17.

Die Gleichheit.

11. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 14. Auguſt 1901.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

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Für Brot, Bildung und Freiheit! Arbeiterinnen, organisirt Euch!- Frauenarbeit in Bremen  . Von a. br. Rückblick auf den Ausstand in Cunewalde  . Von W. Kähler. Aus der Bewegung. Feuilleton: Krisis. Ein Sonnenstrahl. Gedichte von E. Preczang. Notizentheil: Arbeiterinnenstreik. Frauenstimmrecht. Frauenbewegung. Weibliche Fabrikinspektoren.

Für Brot, Bildung und Freiheit!

Für Brot, Bildung und Freiheit drängt sich in diesen Tagen den arbeitenden Massen Deutschlands   ein heißer Kampf auf, bei dem die proletarischen Frauen energievoll und begeistert in den ersten Reihen fechten müssen.

Die längst drohende Gefahr von Wucherzöllen auf Brot und anderen unentbehrlichen Lebensmitteln hat feste Gestalt ge= wonnen. Wissende plauderten aus der Schule. Sie enthüllten durch Angaben über einzelne geplante Zollerhöhungen, daß die Regierung Willens ist, die Interessen der millionenköpfigen arbei­tenden Bevölkerung der nimmersatten Gefräßigkeit einer Handvoll Junker zu opfern. Die Regierung hat in der Folge der Noth gehorchend, nicht dem eignen Trieb im Reichsanzeiger" den Entwurf eines Zolltarifgesezes nebst dem dazu gehörigen Tarif veröffentlicht.

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Bestätigt sind nun die allerschwärzesten Befürchtungen, welche betreffs einer künstlichen Vertheuerung der Lebensmittel und einer schweren Störung des nationalen Wirthschaftslebens in den letten Monaten die Massen durchzittert haben. Nicht nur Brot, Mehl und aus Mehl hergestellte Nahrungsmittel sollen durch eine gemein­gefährliche Erhöhung der Zölle noch weiter vertheuert werden. Die Regierung will vielmehr, daß fortan bedeutend gesteigerte Zollfäße auch die Preise für Vieh, Fleisch, Gries, Graupen, Hülsenfrüchte, getrocknetes Gemüse, frisches und trockenes Obst, Eier, geschlachtetes Federvieh, Hopfen, Petroleum 2c. zu unerschwing­licher Höhe emportreiben. Ebenso sollen viele Industriezölle wesentlich erhöht werden.

Theuerungspreise, Hungerpreise für die unentbehrlichsten Lebens­bedürfnisse grinsen der Proletarierin aus allen Bestimmungen des Entwurfes entgegen. Und neben ihnen lauert noch eine andere, fürchterliche Plage. Die der Zollfriege mit den Staaten, deren Einfuhr nach Deutschland   unter den Wucherzöllen leiden müßte. Zollkriege oder auch nur beträchtlich erschwerte und gestörte wirthschaftliche Beziehungen mit anderen Ländern schlagen aber dem Wirthschaftsleben des deutschen Volkes, zumal aber der deutschen Arbeiterklasse, die tiefsten, brennendsten Wunden. Kein Absaz mehr oder nur geringer Absatz von deutschen   Waaren nach dem Aus­land, und es stockt Handel und Wandel im Reiche. Die Arbeits­gelegenheit wird seltener, es sinken die Löhne, Tausende und Zehn­tausende von Lohnsflaven fliegen beschäftigungslos, brotlos aufs Pflaster. Werden die Zölle erhöht, so brausen also von zwei Seiten her Riesenwogen von Sorgen und Nöthen der schlimmsten Art über die deutsche Arbeiterklasse herein.

Theuerungspreise und Flaue, d. h. geringeres Einkommen, vielleicht gar kein Einkommen, und der Masse der frohndenden Habenichtse wird im buchstäblichsten Sinne des Wortes das Stück Brot vom Munde gerissen, sie wird dem Hunger preisgegeben, es

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

steigen ihre Entbehrungen, es wächst ihre Pein. Und was be= deutet das anders, als eine Einbuße an Lebensfreude, Gesundheit und Lebenskraft für Die, denen dies alles ohnehin recht spärlich zufällt!

Das Brot bedroht und mit ihm die Bildung bedroht, die Freiheit bedroht! In der That: jeder Pfennig mehr, den die Männer und Frauen der Arbeit für des Leibes Nahrung und Nothdurft ausgeben müssen, mindert den schmalen Betrag, den sie für Bildungszwecke aufwenden können. Die steigende Last_an Sorgen, Entbehrungen und Hunger drückt die Frische und Em­pfänglichkeit des Geistes herab, lähmt die Kraft des Willens. Matt und kraftlos läßt das drängende Begehren nach Aufklärung und Wissen, nach höherer Kultur und Freiheit die Flügel hängen. Bildung und Freiheit gefährdet, nicht bloß durch die unvermeid­lichen wirthschaftlichen Ergebnisse der Wucherzölle, sondern auch durch ihre politischen Folgen! Die Theuerungspreise stärken mit der Mammonsgewalt auch die politische Macht des Junkerthums. Das Junkerthum haßt aber Bildung und Freiheit des arbeitenden Boltes gleich Todsünden. Entreißen sie doch die robottenden Massen der Ausbeutung der blaublütigen Sippe. Kein Zweifel deshalb; diese wird ihre gefräftigte politische Herrenstellung brauchen und mißbrauchen, um auf allen Gebieten Bildung und Freiheit Derer zu beschneiden, die ihr zins- und tributpflichtig bleiben sollen. Brot, Bildung, Freiheit in Gefahr Güter, welche die ausbeutenden und herrschenden Klassen so wie so schon den Aus­gebeuteten und Unterdrückten recht färglich zumessen, dieser Ruf müßte auch die letzte Arbeiterin, die letzte Arbeiterfrau in die Reihen der Kämpfer wider die Wucherzölle treiben.

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Wen drückt die Sorge um das tägliche Brot schwerer, als die Lohnsflavin, die von dem profithungrigen Unternehmer für ihr Mühen mit Bettelpfennigen abgefunden wird; als die proletarische Hausmutter, die mit winzigem Wirthschaftsgelde zahlreichen Essern den Tisch bestellen muß. Schon jetzt kann sich die Eine kaum satt essen, auch wenn sie tagaus tagein in Zichorienbrühe schlemmnt" und bei Kartoffeln und Hering" praßt". Schon jetzt kann die Andere kaum die nöthigen Rücklagen für Wohnung, Kleidung, Schuhwerk, Steuern 2c. ermöglichen, auch wenn sie mit der raffi­nirtesten Sparsamkeit" die dürftigsten Gerichte auftischt.

Und sind in unseren Zeiten nicht auch im Innern der Ar­beiterin, der Arbeiterfrau Stimmen lebendig geworden, die sehn­süchtig, eindringlich nach Aufklärung und Geisteslicht, nach höherer, voller Entwicklung der Persönlichkeit, nach Freiheit verlangen! Die denkende Proletarierin will aus einer sozial Unmündigen zur gleich­berechtigten Gesellschaftsbürgerin werden, aus einer ausgesaugten und gefnechteten Lohnsklavin zur freien Arbeiterin in einem Ge­meinwesen, von freien, gleichberechtigten Arbeitern. Sie weiß, daß sie Bildung und Freiheit bedarf, um in der einen und anderen Beziehung ihre Gleichberechtigung zu erkämpfen. Und fordert nicht das Mutterherz stürmisch, daß den Kindern an Bildung, Freiheit, Gleichberechtigung zu Theil werden soll, was der Frau heute ver­sagt bleibt!

Kein Wunder deshalb, daß neben dem Proletarier die prole= tarische Frau in dem Kampfe gegen die Wucherzölle, gegen die Wucherpolitik erscheint. Sie hat in dem Kampfe nicht blos ihre wichtigsten materiellen und ideellen Tagesinteressen zu schützen. Sie muß vielmehr ihre gesammten Klasseninteressen gegen die aus= beutenden Klassen und ihren Staat vertheidigen. Denn wie liegen