Der Kongreß des Bundes" beschäftigte sich dies Jahr vor Allem mit der Frage der Lebensversicherung und einer Reformgesetz­gebung zur Bekämpfung des Alkoholismus  . Er nahm zu letzterem Punkte eine Resolution an, welche die Uebernahme des Ausschanks von Spirituosen in die Regie der Gemeinden fordert. Der Kongreß sprach sich ferner durch die Annahme von Resolutionen für den frühzeitigeren Ladenschluß aus, für weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und Unterstellung der Hausindustrie unter das Fabrik- und Werkstättengesetz. Er verurtheilte, daß der eingebrachte Entwurf zu einem Erziehungsgesetz den Frauen gegen­über sehr rückschrittlich gehalten ist und protestirte energisch gegen die Zuckersteuer. Schließlich befürwortete er eindringlich, daß in den Läden der Konsumgenossenschaften nur Töpferwaaren verkauft wer­den sollten, bei deren Fabrikation kein Blei verwendet worden ist.

Frauenstimmrecht.

Ueber das Frauenstimmrecht sprach am 31. Juli im sozia­ listischen   Volkshause zu Brüssel Genosse Vandervelde   in einer auch von Frauen stark besuchten Versammlung. Dem interessanten Vor­trag entnehmen wir das Folgende:

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Die Grundsätze der katholischen Kirche   in Betreff der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft widerstreben der Gleichstellung der Geschlechter. In einem Briefe an die Korinther schreibe Paulus  : Wisset, daß Christus über dem Manne wie der Mann über der Frau steht. In der That ist nicht der Mann von der Frau, sondern die Frau von dem Manne genommen worden. Der Mann ist nicht für die Frau, sondern die Frau für den Mann geschaffen worden." Bossuet sage, die Frau, als Evastochter, sei nur ein überzähliger Knochen( un os surnuméraire). Diese Lehre des heiligen Paulus komme in der Encyklika Leo XIII.   vom Jahre 1878 in den Worten zum Ausdruck: Wie der Apostel uns lehrt, ist der Mann das Ober­haupt der Frau, wie Christus das Oberhaupt der Kirche ist." Im Haushalt, fuhr Vandervelde fort, sei die große Mehrheit der Frauen nichts anderes, als unbezahlte Dienstmägde und das bürgerliche Gesetzbuch ordne sie vollständig den Männern unter. Die Aufgabe des Sozialismus sei es, die Frau in sozialer und politischer Hinsicht zu befreien. Allerdings wäre es angezeigt, nur behutsam und schritt­weise vorzugehen und zuerst das weibliche Stimmrecht für die Wahl der Arbeitsräthe, der Gemeinderäthe und später auch der Abgeord­neten zu bewilligen, aber das Programm des internationalen Sozia­lismus, das im Jahre 1891 im Brüsseler Kongreß in Bezug auf die Frauenfrage festgelegt worden sei, enthalte eine Bestimmung, die seine Haltung vollauf rechtfertige. Die sozialistische Frau sei ihres Rechtes bewußt und werde es zu erobern wissen. Die Befürchtung, zwischen Mann und Frau würden politische Zwistigkeiten entſtehen, sei unbegrün det. Solche Zwistigkeiten seien doch auch heute schon vorhanden. Selbst der französische   Sozialistenführer Jaurès   habe mit seiner Frau einen Ausgleich schließen müssen, wonach seine Tochter zur ersten Kom­munion gehen durfte. Am häufigsten unterlägen die Männer in diesem Religionsstreit. In Belgien   sei die Mehrheit der Männer Freidenker, und doch seien von 785 000 Kindern der Volksschulen nur 13447 vom Religionsunterricht entbunden. Die Frau beherrsche den Mann und entziehe ihm die Kinder, so lange sie selbst nicht politisch dem Manne gleichgestellt und von diesem zu liberalen Anschauungen bekehrt worden sei. Gewiß würden die Liberalen und Sozialisten in den ersten Jahren der politischen Gleichstellung der beiden Geschlechter Wahlniederlagen erleiden. Doch diese Befürchtung sei kein hinreichen­der Grund, um den Ueberlieferungen des Liberalismus und Sozia­lismus untreu zu werden. Heute stimmten viele Männer wie ihre Frauen wollten, morgen aber würden viele Frauen wie ihre Männer stimmen. Die politische Erziehung der Frauen sei vernachlässigt wor den, weil die Männer diese Erziehung bei der untergeordneten Stel­Tung der Frauen als überflüssig erachtet hätten. Ueberflüssig sei sie aber nicht, denn die Erfahrung lehre, daß die Geistlichkeit sich der Frauen sehr geschickt als Wahlagenten bediene. In den Dörfern würden Donnerstags die sozialistischen   Redner von den Männern mit Beifall überschüttet, aber nachdem die Frauen, besonders vor der Hauptwahl, die ihnen vom Geistlichen ertheilten Rathschläge be­folgt hätten, trete regelmäßig ein Stimmungswechsel ein. Auf Befehl des Geistlichen übten heute die Frauen das Stimmrecht mittelbar durch Druck auf die Männer. Sobald die Frauen das Stimmrecht besäßen, unternähmen die Männer deren Bekehrung. Die Frauen blieben katholisch für den lieben Gott, würden sich aber in irdischen Angelegenheiten den Anschauungen der Männer anschließen, so daß ein Rückschritt auf lange Jahre nicht zu befürchten wäre.

In der Diskussion trat Rechtsanwalt Hennebicq den Ausfüh­rungen des Redners entgegen. Die idealistischen Anschauungen Van­derveldes seien eine Gefahr für die sozialistische Partei. Die Politik Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( 8undel) in Stuttgart  .

sei die Kunst, sich in möglichst kurzer Zeit der Staatsgewalt zu be= mächtigen, die Wissenschaft nicht der Zweck, sondern das Mittel. Anstatt Rometen nachzulaufen, sollte die Partei sich mit unmittelbar möglichen Dingen befassen. Der Einfluß der Frau bleibt stets zu befürchten, denn sie würde eher den Mann besiegen und bekehren, als sich befehren lassen. Lysistrate sei ein klassisches Beispiel. Sie herrsche wie mancher ungekrönte König und mancher Minister ohne Porte­feuille. Die Sozialisten dürften sich auf dem Wege nicht aufhalten, um Blumen zu pflücken, denn der Wolf lauere ihnen auf. Vander­ velde   habe nicht das Recht, unter dem Vorwand, der Gerechtigkeit Genüge zu thun, die Partei einer Wahlniederlage entgegenzuführen. Vandervelde erwiderte, die Politik sei für ihn die Kunst, die soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Ein Sozialist dürfe nicht, um den Klerikalismus einige Jahre früher zu stürzen, sein Jdeal und seine Grundsätze über Bord werfen. Das Wahlrecht sei das Mittel der Befreiung und die Sozialisten hätten die Pflicht, die Arbeiterinnen, die zwei Herren unterworfen seien, ihrem Arbeitgeber und ihrem Gatten, zu befreien. Hennebicq antwortete darauf: Die Ausübung des Wahlrechts durch die Frau ist widernatürlich, geschmackswidrig. Die Frau soll kein Mannweib werden und auf die Gefahr hin, un­galant zu werden, frage ich, ob Sie auch vom militärischen Stand­punkt die Gleichstellung beider Geschlechter fordern? Vandervelde: Auch Proudhon   behauptete, die Frau sei berufen, entweder Haus­hälterin oder Kourtisane zu sein. Dieser Grundsatz könne den Sozia­listen nicht befriedigen.

Genossin Gatti di Gamond sprach das Schlußwort: Wie kann die Frau die Kinder zu gut und gerecht denkenden Männern heran­ziehen, wenn Ihr Männer sie nicht zuerst selbst lehrt, gut und gerecht zu denken. Wenn Ihr die Frau noch fünfzig Jahre im Schatten und in der Thatenlosigkeit sich selbst überlasset, so wird sich die todte Hand nicht nur auf das nationale Vermögen, sondern auch auf das Gewissen beider Geschlechter legen. Befreiet die Frau, sonst geht Ihr Alle zu Grunde.

Frauenbewegung.

Eine Frau als Schiffskapitän. Der einzige weibliche staatlich anerkannte Schiffskapitän in der neuen Welt ist durch die letzte Zählung bekannt geworden. Die Dame führt den Oberbefehl über einen der größten Mississippidampfer, die zwischen New- Orleans   und Bicksburg verkehren, und ist schon seit zehn Jahren im Dienste. Erst vor einigen Wochen lieferte sie den Beweis, daß die beste Ueberlieferung der Seefahrer, die fordert, daß in der Stunde der Gefahr der Kapitän auf seinem Posten bleiben soll, ebenso gut von einer Frau wie von einem Manne gewahrt werden könne. Ihr Dampfer fuhr auf und beide Schornsteine brachen. Die Fahrgäste wurden von einer Banit ergriffen, da die in die Höhe fliegenden Funken das Schiff in Brand zu stecken drohten. Sogleich erschien Frau Leathers so heißt der weibliche Kapitän- auf Deck und es gelang ihr nicht nur, die Fahr­gäste zu beruhigen, sondern sie nahm ihren Platz auf der Brücke ein und blieb dort 24 Stunden ununterbrochen, bis New- Orleans  erreicht und ihre Reisenden sicher gelandet waren.

Adressen kürzlich ernannter weiblicher Vertrauens­personen.

Baumschulenweg bei Berlin  : Frau Mickley, Marienthalerstr. 13 I. Mülhausen   i. Elsaß  : Frau H. Emmel, Bäckerstr. 17. Nieder Schönweide bei Berlin  : Frau Martha Hofmann  , Hassel­werderstraße 4.

Offenbach a. M.: Frau Caroline Tröger, Große Marktstraße 25. ( Vertrauensperson für die Stadt Offenbach   und den Wahl­freis Offenbach- Dieburg.)

Steglitz   bei Berlin  : Frau Röthig, Forststr. 9. Ottilie Baader  , Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  , Berlin   W., Groß- Görschenstr. 38, II. Hof rechts, 3 Tr.

Quittung.

Für den Agitationsfonds der Genossinnen gingen bei der Unterzeichneten ein: Im Juni von den Genossinnen in Reichen­bach i. V. 27,10 Mt.; von Genossinnen in Berlin   durch Frau Stock 21,50 Mt.; im Juli von den Genossinnen in Leipzig   durch Frau Frenzel 50 Mt.; von Genossinnen in Berlin   durch Frau Heine 65 Mf.; im August von Genossinnen in Berlin   durch Frau Rosenst. 6,30 Mt. Summa: 169,90 Mt.

Danfend quittirt

Ottilie Bader, Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  , Berlin   W., Groß- Görschenstr. 38, II. Hof rechts, 3 Tr. Drud und Berlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. 5.) in Stuttgart  .