angespanntestem Schuften und halbem oder ganzem Feiern mit seiner Rückwirkung auf das Einkommen ist von verhängnißvollen Folgen für Lebenshaltung, Lebensgewohnheiten und Charakter be= gleitet. Es steigert die Unregelmäßigkeit und Ausdehnung der Arbeitszeit, die schon so wie so unter dem Drucke der Heimarbeit sowohl im Stübchen der Arbeiter wie in der Werkstatt des Zwis schenmeisters ausgedehnt und regellos genug ist. In der Hoch­saison beginnt der Arbeitstag der Heimarbeitenden sehr oft vor dem Morgengrauen, endet tief in der Nacht, ja erst in den fol­genden 24 Stunden und verschlingt Sonn- und Feiertagsruhe. Seine Grenze erreicht er nur, wenn die Energie erlahmt, welche die brennenden Augen offen, Finger und Füße in Bewegung hält. In den Werkstätten der Zwischenmeister wird der Arbeitstag durch Ueberstunden und Mitgabe von Arbeit zur Fertigstellung daheim bedeutend verlängert. Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik" stellten fest, daß in fast dem vierten Theil von 41 Zwischenmeister­werkstätten in Berlin   Arbeitszeiten von 15, 16 und 17 Stunden

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nach Abzug der Pausen vorkamen. Und es sind über­wiegend oder doch in sehr großer Anzahl weibliche Arbeitskräfte, für welche eine überlange, regellose Arbeitsdauer gilt: Mädchen, die noch mitten in der körperlichen Entwicklung stecken, Frauen, die Mütter sind und für Kinder und Hauswirthschaft sorgen müssen!

Das Einkommen der weitaus meisten Konfektionsarbeiter und -Arbeiterinnen schreit in seiner Dürftigkeit gen Himmel. Es ver< dammt die Unglückseligen zu chronischer Unterernährung, d. h. zum langsamen Verhungern; zum Verzicht auf Licht, Luft, Bequemlich keit, oft auch Sauberkeit in der Wohnung; zum unerbittlichen Niederringen jedes Bedürfnisses nach Freude, Bildung, Kultur. Für die weiblichen Sklaven des Konfektionskapitals fügen aber die Hungerlöhne zu all den Qualen eines entbehrungsreichen, sorgen­schweren Daseins in zahllosen Fällen noch die tiefste Schmach. Wo die Entlohnung der ehrlichen Arbeit die Fristung der nackten Eristenz nicht sichert, drängt sich das Laster, die Prostitution als Netter in der Noth auf. Was in dieser Beziehung die amtliche Enquete von 1887 rückhaltslos anerkannt hat, haben seither wei­tere Erhebungen und Forschungen bestätigt. Wem kann die trau­rige Wahrheit Wunder nehmen, angesichts der folgenden Zahlen? Das statistische Jahrbuch der Stadt Berlin   für 1897 giebt den Jahresverdienst für Wäschenäherinnen mit 486 Mt., für Schnei­derinnen mit 457 Mt., für Knopflochhandnäherinnen gar nur mit 354 Mt. an. Das Einigungsamt des Berliner   Gewerbegerichts stellte fest, daß der wöchentliche Nettoverdienst für Handnäherinnen fast ausnahmslos Heimarbeiterinnen im Durchschnitt 6 Mt. 33 Pf. betrug, er stieg von 2 Mt. 30 Pf. in dem einen Falle auf 10 Mr. 80 Pf. In der Damen- und Mädchenkonfektion stellt sich das Nettojahreseinkommen der Werkstättenarbeiterinnen nach einer Erhebung des statistischen Amtes für das Deutsche Reich  im Durchschnitt auf 322 Mt. 40 Pf.! Und welch grausiges Elend der Lebenshaltung enthüllt es nicht, wenn Grandtke in seiner Unter­suchung über Die Berliner Konfektionsindustrie"( Schriften des Vereins für Sozialpolitik) das Durchschnittseinkommen von 28 Heim­arbeitern, die mit ihren Frauen zusammen direkt für die Kon­fektionäre schafften, pro Ehepaar und Woche auf 20 Mt. 25 Pf. berechnet und das bei täglich 14stündiger Arbeitszeit.

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einen Luftraum von weniger als 10 Rubikmeter pro Kopf der be­schäftigten Personen aufwiesen. Die ohnehin unzureichende Luft wird verschlechtert durch die künstliche Beleuchtung, durch die Aus­dünstungen der Bügelöfen, der Dämpfe und Gase beim Bügeln, durch den Geruch des Maschinenöls, die herumfliegenden Stoff­fäserchen 2c. Ventilation fehlt meist gänzlich. Die in drangvoll fürchterlicher Enge zusammen arbeitenden Menschen athmen eine ent seßliche Atmosphäre ein. Ansteckende Krankheiten Lungenleiden, Diphtheritis, Scharlach, Hautkrankheiten 2c.- finden unter diesen Bedingungen einen fruchtbaren Boden für ihre Verbreitung. Die Arbeitshöhlen werden zu gefährlichen Seuchenherden, die über die Konfektionsarbeiterschaft hinaus die Konsumenten der Konfektions­waaren bedrohen.

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Ueberlange, ungeregelte Arbeitszeit, Unterernährung und unge­sündeste Arbeitsräume wirken zusammen, um für die Arbeiter und Arbeiterinnen der Konfektionsindustrie all jene gesundheitsschädlichen Einflüsse zu steigern und zu verschärfen, die ihrer Beschäftigung in Folge des Tretens der Nähmaschine, der vornübergebeugten Haltung, die den Brustkorb zusammendrückt, dem Schaffen bei künstlichem Licht 2c. ohnedem anhaften. Störungen der Verdauungs­thätigkeit, Blutarmuth, Bleichsucht, Krankheiten der Athmungs- und Unterleibsorgane, Augenleiden 2c. sind unter der Konfektionsarbeiter­schaft alltägliche Erscheinungen. Das Treten der Nähmaschine zerrüttet zumal den weiblichen Organismus in der unheilvollsten Weise, und das in der Regel um so mehr, je jünger die Arbeiterin ist. Die Tuberkulose fordert zahlreiche Opfer. Aus der Statistik der Ortskrankenkasse der Berliner   Schneider ergiebt sich, daß circa 10 Prozent der weiblichen Mitglieder lungenkrank sind.

Menschenopfer unerhört" sind es, die dem kapitalistischen   Profit in der Konfektionsindustrie fallen. Wahrhaft entsegliche Arbeits­bedingungen überantworten hier breite proletarische Schichten stei­gender Verelendung, einem Verkümmern und Verkommen, das mit dem gegenwärtigen das fünftige Geschlecht ergreift und die gesammte Volkskraft schwer schädigt. Den hier vorliegenden fressenden Schäden gegenüber versagt die bessernde Macht der gewerkschaftlichen Or= ganisation im Allgemeinen so gut wie völlig: die Konfektionsarbeiter und Arbeiterinnen gehören zu den organisationsunfähigsten Arbeiter­schichten. Und wie steht es mit der bessernden Macht der Gesell= schaft, wie sie durch die Gesetzgebung repräsentirt wird?

Seit langen Jahren haben amtliche Erhebungen und sozial­politische Studien die vieläugigen Greuel der Konfektionsindustrie und die Dringlichkeit gesetzlichen Einschreitens dagegen geoffenbart. Seit langen Jahren kämpfen die organisirten Schneider und Schneide­rinnen für einen wirksamen gesetzlichen Schutz der Konfektions­arbeiterschaft. Seit langen Jahren tritt die Sozialdemokratie im Reichstag für einen solchen ein. Vergeblich. Wohl schien es einen Augenblick, die Gesellschaft werde sich zu ernsten sozialpolitischen Thaten aufraffen. Der Konfektionsarbeiterstreit vom Winter 1896 beleuchtete mit der Schärfe des Scheinwerfers den abgrundtiefen, uferlosen Jammer der einschlägigen proletarischen Schichten. Eine heiße Welle des Mitgefühls, der Entrüstung wogte durch alle Be= völkerungsfreise. Es regnete Sympathieerklärungen mit den Aus­ständigen, im Reichstag wurde der Streit vom Regierungstisch und von Herrn von Stumm als berechtigt anerkannt. Minister und über­bürgerliche Parteien die Freifinnigen ausgenommen boten einander an Betheuerungen, schnelle und wirksame Hilfe zu schaffen. Und das Resultat? Es hat bequem in einem Kinder­taschentüchlein Platz. Die bekannte Verordnung des Bundesraths über die Werkstättenarbeit, jene Verordnung, die von vornherein auf den Kampf gegen die Heimarbeit verzichtete, deren strikte Ueber­

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Die Arbeitsräume der Konfektionsindustrie sind sehr oft wahre Arbeitshöhlen. Nur sehr wenige Arbeiter und Arbeiterinnen schaffen in großen Betriebswerkstätten, welche in sanitärer Hinsicht den ge­setzlichen Vorschriften entsprechen. Für die erdrückende Mehrzahl der Heimarbeiter und Arbeiterinnen drängt sich Leben und Arbeit in einem einzigen Raume zusammen, der als Wohnung, Schlaf- wachung seitens der Fabrikinspektion unmöglich ist, und die un­

stelle, Küche und Arbeitsstatt dient, der nicht selten zu gleicher Zeit Werkraum, Kranken- und Sterbezimmer ist. Betreffs der Werkstätten von Zwischenmeistern zumal der kleinen

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liegen

die Verhältnisse vielfach nicht günstiger oder kaum besser. Auch sie werden oft zum Wohnen, Schlafen und Kochen benüßt und enthalten einen viel zu kleinen Luftraum pro Kopf der hier Ar­beitenden. In der Strafanstalt Plößensee kommen auf jeden Ge­fangenen 28 bis 29 Rubikmeter Luft. Die Fabrikinspektion für Berlin   konstatirte, daß von besichtigten Arbeitsräumen der Kleider­und Wäschekonfektion und der Kostümbranche mehr als ein Drittel

bestritten vor Allem zu einer weiteren Ausdehnung der Heimarbeit geführt hat. Die lächerlich unzureichenden Bestimmungen der letzten Gewerbenovelle. Und als noch ausstehende Nachlese der Antrag Heyl zu Herrnsheim, die Heimarbeit von Fabrik- und Werkstätten­arbeiterinnen betreffend, der ebenfalls die Losung zu Grunde liegt: " Wasch mir den Pelz und mach ihn nicht naß". Im Stampfe gegen das Konfektionsarbeiterelend, das Heimarbeiterelend hinkt die deutsche Sozialpolitik hinter der anderer Staaten her. Der sozial­politische Eifer unserer bürgerlichen, unserer christlichen Welt hat fich in Worten erschöpft. Ein lehrreiches Fiasko mehr der neuen