Nr. 23.
Die Gleichheit
11. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch den 6. November 1901.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Bruno Schönlant+.
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Inhalts- Verzeichnik.
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Für freies Vereins- und Versammlungsrecht. Die sächsische Gewerbeaufsicht und die Arbeiterinnen. Von a. br. Aus der Bewegung. Feuilleton: Hartingers alte Sixtin. Von
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2. Anzengruber.( Forsetzung.)
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Notizentheil: Weibliche Fabrikinspektoren. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Sozialistische Frauenbewegung im Auslande. Frauenbewegung.
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Bruno Schönlank+
Eine erschütternde Kunde wird uns in dem Augenblick, wo diese Nummer in Druck geht. Bruno Schönlank ist am 30. Oftober in Leipzig seinen unsäglichen Leiden erlegen. Ihm nahte der Tod als Freund, uns als Würger der legten Hoffnung, den sturmerprobten treuen Kämpfer, den unvergeßlichen, lieben Freund je wieder in Neih und Glied zu sehen. Wir müssen darauf verzichten, heute in dieser kurzen Notiz auch nur anzudeuten, was Bruno Schönlank der Partei gewesen und was sie ihm verdankt. Als Journalist, Redakteur, wissenschaftlicher Schriftsteller, Agitator und Parlamentarier hat er Hervorragendes, ja Geniales für die Sache des Proletariats geleistet. Es war eine selten glän= zende, vielseitige Persönlichkeit, die Schönlant in selbstlosem Idealismus in den Dienst der Sozialdemokratie stellte, eine Persönlichkeit, in der das Beste unserer Zeit lebendig war, die alle Leiden unserer Tage schmerzlich empfinden, aber auch all ihre Kultur, alle Zukunftshoffnungen der Menschheit freudvoll genießen konnte. Ein raschloderndes, leidenschaftliches, ritterliches Temperament, start in der Liebe wie im Haß, machte ihn zum geborenen Kämpfer. Und dieser Kämpfer war gewandt und gerüstet wie wenige. Sein scharfer, durchdringender, sprühender Geist erfaßte mit Blizesschnelle die Situation und ließ ihm jede Schwäche des Gegners erspähen. Sein reiches, gründliches Wissen, das sich auf die verschiedensten Gebiete erstreckte, lieferte ihm Waffen über Waffen. Und eine seltene Meisterschaft der Sprache erhöhte die Wirksamkeit und den Neiz seiner Waffenführung. Der glänzende Kämpfer war gleichzeitig ein Genie des Fleißes und der Arbeitsamkeit, ein Mann, den die höchste Pflichttreue beseelte, ein treuer, verständnißvoller, feinfühliger, anregender Freund. Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. Schönlant hatte sich seinem Befreiungskampf ganz gegeben, durchdrungen von der Größe und Wahrheit der Schillerschen Verse:
,, Und setzet Ihr nicht das Leben ein,
Nie wird Euch das Leben gewonnen sein!"
Er hat das Leben eingesetzt. Er hat das Leben ge
wonnen.
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart , BlumenStraße 84, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Für freies Vereins- und Versammlungsrecht. Eine wahre Musterkarte von polizeilichen Maßregeln und richterlichen Entscheidungen in Sachen des Vereins- und Versammlungsrechts der Frauen enthält die" Gleichheit" heute an anderer, Stelle. Ob diese Maßregeln und Entscheidungen sich auf das preußische, bayerische oder braunschweigische Vereinsgesetz berufen, ihrem Wesen, ihrem Zwecke nach sind sie einander so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Sie charakterisiren sich als kapitalistenstaatliche Nücken und Tücken, welche die Betheiligung der proletarischen Frauen an dem politischen und gewerkschaftlichen Kampfe ihrer Klasse verhindern oder wenigstens erschweren sollen. Und das im Namen eines Rechtes", welches das weibliche Geschlecht in den meisten unserer theueren engeren Vaterländer" auch auf dem Gebiete des Vereins- und Versammlungswesens rechtlos und unmündig macht.
Was polizeiliche Schneidigkeit und juristische Weisheit innig gesellt in dieser Beziehung neuerdings innerhalb der schwarzweißen, blauweißen und blaugelben Grenzpfähle des geeinten Reiches" gewirkt, ist wahrhaftig nicht neu. Es fügt nur etliche Verse mehr zu dem alten Liede, deren Weise und Text den Genossinnen allzu gut bekannt ist. Die zehn Jahrgänge der„ Gleichheit" enthalten nicht viel Nummern, in denen Notizen über die ordnungsretterische Pflichttreue mangeln, mit welcher Büttelfaust und Juristenwiß das Vereins- und Versammlungsleben der Proletarierinnen zu erdrosseln suchte, selbstverständlich nur von„ Rechtswegen". Und das ebenso umfangreiche als interessante Material, das die Zeitschrift enthält, fann leider nicht einmal Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung ist seit ihren Anfängen bis heute ein ununterbrochener Kampf mit den reaktio= nären Bestimmungen des Vereinsgesetzes in den meisten deutschen Bundesstaaten und der noch reaktionäreren Auslegung dieser Bestimmungen.
Die Vereine der Proletarierinnen wurden zur Strecke ge= bracht, sobald durch die Lupe des Vereinsgesetzes auch nur der Schatten einer Bethätigung nachweisbar war, die sich bei etwelchem guten Willen zu einer politischen stempeln ließ. Das nämliche Schicksal erfahren alle Organe Komites, Kommissionen 2c.-, welche die Volksversammlungen in planmäßiger Weise der politischen und sozialen Erziehung und der Interessenvertheidigung der proletarischen Frauenwelt dienstbar machen wollten. Von Volfs= versammlungen gewählt, ohne Leitung, Statuten, Mitgliedschaft 2c., waren sie zwar als" Vereine" ein Seitenstück zu Lichtenbergs be= rühmtem Messer ohne Heft und ohne Klinge. Nichtsdestoweniger verfielen sie als politische Organisationen im Sinne des Gesetzes der Auflösung. Was an proletarischen Frauenorganisationen in den in Betracht kommenden Ländern besteht, muß seine Ziele, sein Leben ängstlichster Beschränkung unterwerfen und ist troßdem nie vor behördlichen Nadelstichen und Keulenschlägen sicher, welche Entwicklung und Eristenz bedrohen. Und mehr noch. Es fehlt feineswegs an Beispielen und sie reichen bis in die jüngste Zeit hinein, daß hier und da Zahlstellen von Gewerkschaften als politische Vereine wegen der Zugehörigkeit weiblicher Mitglieder polizeilich belangt oder geschlossen wurden.
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Damit nicht genug. In Preußen und anderwärts, wo das Vereinsleben unter dem Banne der politischen Unmündigkeit des weiblichen Geschlechtes steht, gab oder giebt jetzt das Gesez diesem