den Besuch von Volksversammlungen und öffentlichen Versammlungen frei, mögen sie politischen oder gewerkschaftlichen Charakter tragen. Wie sieht es aber mit der Praris des Gesetzes aus? Den Proletarierinnen wurde und wird noch heute an vielen Orten von den Behörden der Besuch von solchen Versammlungen, ja sogar von Festen der organisirten Arbeiter verboten. Gründe für derartige Verbote werden stets von Rechtswegen" gefunden. Wozu wäre auch der Kautschut von Worten und Begriffen da, wie: " politisch", öffentliche Angelegenheiten"," Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten" 2c. Wozu polizeilicher Amtsverstand und richterlicher Scharfsinn? Die Behörden brauchen nur den kleinsten Hafen zu entdecken, an welchem das Seil spißfindiger Deutungskunst befestigt werden kann und siehe! Auf schwindelnder Höhe über dem gemeinen Menschen und Unterthanenverstand balanzirt irgend welcher gerechte und weise Entscheid eines Versammlungsverbots oder des Ausschlusses der Frauen aus einer Versammlung daher. Das gewählte Thema, eine Einzelausführung dazu, die Person des Einberufers oder Redners: alles kann sich über Nacht zu einem vollgiltigen Beweis dafür verwandeln, daß eine öffentliche Bersammlung oder ein Fest eine Sigung eines politischen Vereins ist, der die Frauen fernbleiben müssen oder mußten. Fingerfertige Logik läßt die von§ 152 der Gewerbeordnung gesetzlich festgelegte Stoalitionsfreiheit der Arbeiter und Arbeiterinnen unter dem Hute einer funstreichen Auslegung verschwinden, verzaubert Gewertschaftsverbände und Gewerkschaftsfartelle in politische Vereine und stellt die von ihnen einberufenen öffentlichen Gewertschaftsversammlungen dem ahnungslosen Publikum als politische Vereinsversammlungen vor, an denen die Frauen sich nicht betheiligen dürfen.
Kurz, Polizei und Juristerei streben in amtspflichtigem Wetteifer darnach, die Grenzen nicht blos aufrecht zu halten, welche eine reattionäre Gesetzgebung dem Vereins- und Versammlungsleben des weiblichen Geschlechtes zieht, sondern diese Grenzen noch immer enger abzustecken. Zur strengen Anwendung der geltenden Gesezesterte tritt deshalb ihre tiefgründige, halsbrecherisch kühne Auslegung. Was nicht in dem Wortlaut liegt, muß hineininterp.etirt werden, und zwar von Rechtswegen." Noblesse oblige! Amt verpflichtet! So werden unsere Polizeibeamten und Richter zu Entscheidungen getrieben, für welche der Goethesche Ausspruch zu gelten scheint:
"
" Im Auslegen seid frisch und munter,
Legt Jhr's nicht aus, so legt was unter."
Aber freilich. Wohl ist vor dem Vereinsgesetz vieler Bundesstaaten das gesammte weibliche Geschlecht gleich rechtlos. Die Praris des Gesezes gegenüber Proletarierinnen und besseren Frauen" und höheren Töchtern" wird jedoch im Allgemeinen von dem Grundjag beherrscht:„ Wenn Zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe". Was den Frauen des wertthätigen Volfes als politischer Frevel verwehrt ist, dürfen bürgerliche Damen als unpolitische Tugend üben. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Daß neulich die Berliner Polizeibehörden gelegentlich des Verbandstags der fortschrittlichen Frauenvereine den Frauenrechtlerinnen, einmal mit dem gleichen Maße gemessen, das sie den Genossinnen gegenüber anwenden, stößt die gekennzeichnete Thatsache nicht um. Sie wird bestätigt durch die Geschichte der bürgerlichen Frauenbewegung, durch die Betheiligung der Bourgeoisdamen an den patriotischen Festen, an den Banketts und Festlichkeiten bürgerlicher Parteien und Organisationen, an den Vortragsabenden und Veranstaltungen der Flottenvereine 2c. Nicht ein starrer, unbeugsamer Rechtsbegriff zieht die Scheidelinie zwischen dem, was geseßlich berpönt oder erlaubt ist. Es ist vielmehr das Klasseninteresse der Besitzenden an der Knebelung der proletarischen Wassen, an ihrer Eniwaffnung im Stampfe für Reformen und soziale Revolution. Die meisten und schärfsten Entscheidungen, welche im Namen irgend eines Vereinsgejeges gegen das Organisations- und Versammlungsleben der Frauen gefallen sind, zielen im letzten Grunde nicht auf die politisch unmündige Frau, sondern auf die klassenbewußt fämpfende Proletarierin. Die Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechtes schlägt man, die Kampfestüchtigkeit des weiblichen Proletariats meint man. Ein thatsächlich unbeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht des weiblichen Geschlechtes bedeutet Stärkung des proletarischen Klassenkampfes.
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Gerade weil in Deutschland das Vereins- und Versammlungsleben der werfthätigen Frauen frühzeitig und ausgesprochen in den Dienst des proletarischen Klassenkampfes gestellt wurde, läßt hier die dringliche politische Vereinsmündigkeit des weiblichen Geschlechtes so lange auf sich warten. Schier unbegreiflich muß es dünken, daß dem weiblichen Geschlecht die volle Vereins- und Versammlungsfreiheit in einem Lande vorenthalten bleibt, dessen wirthschaftliche und soziale Verhältnisse so umfassend revolutionirt sind, daß ein Viertel seiner weiblichen Bevölkerung erwerbsthätig ist. Allein das schier Unbegreifliche wird erklärlich, wenn man den angeführten Gesichtspuntt festhält. Daß in den Organisationen und Versammlungen der proletarischen Frauen fräftiges klassenbewußtes Leben pulsirte, trug in dreifacher Beziehung zum Fortbestand des alten Vereinsunrechts gegen das weibliche Geschlecht bei. Der Umstand verhinderte, daß die kapitalistenstaatlichen Gewalten stillschweigend und„ koulant" ein neues„ Gewohnheitsrecht" sich entwickeln ließen, welches der veränderten wirthschaftlichen und sozialen Stellung der Frau, ihrem wachsenden Persönlichkeitsbewußtsein gerecht geworden wäre. Umgekehrt spornte er sie an, die geltenden Gesezesterte streng anzuwenden und salomonisch auszulegen. Die bürgerlichen Parteien schreckte der Umstand vor einer zeitgemäßen und gerechten Ausgestaltung des Vereins- und Versammlungsrechts zurück. Aus bürgerlichem Klasseninteresse und aus Furcht, sozialistischer Bestrebungen" geziehen zu werden, wagte die bürgerliche Frauenrechtelei nicht, den Kampf für eine solche aufzunehmen und feme Nothwendigkeit, die eigenen Entwicklungs- und Eristenzbedingungen zu schirmen, zwang ihr denselben auf. Schwächlich, halb, zerfahren wie sie war, griff ste dankbar nach dem Linsengericht der behördlichen„ Toleranz" gegen= über ihren Organisationen und ihrem Thun , gab sie die Erstgeburtepflicht des Kampfes für die gesegliche Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes preis.
Wie die Dinge liegen, wären deshalb die Proletarierinnen dreimal thöricht, wollten sie die Eroberung des freien Vereins- und Bersammlungsrechts von anderen Mächten erwarten, als von ihrer eigenen Kraft und der des organisirten Proletariats. Was von den Regierungen der Einzelstaaten und der Reichsregierung zu er hoffen ist, haben 1895 die Reichstagsdebatten zu dem einschlägigen sozialdemokratischen Antrag klärlich erwiesen. Wie weit das Verständniß der bürgerlichen Parteien für die Interessen des gesammten weiblichen Geschlechtes, insbesondere aber für die der Proletarierinnen reicht, haben die nämlichen Verhandlungen und andere noch im Reichsparlament und den Landtagen dargethan. Bis in die Reihen der bürgerlichen Demokratie hinein ſizen Anhänger der zopfigen Auffassung, daß den Frauen das politische Vereins- und Versammlungsrecht vorenthalten bleiben müsse. Und dies angesichts der hundertfach erhärteten Thatsache, daß bei dem engen Zusammenhang der wirthschaftlichen und politischen Fragen der grobe Unfug der Umdeutlung gewerkschaftlicher Organisationen und Versammlungen in politische nur ein Ende nimmt, wenn es nur ein unbeschränktes Vereinsund Versammlungsrecht giebt, welches für das gewerkschaftliche und politische Gebiet gilt. Der Kampfeswind für ein freies, reichsgefeßlich geregeltes Vereins- und Versammlungsrecht aber, der gegenwärtig dte frauenrechtlerischen Reihen rüttelt, dürfte vor den Strahlen altgeübter behördlicher Stoulanz" wieder zum sanften Zephyr abflauen.
Dagegen steht für die proletarischen Frauen und ihr Recht, das Recht des gesammten weiblichen Geschlechtes, ein treuer, fraftvoller Bundesgenosse auf dem Plan: das klassenbewußt kämpfende Proletariat. Es kann seine gewerkschaftlichen und politischen Feld= züge auf die Dauer nur siegreich führen, wenn auch die Proletarterin als organisirte und geschulte Stämpferin in der Schlacht steht. Das Proletariat hat mithin ein Stampfesinteresse, ein Lebensinteresse daran, die Stetten der Geschlechtssklaverei zu brechen, welche auf dem Vereins- und Versammlungsleben der proletarischen Frau lasten. Nicht im leichten Flugsand ideologischer Deklamationen, im festen Granit des proletarischen Klasseninteresses gründet die Zuversicht der proletarischen Frau auf die Eroberung eines freien Vereins- und Versammlungsrechtes.