Nr. 8.

Die Gleichheit.

12. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3051) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch den 9. April 1902.

Nachdruck ganzer Artikel mur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß. Frauenstimmrecht. II. Die Entwicklung des Frauenstimmrechtes. C. Groß­britannien und Irland. D. Die englischen Kolonialländer. Von ad. br.

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Der Stand der Bewegung unter den Plätterinnen und Bleicherei­arbeitern in Hamburg . Von Louise Zieg. Aus der Bewegung. Feuilleton: Frau Rath Goethe. Von Manfred Wittich. ( Fortsetzung.) Notizentheil: Weibliche Fabrikinspektoren.- Soziale Gesetzgebung.- Vereins­recht der Frauen. Genossenschaftsbewegung.- Frauenstimmrecht.­Frauenbewegung. Dienstbotenfrage.

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Der Stoffandrang zwingt uns bedauerlicherweise, den Leitartikel: " Zur Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Ar­beiterinnen", sowie mehrere andere Arbeiten bis zu Nr. 10 zurück­zustellen, da Nr. 9 ausschließlich Forderungen behandeln wird, welche das internationale Proletariat am 1. Mai erhebt. Genossinnen, welche Agitationsexemplare von Nr. 9 wünschen, wollen sich möglichst bald Die Redaktion.

melden.

Frauenfimmrecht.

II. Die Entwicklung des Frauenstimmrechtes. C. Großbritannien und Jrland. D. Englische Kolonialländer. Große Fortschritte, wenn auch noch keinen vollen Sieg, hat die Frage des Frauenstimmrechtes in England zu verzeichnen. Freilich besteht das politische Frauenwahlrecht erst zu dem kleinen Parla­mentchen der Insel Man , das neben dem weltbeherrschenden Parla­ment von Westminster für England, Schottland und Irland seine Selbständigkeit bewahrt hat. 1881 erhielten hier die Frauen, die Eigenthümer von Grundstücken sind, deren Jahresertrag sich auf min­destens 81 Mark beläuft, das Stimmrecht für das Unterhaus, und seit dem Jahre 1892 besitzen auf jener Insel die weiblichen Steuer­zahler in gleicher Weise das Wahlrecht wie die Männer. Das eng­lische Parlament hat sich Dank der lebhaften Agitation für das Frauenstimmrecht schon häufig mit dieser Frage beschäftigen müssen, und große Minoritäten haben sich dafür ausgesprochen. Am 3. Fe­bruar 1897 hat die Mehrheit des englischen Unterhauses sogar in zweiter Lesung die Einführung des Frauenstimmrechtes beschlossen. Allein die Gegner der Neuerung brachten es mittels allerhand Manöver zu Wege, daß der betreffende Entwurf vor Schluß der Session nicht noch zur dritten Lesung gelangte und damit vom Unterhaus nicht defi­nitiv angenommen werden konnte. Wäre es übrigens auch der Fall ge­wesen, so würde doch die Bill kaum die Zustimmung des Oberhauses gefunden haben. Kurze Zeit nach dem Erfolge des Frauenstimmrechtes im Unterhaus verhandelte das Oberhaus über einen Antrag des Lord Templetown, der ebenfalls das Frauenwahlrecht forderte. Bezeich nender Weise war der Ministerpräsident Salisbury , der ein Anhänger des Frauenstimmrechtes ist, verhindert, der Verhandlung beizu wohnen". An seiner Stelle erklärte der Herzog von Devonshire im Namen der Regierung, daß die zweite Lesung des Antrags Temple­town nicht stattfinden könne, weil ein gleichlautender Antrag dem Unterhaus vorgelegen habe und seinerseits noch nicht endgiltig er­ledigt worden sei. Das Oberhaus lehnte denn auch ab, in die zweite Lesung einzutreten. Man darf daraus schließen, daß es- einen end­giltigen Beschluß des Unterhauses zu Gunsten des Frauenstimmrechtes vorausgesetzt der Aufgabe aller Herrenhäuser, den Fortschritt zu hemmen, getreu geblieben wäre. Auf die Dauer wird aber ein Widerstand im Oberhaus wie im Unterhaus nicht aufrecht zu er­halten sein, denn in England breitet sich das Frauenstimmrecht auf dem Gebiete der kommunalen Selbstverwaltung immer mehr aus. In den Versammlungen der Kirchengemeinde haben die steuerzahlenden Frauen Zutritt und Stimme so gut wie die Männer. Ueber ihre Wählbarkeit zu den Aemtern der Kirchlichen Parochie giebt

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Buschriften an die Redaktion der" Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( Bundel), Stuttgart , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

das Gesetz keine Auskunft. 1789 hatte der Court of King's Bench, ein Appellationsgericht der früheren englischen Justizorganisation, einen Prozeß zu entscheiden, welcher der Frage galt, ob Frauen das Amt eines Küsters bekleiden und eine Stimme bei der Wahl eines solchen haben können. Diese Frage wurde bejaht. Allem Anschein nach wird gegenwärtig auch die Frau nicht mehr vom Amte eines Kirchenvorstehers ausgeschlossen, denn die Voraussetzung der Wählbar­feit ist nur eigener Haushalt und Wohnsiz im Kirchspiel. In den welt­lichen Kirchspielversammlungen( Vestries), die bis zum Jahre 1894 die untersten Einheiten der örtlichen Verwaltung, insbesondere die Träger der Armenpflege waren, besaßen die Frauen, sofern sie auf Grund eigenen Landbesitzes zu den Armenlasten steuerten, gleich den Männern und den Handelsgesellschaften das Stimmrecht. Ebenso waren sie stimmberechtigt in den Unions", zu denen die Kirchspiele im Jahre 1834 behufs Wahl der Vertreter in den Armenräthen zusammengefaßt wurden. Hier besaßen die Frauen auch das passive Wahlrecht. 1788 hatte der oben genannte Gerichtshof darüber zu erkennen, ob Frauen als Armenpfleger gewählt werden und an den Wahlen der Armenverwaltung stimmberechtigt theilnehmen könnten. Auch diese Frage entschied er zu Gunsten der Frauen. Das Gesetz vom Jahre 1894 erweiterte den Kreis der wahlberechtigten und wählbaren Frauen in den Gemeinderäthen, Bezirksräthen und ähn lichen Körperschaften.

Zu den ländlichen Gemeinde- und den Bezirksräthen, sowie den Armenpflegefchaften sind alle Besizer und Miether- die weiblichen inbegriffen- stimmberechtigt, welche in der Gemeinde oder im Bezirk wohnen. Den verheiratheten Frauen, auf welche diese Bedingungen zutreffen, steht das Stimmrecht jedoch nur dann zu, wenn sie unabhängig vom Manne eigenen Besitz oder ein selbständiges Einkommen aus einem Geschäft oder einer Stellung haben. Das passive Wahlrecht zu den genannten Körperschaften besitzen alle voll­jährigen Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts, vorausgesetzt, daß sie seit einem Jahre in der Gemeinde oder dem Bezirk wohnen. Eine Beschränkung des Rechtes der Frauen besteht nur in der einen Be­ziehung, daß diese nicht Vorsitzende eines Bezirksraths selbst sein können, weil diese Stellung mit dem Amte des Friedensrichters verbunden ist. Zu den Schulräthen besitzen die Frauen das aktive, seit 1870 auch das passive Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen, wie die Männer. Wählerinnen sind in der Folge alle steuerpflichtige Frauen, als Schulräthe können gewählt werden alle volljährigen Frauen, welche in der betreffenden Gemeinde wohnen. Seit 1869 besitzen die unabhängigen und unverheiratheten Frauen unter den gleichen Be­dingungen wie die Männer, nämlich wenn sie im eigenen Namen ein zur Armensteuer eingeschäßtes Haus innehaben, das Stimmrecht zu den Stadträthen. Das passive Wahlrecht zu diesen Körperschaften wie zu den Grafschaftsräthen ist jedoch dem weiblichen Geschlecht nicht zuerkannt worden. Stimmberechtigt zu den Grafschaftsräthen sind dagegen seit 1888 alle weiblichen Besitzer und Miether( Armen­steuerzahler) mit Ausnahme der verheiratheten Frauen.

Die städtische Verwaltung Londons ist durch ein Gesetz vom Jahre 1899 neu geregelt worden. Die weltlichen Kirchspiele ( Vestries) wurden zu größeren Bezirken zusammengefaßt, deren Kom­petenzen beträchtlich erweitert sind. Die Frauen, welche eine eigene Wohnung haben, wie klein diese auch sei, besigen das aktive Wahl­recht zu diesen Körperschaften. Um ihre Wählbarkeit zu Räthen und Aeltesten( Aldermen) entbrannte im Unter- und Oberhaus ein heißer Kampf. Das Unterhaus hatte zuerst in zweiter Lesung den Frauen das passive Wahlrecht zuerkannt, fiel aber in dritter Lesung nach einem verwerfenden Beschlusse des Oberhauses um. 1900 lag ihm ein neuer Gesetzesantrag vor, der für die Frauen die Wählbarkeit als Räthe und Aelteste forderte. Er wurde in zweiter Lesung ange­nommen. Im Oberhaus brachte 1901 der Earl of Aberdeen einen gleich­lautenden Antrag ein. Unseres Wissens ist dieser Antrag noch nicht zur Verabschiedung gelangt.