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frage an die Regierung gestellt. Der Vertreter der Regierung erklärte darauf, daß das Gesetz zwar Mängel habe, daß jedoch die grundlegende Aenderung der Materie Reichssa che sei. Die gewünschte Aenderung des braunschweigischen Gesetzes könne er deshalb nicht sicher in Aus­sicht stellen. Sicherlich hat der braunschweigische Minister darin Recht, daß nach der Reichsverfassung das Vereinsrecht zu den Obliegenheiten des Reiches gehört. Er dürfte aber auch wissen, daß der betreffende Passus der Verfassung bis jetzt todter Buchstabe geblieben ist, ja mehr noch: daß sich die Reichsregierung bei jeder geforderten Reform der Vereinsgesetze hinter die Rechte der Bundesstaaten verschanzt, in deren Machtsphäre nicht eingegriffen werden dürfe. Dem braun­schweigischen Minister ist sicherlich auch bekannt, daß einzelne Bundes­regierungen so besonders Sachsen und Preußen ohne Respekt vor dem Texte der Reichsverfassung ihr Vereins- und Versammlungs­gesez reaktionär verbösert haben, bezw. verbösern wollten. Hat die Reichsverfassung nicht der verwirklichten oder erstrebten Verschlechte­rung des Vereins- und Versammlungsrechts hindernd im Wege ge­standen, warum sollte sie gerade ein unübersteigbares Hemmniß für eine zeitgemäße, freiheitliche Reform desselben sein? Daß sie in Wirklichkeit nicht das verhängnißvolle Medusenhaupt ist, dessen bloßer Anblick jeden Reformwillen tödtet, haben die einschlägigen Verhält­nisse in Bayern bewiesen. Bayern hat vor etlichen Jahren innerhalb enger Grenzen sein Vereins- und Versammlungsrecht etwas reformirt, ohne daß es dadurch in Konflikt mit dem Reiche gerathen und seiner ,, Acht verfallen wäre. Keine Reform des Vereinsgesetzes in Braun­ schweig aus zarter Rücksichtnahme auf die Reichsverfassung!" Der Kasus macht mich lachen." Sind es doch gerade braunschweigische Behörden, die bei anderen Gelegenheiten sich fühn über klipp und flare reichsgesetzliche Bestimmungen hinwegsehen. Wieder und wieder haben sie in letzter Zeit im Kampfe gegen die Gewerkschaften höchst achtungslos und rechtswidrig Landesrecht gegen Reichsrecht aus­gespielt, um die von§ 152 der Gewerbeordnung reichsgesetzlich fest= gelegte Roalitionsfreiheit illusorisch zu machen. Der Kern des Respekt­pudels, den die braunschweigische Regierung vor der Reichsverfassung tanzen ließ, heißt: Reformfeindlichkeit. Jedenfalls hat aber die Stellungnahme ihrerseits ein Gutes. Sie enthüllt auch dem naivsten Gemüthe sinnenfällig das reaktionäre Fangballspiel, das die Re­gierungen in Einzelstaaten und Reich mit der Reform des Vereins­und Versammlungsrechts treiben, indem sie einander gegenseitig die Kompetenz dazu mit höflichen Verbeugungen zuwerfen. Diesem ver­derblichen Spiel muß das werkthätige Volk nachdrücklicher als je seine Forderung eines einheitlichen und freiheitlichen Reichs- Vereins­und Versammlungsrechts entgegenstellen, das für beide Geschlechter gleich ist.

Genossenschaftsbewegung.

Die erste Nummer des Frauengenossenschaftsblattes, das die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine" herausgiebt, ist am 1. April erschienen. Den Zweck des Blattes legt H. Kauffmann in einem Briefe an die Leserinnen mit ein­dringlichen Worten dar. F. Jmle giebt eine kurze Skizze über die Frau, welche in Deutschland mit ebenso flarem Verständniß als warmer Begeisterung dafür wirkt, daß die Frauen die Konsum­genossenschaft nach ihrem richtigen Werthe schätzen lernen: über Adele Gerhard . Ueber das wichtige Thema der Kinderpflege und Kindererziehung hat H. Fürth einen Beitrag beigesteuert. Der Unterhaltungstheil bringt unter Anderem eine Erzählung von Maxim Gorti: Großvater und Enkel", Scherze und Räthsel­spiele. Kleine Notizen geben einen Ueberblick über genossenschaftliche Verhältnisse und hauswirthschaftliche Winke. Die reichhaltige Nummer ist in einer Auflage von 145 000 Exemplaren erschienen, die von Konsumvereinsverwaltungen abonnirt waren und von denselben an ihre Mitglieder gratis abgegeben werden. Das Frauengenossen schaftsblatt" erscheint halbmonatlich und kostet im Einzelabonne­ment pro Quartal April, Mai und Juni dieses Jahres 30 Pf. Re­daktion Hamburg , Pickhuben 5. Wir begrüßen das Blatt als einen neuen Mitstreiter für Hebung der Lage der arbeitenden Massen. Möge es ihm gelingen, in vollem Umfang der ihm gestellten Auf­gabe gerecht zu werden: die Frauen für die Genossenschaftsbewegung zu gewinnen und zu zielklaren treuen Mitträgerinnen derselben zu erziehen.

Frauenstimmrecht.

Die Zuerkennung des Stimmrechtes an die Frauen zu den Kommunal- und Provinzialräthen in Belgien wurde von der Kammer gefordert und abgelehnt. Diese hatte Artikel 1 des Gesetz­entwurfes betreffend die Einführung des allgemeinen Stimmrechts zu

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den genannten Körperschaften zu berathen. Nach dem Artikel sollte stimmberechtigt sein jeder Belgier oder gesetzmäßig Naturalisirte, der 21 Jahre alt und in der betreffenden Gemeinde seit sechs Monaten ansässig wäre. Ein Zusatzantrag forderte, durch Einfügung der Worte ,, ohne Unterschied des Geschlechtes" das Stimmrecht auf die Frauen auszudehnen. Der Zusabantrag wurde mit 56 gegen 24 Stimmen bei 58 Stimmenthaltungen verworfen. Die Kammer lehnte darauf die einzelnen Paragraphen und damit den ganzen Artikel 1 des Ge­setzentwurfes ab. Leider liegen uns bis jetzt keine Angaben vor, wie sich die Stimmen für und gegen das Frauenstimmrecht, sowie die Stimmenthaltungen auf die einzelnen Parteien vertheilen.

Stellungnahme der belgischen Arbeiterpartei zur Frage des Frauenstimmrechtes. Der siebzehnte Rongreß der belgischen Sozia listen, der am Ostersonntag im Maison du Peuple zu Brüssel tagte, hatte bekanntlich über die Frage zu entscheiden, ob die Partei im gegenwärtigen Kampfe für das allgemeine, gleiche Wahlrecht auch das Frauenstimmrecht fordern oder auf diese grundsäßliche Forderung zeitweilig verzichten solle, um das Bündniß mit den bürgerlich Liberalen nicht zu gefährden. Fast 700 Delegirte nahmen an dem Kongreß als Vertreter von 478 Gruppen Theil. Nach langer Debatte wurde zur strittigen Frage, bezw. der des allgemeinen Wahlrechtes die Resolution angenommen, welche der Generalrath der Partei dem Kongreß vorgelegt hatte. In dieser Resolution wird die Einführung des all­gemeinen, gleichen und einfachen Wahlrechtes durch Verfassungsänderung verlangt. In der Konstituante ( die durch die Vereinigung von Ab­geordnetenkammer und Senat gebildet wird, und der allein das Recht zu Verfassungsänderungen zusteht) haben die Vertreter der Arbeiter­partei für die Aufnahme der Proportionalvertretung in die Verfassung zu stimmen, sofern dies zur Erreichung des gleichen Wahlrechtes erfor derlich ist. Das Frauenwahlrecht soll von der Konstituante nicht gefordert werden. Nach den bis jetzt vorliegenden Berichten betonte Vandervelde, daß die Forderung für Einführung des Frauenwahlrechtes nur aufgeschoben, nicht abgelehnt sei. Die Be­denken gegen die sofortige Einführung des Wahlrechtes für die Frauen seien bis in die Reihen der Sozialisten so stark, daß die Partei vor­läufig von der Forderung absehen müsse. Man dürfe die Gefühle eines großen Theils der Parteigenossen nicht verletzen, dem Wahlrecht der Frauen dürfe das Wahlrecht der Männer nicht geopfert werden. Destrée meinte dagegen, die Partei sei den Liberalen zu weit ent­gegengekommen; diese hätten bei Vereinbarungen noch stets die Sozia­listen verrathen. Den Liberalen zu Liebe habe man die grundsätzliche, revolutionäre Taktik abgeschworen. Wir enthalten uns einer Würdigung der Stellungnahme des Kongresses, bis eingehende und genaue Berichte über Verhandlungen und Beschluß vorliegen.

Frauenbewegung.

Eine frauenrechtlerische Wallfahrt. Der Anregung seiner Vorsitzenden, Frl. Augspurg, entsprechend, beschloß der Verein für Frauenstimmrecht" eine große That zu thun". Eine Wall­fahrt zum heiligen Bülow sollte würdig das Petitionswerk über Alles und Etliches mehr krönen, mittelst dessen die deutsche Frauenrechtelei seit Jahren die Papierkörbe der gesetzgebenden Körperschaften und Regierungen füllt. Was die frauenrechtlerische Bewegung bis jetzt nicht aus eigener Kraft zu erreichen vermocht; wofür die gesetzgebenden Gewalten kein Verständniß zeigen: das sollte eine hösische Reverenz vor dem Reichskanzler erschmeicheln und erflehen. Nachdem eine Audienz unterthänig nachgesucht und gnädigst bewilligt worden, erschien unter Führung von Frl. Augspurg eine Deputation von 35 Frauen vor dem Reichskanzler. Dieselbe sollte aus Vertreterinnen aller Be­rufsklassen bestehen, und neben einer Aerztin, Juristin, Philologin, Lehrerin, Buchhalterin 2c. wies sie also auch eine Renommirarbeiterin" auf. Als Sprecherin der Deputation überreichte und begründete Frl. Augspurg ein Schriftstück folgenden Inhalts:

,, Die Versammelten bitten im Namen vieler deutscher Frauen um die Vorlage eines Reichsgesetzes, dahin lautend:

Die vereinsrechtlichen Beschränkungen der Frauen sind in allen deutschen Bundesstaaten aufgehoben.

Sie bitten ferner um Aufhebung von Ziffer 6 des§ 361 des R.St.G.B., dessen Wirkung ein unerträgliches Ausnahmegesetz für alle deutsche Frauen bedeutet;

sie bitten endlich:

daß durch Reichsgesetz bestimmt werden möge, daß nach vollgiltig abgelegter Maturitätsprüfung das weibliche Geschlecht das gleiche An­recht auf Immatrikulation an Hochschulen habe wie das männliche; daß bei der in Aussicht gestellten Reform des Mädchenschul­wesens in Preußen eine Anzahl sachverständiger Frauen zur Mit­arbeit herangezogen werden;