In politischer Beziehung endlich wird die schrankenlos ausgebeutete Frau dem Manne stets ein Hemmschuh sein, da sie ja weder Zeit noch physische Kraft übrig hat, um sich mit politischen Dingen zu beschäftigen und Verständniß für sie zu gewinnen. Sie wird deshalb auch den großen sozialen Befreiungskampf ihrer Klasse nicht verstehen können. Und doch kann das Proletariat nur mit Beihilfe der Frau sein Ziel erreichen, denn um modern fühlende, ziel- und klassenbewußte Kinder erziehen zu können, bedarf es nicht nur reifer und ernster Männer, sondern noch viel mehr ihrer politischen und sozialen Pflichten vollbewußter Mütter.
Gegen die vielseitigen ungeheuren Schäden, die im Gefolge der Frauenarbeit in der heutigen Gesellschaft einherschreiten, kann nur ein Gesetz helfen, das die Frauenarbeit in den Gewerben schützt und die Frau somit ihren häuslichen sowohl als politischen Pflichten zurück-, beziehungsweise neu giebt. Für ein solches Gesetz haben die italienischen Sozialisten mit großer Energie in den letzten Jahren gekämpft. Ihre rührige Agitation ist offenbar von ausschlaggebendem Einfluß dafür gewesen, daß die Regierung schließlich selbst mit einem Entwurf zu einem solchen Gesetze hervortrat, dessen Bestimmungen allerdings sehr mangelhaft und ungenügend waren. Als die parlamentarische Behandlung des Schutzgesetzes im Anfang dieses Jahres in sicherer Aussicht stand, setzte deshalb die sozialistische Agitation mit besonderem Nachdruck ein.
An einem von der Parteileitung festgesetzten Tage, dem 23. Februar, wurden, wie die„ Gleichheit" berichtet hat, in mehr als 300 Städten des Landes Volksversammlungen, sogenannte Comizi abgehalten, die der Aufklärung und Stellungnahme in der Frage der Arbeiterinnen- und Kinderschutzgesetzgebung dienten. Der Plan glückte ebenso großartig wie er angelegt war. Ueberall war die Begeisterung eine große. Unter den Rednern befanden sich auch eine starke Anzahl von Frauen, u. 2. Maria Cabrini, Gelica Nieri, Bice Cammeo, Luisa Draghi, Ersilia Maino, Leda Rafanelli, Giuseppina Giudotti, Carolina Annoni, Ernestina Lesina und, in Pisa , die junge Weberin Jepa Fontana.
Die Arbeiterinnen über 15 Jahre waren bis jetzt in Italien gesetzlich gänzlich ungeschüßt, über den Kinderschutz bestanden nur völlig unzureichende Bestimmungen, die noch dazu nicht einmal eingehalten wurden( Gewerbeordnung vom 28. September 1886). Die gesammte Landarbeiterschaft war von jeglichem Schutze ausgeschlossen. Der am 2. Dezember 1900 von dem damaligen Minister Carcano eingereichte Gesetzesentwurf zum Schutze der weiblichen und findlichen Arbeitsträfte wies, wie gesagt, sehr viele Lücken auf. So war in ihm zum Beispiel zwar von„ ungesunden und gefährlichen" Arbeiten die Rede, welche den Arbeiterinnen erst von 15 Jahren an offenstehen sollten, aber was unter einer„ ungesunden“ und„ gefährlichen" Arbeit verstanden werden sollte, das blieb flüglich dem Ermessen der Herren Arbeitgeber und Regierungsbeamten überlassen. Der Kompromißvorschlag der parlamentarischen Kommission, welche zunächst die beiden Entwürfe zu berathen hatte, entsprach ebenfalls keineswegs dem Recht des Proletariats auf wirksamen gesetzlichen Schutz der Frauen und Kinder, des Weiteren enthielt er leicht mißzudeutende Bestimmungen, die beabsichtigt und unbeabsichtigt zu Fallen der strikten Durchführung werden konnten. Die Sozialisten beschlossen deshalb, an ihren Forderungen festzuhalten. Als bedeutsamste davon greifen wir die folgenden heraus: Verbot der Arbeit von Kindern unter 15 Jahren. Die gesetzlich zulässige Arbeitszeit für Kinder von 15 bis 18 Jahren soll nicht über sechs Stunden, für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen von 18 bis 20 Jahren nicht über acht Stunden täglich, für erwachsene Arbeiterinnen über 20 Jahre nicht mehr als 48 Stunden wöchentlich betragen. Verbot jeder Nachtarbeit für die geschützten Arbeiterfategorien, ebenso aller ungesunden, gefährlichen und unterirdischen Arbeiten, welche besonders angeführt sind. Die Schußzeit für Schwangere und Wöchnerinnen soll sich auf sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Entbindung erstrecken und auf Grund eines ärztlichen Attestes verlängert werden können. Der gesetzliche Schuh wird nicht blos für die Fabrikindustrie gefordert, sondern auch für das Handwerk, die Manufaktur, den Handel, den Bergbau und vor Allem auch für die Landwirthschaft.
Noch sehr viele Einzelheiten des Gesetzentwurfes Turati- Kulischoff find von hohem Interesse. So vor Allem die hygienischen Forde rungen, die dem portugiesischen Gesetz vom 14. April 1891 entnommen sind. Sie lauteten: Artikel 12: ,, Die Besizer, Unternehmer 2c., welche Frauen und Minderjährige beschäftigen, müssen sowohl in den Arbeitsstätten und den dazu gehörigen Nebenräumen, als auch in den Schlaf- und Eßräumen alle nothwendigen Maßregeln einführen und beobachten, welche Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeitenden gewährleisten."
" In allen Fabriken, in welchen mehr als 50 Arbeite rinnen beschäftigt werden, muß sich ein den Anforde
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rungen der Hygiene entsprechendes. Zimmer befinden, in welchem die Mütter ihre Säuglinge in den von der Fabrikordnung bestimmten Zwischenstunden nähren können."
Werthvolle Reformen forderten fernerhin die Sozialisten, indem sie die Errichtung von Gewerbeschulen verlangten, in welchen die Mädchen( sowie auch die Knaben) nach ihrem Austritt aus der Volksschule nicht nur unentgeltlich unterrichtet, sondern auch verpflegt und bekleidet werden sollten, sowie die Gründung von sogenannten Casse di Maternità( Mutterschaftskassen). Letztere hätten nach dem Entwurf den Frauen in der Zeit ihrer Entbindung drei Viertel ihres Lohnes zu zahlen; das nöthige Kapital sollte zum Theil durch Staatsgelder aufgebracht werden, zum Theil aus den Versicherungsbeiträgen der Frauen, die in der Hauptsache von Seiten der Arbeitgeber geleistet werden müßten, sowie endlich aus den bei Uebertretung des Gesetzes von den Arbeitgebern zu erhebenden Strafsummen. Beide Bestimmungen bezweckten, einen etwaigen Ausfall an Arbeitsgelegenheit für die Frau wieder auszugleichen.
Schließlich möchte ich noch eines weiteren Verlangens der italienischen Sozialisten Erwähnung thun, welches auch von Sozialisten anderer Länder bereits mehrfach erhoben wurde, nämlich Ernennung von Gewerbeinspektoren und Inspektorinnen, die von der organisirten Arbeiterschaft vorgeschlagen werden müssen, da solche allein befähigt erscheinen, eine absolut strenge und gerechte Kontrolle über die Durchführung des Gesetzes auszuüben.
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Vom 18. bis 23. März hat die italienische Kammer unter heftigen Kämpfen die drei Gesetzesvorlagen zum Schuße der Frauen und man bedenke nur, Kinder durchberathen. Wie vorauszusehen war daß im italienischen Parlament neben 33 sozialistischen 475 nichtsozialistische Deputirte sitzen kam der Gesetzentwurf Turati- Kulischoff nicht durch, trotz glänzender Vertheidigung zumal von Seiten der Abgeordneten Angiolo Cabrini und Pietro Chiesa . Aber die sozialistische Partei in Italien hat dennoch einen großen Sieg errungen. Sie hat es durchgesetzt, daß endlich mit dem Prinzip gebrochen wurde, die erwachsene Arbeiterin dürfe als" Mündige" nicht gesetzlich gegen die kapitalistische Ausbeutung geschützt werden; sie hat die gesetzgebenden Gewalten zur Anerkennung des Grundsatzes gezwungen, daß auch die erwachsene Arbeiterin als wirthschaftlich und sozial Schwächere eines besonderen gesetzlichen Schutzes bedarf. Aber sie hat noch mehr erreicht als den gesetzlichen Schutz der proletarischen Frau überhaupt. Sie hat trotz aller Schwierigkeiten eine Anzahl ihrer Forderungen durchzubringen vermocht. Vor Allem ist es ihrem Kampfe zu verdanken, daß das neue Gesetz sich wenigstens auf der Höhe des Kommissionsentwurfs gehalten hat und nicht den Bemühungen der Reaktionäre entsprechend noch unter denselben gesunken ist. Das ist ja freilich nur ein negativer Erfolg, aber immerhin doch eben ein Erfolg, der auch praktisch wichtig ist. Erfreulicher noch ist es, daß die Sozialisten die Ausdehnung sämmtlicher Gesetzesbestim mungen auch auf die Schneiderinnen, Konfektionsarbeiterinnen und weiblichen Ladenangestellten durchdrücken konnten, ferner, daß auch die weiter oben angeführten hygienischen Forderungen glatt durchgingen, sogar noch im Vergleich zu Artikel 12 des sozialistischen Entwurfs verbessert wurden, da die Einführung der hygienischen Reformen in den Fabrikbetrieben nun nicht mehr von der Zahl 50 beschäftigter Personen abhängig gemacht wird! Auch die konservative Forderung, daß bei Gesetzesübertretungen nicht blos die Arbeitgeber, sondern auch die Eltern minderjähriger Kinder strafbar sein müßten, vermochte der sozialistische Abgeordnete Luigi Maino im Hinblick darauf zu Falle zu bringen, daß Menschen, welche Noth litten, für solch kleine ungesetzlichen Handlungen nicht verantwortlich zu machen seien.
So kann sich die proletarische Frauenwelt Italiens an diesem 1. Mai, dem welteinigenden Feste der Hoffnung und des Zusammengehörigkeitsgefühls des Proletariats aller Länder, mit Recht sagen, daß sie in diesem letzten Jahre einen- wenn auch nur kleinen- Schritt zur Erreichung ihres Zieles vorwärts gethan hat. Muthig wird sie aber nun auf der betretenen Bahn weiterkämpfen müssen dem höheren Ziele entgegen: Der Erlangung des Achtstundentages für beide Geschlechter, ohne den alle soziale Reformen auf diesem Gebiet Dr. Robert Michels. Stückwerk bleiben müssen.
Schutz den Schwangeren und Wöchnerinnen! In Dammers Handwörterbuch der Gesundheitspflege schreibt ein Fachmann auf dem Gebiete der Frauenkrankheiten und der Geburtshilfe:
,, Bewegung im Freien und gesunder frischer Luft ist für Schwangere unerläßlich.... Dagegen ist vor jeder größeren Anstrengung zu warnen, weite Spaziergänge sind nicht nur während der letzten Schwangerschaftszeit, wo der Verzicht auf derartige Körper