interessante Mittheilungen vor, welche sich auf die Betheiligung der russischen Arbeiterinnen an der Maifeier, am Kampfe für politische Freiheit und Reform der Arbeitsbedingungen beziehen. Diese Mit­theilungen lassen uns die Schwierigkeiten und Gefahren ahnen, unter denen unsere russischen Schwestern am 1. Mai ihre Stimmen mit denen der Ausgebeuteten aller Länder vereinigen. Sie führen uns gleichzeitig in die Gedanken und Empfindungswelt der russischen revolutionären Arbeiterinnen ein.

Die Iskra"( Funke", eine sozialdemokratische Zeitschrift für die Arbeiter) veröffentlicht folgenden Brief einer Petersburger Arbeiterin, welche als Mitglied einer Geheimorganisation die Maifeier des letzten Jahres mit vorbereitet hatte, die sich zu einer eindrucksvollen Kund­gebung gestaltete und von Polizei und Militär barbarisch nieder­gefnüttelt wurde:

" Halten Sie meinen Brief nicht für das Zeichen der Klein­müthigkeit, ich bin sehr abgequält und weiß nicht, was thun.... Sie wissen wohl, daß es bei uns einen Aufruhr gegeben hat, und daß W. nicht mehr da ist. Ihn habe ich seit dem 29. nicht mehr gesehen, und damals sagte er mir, daß man wahrscheinlich bei ihnen am 1. Mai nicht arbeiten würde. Als ich hörte, daß es zum Kampfe in dem Stadtviertel Siborskaja gekommen war, ließ ich die Arbeit ruhen und lief hin, aber es war unmöglich, zur Brücke zu kommen: die Arbeiter selbst ließen die Frauen nicht durch. Ich erwartete W. in seiner Wohnung, er fam aber nicht mehr zurück. Ich erkundigte mich nach ihm in der Kaserne, allein man konnte mir nicht Bescheid sagen; in der Ochranka* auch nicht.... Entweder war er todt oder tödtlich verwundet.... Manche sagten, sie hätten ihn in den vordersten Reihen gesehen, er habe gerufen: Hoch die Revolution!', dann sei er zu Boden gefallen. Die Polizei zog nicht eher ab, bis alle fort waren, sie hob Die auf, die nicht selbst aufstehen konnten.

Sie können nicht verstehen, wie es mir und uns Allen peinlich war, nicht zu den Uebrigen gelangen zu können. Wir wollten Alle zum Nevsky** oder in die Stadt. Zu schwer ist es, wie ein Hund in einer Ecke zu sterben, wo Niemand uns sieht. Wahrscheinlich ist es das Loos der Arbeiter, in Einsamkeit zu sterben: wahrhaftig, sogar ein leidlicher Tod wird uns nicht gegönnt. Und was für uns noch sehr peinlich ist: den ganzen Winter ist man zu uns gekommen und hat sich unseretwegen gestritten,*** und gerade jetzt war Niemand da: Sie sind weggefahren, A. ist nicht da, und es ist keiner statt seiner gekommen. W. sagte immer, daß wir selbst entscheiden müßten, und das ist schrecklich, nicht aber das Sterben! Mir scheint's, wäre Jemand von Ihnen da gewesen, so wäre alles anders gekommen, Sie hätten anders entschieden, und W. wäre am Leben geblieben. Und mir scheint's im Augenblick, als W. und die Anderen in den Tod gingen, verbrachte man die Zeit gemüthlich; zu A. war vielleicht seine Frau gekommen.... Ich weiß, Sie sind nicht schuld daran, es ist blos Zufall, aber doch ist es schmerzlich, nicht wahr?...

Ich wollte Ihnen noch etwas sagen: obwohl Viele von den Unseren verhaftet sind, vielleicht nicht mehr leben, werden wir doch standhaft bleiben. Es schadet nichts, daß die Arbeit wieder auf­genommen worden ist, jetzt ist die Zeit so, daß Niemand sich mit der Niederlegung der Arbeit begnügen wird. Jetzt wünschen Alle mehr. Man will auf die Straße.... B.( ein Arbeiter, der unversehrt ge= blieben ist) meint, daß es schade wäre, daß man keine Fahne hatte. Ein anderes Mal wird eine Fahne zur Stelle sein, und auch Pistolen: Steine und Messer helfen nicht viel gegen Bajonette."

Auf den Obuchow'schen Stahlwerken der russischen Marine­verwaltung, die in dem Dorfe Alexandrowo bei Petersburg gelegen sind, feierten am 1. Mai mehrere Hundert Arbeiter, darunter auch Arbeiterinnen. In der Kanonenwerkstatt z. B. schafften statt 180 nur 12 Arbeiter. Dieser Frevel" sollte durch die Entlassung von 60-70 ,, Aufwieglern" geahndet werden. Darauf erklärten sich die Arbeiter solidarisch und forderten die Wiedereinstellung der Gemaßregelten, den Achtstundentag, die Aufhebung der Strafbedingungen und die Ent­lassung des Vizedirektors. Die Hüttenverwaltung berief Polizisten und Gendarmen, um die Unbotmäßigen zur Unterwerfung zu bringen. Die Arbeiter empfingen sie mit den Rufen: Freiheit müssen wir haben!", Wir kämpfen für politische Freiheit und den Achtstunden­tag!" Mit Steinwürfen schlugen sie den Angriff der Bewaffneten

So wird im Volfe die St. Petersburger Abtheilung zur Aufrecht­erhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit" genannt. Diese Abthei­lung" ist ein politisches Spitzel- Bureau.

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Hauptstraße von St. Petersburg .

*** Diese Aeußerung bezieht sich auf die Auseinandersetzungen zwischen den russischen Sozialdemokraten und den anderen revolutionären Kämpfern aus den Reihen der Intelligenz". An der Maidemonstration in Petersburg nahmen in der Hauptsache nur Proletarier Theil, welche in geschlossenen Massen auf dem Nevsky erschienen.

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zurück. Erst dem aufgebotenen Militär gelang es, die Proletarier zu Paaren zu treiben. 10 Todte blieben auf dem Kampfplatz und mehrere Dutzend von Verwundeten. Anfang Oktober wurde in Petersburg gegen die Aufrührer" verhandelt. Unter ihnen befanden sich zwei Arbeiterinnen, die Jakowljewa und Burtschewskaja, welche hervor­ragenden Antheil am Kampfe genommen hatten. Die Anklageschrift sagt über ihre Haltung: Die Arbeiterinnen Jakowljewa und Burt­schewskaja rissen das Pflaster auf und trugen in ihren Röcken den fämpfenden Arbeitern Steine zu, wobei die Jakowljewa ausrief: Wir stehen zu unsern Brüdern." Wie ein Zeuge aussagte, nahm die ge­nannte Arbeiterin an gewissen geheimen Zusammenkünften Theil."

Anzeichen des erwachenden Klassenbewußtseins der russischen Proletarierinnen sind es, die uns in diesen Vorgängen entgegentreten. Und zu diesen Anzeichen gesellen sich andere, die von der reifenden Erkenntniß und dem zielklaren Willen unserer Schwestern melden, von Solidaritätsgefühl und Opfermuth. Die russische Proletarierin ist in Reih und Glied des internationalen kämpfenden Proletariats eingerückt. Und wenn die revolutionäre Bewegung in Rußland ihr nächstes Ziel erreicht: den Sturz des Absolutismus, der die Bahn frei legt für den schärfsten Kampf gegen den Kapitalismus; wenn der Morgen der politischen Freiheit den Millionen tagt, die " Väterchens" Knute heute noch züchtigt: so gebührt ein gut Theil des Verdienstes am Siege den russischen Frauen, den russischen Arbeiterinnen.

Notizentheil.

Frauenbewegung.

Die Berechtigung der Mütter außerehelicher Kinder, den Titel Frau zu führen, wurde von einer Petition schweizer Frauen gefordert, die Tausende von Unterschriften trug. Das eid­genössische Justiz- und Polizeidepartement antwortete darauf Fol­gendes: Die administrative Bundesbehörde sei nicht in der Lage, dem Gesuch zu entsprechen. Einerseits sei es Privatsache, wie sich die Mutter unehelicher Kinder bezeichnen wollen. Im rechtlichen Sinne seien sie nicht ohne Weiteres als Frauen" zu betrachten. Anderer­seits könne der Bundesrath auf Grund der gegenwärtigen Gesetz­gebung Niemand zwingen, solchen Müttern den Titel" Frau" zu geben. Bei zivilstandsamtlichen Eintragungen seien aber Titel wie Herr, Frau, Fräulein überhaupt nicht zu gebrauchen. Es bleibe den Gesuchstellerinnen anheimgestellt, ihre Sache der Kommission für die Berathung des Vorentwurfs zum schweizerischen Zivilrecht zu etivaiger Berücksichtigung zu unterbreiten.

Eine Frau als Ehrendoktor der Rechte. Die Universität Glasgow ernannte Miß Agnes Weston zum Ehrendoktor der Rechte. Die Auszeichnung gründet sich darauf, daß die Dame als Gründerin der Seemannsheime an der englischen und schottischen Küste außergewöhnliches Wissen, großes organisatorisches Talent und edelste Opferfreudigkeit bewiesen hat.

Frauen in den Armenkommissionen in Schweden . Den gesetzgebenden Körperschaften Schwedens lag kürzlich ein Antrag vor, der für die verheiratheten Frauen das diesen bis jetzt vorenthaltene Recht forderte, Mitglieder der kommunalen Armenkommissionen zu werden. Beide Kammern waren für den Antrag. In der zweiten Kammer war die Majorität für ihn so groß, daß von einer Ab­stimmung abgesehen wurde, von der ersten Kammer ward er mit 82 gegen 32 Stimmen angenommen. Das Resultat ist um so bemerkens­werther, als der Gesetzgebungsausschuß den Antrag nicht zur An­nahme empfohlen hatte.

Quittung.

Für den Agitationsfonds der Genossinnen gingen im Februar und März bei der Unterzeichneten ein: die Genossinnen in Rotschau i. V. durch Genossin Trommer 6 Mt.; die Genossinnen in Mülhausen i. Elsaß 30 Mt.; die Genossinnen in Viersen durch Genossin Zietz 5,80 Mt.; die Genossinnen in Reichenbach i. V. durch Genossin Göckriz 16 Mt.; Genossin Hofm.- Berlin 30 Mt.; die Genossinnen in Bremen durch Genossin Bosse 13,50 Mt.; eine stille Genossin durch Genossin 3ettin 100 Mt. Summa 201,30 ME.

Für die Kosten der nächsten Frauenkonferenz gingen durch Genossin Zetkin ein; eine stille Genossin 100 Mt.; Genossin Je 2. 100 Mt. Summa 200 Mk.

Dankend quittirt:

Ottilie Baader , Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands , Berlin W., Groß- Görschenstr. 38, II. Hof rechts, 3 Tr.

Berantwortlich für die Rebaktion: Fr. Klara Zetkin ( 8undel) in Stuttgart. - Drud und Verlag von J. H. W. Dies Nachf.( G. m. b. s.) in Stuttgart .