Nr. 14.

Die Gleichheit

12. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3051) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 2. Juli 1902.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Rückblick auf den Gewerkschaftskongreß in Stuttgart  .

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Frauen- und Kinder­arbeit beim Zuckerrückenbau. Von Louise Zietz  . Die Frauenarbeit Aus der Bewegung. Feuille­in der Buchbinderei. Von ad. br. ton: Hundert Hemden in der Woche. Gedicht von Robert Seidel. Ein Kranz auf Auguste Eichhorns Grab. Augufte Schmidt. Notizentheil: Beschlüsse des Gewerkschaftskongresses, betreffend die Agitation unter den Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Weibliche Fabrifinspektoren. Soziale Gesetzgebung. bewegung.

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Frauen­

Rückblick auf den Gewerkschaftskongre zu Stuttgart  .

Mit vollauf berechtigter Genugthuung kann Deutschlands   Ar­beiterklasse auf den 4. Kongreß der zentralisirten Gewerkschaften zurückblicken. Er hat gehalten, was er versprochen. In einer arbeitsreichen Woche haben die aus Ost und West, aus Nord und Süd herbeigeströmten 155 Delegirten das Arbeitsprogramm er­ledigt, das ebenso umfassend als verantwortungsschwer war. Sie fonnten auseinandergehen, ohne daß zur Verhandlung vorgesehene Punkte zurückgestellt werden mußten. Diese erfreuliche Thatsache ist neben der trefflichen Vorbereitung und Leitung des Kongresses nicht zum Wenigsten der bewunderungswürdigen Arbeitsfreudigkeit der Gewerkschaftsvertreter zu danken, die auch bei den sprödesten und trockensten Materien nicht versagte und sich in zwei Abend­sizungen bewährte.

Es ist jedoch nicht blos mit Arbeitsfreudigkeit, es ist auch mit Ernst, Sachkenntniß und Klugheit verhandelt und beschlossen worden, mit einem echt brüderlichen Gemeinschaftssinn, der über allen scharfen Auseinandersetzungen und Meinungsunterschieden nicht die feste innere Zusammengehörigkeit vergaß. An Konfliktsstoff fehlte es wahrlich nicht. Die Angelegenheit des Leipziger Gewerkschaftskartells mit ihrem Drum und Dran, die Haltung des Correspondent  " gegenüber der sozialdemokratischen Partei, die Grenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Organisationen und manche Vorgänge noch hatten Situationen geschaffen, an denen der Kongreß nicht stillschweigend vorübergehen durfte. In nicht mißzudeutender Weise, aber nicht persönlich verfehmend, hat er sich insesondere mit Denen aus­einandergesetzt, welche die organische Geschlossenheit der Gewerk­schaftsbewegung oder aber die innere Zusammengehörigkeit des ge­werkschaftlichen und politischen proletarischen Klassenkampfes an­tasteten. Das Leipziger   Kartell wie der Redakteur des Corre­ spondent  " werden nach den eingehenden Debatten wissen, was die Gewerkschaften in ihrer Gesammtheit von ihnen erwarten. Daß der Kongreß es vermied, durch neue Beschlüsse in die Grenzstreitig feiten zwischen den Organisationen einzugreifen, dünkt uns begreif­lich und weise. Die wirthschaftlichen Verhältnisse, aus denen die einschlägigen Konflikte hervorwachsen, sind noch im Flusse der Ent­wicklung, die sich durch Mehrheitsgebote weder beschleunigen, noch hemmen läßt.

Mit der Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen hat der Kongreß sich eingehender und praktisch nuz reicher beschäftigt, als irgend einer seiner Vorgänger. Die Dar­legungen des trefflichen Referats der Genoffin Tiek das wir in den folgenden Nummern ausführlich wiedergeben werden wurden in wirksamer Weise durch die Debatten unterſtüßt, ver­

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( Bundel), Stuttgart  , Blumen­Straße 84, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

vollständigt und weitergesponnen, zu denen die Genossinnen Thiede, Ziez, Kähler, Jhrer, Genosse Legien und andere Redner schäzens­werthe Ausführungen beitrugen. Unsere Leserinnen sind sicher aus der Tagespesse über die betreffenden Verhandlungen des Kongresses unterrichtet. Bei der Kürze der verfügbaren Zeit war es selbstver­ständlich ausgeschlossen, daß Referat und Debatten die bedeutsame Materie in ihrem ganzen Umfang und ihrer großen Vielgestaltig= feit erschöpften. Es wurden jedoch sehr wesentliche praktische Ge­sichtspunkte Klargestellt und Mittel und Wege aufgezeigt, welche die Agitations- und Organisationsarbeit unter den Arbeiterinnen in hohem Maße zu fördern geeignet sind. Der Kongreß forderte vor Allem Planmäßigkeit und Stetigkeit des Wirkens. Er wies der Werkstubenagitation, der Hausagitation, dem belehrenden Wort in der Familie neben der öffentlichen Agitation den ihnen gebühren­den Plaz an. Er verpflichtete die Verbände zu systematischer In­angriffnahme der Aufgaben, die ihnen durch die Rücksicht auf die Sonderinteressen jeder einzelnen Arbeiterinnenkategorie zufallen. Er rief die Generalfommission zur Unterstüßung der Agitation dort auf, wo die Organisationen noch zu schwach sind, um sie allein betreiben zu können. Er anerkannte, von welch großem Nuzen, ja wie unentbehrlich die Mitarbeit der Frau zur Organisirung der Arbeiterinnen ist. Nebenbei sei bemerkt, daß nicht blos die Ver­handlungen über die Agitation unter den Arbeiterinnen die tüchtige gewerkschaftliche Schulung der weiblichen Delegirten erwiesen, sondern daß dieselbe auch bei andern Berathungsgegenständen in Erscheinung trat. So begründete z. B. Genossin Ziez in einer musterhaften Rede den Antrag des Fabrikarbeiterverbandes, der für die Landarbeiter die volle Koalitionsfreiheit forderte. Daß die Mehrheit der Kongreß­theilnehmer sich trotz des treuen, fieberhaft fleißigen und vers ständigen Wirkens einzelner Genossinnen auf gewerkschaftlichem Ge­biet, trotz ihrer erprobten Leistungsfähigkeit sich nicht entschließen konnte, dem Vorschlag der Berliner   Delegirten entsprechend, ein weibliches Mitglied in die Generalkommission zu entsenden, bedauern wir lebhaft. Nicht als ob wir aus frauenrechtlichen Erwägungen heraus der Ansicht wären, daß die organisirten Arbeiterinnen einer besonderen Vertretung bedürften. Wohl aber meinen wir vom Standpunkt des Gewerkschafters aus, daß die Mitarbeit einer Frau in der Generalkommission dringend wünschenswerth ist mit Rücksicht auf die Agitationsarbeit unter den Hunderttausenden von Lohnsklavinnen, denen das Wort Organisation leider noch todt, unverständlich ist.

Nach einem vorzüglichen Referat Kämings über die Hausindustrie, das thatsachenreich und übersichtlich die wichtigsten Seiten des schwierigen Problems in die richtige Beleuchtung rückte, beschloß der Kongreß einstimmig und debattelos einen energischen Kampf für den wirksamen Schutz der Heimarbeitenden. Dieser Kampf soll eröffnet werden durch einen besonderen Kongreß, der binnen Kurzem nach Berlin   einberufen wird und sich ausschließlich mit den Aufgaben der Gesetzgebung und der gewerkschaftlichen Aktion auf dem Gebiet der Hausindustrie beschäftigen soll.

Die Verhandlungen über Arbeitslosenstatistik und Arbeitslosen­versicherung wurden durch ein logisch aufgebautes, flares und zielsicheres Referat des Genossen von Elm eingeleitet. Ste zeigten zeigten flärlich, wie ungemein schwierig und komplizirt die hier vorliegenden Aufgaben sind, und wie weit die Meinungen über die besten Mittel zu ihrer Lösung auseinandergehen. Der Kongreß beschloß, was er unter den Umständen beschließen konnte.