Er erklärte die gewerkschaftliche Arbeitslosenunterstüßung als die Grundlage der gesetzlichen Regelung der Materie; er forderte zu schüsse von Staat und Unternehmerthum; er betonte die Nothwendigkeit freier Selbstverwaltung der zu schaffenden Einrichtungen durch die Arbeiter. So legte er grundsäglich die Richtung fest, in welcher die Arbeiter die Gesetzgebung vorwärts treiben müssen. Da die geseßgebenden Gewalten den Forderungen des Proletariats gegenüber nicht so feinhörig und arbeitseifrig sind, wie gegen das Schreien zollwucherfroher Junker und zuchthausbegeisterter Scharfmacher, dürfte das nächste praktische und aufrichtig zu begrüßende Ergebniß der Kongreßarbeiten wohl der weitere Ausbau der Arbeitslosenunterstützung in den Gewerkschaften sein.
106
Es ist leider ein Ding der Unmöglichkeit, im Rahmen dieses Artikels all die wichtigen und interessanten Verhandlungen und zahlreichen Beschlüsse zu würdigen, durch welche der Kongreß an der Ausdehnung und Vertiefung des gewerkschaftlichen Thätigkeitsgebiets, an dem Ausbau und der Kräftigung der Organisationen arbeitete, durch welche er der Gewerkschaftsbewegung neue Ziele wies oder die alten Ziele höher steckte. So die Verhandlungen und Beschlüsse, betreffend das Zentral- Arbeitersekretariat, die Arbeitersekretariate, die Streitklausel und das Submissionswesen, die Verlegung der Generalfommission nach Berlin , die Gründung einer Unterstützungskasse für Gewerkschaftsbeamte 2c. 2c. Wir müssen uns damit begnügen, die Züge hervorzuheben, welche für die geleistete beträchtliche und werthvolle Gesammtarbeit charakteristisch sind. Sie fügen sich mit den bereits Eingangs erwähnten bethätigten Eigenschaften zusammen zu einem wahrhaft erhebenden Bilde von der ferngesunden, lebensstroßzenden, inneren Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, von dem hohen Niveau, das sie unter Stürmen und Hindernissen erklommen hat, von dem erzieherischen, bildenden Einfluß, den sie auf ihre Vorkämpfer und Träger ausübt. Die aufgerollten Fragen wurden von den„ halbgebildeten" Agitatoren, von den ehemaligen Volts- und Armen schülern im Allgemeinen mit einer gediegenen Sachkenntniß und einer formalen Schulung behandelt, die manchem Geheimrath wohl anstehen würde, der stotternd ein miserabel begründetes gesetzgeberisches Pfuschwerk von amtswegen verfechten muß. Fast durchweg ward kurz, sachlich, präzis, ohne leere Phrasen verhandelt. Eine kühle, nüchterne Berücksichtigung der nächstliegenden thatsäch lichen Verhältnisse war mit einem flaren Blicke für die tiefen ge= sellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhänge gepaart, die richtige Werthung auch des unscheinbaren kleinen praktischen Zweckes für das Heute mit dem Bewußtsein seiner inneren Verknüpfung| mit dem großen Ziele des Morgen.
Die innere Einheit der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung war das Leitmotiv des Kongresses, das wieder und wieder in vollen, reinen Afforden ertönte. Wie inbrünstig hatten nicht die bürgerlichen Gönner des„ berechtigten Kernes der Arbeiterbewegung" gehofft, daß die unentbehrliche, hochbedeutsame praktische Gegenwartsarbeit der Gewerkschaften den verbohrten Dottrinarismus" der sozialistischen Ueberzeugung überwinden werde. Wie einschmeichelnd hatten sie nicht die vernünftigen Männer der Praris" angefleht, sich von„ Buchstabengläubigen der grauen Theorie" zu trennen, statt den klassenkampf zu kämpfen, auf das gute Herz und die Einsicht Derer um Naumann und Sonnemann, um Berlepsch und Sombart zu bauen. Und wie schändlich hat nicht der 4. Gewerkschaftskongreß ihre Hoffnungen enttäuscht, ihr Flehen abgewiesen. Der Vertreter der gemäßigten" dänischen Gewerkschaftsbewegung schließt seine Begrüßungsrede mit dem Hinweis auf das sozialistische Zukunftsideal. Die Delegirten der General Federation of Labour respektiren den Ruf der englischen Gewerkschaftsbewegung als einer bürgerlich geaichten Musterbewegung so wenig, daß sie erklären: immer größere Streise der englischen Trade Unions erkennen die Nothwendigkeit des politischen Kampfes, erkennen, daß in diesem Kampfe die Arbeiter sich um das sozia listische Programm schaaren müssen. Legien setzt sich erfrischend scharf und bestimmt mit der Berlepscherei auseinander, und der ,, neutralitätsduselige Hué schleudert das Wort hinaus: Der Führer, welcher den Bergarbeitern das Zusammengehen mit dem Minister a. D. empfehlen wollte, erhielte morgen den Laufpaß. Als wichtigstes Ergebniß der Buchdruckerdebatte" stellt Bömelburg fest,
"
daß Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie sich einander ergänzend in innerer Zusammengehörigkeit zusammenfügen. So reiht sich Aeußerung an Aeußerung, Thatsache an Thatsache, welche kündet, daß die deutschen Gewerkschaften Bein vom Bein und Fleisch vom Fleisch der modernen klassenbewußten Arbeiterbewegung sind, daß in ihnen der nämliche„ umstürzlerische" Geist pulsirt, der in der Sozialdemokratie lebendig ist. Und so hat der 4. Gewerkschaftskongreß der schwächlichen, quacksalbernden bürgerlichen Sozialreform die proletarische Sozialreform gegenübergestellt, deren Ziele nicht fapitalsfürchtige Arbeiterfreundlichkeit- Heuchelei und ohnmächtige Rührseligkeit steckt, sondern das gegenwärtige und zufünftige Klasseninteresse des Proletariats, jene proletarische Sozialreform, die nicht das Gnadengeschenk der Ausbeutenden und Herrschenden sein wird, vielmehr die Frucht der steigenden Erkenntniß und Macht der Ausgebeuteten, die ihre Befreiung wollen. Es war diese Bedeutung des Kongresses, die der Vorsitzende Bömelburg mit lichtvoller Bestimmtheit in seinem Schlußwort hervorhob, das bei aller Schlichtheit des Ausdrucks von jenem zündenden hinreißenden Pathos getragen war, welches allein aus einer großen, echten Ueberzeugung geboren wird. Wer mit dem Proletariat fühlt, denkt und kämpft, den wehte aus diesen martigen Ausführungen der Menschheit Odem" an, die rastlos nach Befreiung lechzt", dem waren sie mehr als das soziale Glaubensbekenntniß unseres sturmerprobten Freundes: ein soziales Glaubensbekenntniß der modernen Gewerkschaften, ein soziales Glaubensbekenntniß des klassenbewußten Proletariats. Unbeirrt durch die Schmeicheleien falscher Freunde und das Toben offener Feinde geht es auch auf gewerkschaftlichem Gebiet seine Bahn, jede nöthige, jede ersprießliche Gegenwartsarbeit mit größter Treue leistend. Allerdings: die treue Gegenwartsarbeit nicht blos um des Gegenwartsgewinnes wegen, sondern auch vor Allem im Dienste seiner Zukunftsbefreiung. Der Gewerkschaftskongreß zu Stuttgart hat keinen Zweifel darüber gelassen.
"
"
Frauen- und Kinderarbeit beim Buckerrübenbau.
Verstehen es die Zuckerbarone prächtig wie wir in Nr. 1 zeigten sich die Taschen zu füllen auf Kosten der deutschen Zuckerkonsumenten, so nicht minder auf Kosten der Zuckerproduzenten, der Arbeiter und Arbeiterinnen, welche die Rübenfelder bearbeiten und in den Zuckerfabriken frohnden.
"
Dabei genügt es diesen Patrioten" feineswegs, die in der Gegend des Zuckerrübenbaues einheimische deutsche Bevölkerung auszubeuten. Onein! es giebt noch billigere und willigere Arbeitskräfte als diese sie liefert: die deutschen Polen und die Galizier . Unter den 100 000 Arbeitern beider Geschlechter, die 1895 von den Zuckerbaronen beschäftigt wurden, befanden sich 75 000 aus Galizien und Deutsch Polen geholte„ Sachsengänger". Davon waren zwei Drittel Arbeiterinnen und ein Sechstel jugendliche Arbeiter von 15 bis 19 Jahren. Bei 12: bis 14 stündiger Arbeitszeit verdienen diese Aermsten, die wehrlos der ungeheuerlichsten Ausbeutung preisgegeben sind, da sie der deutschen Sprache nicht mächtig, 1 Mt., 80 Pf., ja mitunter nur 40 bis 50 Pf. pro Tag. Der Gewerbeinspektor für Breslau weist in seinem Bericht vom Jahre 1898 darauf hin, daß bei der Zuckerproduktion alljährlich viele Hunderte von ausländischen Arbeitern verwendet würden. Ein ausländischer Vermittler schließt mit ihnen die Verträge ab und rupft die Leute nochmals in geradezu entsetzlicher Weise. Bei freier„ Beköstigung“ und„ Wohnung" aber welcher!- erhalten die Angeworbenen 14 bis 15 Mk. pro Monat, wobei der Vermittler sich 14 bis 15 Mk. pro Kopf und Monat als Vermittlungsgebühr berechnet. Der Beamte von Liegnitz berichtet im selben Jahre, daß die ausländischen Arbeiter weniger an Lohn erhalten, als die Unternehmer Vermittlungsgebühr zahlen. Die letztere betrug pro Kopf und Tag 60 Pf.
Wie die einheimischen Arbeiter, darunter vornehmlich die Frauen und Kinder ausgebeutet werden, davon im Nachfolgenden einige Beispiele: In der Nähe von Magdeburg , Olvenstedt , Ottersleben, Niederndodeleben und noch einer Reihe weiterer„ Leben" wird für die Bearbeitung der Rübenfelder, das Hacken, Verziehen und Ernten der Rübe, pro Tag bei 10 stündiger Arbeitszeit 1 bis 1,20 Mt., hin und wieder sogar nur 80 bis 90 Pf. gezahlt. Morgens 6 Uhr beginnt die Arbeitszeit und währt bis 6 Uhr Abends mit je halbstündiger Frühstücks- und Vesperpause und einstündiger Mittagsrast. Für den jammervoll niedrigen Verdienst müssen die Frauen ihre