Orte in der Umgebung in Betracht kommen, wo die Arbeiterinnen erst organisirt werden müssen, so läßt sich noch kein erheblicher Erfolg verzeichnen. Allerdings erhebt sich der Lohn mit 3,90 Mk. pro Woche ziemlich stark über das in dieser Statistik festgestellte Minimum, aber dafür ist die Arbeitszeit mit 62 V, Stunden pro Woche eine der ungünstigsten im ganzen Reiche. Bios Ruhla mit 64 Stunden pro Woche und Plauen mit 63,9 Stunden haben in dieser Hinsicht noch ungünstigere Verhältnisse; in beiden Städten ist aber auch keine einzige Arbeiterin organisirt. Bedeutend bessere Zustände finden wir in Berlin , mit 23,5 Prozent Organisirten unter den Arbeiterinnen. 54 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit und 12 bis 15 Mk. Wochenverdienst. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Hamburg , wo 23,4 Prozent der Arbeiterinnen organisirt sind, gleichfalls 54 Stunden gearbeitet wird, und der wöchentliche Verdienst sich auf 12,55 Mk. stellt. Die 54 stündige Arbeitszeit ist auch in München in Folge der verhältnißmäßig starken Organisation der Arbeiter durchgesetzt worden, aber die Arbeiterinnen müssen sich hier mit einem Wochenlohn von 9,75 Mk. begnügen. Ein einziger Ort, Regensburg , weist ein günstigeres Organisations- verhältniß der Arbeiterinnen als der Arbeiter auf: den 30.7 Prozent organisirten Arbeiterinnen stehen nur 24,7 Prozent organisirte Arbeiter gegenüber. Stuttgart hat zwar mit 41,7 Prozent organisirter Arbeiterinnen den höchsten Prozentsatz weiblicher Verbandsmitglieder, jedoch sind hier die Arbeiter in einem noch weit stärkeren Ver- hältniß in der Organisation vertreten, nämlich mit 37,5 Prozent. In Hamburg waren neben 65,1 Prozent der Arbeiter 23,4 Prozent der Arbeiterinnen organisirt; in Leipzig 75,6 Prozent Arbeiter, 39,3 Prozent Arbeiterinnen, in Berlin 44,5 Prozent Arbeiter, 23,5 Prozent Arbeiterinnen. Es finden sich aber in manchen Orten noch weit stärkere Unterschiede als die vorstehenden zwischen dem Prozentsatz der organisirten Arbeiter und Arbeiterinnen. So sind z. B. in Karls ruhe 55,4 Prozent der Arbeiter und nur 2 Prozent der Arbeiterinnen Verbandsmitglieder. Noch ungünstiger liegt aber das Verhältniß in 29 von den 54 Orten, die überhaupt in der Statistik erscheinen. In diesen 29 Orten gehörte keine einzige Arbeiterin dem Verbände an obgleich sich darunter Städte befinden, in denen die Organisation der Arbeiter verhältnißmäßig ausgezeichnet ist, wie in Bielefeld , wo 77,5 Prozent der Arbeiter organisirt sind; in Brandenburg und Gößnitz , wo alle Arbeiter Verbandsmitglieder sind; in Ruhla , wo 70,8 Prozent der Arbeiter ihrer Gewerkschaft angehören. Alles in allem geht aus der Statistik hervor, daß der gewerkschaftliche Organisationsgedanke unter den Arbeiterinnen der Buchbindereien und verwandten Berufe immer mehr erkannt und festgehalten wird. So erfreulich jedoch die zu oerzeichnenden Fortschritte sind, so Vieles bleibt auch hier noch zu thun übrig, um die zahlreichen noch nicht organisirten Arbeiterinnen dem Verband zuzuführen. Auguste Schmidt . Auguste Schmidt , eine der Mitgründerinnen des„Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" und langjährige Vorsitzende desselben, Mitbegründerin des„Bundes deutscher Frauenvereine ", des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins " und Ehrenvorsitzende dieser beiden Organisationen ist am 10. Juni in Leipzig gestorben. In ihr hat die bürgerliche Frauenbewegung Deutschlands eine ihrer ältesten, verdienstvollsten, aufopferndsten Vorkämpferinnen und Führerinnen verloren. Was die Verstorbene für die bürgerliche Frauenbewegung gewesen ist, und was sie für dieselbe geleistet hat, läßt sich in den Schranken dieser Notiz nur andeuten. Es lückenlos aufzählen, hieße viele Kapitel aus der Geschichte der bürgerlichen Frauenbewegung schreiben. Auguste Schmidt gehörte zu den ersten deutschen Frauen, welche nach den Zeiten der Reaktion um die Mitte des letzten Jahrhunderts die Nothwendigkeit einer lokal und national organisirten Frauenbewegung erkannten. Mit ihrer Freundin Louise Otto-Peters zusammen berief sie im Oktober 1365 den Ersten öffentlichen Frauentag nach Leipzig ein, auf dem die Gründung des„Allgemeinen deutschen Frauenvereins" erfolgte, dessen Vorsitz Auguste Schmidt bis zu ihrem Tode führte, und dessen Organ„Neue Bahnen" sie redigirte. In allen Fortschritten und Entwicklungsphasen dieser Organisation und der bürgerlichen Frauenbewegung überhaupt steckt ein gut Theil persönlichen Lebens und Strebens der Verstorbenen, die mit selbstloser Hingabe für die Idee der Frauenemanzipation im bürlichen Sinne wirkte. Mit unerschütterlicher Ueberzeugungstreue und nie versagendem Idealismus hat sie für die Ausdehnung und Festigung des„Allgemeinen deutschen Frauenvereins" und die Erweiterung seiner Ziele gearbeitet, ist sie zumal auch propagandistisch für ihn thätig gewesen. Und wie unendlich schwer war das nicht in den ersten Jahren der aufsprossenden Frauenbewegung, als diese noch nicht im öffentlichen Leben„salonfähig" geworden, vielmehr Denjenigen, die sich für die Verhältnisfe der Arbeiterinnen in der Buchbinderei interessiren und welche die nöthige Organisationsarbeit unter ihnen fördern wollen, empfehlen wir warm die obengenannte Schrift, die außerordentlich viele Einzelheiten über Arbeitszeit, Löhne zc. enthält. Bei den vielseitigen Aufgaben unseres Blattes vermögen wir heute blos auf ihren reichen Inhalt hinzuweisen und müssen auch nur auf den Versuch verzichten, das werthvolle Material zu erschöpfen. uä. br. Aus der Bewegung. Vo» der Agitation Das Landeskomite für Schleswig- Holstein veranlaßte Genossin Alt mann-Berlin vom 26. Mai bis zum 6. Juni eine Agitationsreise durch diese nordische Provinz auszuführen. Es fanden Versammlungen statt in Kiel , Welling dorf , Preetz , Rendsburg . Bndelsdorf, Hadersleben , Flens burg , Schleswig , Eckernförde und Neumünster. — Die Vortragsthemen, welche Genossin Altmann behandelte, lauteten: „Pflichten und Rechte im Klassenstaat",„Das Volk der Arbeit im Rechtsstaat",„Die Frau und das Recht". Der Besuch der Versammlungen war meist sehr gut, in Hadersleben , Flensburg , Neumünster und Kiel geradezu großartig. In Kiel , dem Hauptorte der Provinz, waren mehr als 3000 Personen der Einladung der Versammlungsveranstalter gefolgt; über ein Drittel der Anwesenden waren Frauen, die sich auch in den übrigen Städten zahlreich an den Versammlungen betheiligten und den Ausführungen der Rednerin mit demjenigen Interesse folgten, welches der Bedeutung unserer Anschauungen, der sozialistischen Theorie und Gesellschaftskritik entspricht.— Hoch erfreulich war der unverkennbare Fortschritt, den unsere Agitation allerorten zeiligt. In Schleswig war der einzige unseren Genossen zur Verfügung stehende, leider nicht sehr große Saal von Männern und Frauen in drangvoller Enge besetzt, während Flur und Treppe noch zahlreiche Versammlungsbesucher beherbergen mußten. Der Versammlung ging ein kleines Vorspiel voraus mit dem zur Ueberwachung erschienenen Beamten. Hammersteinisch begeistert »ahm derselbe Anstoß daran, daß Männer und Frauen nicht fein säuberlich getrennt waren, sondern sich fröhlich„vermischt" hatten. Der Brave hatte offenbar etwas läuten hören, wußte aber nicht, wo die Glocken hängen. Die von ihm zu bewachenden Genossen hielten ihm eine kleine Privatvorlesung über den Unterschied zwischen öffentlichen Versammlungen und Versammlungen politischer Vereine, worauf sein Gewissen beruhigt schien. 3ä. Im 22. und 23. sächsischen Reichstagswahlkreis hielt Genossin Kühle r-Dresden im Auftrag der Vertrauensperson der deutschen Genossinnen eine Reihe von Versammlungen ab. In Auer- verständnißlos als„Alte-Jungfern-Schrulle" verhöhnt und beschimpft wurde. Die Verstorbene vertrat innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung die ältere,„gemäßigte" Richtung. Erklärlich genug. Sie war eine in sich gefestigte Persönlichkeit, die von einer einheitlichen, geschlossenen Weltanschauung durchdrungen war: der Weltanschauung des alten bürgerlichen Liberalismus mit seiner Beschränktheit und seiner Größe. So mußten ihren tastenden Händen viele der tieferliegende», geschichtlichen und sozialen Zusammenhänge entgleiten und ihr Erfassen des historischen Werdeganges, der zur Befreiung der Frau, zur Befreiung der Menschheit führt, konnte nicht über bestimmte Schranken hinwegkommen. So mußte sie sich aber auch von der Zerfahrenheit der radikalen Frauenrechtelei abgestoßen fühlen, deren Weltanschauung ein lotteriges, schlotteriges Flickwerk aus allerhand Ge- schichts- und Moralphilosophien ist. Im Laufe der Zeit hat sich übrigens auch Auguste Schmidt zu einer etwas richtigeren Würdigung der wirthschastlichen, materiellen Kräfte des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses„durchgemausert", allein sie prunkte nicht mit ihrer „modernen Auffassung", auch saß ihr die Ideologie so tief im Herzen, im Blute, daß sie das geläuterte Berständniß wieder und wieder in die Flucht schlug. Den Arbeiterinnen und den Bestrebungen zur Verbesserung ihres schweren Looses brachte Auguste Schmidt aufrichtige Sympathie entgegen. Wer nicht die gleißenden Spielpfennige der radikalen Phrase für echte Goldmünzen nimmt, der muß anerkennen, daß sie auf dem Gebiet der Bildungs- und der Wohlfahrtsbestrebungen, später auch auf dem der sozialen Reformen ebenso viel, ja manches mehr für die „ärmeren Schwestern" gewirkt hat, als ihre Gegnerinnen der jüngeren Richtung bürgerlicher Frauenrechtelei. Zum vollen Verständniß des geschichtlichen Muß des proletarischen Klassenkampfes, der sozialistischen„Endziele" der proletarischen Frauenbewegung, ihrer reinlichen Scheidung von der bürgerlichen Frauenrechtelei hat sie sich indessen nie durchzuringen vermocht.
Ausgabe
12 (2.7.1902) 14
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