Nr. 20.

Die Gleichheit

12. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3051) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mr. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 24. September 1902.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Juhalts- Verzeichniß.

Die Frauenkonferenz zu München  . Vom Hebammenelend. Von Marie Kunert  . Resolutionen der Konferenz sozialistischer Frauen zu München  . -Aus der Bewegung.  - Delegirte und Gäste der Konferenz soziali stischer Frauen und Sympathiekundgebungen.

Notizentheil: Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.- Frauenstimm­recht. Genossenschaftsbewegung.- Frauenbewegung.

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Die Frauenkonferenz zu München  .

Es waren drei arbeitsreiche Sizungen, in denen die zweite Konferenz der sozialdemokratischen Frauen die ihr zugewiesenen Auf­gaben erledigt hat. Vergegenwärtigen wir uns, unter welchen schwierigen Verhältnissen die proletarische Frauenbewegung sich ent­wickelt, wie jung sie ist und wieviel sie mithin noch durch praktische Erfahrungen lernen muß; vergegenwärtigen wir uns, daß die Ziele einer sozialdemokratischen Frauenkonferenz nicht an den Zielen der sozialdemokratischen Parteitage gemessen werden dürfen: so können die Genoffinnen mit dem Ergebniß der Münchener   Tagung vollauf zufrieden sein. Gewiß, daß betreffs Vorbereitung und Organisirung der Konferenz der und jener Mangel zu Tage getreten ist, dem in Zukunft abgeholfen werden muß. Was aber die Arbeiten der Konferenz selbst anbelangt, so stellen sie eine höchst achtungsvolle Leistung dar, die sich über diejenige der Mainzer   Verhandlungen erhebt.

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Das Bedürfniß nach dem Stattfinden der Konferenz wie auch die fortschreitende Ausdehnung der proletarischen Frauenbewegung fanden in der verhältnißmäßig guten Beschickung der Konferenz ihren Ausdruc. 20 Orte waren durch 22 Delegirte vertreten, zu denen noch 2 delegirte österreichische Genossinnen kamen­während zu der Mainzer   Konferenz nur 15 Orte 20 Delegirte entsendet hatten. 11 Genossinnen und Genossen nahmen als Gäste mit berathender Stimme an der Konferenz Theil. Das war eine regere Betheiligung, als man erwarten durfte angesichts der Lage Münchens   und der dadurch bedingten größeren Delegationskosten, angesichts auch der bevorstehenden Reichstagswahl und der mate riellen Verpflichtungen, welche sie den Genossinnen auferlegt und die Sparsamkeit predigten. Erfreulicherweise waren auf der Kon­ferenz Orte vertreten wie Sagan, Görlitz  , Stralsund   2c.-, wo die proletarische Frauenbewegung noch in ihren Anfängen steht, und es nahmen Genossinnen an ihr Theil, die zum ersten Male aus dem Streise örtlicher Thätigkeit hinaustraten. Unter den Delegirten befanden sich sechs Genossen; Genossen betheiligten sich auch als Gäste eifrig an den Arbeiten der Konferenz. Der Umstand ist bezeichnend für die fortschreitende Erkenntniß unter den Genossen, daß die Förderung der Aufklärungs- und Organisationsarbeit unter den Proletarierinnen im Interesse des allgemeinen proletarischen Befreiungskampfes liegt. Er zeigt aber auch, daß die proletarische Frauenbewegung immer richtiger gewerthet wird, nicht als der Aus­fluß eigenbrödlerischer Neigungen, sondern als der Ausdruck prak­tischer Zweckmäßigkeitsgebote. Daß der hehre Gedanke von der internationalen Solidarität Aller, die als Ausgebeutete und Leidende im Kampfe gegen das Kapital und für eine neue Welt stehen, auch in der proletarischen Frauenbewegung lebendig ist, wurde ein­drucksvoll durch die Anwesenheit von drei österreichischen Ge­nofsinnen und die Sympathiekundgebungen der belgischen und

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Alara Bettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 84, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

schweizerischen Sozialistinnen bekräftigt. Den Vertreterinnen unserer österreichischen Kampfesgefährtinnen haben die deutschen Ge­nossinnen für mehr noch zu danken als für diese Bekundung: für die werthvolle Mitarbeit, die sie bei der Erörterung verschiedener Fragen geleistet haben.

Auch der erbittertste Feind der Frauenbewegung wird den Theil­nehmerinnen der Konferenz nicht nachsagen können, daß sie der ,, weiblichen Vorliebe" für Repräsentation, Komplimente, Vielrednerei, Glanz und Schein opfernd, Zeit mit Formalitäten und Effekt­hascherei vergeudet hätten. Im Laufe der ganzen Verhandlungen gab es nur eine einzige Geschäftsordnungsdebatte, und sie war kurz. Auch nicht eine Delegirte hat die ihr zugemessene Redezeit überschritten und im Allgemeinen ist mit der größten Sachlichkeit diskutirt worden. Redegewandtheit und Sachkenntniß gingen bei den Verhandlungen Hand in Hand mit klugem, praktischem Sinne und guter Selbstdisziplin.

Nachdem Genossin Baader als Einberuferin die Konferenz für eröffnet erklärt hatte, begrüßte im Namen der Münchener  Parteigenossen Genosse von Vollmar die Delegirten und wünschte ihren Arbeiten besten Erfolg. ihren Arbeiten besten Erfolg. In seinen trefflichen, wirkungs­vollen Ausführungen betonte er, daß unter den zahlreichen Auf­gaben, welche die Sozialdemokratie lösen müsse, um die Gesell­schaft gründlich umzugestalten, die Frauenfrage mit die größten Schwierigkeiten biete. Nirgendwo sei das Vorurtheil, das von Alters her Ueberkommene, das sich so gern als Natur ausgeben möchte, so stark und widerstandskräftig, als auf dem Gebiet des Stampfes um die Gleichberechtigung der Frau. Wir müssen offen eingestehen, wieviel Arbeit hier noch zu leisten ist. Es ist des halb sehr verdienstlich, wenn eine Gruppe innerhalb der Sozial­demokratie diese Frage ihrer Lösung entgegenzuführen sucht. Ge­nossin Baader bewillkommnete darauf die Delegirten und Gäste. Sie hob hervor, daß die proletarische Frauenbewegung innerhalb der Sozialdemokratie keine Sonderbestrebungen verfolge, sondern nur den vorliegenden thatsächlichen Verhältnissen entsprechend Mittel und Wege sucht, die proletarischen Frauen dem Sozialismus als Anhängerinnen zu werben. Was die Konferenz zu Mainz   ge­schaffen und angeregt hat, um der proletarischen Frauenbewegung Einheitlichkeit und Zusammenhalt zu geben, die agitatorische und organisatorische Thätigkeit der Genossinnen zu steigern, habe sich bewährt. Die heurige Konferenz müsse das begonnene Werk fort­setzen, müsse das Wirken zur Lösung der alten, weiterbestehenden Aufgaben neu befeuern, die Lösung neuer Aufgaben vorbereiten und fördern. Genossin Baader schloß ihre Begrüßung mit einem tiefempfundenen Nachruf für die uns zu früh entrissene Genossin Eichhorn, zu deren Ehre die Anwesenden sich von ihren Sitzen erhoben. In das Bureau wurden gewählt die Genossinnen Zetkin  und Baader als erste und zweite Borsigende und Genossin Zieg als Schriftführerin. Die Konferenz betraute die Genossinnen Greifenberg  , Kähler und Panzeram mit der Prüfung der Mandate. Einstimmig und debattelos nahm sie die provisorische Tagesordnung und die vorgeschlagene Geschäftsordnung an, die unter Anderem je 10 Minuten Redezeit für die Diskussion und 15 Minuten für die Begründung von Anträgen und Resolutionen festsetzte.

Den Thätigkeitsbericht erstattete Genossin Baader. Ihre trefflichen, übersichtlichen Ausführungen bewegten sich im Nahmen des Berichtes, den wir in nächster Nummer veröffentlichen. Sie