Nr. 18.

Die Gleichheit

13. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch den 26. Hugust 1903.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe geftattet.

Inhalts- Verzeichnis.

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Aufruf der Vertrauensperson. Anträge der Berliner Genossinnen zum Parteitag in Dresden . Verlängerte Mittagspause oder früherer täg­licher Arbeitsschluß für die Arbeiterinnen. II. Von Klara Zetkin . Frauenarbeit in der Konservenindustrie. Von Louise Zietz . ,, Lächerlich." Bericht der Ver­Von Emilia Alciati- Marabini. Deutsch von G. M. Aus der Bewegung. trauensperson der Genossinnen Deutschlands .

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Feuilleton: Mumu, das Hündchen des Taubstummen. Erzählung von J. S. Turgenjew . Aus dem Russischen übersetzt von L. A. Hauff. Notizenteil: Die Zehnstundenbewegung der Textilarbeiter in Crimmitschau . -Weibliche Fabrifinspektoren.- Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorgani­ſation.

Genossinnen!

Es ist wünschenswert, daß die untenstehenden Anträge der Berliner Genossinnen zu Anträgen der gesamten deutschen Ge­nossinnen werden. Zu diesem Zwecke wurden sie allen weib­lichen Vertrauenspersonen mit dem Ersuchen zugesendet, sich sofort mit den Genossinnen ihres Tätigkeitsbezirks über ihre Stellung­nahme zu denselben zu verständigen. Der Bescheid darüber muß Der Bescheid darüber muß in kürzester Frist der Unterzeichneten zugehen, damit die Anträge im Namen der Genossinnen aller Orte eingebracht werden können, die ihnen zustimmen. Die Genossinnen werden dringend auf gefordert, das Ihrige dazu beizutragen, daß Stellungnahme und Bescheid baldigst erfolgt.

Berlin , den 15. August 1903.

Mit sozialdemokratischem Gruß

Dttilie Baader

Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands Berlin SW. 29, Belle- Alliancestraße 95, Hof, 3 Tr.

Anträge der Berliner Genoffinnen zum Parteitag zu Dresden .

Zu Punkt 5 der Tagesordnung.

Der Parteitag erklärt: Bei den Kämpfen, welche das Proletariat für die Eroberung des allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in Staat und Gemeinde führt, muß das Frauenwahl­recht gefordert, in der Agitation grundsätzlich festgehalten und mit allem Nachdruck vertreten werden.

Zu Punkt 3 der Tagesordnung. Die Reichstagsfraktion möge energisch eintreten für:

1. Einführung des gesetzlichen Achtstundentags für alle er­wachsenen Arbeiterinnen, der durch eine stufenweise Herabsetzung der täglichen Arbeitszeit auf zehn beziehungsweise neun Stunden für eine kurze, gesetzlich bestimmte Übergangszeit vorbereitet wer den kann;

für die jugendlichen Arbeiterinnen die Herabseßung der täg­lichen Marimalarbeitszeit auf vier beziehungsweise sechs Stunden, Erhöhung der Altersgrenze auf achtzehn Jahre und Einführung eines obligatorischen Fortbildungsunterrichts, in dessen Schulplan Haushaltungsunterricht, Gesundheitslehre und Säuglingspflege ein­zubeziehen sind;

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Zetkin ( Bundel), Stuttgart , Blumens Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.

für alle Arbeiterinnen die Abschaffung der Überstundenarbeit und Freigabe des Sonnabendnachmittag.

2. Absolutes Verbot der Nachtarbeit für Frauen. 3. Verbot der Verwendung von Frauen bei allen Beschäftigungs­arten, welche dem weiblichen Organismus besonders schädlich sind. Gesetzliche Förderung der Einführung solcher Vorrichtungen in Fabriken und Werkstätten, die die Gesundheit der darin Beschäf= tigten schützen. Ersatz gesundheitsschädlicher, im Arbeitsprozeß zur Verwendung gelangender Materialien durch gesundheitlich indifferente. 4. Ausdehnung der gesetzlichen Schutzbestimmungen auf die Haus­industrie entsprechend der Resolution des vierten Gewerkschafts­tongresses zu Stuttgart .

5. Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren.

6. Aktives und passives Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten.

7. Sicherung völliger Koalitionsfreiheit für die Arbeiterinnen. 8. Verbot der Beschäftigung von Frauen acht Wochen nach der Niederkunft, wenn das Kind lebt, sechs Wochen nach der Nieder­funft bei Tots und Fehlgeburten oder im Falle des Ablebens des Kindes.

Recht der Schwangeren auf kündigungslose Einstellung der Arbeit, sobald im weiteren Verlauf der Schwangerschaft durch den normalen Schwangerschaftszustand bedingte Anzeichen sich geltend machen, welche die Arbeit erschweren.

Beseitigung der Ausnahmebewilligungen, welche auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses die Wiederaufnahme der Arbeit vor Ablauf der festgesetzten Schußfrist gestatten.

Ausgestaltung der Schwangeren- und Wöchnerinnenfürsorge seitens der Krankenkassen durch:

Zubilligung eines Pflegegeldes an Schwangere und Wöchnerinnen für die Dauer der Schußfrist in der vollen Höhe des durchschnitt­lichen Tagesverdienstes. Obligatorische Ausdehnung der betreffenden Bestimmungen auf die Frauen der Kassenmitglieder.

Die Möglichkeit für die Durchführung dieser Bestimmungen ist zu schaffen durch Vereinheitlichung der Krankenversicherung , Zu­sammenschluß der Kassen zu kapitalkräftigen Verbänden, weitgehendes Selbstverwaltungsrecht der Versicherten und Zuschüsse vom Staat.

Errichtung von Entbindungsanstalten, Schwangeren- und Wöch­nerinnenheimen, Beschäftigungsanstalten für stillende Mütter, Organi­sation der Wöchnerinnenhauspflege durch die Gemeinde.

Verlängerte Mittagspause oder früherer täglicher Arbeitsschluß für die Arbeiterinnen?

II.

Zwei Gesichtspunkte sind es vor allem, unter denen der Wert einer verlängerten Mittagspause und der eines entsprechend früheren Arbeitsschlusses am Tage betrachtet und gegeneinander abgewogen werden muß. Es ist die Rücksicht auf die Ruhe und die Aus­spannung, deren die Arbeiterin nach der anstrengenden, oft die Kräfte aufs äußerste aussaugenden Arbeit des halben Tages dringend be­darf. Es ist der Hinblick auf die Erfüllung der vielgestaltigen, wirt­schaftlichen und sittlichen Verpflichtungen, welche die Familie, die Mutterschaft der Frau auferlegt. Mir scheint, daß in der einen wie der anderen Hinsicht die Interessen der Arbeiterinnen entschieden statt auf die gesetzliche eineinhalbstündige Mittagspause auf die weitere Verkürzung der Arbeitszeit am Abend hinweisen.

Die längere Unterbrechung der Arbeitszeit zu Mittag wird im allgemeinen nur von den Arbeiterinnen ausgenutzt werden, die ihr