Also sie sind doch immer dieselben, diese Männer, immer dieselben, selbst wenn es so aussieht, als müßten sie sich nun endlich einmal freigemacht haben von all den Kleinkrämereien, all den Vorurteilen, die sie in ihrem Hochmut, ihrem Dünkel nur noch aufgeblasener und alberner machen.

Dein Mann hat Dir also klipp und klar gesagt, daß er in die Versammlungen mit Dir nicht gehen will. Und ich, die ich ihn doch immer für einen unserer eifrigsten, überzeugtesten Genossen gehalten hatte! Ach, du großer Gott, manchmal glaubt man wirklich rein an der Zukunft verzweifeln zu müssen.

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Untersuchen wir mal die Sache. Was ist denn eigentlich der großartige Grund dafür, daß Du Dich allein zu Hause langweilen oder gar zu Bette gehen sollst, während er in den Verein geht? ,, Weil", so schreibst Du mir, er sich vor seinen Freunden nicht lächer­lich machen will." Lächerlich! Aber hat er denn wirklich das ge= sagt? Und war er, wirklich er es, der in jenem Augenblick sprach?- Aber es muß schon wahr sein; denn er hat Dich niemals auch nur zu einem Vortrag begleitet, er hat niemals mit Dir von seinen politischen Ansichten gesprochen, und nun, wo Du durch mich zum Sozialismus bekehrt worden bist, nun, wo Du auf meine Bitten hin hören und lernen möchtest, und sein Leben, unser Leben, ganz mit­leben, jetzt jagt er Dich furzerhand, gänzlich ungerechtfertigt, in die Einsamkeit, vielleicht auch in die Gleichgültigkeit, wenn nicht gar in Deine alten Zweifel zurück.

Er hat unrecht, und sobald ich ihn sehe, werde ich es ihm auch sagen. Ja, wenn Du im Hause nicht ebenso Deine Pflicht tätest wie er in der Fabrik, dann ließe ich's noch gelten; Du hast noch keine Kinder, die Deine Pflege verlangen, und wenn Du welche hättest, so würde er sicherlich nicht nötig haben, Dich an Deine Pflicht zu er innern. Du bist doch ein aufmerksames, geschäftiges, sorgfältiges Frauchen; was will er also mehr?

Wie kann er von dem Pflichtbewußtsein durchdrungen sein, daß er für seine Erlösung und die seiner Arbeitsgenossen fämpfen müsse, und dann Dir nicht das gleiche Recht zugestehen? Wie kann er nach der wahren, der völligen Freiheit trachten, wenn er sich selbst zu Hause dem Wesen gegenüber, das ihm am teuersten ist, zum Werk­zeug blinder, unvernünftiger Bedrückung macht?

Ach, wenn schon die, welche unter uns als die gewissenhaftesten gelten, sich im Familienkreis so betragen, was werden dann erst die anderen tun? Lächerlich"?! Das traurige Wort kommt mir in den Sinn, und leider klingt es mir nicht neu. Du weißt, Ezio und ich, wir sind immer, aber auch immer zusammen. Zusammen im Hause, zusammen auf langen, langen Spaziergängen, zusammen bei der Agi­

Mumu, das Hündchen des Taubskummen. Erzählung von J. S. Turgenjew .

Aus dem Russischen überseht von L. A. Hauff.

In einer entlegenen Straße Moskaus wohnte eine verwitwete Dame, umgeben von einem zahlreichen Hausgesinde, in einem grauen Hause mit weißen Säulen, Entresol und bedecktem Balkon.

Ihre Söhne waren im Dienste in Petersburg , ihre Töchter verheiratet. Selten ging sie aus und verlebte einsam die letzten Jahre ihres traurigen Alters. Ihr Tag war schon lange ver­flossen, trübe und freudlos, ihr Abend aber war schwärzer als die Nacht.

Die merkwürdigste Person in ihrem ganzen Hausgesinde war Gerassim, der Portier, ein Taubstummer von mächtiger Gestalt. Die Herrin hatte ihn vom Gute mitgenommen, wo er allein in einer fleinen Hütte, getrennt von seinesgleichen, gewohnt und für den besten Fronbauern gegolten hatte. Mit einer ungewöhnlichen Kraft begabt, arbeitete er für vier, und es war ein Vergnügen, zu sehen, wie die Arbeit unter seinen Händen gedieh. Die be­ständige Schweigsamkeit verlieh seiner unermüdlichen Arbeit eine feierliche Würde. Er war ein prächtiger Bauer, und wäre sein Ge­brechen nicht gewesen, so hätte ihn jedes Mädchen gerne geheiratet.

Aber nun führte man Gerassim nach Mostau, taufte ihm Stiefel, einen Kaftan für den Sommer und einen Pelz für den Winter, gab ihm einen Besen und eine Schaufel in die Hand und machte ihn zum Portier.

Sein neues Leben mißfiel ihm anfangs sehr. Von Jugend auf war er gewöhnt an Feldarbeiten und Landleben. Durch seinen Sprachfehler den Menschen entfremdet, wuchs er stumm und kräftig auf, wie ein Baum auf fruchtbarer Erde...

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tation, zusammen im sozialistischen Klub. Wir sind so glücklich in dieser Gesellschaft, die uns ans Herz gewachsen ist, wir ergänzen uns gegenseitig. Ich finde, wir sind wirklich zu beneiden.

Nun also ist es mir manchmal leider so vorgekommen, als über­raschte ich auf den Lippen der Genossen ein halb mitleidiges, halb verächtliches Lächeln. Dann war es mir, als zöge sich mir das Herz zusammen, als erstarrte plötzlich all mein Enthusiasmus zu Eis, und als würde meine Kraft gelähmt. Aber an Ezios Seite! An seiner Seite können diese Momente der Trostlosigkeit nicht lange standhalten, ich blicke ihn an und die Zuversicht wächst immer nur noch kräftiger wieder empor.

Welch innere Befriedigung fühlen wir nicht, wenn wir beide ganz allein dorthin gehen, wo das Elend am greifbarsten ist, draußen vor den Toren, in Gäßchen, die nicht einmal einen Meter breit sind, um ein Wort des Trostes zu spenden und die Hoffnung als eine Stütze all den Verwährlosten zu bieten, die in Stumpfsinn vertieren!

Und Dir will man all das vorenthalten? Nein, Du darfst es nicht zulassen, daß das geschieht. Du liebst Deinen guten Alessandro, und er liebt Dich.

Kränke ihn nicht, aber sieh zu, daß Du ihm ganz allmählich im Guten die Überzeugung beibringst, daß er sich gegen Dich beträgt, wie er es nicht tun sollte. Gib ihm so ganz langsam zu verstehen, daß Du nicht mehr so ein Alltagsweibchen wie all die vielen anderen bist, die sich nur beim Klatschen und Lottospielen begeistern, sondern daß Du ein echtes, rechtes Frauchen geworden bist.

Du sollst sehen, das wird wie eine Offenbarung für ihn sein. Und er wird Dich mit immer wachsendem Interesse anhören; ohne darüber nachzudenken, wird er Dich bei jeder Sache zu Rate ziehen, Du wirst ihm unentbehrlich werden, und schließlich wirst Du noch hören, wie er als erster zu Dir sagt:" Gehen wir heute abend zu­sammen? Es ist eine Versammlung im Klub."

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Denn er wird unversehens dahin gekommen sein, daß er begreift, daß lächerlich" wirklich doch nur diejenigen sind, welche ein Ding sagen und ein anderes tun; ,, lächerlich" sind die, welche den Sozialismus mit großer Geschwäßigkeit in den Sigungen oder den Versammlungen verteidigen und ihn doch in der Tat bekämpfen, in­dem sie der Propaganda Kräfte und Gemüter entziehen;- ,, lächer­

* Das Lotto( Lotterie-) spielen ist ein in Italien weitverbreitetes Laster, das jährlich gerade der Arbeiterklasse viele Tausende verschlingt. Es wird von den italienischen Parteigenossen natürlich auf das schärfste getadelt, und der Avanti" bringt die gezogenen Nummern stets mit der Überschrift: Die Steuer für die Dummköpfe."

Er grämte und wunderte sich wie ein junger Stier, den man eben von der Weide genommen und in einen Eisenbahnwagen geführt hatte, und welcher jetzt unter Rauch und Funken und zischenden Dampfwolfen, unter Gepolter und Pfeifen mit Sturmeseile fort­gebracht wird, Gott weiß, wohin.

Gerassim erschienen seine Obliegenheiten in seiner neuen Stellung wie Scherz nach der schweren Feldarbeit. In einer halben Stunde war er mit allem fertig. Dann stand er oft mitten im Hofe und starrte die Vorübergehenden mit offenem Munde an, als ob er von ihnen Aufklärung über seine rätselhafte Lage erwartete. Zuweilen aber verkroch er sich plöglich in eine Ecke, schleuderte Besen und Schaufel weit von sich, warf sich mit dem Gesicht auf die Erde und lag stundenlang regungslos auf der Brust, wie ein gefangenes Raubtier.

Aber der Mensch gewöhnt sich an alles, und so gewöhnte sich endlich auch Gerassim an das Stadtleben. Er hatte nicht viel Arbeit. Sein Amt war es, den Hof rein zu halten, zweimal täglich ein Faß voll Wasser herbeizuführen, Holz für die Küche und das Haus herbeizuschaffen und zu spalten, keine Fremden ins Haus zu lassen und nachts zu wachen. Und er erfüllte seine Pflichten mit Eifer. Niemals lag ein Spänchen oder Scherbchen auf dem Hofe umher; wenn einmal sein Wagen mit dem Wasser­faß bei Tauwetter im Schlamm stecken blieb, so schob er nur ein wenig mit der Schulter, und nicht nur der Wagen, sogar das Pferd rührten sich von der Stelle. Wenn er Holz spaltete, er= flang sein Beil wie Glas, und die Späne flogen nach allen Seiten. Und er hielt scharfe Wache. Seitdem er einmal in der Nacht zwei Diebe gefangen und ihnen die Köpfe so zusammengestoßen hatte, daß man sie nachher kaum noch auf die Polizei zu führen brauchte, stand er in der ganzen Nachbarschaft in großem Respekt. Mit der übrigen Dienerschaft stand Gerassim nicht gerade auf freundschaftlichem Fuße denn sie fürchteten ihn-, aber er

In die Stadt verseßt, begriff er nicht, was mit ihm vorging. freundschaftlichem Fuße