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Das Lied vom Falken.

Bon Maxim Gorki.  *

Das Meer schlummert.

Träg seufzt es hier am Ufer, das Gewaltige- aber in der vom bläulichen Mondlicht übergossenen Ferne ist es schon eingeschlafen und unbeweglich. Samtweich und schwarz scheint es dort mit dem tiefblauen südlichen Himmel ineinander zu fließen und schlummert fest, während das durchsichtige Gewebe der unbeweglichen Federwolken, hinter denen die goldenen Muster der Sternbilder hervor schimmern, sich in ihm spiegelt. Es scheint, als ob der Himmel sich immer tiefer zum Meere herabsente, um zu erlauschen, was die rastlos bewegten Wogen, die leise am Ufer hinaufkriechen, einander zuzuflüstern haben. Die Berge, deren Baumwuchs der Nordost in phan­tastischer Weise verfrümmt hat, ragen mit ihren Gipfeln schroff in die einsame blaue Höhe empor, und ihre nüch­ternen, strengen Konturen haben sich in dem weichen, warmen Nebel der südlichen Nacht gleichsam gerundet. Ernst und sinnend schauen die Berggipfel drein. Auf die üppigen, grünlich schimmernden Wogenkämme sind ihre schwarzen Schatten gefallen und bedecken sie, als ob sie auch diese letzte Bewegung anhalten und das ewige Rauschen der Wogen und Üchzen des Schaumes ersticken wollten. Dieses Achzen und Rauschen ist der einzige Laut, der die geheimnisvolle Stille der Landschaft unter­bricht, über welche der noch hinter den Berghöhen ver­borgene Mond sein bläuliches Silberlicht ausgießt.

Gleichheit

1.

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Nr. 1

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fie dort- doch Nahrung nicht, noch den nötigen Stütz­

Willst du ein Lied hören?" fragt er mich. Eins seiner alten Lieder ob ich's hören will! punkt für den Körper. Was will ihr Hochmut, ihr Haß Und in traurig- monotonem Rezitativ, eifrig bemüht, wider Erde und Leben? Nichts weiter will er, als den die eigenartige Steppenmelodie des Liedes festzuhalten, Widersinn ihrer Wünsche und ihre Untauglichkeit für die beginnt er wie folgt: Dinge dieser Welt verschleiern. Lächerliche Vögel.... Aber von nun an sollen ihre Reden mich nicht mehr betrügen. Ich weiß nun selber alles hab' selbst den Hoch hinauf in die Berge kroch die Schlange und Himmel gesehen! Emporgeflogen bin ich, hab' ihn durch­legte sich dort, zum Knäuel gerollt und aufs Meer messen und den Absturz kennen gelernt doch ward ich nicht zerschmettert, sondern glaube jetzt nur um so blickend, in einer Felskluft nieder. fester an mich selbst. Mag, wer die Erde nicht liebt, ich kenne die Wahrheit! in Täuschungen hinleben­Nicht will ich den Rufen der Schwärmer Folge leisten! Ein Geschöpf der Erde, will von der Erde und auf der Erde ich leben.

Hoch am Himmel glänzte die Sonne, und heiße Glut atmeten rings die Berge, und unten am Gestein brachen sich die Wogen.

Und durch die Felskluft im Dunkel floß causchend und hüpfend von Stein zu Stein ein Bach dem Meere ent­gegen.

Weiß war er ganz von Schaum und rannte hurtig dahin zum Meere, mit zornigem Geheul den Berg durch­schneidend.

Da plöglich fiel in die Kluft, in der die Schlange ge­ringelt lag, vom Himmel ein Falke mit zerschmetterter Brust, Blut am Gefieder.

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Und sie ringelte auf dem Steine sich zum Kreise und war mit sich selbst gar zufrieden.

Die Wogen des Meeres aber schlugen drohend ans Ufer, und aus ihrem Löwengebrüll klang's zum Himmel auf wie ein Lied vom stolzen Falken:

Der Torheit der Tapferen singen ein Lied wir! Die Torheit der Tapferen- sie ist die Weisheit des Mit kurzem Aufschrei fiel er zu Boden und schlug in Lebens! Im Kampfe gefallen bist du, o kühner Falke machtlosem Borne seine Brust gegen den harten Felsen.... doch jeder Tropfen deines heißen Blutes wird wirken Die Schlange erschrak und troch flink davon, begriff wie ein Funke, wird im Dunkel des Lebens in mutigen aber rasch, daß dem Vogel nur kurze Frist war gegeben. Herzen die Sehnsucht wecken: die wahnsinnige Sehnsucht Und näher froch sie heran zum verwundeten Falfen nach Licht und Freiheit. und zischte ihm grade ins Antlitz:" Sag- du stirbst wohl?"

A- alla- ach- a- afbar!..." seufzt melancholisch­" So ist's," sprach der Falke, ich sterbe. Doch hab' leise Nadyr- Ragim- Ogly, der alte tatarische Schafhirt, ich glücklich gelebt und tapfer gekämpft und den Himmel ein hochgewachsener, hagerer, fluger Greis mit sonnen- geschaut, den du nimmer wirst schauen." " Was ist mir der Himmel? Ein öder Raum! Was verbranntem Gesicht und grauem Barte. soll ich drin suchen, da hier mir so wohl und warm ist?" So sprach zum freien Vogel die Schlange und verlachte ihn im Herzen ob seiner schwärmenden Worte. Ende ist doch gleich! Zur Erde kehrt alles zurück, zum Und sie dachte bei sich: Gekrochen oder geflogen- das

Staube."

Wir liegen beide im Sande neben einem mächtigen Felsblock, der sich vom Berge losgerissen hat und im Schatten liegt, ganz mit Moos bewachsen und so traurig, finster. Auf der Seite, die dem Meere zugewandt iſt, haben die Wogen Schlamm und Seetang darüber ge­häuft; der damit behängte Fels scheint an den schmalen Aber der fühne Falfe begann mit den Fittichen plötzlich Sandstreifen gefesselt, der das Meer vom Berge scheidet. Die Flamme unseres Wachtfeuers beleuchtet ihn von der zu schlagen und richtete ein wenig sich auf und schaute Seite, die dem Berge zugekehrt ist, und ihr Flackern sich um in der Felsfluft. wirft auf das alte, von einem dichten Nezze tiefer Risse zerfetzte Gestein tanzende Schatten. Der starre Fels scheint zu denken und zu empfinden...

über das graue Gestein quoll das Wasser, und dumpf war's in dem dunklen Geflüft und roch nach Fäulnis. Und Sehnsucht packte den Falken und Schmerz, und alle feine Kraft zusammenfassend, schrie er:

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Wohl bist du gestorben aber im Liede der Kühnen und Starken lebst weiter du fort, und lebst auf ewig! Der Torheit der Tapferen singen ein Lied wir...."

... Schweigend ruht die opalfarbige Ferne des Meeres, melancholisch flatschen die Wogen gegen den Sand, und ich schweige und schaue Ragim an, der eben aufgehört hat, sein Lied vom Falken dem Meere zu singen. Auf dem Wasser erscheinen immer mehr silberne Mondlicht­flecke.... Unser Kessel beginnt leise zu sieden.

Eine der Wogen springt herausfordernd ans Ufer und friecht, mutwillig rauschend, bis an Ragims Kopf.

Wohin willst du denn?... Weg da!" wehrt Ragim sie mit der Hand ab- und sie gleitet gehorsam zum Meere zurück.

Ich finde nichts Lächerliches in Ragims Verhalten gegen die Woge, die er wie ein lebendes Wesen anredet. Alles ringsum schaut so seltsam lebendig, so mild und freundlich drein. Das Meer ist so auffallend ruhig, man spürt in dem frischen Hauche, mit dem es die noch von der Tageshiße nicht abgefühlten Berge anweht, eine Fülle verhaltener, gewaltiger Kraft. Die goldenen Zeichen der Sternbilder erscheinen am dunkelblauen Nachthimmel als Die Schlange aber dachte bei sich: Schön muß es eine feierliche Inschrift, die auf die Seele wie ein Zauber

Ich bin eben mit Ragim vom Kaulquappenfang ge­,, D, könnt' ich noch einmal zum Himmel empor mich kommen, und wir kochen uns eine Fischsuppe. Wir befinden uns beide in jener seltsamen Stimmung, in der schwingen und in der Freude des Kampfes den Feind uns alles vergeistigt, beseelt und dem menschlichen Ver- an die wunde Brust drücken, daß er in meinem Blute ständnis zugänglich erscheint, in der einem so hell und erstickte!..." Leicht zumute ist und einzig der Wunsch im Herzen lebt,

zu sinnen und zu träumen.

Das Meer flatscht schmeichelnd gegen das Ufer, und die Wellen rauschen so klagend- sanft, wie wenn sie uns bäten, sie an unser Feuer heranzulassen, damit sie sich wärmen fönnen. Ab und zu läßt inmitten des harmonisch gleichmäßigen Rauschens sich eine einzelne höhere, mut willig- neckische Note vernehmen: sie rührt von einer der Wogen her, die, kecker als die anderen, näher zu uns herangekrochen ist. Ragim hat die Wogen bereits mit Weibern verglichener hat sie im Verdacht, daß sie uns umarmen und küssen wollen.

Er liegt mit der Brust auf dem Sande, mit dem Kopfe zum Meere, und schaut nachdenklich in die nebelige Ferne. Auf die Ellbogen hält er den Kopf gestützt, die zottige Schaffellmütze ist ihm in den Nacken geglitten, und vom Meere her weht ein frischer Hauch gegen seine hohe Stirne, die ganz von seinen Fältchen bedeckt ist. Er philosophiert, ohne sich darum zu fümmern, ob ich ihn höre, und ohne mir die geringste Aufmerksamkeit zu schenten wie wenn er mit dem Meere spräche:

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" Der Mensch, der Gott treu bleibt, geht ins Paradies ein. Und jener, der Gott und dem Propheten nicht dient? Vielleicht ist er in jenen Schaum da ver­wandelt... Und die leuchtenden Stellen dort auf dem Wasser vielleicht ist er das gleichfalls... Wer weiß es?"

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wohl sein dort oben am Himmel, wenn er also danach wirkt und den Verstand durch die süße Erwartung irgend sich sehnet."

Und sie sprach zum freien Falken:" So heb dich empor doch zum Rande der Kluft und stürz dich hinab dann! Vielleicht, daß deine Flügel von selbst dich tragen und du ein Weilchen noch glücklich kannst sein in deinem Reiche!"

Und ein Zittern befiel den Falken, und leise auf schreiend krallte er empor sich am schlüpfrigen Felsen. Und er erreichte den Rand der Kluft, und blizenden Auges, tief Atem schöpfend, spreizte die Flügel er aus, um niederzuschweben.

Doch wie ein Stein, von Fels zu Fels springend, stürzte er jählings den Abgrund hinunter zerschmettert, zerzaust, mit gebrochenem Fittich....

einer Offenbarung gefangen nimmt.

Alles liegt im Schlafe doch ist es ein leiser, wach­samer Schlaf, und es scheint, daß im nächsten Augen­blick alles ringsum erbeben und im harmonischen Wohl­laut unsäglich süßer Töne erklingen wird. Diese Töne werden Kunde geben von den Geheimnissen des Seins, sie werden sie dem Verstand enthüllen, und dann werden sie ihn auslöschen wie ein Jrrlicht und werden die Seele hoch emportragen in die dunkelblaue, unendliche Ferne, aus der die zitternden Sternbilder gleichfalls ihr zum Willkommen in wunderbarer Offenbarungsmusik ertönen werden.

Martha.

Von Ada Negri.  *

Die Welle des Baches griff ihn auf, wusch das Blut ihm ab, hüllt' in Schaum ihn ein und trug ihn zum Meere. Wehklagend schlugen die Wogen des Meeres ans Ge- Obgleich sie starke Wehn durchzuckten schon wie Flammen, stein; doch der Falke, der tote, war nimmer zu schauen.... hielt sie doch aufrecht, bleich und stumm am Webstuhl aus.

2.

Und als die Arbeit schloß, lief eilig sie nach Haus beim scharfen Nord und brach an ihrer Tür zusammen.

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In ihrer Felskluft liegend, dachte die Schlange eifrig nach über den Tod des Falten und sein Streben zum Sie stöhnt' und wimmerte, und als der Morgen wieder Himmel. herausgedämmert bleich, da kam das arme Weib, Und sie schaute in jene Ferne, die immer wieder den aufschreiend wie ein Tier, dem man zerriß den Leib, Gedanken des Glückes im Herzen erwecket.

Das dunkle, wogende Meer erhellt sich, hier- und da Und es dachte die Schlange bei sich:" Was mocht' er mit einem toten Kind in bittren Qualen nieder. hin fällt in unregelmäßigen Flecken der silberne Licht- nur sehn, der tote Falke, in dieser endlosen Öde? Was schein des Mondes. Er ist bereits hinter den waldigen mag ihn reizen zum Fluge in die Höhe, dem Himmel Daß ihre Augen nicht den Jammer mehr erschauen, Berggipfeln emporgestiegen und gießt jetzt wie sinnend entgegen? Will's auch mal versuchen, auf furze Zeit nahm man stillschweigend ihr den kleinen Leichnam fort. sein Licht über das Meer aus, das ihm still entgegen- zum Himmel mich schwingen und alles erfahren." Drei Tage lag sie dann noch auf den Kissen dort; seufzt. Gesagt getan. Zum Ringe erst gekrümmt, schoß das starre Angesicht schien wie aus Stein gehauen; Ragim!"- bitte ich den Alten ,, erzähl' doch ein sie jäh dann empor, wie ein buntes Band im Sonnen­Märchen! Ich hab' deine Märchen so gern..." allein am vierten Tag des Nordwinds eis'ges Wehen glanz schimmernd. " Weiß keins mehr. Hab' dir schon alle Märchen er­hatt' noch nicht aufgehört da rafft' sie sich empor, zählt, die ich kenne", versezt der alte Krim  - Tatar, ohne und totenblaß, als ob sie alles Blut verlor.... fich aus seiner Stellung zu rühren.

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Ich weiß aber, daß er nur gebeten sein will, und so bitte ich ihn.

* Aus Ausgewählte Erzählungen von Maxim Gorki  , deutsch von A. Scholz. Bierter Band. Berlin   1902, Bruno Cassirer  .

Aber zum Kriechen war sie bestimmt und konnte nicht fliegen. Und sie fiel nieder auf einen Stein unver­sehrt und heil, und sie lachte.

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so sah man sie zerstört zurück zum Webstuhl gehen.

* Aus ,, Mutterschaft". Berlin  , F. Fontane& Gie.

Das also, sprach sie, ist das Geheimnis des Fluges zum Himmel! Im Fallen beruht sein Reiz!... Lächer­liche Vögel! Kennen die Erde nicht und sehnen sich von ihr fort, streben zum Himmel empor und suchen das Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zettin( Zundel), Wilhelmshöhe Leben in seiner sonnenschwülen Weite! Licht zwar haben|

Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .

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