15. Jahrgang" Sie GleichheitN-WGZWMWAZW Zeitschrist für die Interessen der Arbeiterinnen tTWtTZMMMMNInhalte-Verzeichnis.Die Revolution in Rußland. Von Rosa Luxemburg.— Vom Wert. II.Von Julian Borchardt.— Louise Michel. Von W. Holzamer-Paris.— Der Kampf der Bergarbeiter im Ruhrrevier.— Aus der Bewegung: Von der Agitation.— Zeitschrist für die Interessen derjugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen.— Die Haltung derFrauen beim Bergarbeitcrstreik.— Politische Rundschau. Von Li.— Gewerkschaftliche Rundschau.Notizentcil: Vom italienischen Gewerkschaftskongreß.— Soziale Gesetzgebung.— Frauenarbeit aus dem Gebiet der Industrie, des Handelsund Verkehrswesens.— Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.—Fraucnstimmrecht.— Quittung.Feuilleton: Die Schmerzensreichen. Von Ada Negri.(Gedicht.)—Im Armenhause. Von Ada Christen.(Schluß.)Die Revolution in Nußland.Die erste revolutionäre Massenerhebung des russischenProletariats gegen den Absolutismus, am 22. Januarin Petersburg, ist von der Knutenregierung„siegreich"niedergeworfen, das heißt im Blute Tausender wehrloserArbeiter, im Blute der hingemordeten Männer, Frauenund Kinder des Volkes erstickt worden. Es ist sehr wohlmöglich, daß— wenigstens in Petersburg selbst— fürden Augenblick eine düstere Ruhepause in der revolutionären Bewegung eintritt. Die Sturmwelle flutet nunvon Petersburg, vom Norden, über das ganze Riesenreich herunter und erfaßt nacheinander alle größerenIndustriestädte Rußlands. Wer einen Sieg der Revolution auf einen Schlag erwartete, wer sich jetzt, nachdem„Siege" der Blut- und Eisenpolitik, in Petersburgje nach der Parteistellung einer pessimistischen Niedergeschlagenheit oder einem vorzeitigen Jubel über dieWiederherstellung der„Ordnung" hingeben wollte, derwürde nur beweisen, daß die Geschichte der Revolutionenmit ihren inneren ehernen Gesetzen für ihn ein Buch mitsieben Siegeln geblieben ist.Es dauerte eine Ewigkeit— wenigstens gemessen ander revolutionären Ungeduld und an den Qualen desrussischen Volkes—, bis unter der jahrhundertealten Eisdecke des Absolutismus das Feuer der Revolution zurhellen Lohe entfacht wurde. Es mag und wird sichereine ganze lange Periode furchtbarer Kämpfe dauern,mit abwechselnden Siegen und Niederlagen des Volkes,die unzählige Opfer kosten, bis die mordlustige, noch inihrem Verenden schreckliche Bestie des Absolutismus endgültig niedergeschlagen wird. Wir müssen uns auf einenach Jahren, nicht nach Tagen und Monaten zählendeRevolutionsepoche in Rußland gefaßt machen, ähnlichder großen französischen Revolution.Und doch— alle Freunde der Zivilisation und derFreiheit, das heißt die internationale Arbeiterklasse kannjetzt schon jubeln aus vollem Herzen. Die Sache derFreiheit ist jetzt schon in Rußland gewonnen, die Sacheder internationalen Reaktion hat jetzt schon am 22. Januar auf den Straßen Petersburgs ihr blutiges Jena erlebt. Denn an diesem Tage hat zum erstenmaldas russische Proletariat als Klasse die politische Bühne betreten, zum erstenmal ist endlich aufdem Kampfplatz diejenige Macht erschienen, die alleingeschichtlich berufen und imstande ist, den Zarismus inden Staub zu werfen und in Rußland, wie überall,das Banner der Zivilisation aufzupflanzen.Der Kleinkrieg gegen die russische Alleinherrschaft dauertschon fast ein Jahrhundert. Bereits 1825 gab es inPetersburg eine Revolte, getragen von der Jugend derhöchsten Aristokratie, von Offizieren, die an den Kettendes Despotismus zu rütteln versuchten. Die Denkmälerdieser sehlgeschlagenen, grausam niedergeworfenen Erhebung sind heute noch zu finden in den SchneefeldernSibiriens, wo Dutzende edelster Opfer auf ewig begraben wurden. Geheime Verschwörungsgesellschaften undAnschläge erneuerten sich in den fünfziger Jahren, undwieder triumphierte bald die„Ordnung" und Knute überdie Schar der verzweifelten Kämpfer. In den siebzigerJahren bildete sich eine starke Partei der revolutionärenIntelligenz, die, auf die Bauerumasse gestützt, vermittelssystematischer terroristischer Anschläge auf die Zareu einenpolitischen Umsturz herbeiführen wollte. Es stellte sichjedoch bald heraus, daß die damalige Bauernmasse einträges, ganz ungeeignetes Element für revolutionäre Bewegungen war. Ebenso erwies sich die Beseitigung derZaren als eine ganz ohnmächtige Waffe, um den Zarismus als Regierungssystem zu beseitigen.Nach dem Niedergang der terroristischen Bewegung inRußland in den achtziger Jahren bemächtigte sich derrussischen Gesellschaft, wie der Freunde der Freiheit inWesteuropa, für eine Weile eine tiefe Niedergeschlagenheit. Der Eisblock des Absolutismus schien unerschütterlich, die sozialen Zustände in Rußland schienen hoffnungslose zu sein. Und doch setzte gerade in diesem Augenblick in Rußland diejenige Bewegung ein, deren Ergebnisder 22. Januar dieses Jahres werden sollte— diesozialdemokratische.Es war ein ganz verzweifelter Gedanke des russischenZarismus, nach der schweren Niederlage im Krimkrieg,seit den sechziger Jahren den westeuropäischen Kapitalismus nach Rußland zu verpflanzen. Der bankrotte Absolutismus brauchte jedoch zu fiskalischen und militärischenZwecken Eisenbahnen und Telegraphen, Eisen und Kohle,Maschinen, Baumwolle und Tuch im Lande. Er zogden Kapitalismus mit allen Mitteln der Volksplünderungund der rücksichtslosen Schutzzollpolitik groß und— grubsich damit unbewußt mit eigenen Händen das Grab.Er pflegte liebevoll die Kapitalistenklasse und ihre Ausbeutung— und züchtete damit Proletarier und ihreEmpörung gegen die Ausbeutung und Unterdrückung.Die Rolle, zu der sich das Bauerntum untauglich erwies,wurde zur historischen Aufgabe der städtischen, industriellenArbeiterklasse in Rußland: diese Klasse wurde zumTräger der freiheitlichenund revolutionärenBe-wegung. Die unermüdliche unterirdische Aufklärungsarbeit der russischen Sozialdemokratie hat in Rußlandin zwanzig Jahren fertig gebracht, was ein Jahrhundertheldenmütigster Revolten der Intelligenz nicht vermochthatte: die alte Zwingburg des Despotismus in ihrenGrundfesten zu erschüttern.Nun können alle oppositionellen und revolutionärenKräfte der russischen Gesellschaft in Wirkung treten: dieelementare, unklare Bauernempörung, die liberale Unzufriedenheit des fortschrittlichen Adels, der Freiheitsdrang der gebildeten Intelligenz, der Professoren, Literaten, Advokaten. Sie alle können nun, gestützt auf dierevolutionäre Massenbewegung des städtischen Proletariatsund hinter ihm herschreitend, ein großes Heer Kämpfender,ein Volk gegen den Zarismus führen. Aber die Machtund die Zukunft der revoluttonären Bewegung liegteinzig und allein im klassenbewußten russischen Proletariat, wie dieses allein es versteht, zu Tausenden aufdem Schlachtfclde der Freiheit das Leben zu opfern. Undmag im ersten Augenblick die Leitung der Erhebung indie Hände zufälliger Führer geraten, mag die Erhebungvon allerlei Illusionen und Traditionen äußerlich getrübtsein,— sie ist doch nur ein Ergebnis der enormen Summeder politischen Aufklärung, die in den letzten zwei Jahrzehnten durch die sozialdemokratische Agitation von Frauenund Männern unsichtbar in den Schichten der russischenArbeiterklasse verbreitet worden ist.In Rußland, wie in aller Welt, liegt nun die Sacheder Freiheit und des sozialen Fortschritts in den Händendes klassenbewußten Proletariats. Sie ist gut aufgehoben!_ Rosa Luxemburg.Vom Wert.ii.Werfen wir jetzt einen Rückblick auf die Sätze, die wirbisher über Wert, Preis und Geld gefunden haben, so sehenwir, daß sie samt und sonders sich auf den Tausch beziehen.Existiert der Wert nur im Tausch und gibt es anderswoals im Tausch keinen Wert?Wiederholt war bereits davon die Rede, daß in früherenZeiten der Geschichte kein Tausch stattfand, weil jeder selbstproduzierte(herstellte), was er brauchte. Konnte damals inden Köpfen der Menschen der Begriff„Wert" sich bilden?Konnte jemand aus den Gedanken kommen, zu fragen, wieviel ein Gegenstand wert sei? Offenbar nicht. Wenn jemandzum Beispiel einen Tisch zu eigenem Gebrauch gezimmerthat und nicht daran denkt, ihn zu verkaufen, weil eine derartige Sitte überhaupt nicht existiert, da jeder, der einenTisch braucht, ihn sich selbst macht, dann kann auch keineRede davon sein, daß jemand sich den Kopf darüber zerbricht, wieviel der Tisch wert sei. Diese Frage taucht erstauf, wenn man den Tisch vertauschen will, denn dann mußman wissen, wieviel andere Gegenstände man für denTisch fordern soll. Erst dann also bekommt der Tisch Wert.— In einer Gesellschaft also, die nicht kauft noch verkauft,gibt es auch keinen Wert.Doch wie? Sollte der Tisch nicht dennoch Wert haben?Stellen wir uns vor, eine Familie habe bis dahin keinenTisch besessen und diesen Mangel oft lästig empfunden. Endlich haben Vater und Söhne sich an die Arbeit gemacht undden Tisch gezimmert. Nun ist er da. Wird nun nicht dieFamilie sagen: Dieser Tisch hat einen großen Wert für uns?— Kein Zweifel, daß sie das tun wird.Wie ist denn nun die Sache? Existiert der Wert in einersolchen Gesellschaft oder existiert er nicht? Gibt es Wertnur beim Tausch oder auch, wo nicht getauscht wird?Ein wenig Geduld und gespannte Aufmerksamkeit wirddas Rätsel lösen.—Wenn jemand einen Tisch verkaufen will, so gilt derSatz: der Tisch ist 20 Mark wert, oder auch: der Tisch istdrei Hammel wert.Wenn er ihn dagegen nicht verkaufen, sondern in eigenenGebrauch nehmen will, so sagt er vielleicht: der Tisch hateinen großen Wert für mich.In beiden Fällen wird das Wort„Wert" gebraucht. Aberhat es beidemal denselben Sinn?— Das erstemal bezeichnetes die Anzahl anderer Gegenstän de, die man im Tauschfür den Tisch bekommt; das zweitemal drückt es aus, daßder Tisch dem Besitzer nützlich ist. Zwei ganz verschiedene Dinge.Der Unterschied zeigt sich schon äußerlich auf den erstenBlick. Das erstemal hat der Wert eine ganz bestimmteMenge. Es kann und es muß sogar angegeben werden,wieviel der Tisch wert ist. Nichts dergleichen das zweitemal. Wohl sagt man, daß ein Tisch uns nützlicher oderweniger nützlich sei als ein anderer Gegenstand(was übrigensauch nur eine Ungenauigkeit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs ist). Aber man kann keine Menge angeben, mankann nicht sagen, um wieviel der eine Gegenstand den anderen an Nützlichkeit übertrifft. Mit einem Wort: man kannden Wert, soweit er die Nützlichkeit eines Gegenstandesbedeutet, nicht in Zahlen angeben. Das kann man aber,und das muß man sogar, wenn es sich darum handelt, denWert im Verkauf anzugeben.Die große Verschiedenheit der beiden Arten Wert erhelltnoch aus anderen Überlegungen. Der Wert eines Gegenstandes, der seine Nützlichkeit bedeutet, kann für jeden Menschen ein anderer sein. Derselbe Tisch, der für den einenden allergrößten Wert(im Sinne von Nutzen) hat und ihmvielleicht unentbehrlich ist, kann für seinen Nachbar ganzüberflüssig und deshalb wertlos sein. Dahingegen der Werteines Gegenstandes, der sein Tauschverhältnis bezeichnet(undder bei den zivilisierten Völkern heutzutage immer im Preisausgedrückt wird), der ist ein und derselbe für jedermann.Ist der Tisch einmal 2V Mark wert, so ist er es für jedermann. Wer den Tisch kaufen will, muß 20 Mark zahlen,ganz gleich, ob der Nutzen des Tisches für ihn groß oderklein ist.Es ist also klar, daß das Wort„Wert", wenn es denNutzen bezeichnet, den der Gebrauch eines Dinges bringt,einen ganz anderen Sinn hat, als wenn es das Tauschverhältnis eines Gegenstandes bezeichnet. Für zwei verschiedene Begriffe muß man auch zwei verschiedene Worteanwenden. Deshalb nennt man in der Volkswirtschaftslehredas eine, nämlich den Nutzen, Gebrauchswert, und dasandere, nämlich das Tauschverhältnis, nennt man Tauschwert.Der Tauschwert natürlich existiert nur im Tausch. Wonicht gekauft und verkauft wird, da gibt es auch keinenTauschwert. Das Wort bedeutet ja nur die Anzahl Gegenstände, die man im Tausch bekommt. Der Gebrauchswertdagegen hat mit dem Tausch nichts zu tun. Hat ein Gegenstand Gebrauchswert(das heißt Nützlichkeit) für den Menschen,so hat er ihn immer, ganz gleichgültig, ob er ausgetauschtwird oder nicht.— Dinge, die keinen Gebrauchswert haben,das heißt die der Mensch zu nichts verwenden kann, wirdnatürlich niemand kaufen. Folglich haben sie auch keinenTauschwert, und wir können als allgemeine Regel den Satz