24 Die Gleichheit Nr. 4 Weggedanken. Von Otto Krille. Die Wintersonne guckte bleich durch die knarrenden Gipfel der Föhren, über den frisch gefallenen Schnee ging ein Flimmern von tausend Sternchen. Von den Zweigen fielen mir auf Hut und Mantel reichliche Flocken des weißen Segens, und die Brust sog wachsend die herbe Luft in kräftigen Zügen. Mein Eichenstock knirschte auf dem harten Boden des Waldweges. Winterwandenmg in der Waldstille. Wie die klare, kalte Luft wird da unser Denken, durch­sichtig, fernenweit. Der Eishauch drängt die Flammen der Leidenschaften und Zweifel zusammen und erstickt sie zu einem winzigen, glühenden Aschenrestchen. Groß, rein und krystallklar wird unser Wollen, wie die Winterluft, wie der jungfräuliche Schnee. Der lag in glücklicher Keuschheit ausgestreut, und meine Augen schmerzten, wenn sie nach ihm blickten. War es seine blendende Helle? War es der Schmerz, daß unsere Reinheit so schnell vergeht und wir bald Staub tragen an unseren Schuhen und Kleidern von der Straße des Lebens? Wer aber will entscheiden, was heiliger ist, der zartkeusche Kinder­fuß oder der staubbedeckte Fuß des Lebenskämpfers? Und die Evangelien erzählen von einem Weibe, das einem göttlichen Dulder die Füße wusch. Heiligt der Lebensweg die Füße, die ihn betreten? Auf dem Waldweg vor mir hoben sich vom Schnee graue Fußspuren ab. Irgend einer hatte diese wunder­bare Stille genossen, vorauseilend meinen Schritten. Und wie ich länger die Zeichen menschlicher Nähe betrachtete, da kam mir ein Bild der Vergangenheit vor die Seele. Weite, flimmernde Heide, dazwischen nur niedrige Wacholderbäume, schwer mit Schnee beladen. Ich allein, wie ein Ungläubiger in einem Tempel, scheu und staunend, neugierig und lächelnd. Und ein halbvergessenes Gedicht von dem kleinen Er­eignis kam mir wieder in den Sinn. Lag die weite Heide tief verschneit, Rings ein sonnenfunkelnd Leben nur. Im erstarrten Schnee der Einsamkeit Fand ich eines müden Schrittes Spur. Schneesturm peitschte Mantel mir und Hut. O wie fröhlich wurde da mein Sinn, Und wie brauste mir das Wanderblut, Frischen Mutes köstlicher Gewinn! Doch verweht war schnell der Brudertritt, Meinem Herzen kam's wie Abschiedsgruß Lenkte Heimatssehnen seinen Schritt, War's des Wahrheitssuchers irrer Tritt? Weiter ging ich übers stille Land. Wehe Kenntnis raunte für und für, Nimmer schwieg sie, wenn ich Schritte fand, Die nicht führten zu verttauler Tür. Wie wenig doch zuweilen das Wort Künderin des Gefühls sein kann. Verlorene Spuren! Wenn ein lieber Freund uns ent­schwunden ist, untergegangen im Lebensmeer, ohne daß auch nur eine Welle von ihm erzählt. Das schmerzt! Ein unerklärlich banges Weh, nicht die stille Wehmut um einen Toten. Wanderer, die vom Ziele irren, Schiffe, die den Hafen nicht finden--! Tragödien! Nicht weniger schmerzlich, weil sie alltäg­lich sind. Ach, und sind wir nicht Segler auf dem Meer des Lebens, nicht Wanderer zu den Höhen der Zeit? Sind wir nicht Schwertträger für ein hohes Ziel? Und viele sind uns vorangeschritten in trotziger Kraft. Plötzlich aber waren sie nicht mehr, und ihre Spur ward verwischt von den anderen. Aus Blut und Tränen ihrer Tage sproßte uns die Gegenwart. Und ihr Lohn war ein Mosesblick ins umstrittene Land. Furchtlos aber und unerschütterlich im Erkennen des Heute und im Glauben an das Ziel sind sie ihren Weg gegangen. Durch die Rosenbüsche, dran sie vorüber­schritten, pfiffen die Kugeln ihrer Feinde. Aber sie kämpften. Der Acker der Zukunft ist steinig und hart, und in die Scholle tropft der Schweiß des Pflügers. Wo aber Tausende ackern, da muß das Erdreich fruchtbar werden. Und ihr Schwachen, wenn euch die Kraft fehlt, den Pflug zu führen, könnt ihr nicht die Pflugschar schärfen? Es gibt kein seigeres Wort wie die bängliche Frage: �Werde ich auch die Ernte erleben?" Dummheit, Faulheit und Feigheit mögen auf ihm ruhen und ihre Brüder verraten. Zu ihnen werden sich die Blinden gesellen, welche das Wachstum der jungen Saat nicht sehen können. Wir aber, Genossen des gleichen Zieles, wollen die Lust des Pfliigens und Säens genießen, die edelste Freude des Lebens, ob die Ernte einst unseren Namen preist oder die reifen Ähren sich über unseren Hügel neigen. Und ihr Frauen! Euch hat man gesagt, daß ihr nur da seid, Tränen zu trocknen und Wunden zu heilen! Man hat euch betrogen, schmählich betrogen um die Wunder des Schaffens und die Wonnen des Strebens. Wie hat man eure Seelen gefangen gehalten! Eure Herzen gezähmt, um mattbrüstigen Duldern die Füße zu waschen. Nehmt teil am Werke der Zeit, am Kampfe gegen die Armut, die eure Schönheit zerstört, die euren Lieblingen die Wangen bleicht, und ihr werdet fühlen, wie ein Ich in euch entsteht, das untergegangen war in der Sklaverei des Alltags. Nur ein Schritt ist's bis zur Bahn. Ein Schritt nur. Das Geschehnis hat wunderbare Gewalt.---- Heiho! Schnee stäubte mir ins Gesicht. Ein eisiger Wind stachelte meine Wangen. Heulend pfiff er zwischen Stämmen und Asten, daß ich gegen ihn ankämpfen mußte. Wie die Muskeln sich strafften! Wie die Kraft jubelnd erwachte! Das ist des Sturmes göttlichste Wirkung, daß er die schlummernden Kräfte und Worte wachruft. Alle Ge­walten des Geistes und Körpers löst er. Und dieses ist die fröhlichste und tröstlichste Wahrheit: Wir wachsen, wenn wir kämpfen!" Der Kleinste wird groß, wenn er sich einem hohen Ziele weiht. Wer im Kampfe fällt, fällt in der Größe. Mit Eishauch und Schneesturm brach das neue Jahr herein. Wollte es kommende Kämpfe verkünden? Aber aus den stürmischen Wettern tönte zugleich laute Zu­kunftsfreude an das Ohr des einsamen Wanderers. Am Waldrand faßte mich der Sturm mit doppelter Wucht. Kämpfend gegen den rauhen Gesellen erreichte ich die Stadt, wo sich sein Grimm an Giebeln und Dächern brach. Dort aber umbrauste mich der Strom des Lebens. Wie Gefängnisse drohten die Fabriken. Aber eine neue Weise klang mir entgegen. Aus den Fabriksälen schallte der Lärm der Maschinen. Da­zwischen Stimmengewirr, Hammerschläge, Feilen, eiü be­täubendes Durcheinander. Die Menschen hasteten und fieberten, ruhig aber und gleichmäßig scholl der Chorus der Räder, wie der Schritt der Zeit, stetig, unablässig, unabwendbar. Und mir klang's wie ein Hymnus auf die Zukunft. -W-° Freiheit,«s- Von John Sah. Wer dürfte wohl zu sagen sich erkühnen: So, so allein soll mir das Meer erscheinen?" Sei's, daß es liegt in stiller Friedenspracht, Die Erde küssend und des Himmels Blau , Rings widerstrahlend von smaragdner Flut; Sei's, daß vom Wind bewegt, auf reiner Brust Es unsre weißbeschwingten Boten trägt Zu Zielen blut'gen Ruhms und ernster Not; Sei's, daß gepeitscht vom Sturme, es sich beugt Der Macht der Elemente, brüllend schlägt An seiner Felsen Kerkermauern; wild Lebend'ger Wesen Blut voll Mordlust trinkt Und seinen Stand mit Trümmern übersät: Stets ist's das Meer, und alle beugen sich Vor seiner schrankenlosen Majestät. So auch umsonst versucht der feige Mann, Der Freiheit enge Grenzen aufzubauen. Denn schrankenlos zu sein ist ein Gesetz, Das sich die Freiheit schuf, und das im Sturm Und Frieden gleich sie unentwegt befolgt. Verachtet sie drum nicht, wenn sie im Schlaf Gleich einem Leuen ruht, indes ein Schwärm Von Übeln sie umflattert harpyiengleich. Noch zweifelt, wenn sie in verworrner Zeit Des Schreckens Fackel schwinget und ihr Ruf Durch alle Länder bebt, wenn in des Kriegs, In der Empörung Wut ihr Riesenleib Erscheinet aus dem Richtplatz, wo das Beil Als Grabgeläute der Tyrannen tönt: Denn stets in deinem Aug', o Freiheit, Erstrahlt ein hehres Licht, der Welt zum Heil: Ob du uns tötest auch, vertraun wir dir. Gedanken. Von Fröhlich-Essen. Es ist ein Uhr nachts. Ich sitze und arbeite an meiner Selbstbildung. Buchführung will ich lernen, damit ich das Amt, zu dem mich das Vertrauen meiner Genossen berufen hat, auch ausfüllen kann. Wie schwer hat's doch ein Arbeiter! Tagsüber in der Fabrik schwer schaffen, das ganze Denken auf die Arbeit konzentrieren. Abends müde und abgespannt, mißstimmig über diesen oder jenen Fehlschlag, noch über den Büchern sitzen, weiter sorgend, weiter schassend. Und Sonntags, morgen ist Sonntag?, heißt's wieder: Gewerk­schafter, Genosse, sei auf dem Posten, tue deine Pflicht! Arbeit, immer Arbeit. Ich bekam ordentlich Mitleid mit mir selbst. Da plötzlich schreit in dem nebenanliegenden Schlaf­zimmer mein jüngstes Kind hellauf. Gleich höre ich, wie meine Frau aus dem Bett springt und in beruhigendem Tone auf die Kleine einredet:O, hast du träumtchen, kleine Mäus, o, o bist du bängchen, Mama ist ja bei dir. So, so, so, schön schlafen." Durch das Geschrei sind aber auch die übrigen Kinder erwacht(ich habe fiins), und es gibt bei dem einen und andern zu beruhigen und Wünsche zu erfüllen. Eins will trinken, und so kommt meine Frau zu mir in die Küche. Bist du noch auf?" fragt sie.Es ist schon ein Uhr durch!" Und mir übers Haar streichend:Bleibe nicht so lange sitzen, du verdirbst dir sonst die Augen."... Jetzt können mich Debitoren und Kreditoren nicht mehr halten. Meine Gedanken schweifen ab und beschäfttgen sich mit der Frage: Was hat denn eine Arbeiterfrau von ihrem Leben, etwa mehr wie der Mann? Nein, weniger, viel weniger, besonders wenn sie Mutter mehrerer Kinder ist. Morgens früh heraus. Der Mann muß zur Arbeit, die älteren Kinder müssen zur Schule, die kleinen wollen besonders gewartet und gepflegt sein. Das Mittagessen soll zur Zeit fertig stehen, denn der Mann muß wieder zur Arbeit, er darf nicht warten. Nachmittags heißt's reinigen und flicken, aus alten av- gekagenen Kleidern der Großen neue für die Kleinen zurechtschneidern. So geht's tagaus tagein bis in die späte Nacht, und auch nachts gibt's keine ungestörte Ruhe für die Frau. Bei allem Mühen, Sorgen und Schaffen freundliche Worte für den Mann, liebevolle und belehrende für die Kinder. Wie unrecht hatte ich doch mit meiner Antwort, als ich einst in der Schule gefragt wurde: Wer ist das höchste Wesen? Jetzt weiß ich es: Das höchst zu verehrende Wesen, welches die Welt trägt, ist das Weib eines Ar­beiters, ist die Mutter seiner Kinder. Wie turmhoch, wie himmelhoch erhaben steht sie über jenen Frauen, deren Lebenszweck darin besteht, sich zu putzen, von einem Vergnügen zum andern zu eilen und mittels raffiniertester Toilettenkunststückchen die Männer zu fesseln. Wie viel nützlicher für die Menschheit ist doch die arbeitende Frau als jene, welche, dem Ausspruch aus sogenanntem hohen Munde folgend, nicht schreiben und sich geistig betätigen, weil durch die gebeugte Haltung beim Schreiben und durch die Falten, welche sich bei ernstem Nachdenken im Gesicht bilden, die Schönheit leidet. Denn, so hieß es weiter, die Schönheit zu pflegen und zu erhalten sei die höchste Aufgabe des Weibes. Stundenlang sitzt die Proletarierin gebeugt über ihrer Arbeit. Oft, beinahe immer, liegt ihr Gesicht in ernsten Falten. Wo bleibt ihre Schönheit? Braucht der Arbeiter vielleicht keine Schönheit um sich, meint man etwa, er besitze so wenig Sinn für sie, daß er Frauenanmut nicht zu würdigen verstehe? Schönheit allerdings, die sich nur durch Nichtstun und Künsteleien erhalten kann, braucht er nicht, auf die verzichtet er. Sie gleicht der Pracht des Pfaus, der durch sein herrliches Gefieder glänzt, aber niemand nützt.... Und nichts, gar nichts hat die Arbeiterin, die arbeitende Frau von ihrem Leben? Doch, flüstert's mir ins Ohr. Etwas hat sie mit ihrer reichsten Schwester gemein, die Liebe. Die Liebe? Kann in unserer von Klassen- und Kasten­gegensätzen zerrissenen Gesellschaft wirklich von Liebe die Rede sein? Von Liebe gar für die Armen, die Unter­drückten? Wenig, sehr wenig.... Weib, greife zu, verlange Liebe, reine, leidenschaftliche Liebe. Heißt's da nicht gleich: Ist er, dem deine Liebe zufliegt, mit dir eines Glaubens? Welchen Beruf hat er? Kann er eine Familie ernähren? Und wenn alle diese Fragen befriedigend beantwortet werden, könnt ihr euch lieben. Nein, noch nicht, erst muß der Standesbeamte, womöglich noch der Herr Pfarrer gesprochen haben. Erst wenn die Liebe gesetzlich ge­nehmigt, fein säuberlich in Paragraphen eingewickelt ist, dann dürft ihr euch lieben. Und später!.... Die Misere des Lebens tritt an die Frau heran, Krankheit, schmaler Verdienst sind vielleicht ständige Gäste. Häufig, leider zu häufig, flieht dann leise weinend die Liebe zum Hause hinaus. Frau Sorge nimmt breit und behäbig ihren Platz ein, und nur ab und zu gestattet sie der Verdrängten einen kurzen Besuch.... Aber halt, eines besitzt die Arbeiterfrau, und eines kann ihr niemand rauben: das ist die hehrste Achtung jedes wahrhaftigen Menschen. «eranUvorMch für dte Nedaklton: Fr. Klara ZeMn(Zundel),WtlheI>nShöh« Post Tegerloch bei Stuttgart . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .