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Die Gleichheit

Nr. 5

Den Toten des März.

Von Otto Krille.

Wo irgend in der Welt ein Herz bricht, Ein müdes Haupt sich neigt, Eines Armes Kraft verraucht

Für die Freiheit,

Dort sollte ein Tempel stehen,

Daß über ihm

Der Glutwind des Mittags

Die Schwüle des Abends küsse,

Wie heißer Kampf

Den Schatten der Lorbeerhaine.

über euren Gräbern steht kein Tempel,

Ihr Toten des März,

Aber Mittag und Abend küssen sich auf ihnen. Wie Waffen- und Kettengeklirr

Rauscht es um eure Hügel,

Wie gedämpftes Rufen nach den Schnittern,

Das Kornfeld der Menschheit zu mähen. Druhet!

Nur einen Tag,

Nur einen Sommertag,

Dann ist es gereift,

Das Korn der Freiheit.

Wir prüfen schon die Sehnen des Arms,

Jugendfrisch gürten wir

Mit Mohnblüten uns

Und schmücken das lockige Haupt

Mit der roten flammenden Glut

Und harren des Sommertags.

Ruhet, ihr Kämpfer!

Eure Gebeine vermodern, Eure Gräber zerfallen,

Aber ewig jung und märzenkühn

Lodert der Freiheitsgedanke.

Der Heiratsvermittler.*

Von Ludwig Thoma .

Johann Feichtl lehnte an einem Baume und schaute zu, wie seine Herde sich gütlich tat. Die Kühe blieben ruhig auf ihrem Plaze und fraßen gewissenhaft links und rechts ab, was sie erreichen konnten; sie bewegten sich nur, wenn die Arbeit getan war und traten dann ruhig einen halben Schritt vor, um von neuem anzu­fangen. Mit den Schweinen war das anders. Die fuhren hin und her, rissen hier und dort etwas vom Boden weg, blieben nirgends stehen, und wenn eines sah, daß das andere einen Fund machte, stürzte es grunzend hin und suchte es zu vertreiben. Sie waren beständig in Unruhe, voll Neid, und nicht einmal während des Fressens fonnten sie es unterlassen, giftig herumzuschauen, ob es nicht einem anderen besser ginge.

Was nur der Hofbauern Hansgirgl von mir haben| Die Schweine brauchten manchen Peitschenhieb und will, denkt der Feichtl, daß er gar so freigebig ist. Den trotteten höchst mißvergnügt auf dem Feldwege dahin. Fehler hat das Hofbauerngeschlecht sonst nicht. Er läßt Hinter der Herde ging Feichtl und überlegte sich, was sich aber seine Gedanken nicht antennen und verlangt er mit den hundertneunzig Mark anfangen sollte. Wenn ein Schnellfeuer. ihm noch ein Schmus gelänge, könnte er sich wohl eine Kuh kaufen. Wer weiß? Das Jahr ließ sich gut an. Dann fiel ihm ein, was der Herr Pfarrer neulich ge­sagt hatte. Die Ehen werden im Himmel geschlossen," und er dachte an Hansgirgl.

"

A schön's Wetta ham ma, Hansgirgl." net übel."

Wenn da vöder Wind herhalt, ham ma no lang Schö."

" Ja," sagt der Hansgirgl. Du, Feichtl, wia viel moanst, daß an Moserbauern sei Cenzl mitfriagt?" Aha!" denkt der Feichtl, jetzt hör i di gehn." Und alsdann sagt er: Ja mei, wer ko dös wissen? Ma ka Leut net in Geldbeutel neischaug'n."

Geh, stell di net a so, du Feinspinner, du woaẞt as recht guat. Wenn'st ma's g'nau sagst, geht's mir auf an Preußentaler net z'samm."

So, auf an Taler? San drei Mark, gelt, Hans­girgl? Is a schönes Geld. Zu was willst es denn so g'nau wissen?"

" Ja woaßt, da Vata will übergeben nach der Arndt ( Ernte), und i soll an Hof friag'n. Die Alt'n verlanga dreitausad March Umstandsgeld, und d'Hirwa( Herberge) herrichten kost aa tausad March, und nacha an Bruada wegzahln, sand aa viertausad March. No, da hab i z'nachst mit'n Moserbauern g'spracht; der gibt seiner Cenzl achttausad zwoahundert March mit. Moanst, daß dös wahr ist?"

"

ein.

Wo hast denn dein Preußentaler?"

" I bleib dir'n net schuldi. Da haft'n." Gelt's Gott," sagt der Feichtl und schiebt den Taler So, Hansgirgl, jetzt will i dir's g'nau sagen: Der Moserbauer hat di net ang'logen. I woaß g'wiß, daß Cenzl siebentausad March Muatterguat hat, dös andere laßt der Vater springa."

Nachher is recht," meint der Hansgirgl, aft geh i glei num dazua."

" Halt a wengl, jetzt muaß dar i was sag'n. I woaß dir a Hochzeiterin mit neutausad."

"

" Wo?" sagt der Hansgirgl.

Ich sagte es ja schon: Johann Feichtl war ein Philosoph.

Frage.

Von Fröhlich- Effen.

,, Wenn in einem weichen Herzen Die Verzweiflung gräßlich wühlt, Wenn ein Armer seine Schmerzen Inniger und stärker fühlt, Sagen sie, es ist erlogen,

Dieser Schmerz ist Poesie, Sind wir doch wie jener großgezogen Und empfanden so was nie. Gott , du weißt, was ich empfinde, Was mein nasses Auge spricht, Aber Herzen in der Rinde

Sehen es und glauben's nicht." Diese Worte August v. Kotzebues schwirren mir durch den Sinn. Eilig schreite ich die Siemensstraße hinunter. Vor mir geht eine Frau in Hut und Umhang. Beides ist ziemlich abgetragen, wie ich schon aus einiger Ent­fernung sehe. Die Frau scheint etwas zu suchen. Ihr Kopf dreht sich bald rechts, bald links. Jetzt blickt sie scheu um sich, und schnell schaue ich in anderer Richtung. Nun tritt die Frau nahe an ein Haus heran, Spatzen fliegen auf, und eine Graubrotrinde, aus der jedenfalls Kinder die Krume herausgegessen haben, wandert unter ihren Umhang. Weib, schreit es in mir auf, hartherziges geiziges Geschöpf, wie kannst du es über dich gewinnen, sechs armen hungernden Vöglein ihr Futter zu nehmen, um es vielleicht deinem Schwein oder deiner Ziege als

" Dös fimmt z'letzt. 3'erscht muaß i wissen, ob's Futter vorzuwerfen. Hat die Frau meinen Zorn geahnt? d'magst."

" Ja, wia wer denn i net mög'n?"

Sie sieht sich nach mir um und beißt gierig in die vom Regen durchnäßte, von Spatzen zerpickte Brotrinde.

Ma woaß oft net; sie is a biẞl schiafecket g'wachsen." Ich gehe schneller wie sie, bald habe ich sie erreicht. Nun " San viel G'schwister da?"

" Na, aber a ledig's Kind hat's."

"

Wer'n neutausad March bar auszahlt?"

" Ja, friagst auf d'Hand."

"

Aft gilt's schon. Schlag ein, Feichtl!"

Nur a bißl warten, Hansgirgl. Jetzt fimmt d'Haupt sach. Was friag denn i?"

" Jaso! No, dös seg'n ma nacha scho, i laß mi net anschaug'n."

Na, na, mei Liaba, so geht der Handel net. I muaß mei G'wiß ham."

" No, wia viel verlangst denn?" " Zwoahundert Mark."

sehe ich ein gelbliches, blaffes Gesicht, in dem viel Leid, viel Not und Entbehrung geschrieben stehen. Die Hand mit der Rinde ist unter dem Umhang verborgen, die andere hält ein Gebetbuch. Im Vorübergehen ziehe ich tief den Hut. War's richtig von mir? Ich weiß es nicht, es geschah impulsiv, ich konnte nicht anders. Die Frau dankt mir ernst, ganz erschreckt sieht sie mich an. Wer grüßt auch eine so arme Frau!

Ein Bekannter kommt mir entgegen. Er will mich ansprechen, ich aber eile mit einem Nicken an ihm vor­über. Mag er denken, was er will, ich darf, ich kann nicht sprechen. Es sitt mir etwas im Halse, bis oben hinauf, hinunter geht es nicht, und ausspeien kann ich Ah, dös is dennerscht z'viel! Hundertachzgi mag i, es auch nicht. So schlucke und schlucke ich, aber es bleibt sizen.... D, unsere herrliche göttliche Weltordnung! Eine den Vögeln entwendete, von übersatten Kindern fortgeworfene Brotrinde in der rechten und das Gebet­buch in der linken Hand, und hungrige Lippen, die murmeln: Unser täglich Brot gib uns heute.

"

Johann Feichtl bemerkte das alles wohl, und weil er ein Philosoph war, machte er sich seine Gedanken dar­über. Er fand, daß die Schweine sehr seinen Brot­gebern, den Gemeindebürgern von Kraglfing, glichen, aba mehra net." und daß es nur recht wenige gäbe, die es so machten Nach langem Handeln einigen sich die Zwei. Feichtl wie die Kühe. Er kam zu dem Schlusse, wie auch andere bekommt hundertneunzig Mark Schmuserlohn und muß Gelehrte schon lange vor ihm, daß die Menschen gerade zum Hochzeitessen eingeladen werden. so wie die Tiere selten mit dem zufrieden sind, was sie " Js ma net Angst um zehn March," kalkuliert haben, und daß sie den Brocken für den besten halten, Johann Feichtl, i moa alleweil, i nimm mei Bettziachn welchen sie einem anderen wegschnappen. ( Betttuch) als B'schoadtüchel mit. No, Hansgirgl," Warum das so ist? Es wird wohl so sein müssen. fährt er laut fort, jetzt will i dir sag'n, wie sie hoaßt. Übrigens beschäftigte er sich nicht lange damit, auf die Appollonia Reischl, dem Göbelbauer von Zusering sei Gründe einzugehen. Er liebte das nicht und begnügte Tochter. Wenn's dir recht is, nachher fumst am Sunn­sich nach Art der Philosophen mit der einfachen Tat- tag nach Huglfing zum Unterwirt, da mach ma nacha sache. Dann legte er sich der Länge nach ins Gras, d'Hochzet aus." ließ sich von der Sonne anscheinen und dachte an gar nichts mehr.

-

" Js guat, i fimm. Aba Feichtl, dös sag i dir: neun tausad Mark wann's net hat, na reiß i di in da Mitt' ausanand. Pfüat di Good."

Pfüat di Good, Hansgirgl!"

Er zog Grashalme aus und strich sie langsam durch den Mund; dann versuchte er mit den Zehen Gras­büschel auszureißen und sie über den Kopf zu werfen, Der Bauernbursche entfernte sich langsam nach Kragl­und er war eben daran, eine große Fertigkeit hierin zu fing zu. Er warf feinen Blick zurück auf das Dorf, wo erlangen, als er durch einen Bauernburschen gestört die Moserbauern Cenzl wohnte, die beinahe seine Frau wurde, den der Weg vorbeiführte. geworden wäre.

" S' Good, Feicht!!"

" S' Good, Hansgirgl! Wo aus und wo an?" Ein bissel zum Wirt n'überschau'n nach Zeidlfing." " Zum Zeidlfinger Wirt am hellichten Werktag? Zu was hast nachher das Feiertagsg'wand ang'legt?" " Jahm! Du, paß auf, Feichtl, i muaß dir was sag'n. Magst a Ziehgarn?"

Dane net, aber zwoa."

" No, da hast drei. Nachher bist aber g'wiß z'frieden."

"

Johann Feichtl schaute nun wieder nach seiner Herde. Die Kühe hatten sich niedergelegt und sahen recht nach­denklich darein, während sie behaglich kauten. Sie glichen Leuten, welche sich recht satt gegessen haben und sich die Freuden des Mahles in die Erinnerung rufen. Die Schweine aber liefen noch immer hungrig und neidisch herum; sie hatten entschieden kein Verständnis für den Genuß, welchen die Verdauung gewährt.

Inzwischen war es Abend geworden. Die Bäume warfen lange Schatten, und die Fenster des Kraglfinger * Mit gütiger Erlaubnis des Verfassers nachgedruckt aus Agri- Kirchturmes leuchteten, als brenne es inwendig. Da cola", Bauerngeschichten. München , Albert Langen . Die Samm­lung fesselt auf jeder Seite durch gesunden, lernhaften Humor, nahm Feichtl sein Horn und blies fest hinein. Die Kühe feine Beobachtungs- und Charakterisierungskunst. Die prächtigen erhoben sich langsam, aber ohne Widerstreben. Man Karikaturen von Bruno Paul tragen das Ihrige zur Freude an dem sah es ihnen an, daß sie das Verlangen des Hüters Bändchen bei. billigten und den Zeitpunkt als richtig gewählt betrachteten.

Herrgott, sie sagen, daß du die Vögel unter dem Himmel ernährst, ohne daß sie säen, ohne daß sie ernten. Ein Mensch, ein empfindender, denkender Mensch schreit aus tiefstem Herzen auf zu dir:: du allbarmherziger, allwissender und allmächtiger Gott, gib deinem Ebenbilde, gib deiner Schöpfung Krone zu essen! Dein Ebenbild darbt. Hat dein Wille Menschen geschaffen, damit sie langsam ver­hungern?

Vorkämpfer.

Von John Henry Mackay . Und als die Ersten sind wir auserlesen,

Die ersten Blöcke aus dem Weg zu räumen. Darum hinweg mit schwächlich- feigen Träumen. Sie schwinden und wir fühlen uns genesen! Warum denn noch mit Winseln und mit Jammern

Uns an die Brust der müden Mutter klammern? Warum nicht frisch und stark auf eigenen Wegen Dem Ziel, das unsere Zeit uns stellt, entgegen? Das ist das Wahre: seiner Zeit zu dienen

Und dennoch sie beherrschen! Klaren Blickes In Zukunft schaun mit eisenharten Mienen Und schnell mit kühner Hand in des Geschickes Verworrene Fäden greifen, ehe sich Zum unlösbaren Knoten unser Leben Verschlingen kann wer rückwärts feige wich, Der flage nicht der hat sich selbst ergeben!

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Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Zundel), Wilhelmshöhe

Post Degerloch bet Stuttgart . Druckt und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .

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