66 Die Gleichheit Nr.N An die Empfindsamen. Von Friedrich Theodor Bischer. Weichheit ist gut an ihrem Ort, Wer sie ist kein Losungswort, Kein Schild, keine Klinge und kein Griff; Kein Panzer, kein Steuer für dein Schiff. Du ruderst mit ihr vergebens. Kraft ist die Parole des Lebens: Kraft im Zuge des Strebens, Kraft im Wagen, Kraft im Schlagen, Kraft im Behagen, Kraft im Entsagen, Kraft im Ertragen, Kraft bei des Bruders Not und Leid Im stillen Werke der Menschlichkeit. Käthes Federhut. Von Ada Christen  . Arme Leute kaufen ihr Brennholz von dem Zimmer­platze weg. Es wird nicht in Wagen vor das Tor ge­fahren, sondern die Kinder gehen mit alten Tüchern hin und lesen an Spänen zusammen, was sie nur tragen können, bezahlen dann ein paar Groschen dafür und schleppen ihr Bündel auf dem Rücken nach Hause. So wird es den ganzen Tag auf großen Zimmerplätzen nicht leer von den Kindern der Armen, und es setzt oft Püffe dort ab. Die Gesellen, der Werkmeister, oft der Zimmermeister selbst, fahren gelegentlich mit der Hand darein; am meisten aber prügeln sich die Kinder unter­einander. So war es, als ich noch selbst ein Kind war, und so wird es wohl noch heute sein. Bei Regen und Sonnenschein, vom ersten Frühlingstag bis es herbstlich zu frösteln begann, mußte ich hinaus aus den Platz und den Holzbedars für den nächsten Tag heimtragen, ja sogar noch etwas darüber, denn ein Büschel Späne wurde immer an die Rückwand der stockfinstern Küche gelegt. Jeden Tag ein Büschel, das gab bis zum Herbst einen Vorrat, der bis an die Decke reichte und für manchen Wintertag vorhielt. Ist sonst zu nichts gut das Ding, die Christel," sagte der alte Herr Fuchs, in dessen schmaler Kammer meine Mutter, ich, meine Schwester Maria und mein kleiner Bruder wohnten. Ist zu sonst nichts gut das Ding.... das Ding".... brummte der Herr Fuchs drei-, viermal, kaute ein ab­scheuliches Stück Tabak zusammen, wurde dunkelrot im Gesicht und rollte dabei auf einem großen glatten Tische die frischgenähten Handschuhe mit einem runden Holze, bis sie so schmal und fein wurden, wie sie der französische  Handschuhmacher, unserHerr", verkaufte. Meine Mutter und die Maria saßen bei dem Kammerfenster, die Käthe saß in der großen Stube, aber alle nähten vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, während ich unter dem breiten hohen Tische hockte dort war mein Spielplatz daheim, vor mich hin duselte oder Knöpfe an die fertigen Handschuhe nähen mußte. Ab und zu kam der struppige, weiße Kops des alten Herrn Fuchs zu mir herabgefahren, schaute mich grimmig an und knurrte sein: Ist zu sonst nichts gut das Ding!" Ich hatte damals das siebente Jahr erreicht, fing an in die Höhe zu schießen, war mager, sonnverbrannt, hatte strohgelbe, steife Haare und war immer lustig und hungerig. Das größte Stück Brot, welches die Kinder auf den Zimmerplatz brachten, handelte ich für meinen größten Span ein, und ich hatte noch lange nicht genug bis zum Abendessen, das nebst dem Frühbrot unsere einzige Mahlzeit war. Daß ich solchen unternehmenden Tauschhandel trieb, wußte meine Mutter nicht, sie grämte sich schon genug ob der vielen blauen Flecken und Beulen, die ich heim­brachte, oder ob der Risse, welche mein Röckchen trug. Meine Mutter war eine empfindsame Frau, die sich immer etwas suchte, worüber sie weinen konnte. Jeden Tag jammerte und weinte sie über unser Elend und über alle Krankheits- und Todesfälle in der Nachbar­schaft, und wenn zufällig nichts geschah, borgte sie sich eine Zeitung aus und weinte über alles das, was an Unglück drinnen stand, und ich, die sich um nichts kümmerte, als daß morgen wieder auf dem Zimmerplatz Sonnenschein und große Späne wären, ich sollte immer mit ihr weinen---- Wenn sie so recht trostlos auf meinen zerrissenen Rock niederschluchzte und mich dabei immer wieder frug:Wie hast du nur das angestellt?!..." konnte ich ihr nie aus­einandersetzen, daß die Buben ihr Brot für meinen Span nicht immer ganz gutwillig Herausgaben, und daß es alsdann zu ganz sonderbaren Zweikämpfen kam, die um so erbitterter waren, weil sie lautlos und möglichst un­bemerkt ausgefochten wurden. Am Boden hinkriechend während des Sammelns der Späne unter irgend einen Pfosten, an dem der Geselle über uns weiter- zimmerte faßten wir uns an den Köpfen, kniffen uns in die Beine, pufften, wohin wir eben trafen, und suchten von unseren Kleiderresten irgend einen Lappen als Sieges­zeichen zu erhaschen. Manchmal rollten wir in diesen kriegerischen Zerstteuungen zu weit in die Nähe der Zimmerleute, da gab es dann einen flüchtigen Fußtritt, und wir wurden samt und sonders vom Platze gejagt. Wie vor dem verlorenen Paradies standen wir dann an der Einzäunung des freiliegenden viereckigen Zimmer­platzes, schauten durch die Gitter und baten kläglich um Einlaß. Aber es half dann nichts mehr.... Was uns daheim erwartete, wußten wir, das kam noch immer früh genug, darum trieben wir uns auf den Feldern herum und zauderten, bis unsere gewöhn­liche Heimkehrstunde schlug. Je später es wurde, desto wehmütiger war unsere Stimmung; je näher wir unseren Wohnstätten kamen, desto milder und nachsichtiger wur­den wir gegeneinander die, welche sich am ärgsten gerauft hatten, gingen rührend versöhnlich Hand in Hand und wenn wir an den Haustoren flüsternd Abschied nahmen, zeigten nur noch die flatternden Risse unserer Kleider, daß wir tagsüber verschiedene Meinungen in unserer Weise zu einigen suchten. Ich schob mich an solchen bündellosen Abenden immer langsam durch das Haustor, pochte kaum vernehmlich an die Küchentür und hatte es gewonnen, wenn mir die Käthe öffnete. Die Käthe war vor Jahren auch auf dem Zimmerplatz gewesen, die wußte, wie es dort zuging. Käthe, ich Hab' heut nichts," raunte ich ihr schon zwischen der Türe zu. Sei nur still, deine Mutter ist in der Kammer"... erwiderte sie leise. Ich huschte seelenvergnügt durch die Küche in die Stube. Na du! bist schon da? Schaust wieder sauber aus du!" polterte der alte Herr Fuchs, an dem ich vorbei mußte, wenn ich in unsere Kammer wollte; war ich erst drinnen, so frug meine Mutter nicht mehr viel, und ich machte mir mit meinem schläserigen Brüderchen zu schaffen. Aber manchmal, wenn sie mir selbst öffnete und mich ohne Späne vor der Türe stehen sah!.... Sie war reicher Leute Kind und erst nach meines Vaters Tod so arm geworden, und da sie deshalb in ihrer Kindheit nie auf einen Zimmerplatz gehen mußte, konnte ich sie auch nie über die Geschäftsgewohnheiten der Gesellen ganz aufklären... Aus ihren Püffen machte ich mir nicht viel, denn sie hatte eine kleine, schwache Hand, aber sie weinte und klagte ohne Ende, daß wir alle den nächsten Winter elendiglich erftieren würden; und sie sagte das so hoffnungslos und überzeugend, daß ich sie in meiner Todesangst händeringend frug, wann eigentlich der schreckliche Winter beginne.... An solchen auf­geregten Abenden glaubte ich es auch, wenn der alte Herr Fuchs die Türe aufstteß und in unsere Kammer hineinschrie: Von allen nichtsnutzigen Kindern, die auf der Welt dem lieben Herrgott seine Zeit abstehlen, ist das Ding doch das allernichtsnutzigste!" Dann schob er den Tabak im Munde hin und her, zog heftig an seinen nachlässigen Hosenträgern und warf, während er mir noch mit der Faust drohte, die Türe wieder zu. Ich kroch dann mit einem unaussprechlichen Abscheu vor meiner eigenen Nichtsnutzigkeit und mit einem dünnen Stück Butterbrot das mir meine Mutter immer in einer nachttäglich-zärtlichen Anwandlung gab zu meinem Bruder aus den Strohsack und schlief meist recht bald ein.... Aber mit einem Male hatte alle Not auf dem Zimmer­platz ein Ende, denn ich fand einen mächtigen Gönner dort. Den Engländer nannten die anderen einen langen breitschulterigen Gesellen, der mit den Beinen weitaus- einander daherging, einen Wald von Haaren in dem Ge­sicht trug und immer die größten Sparren zimmette. Die anderen sagten, er sei früher auf einem Schiffe gewesen und in der ganzen Welt herumgesegelt, und jetzt wolle er einmal auf festem Lande leben und unsere Sprache lernen. Es mag wohl so gewesen sein, denn er sprach ein mühsames Deutsch und sang oft fremd­artige Lieder, die aber so lustig klangen, daß alle lachten, besonders wenn er auf ein und demselben kleinen Fleck dabei tanzte und die Füße in die Luft warf.... Lang war er, daß er mit seinem Kopfe über die Größten hinwegschaute, und auf seinen braunen Armen lagen daumendicke Muskeln, die ich danials für Stricke nahm. Ich getraute mich anfangs nie recht in seine Nähe, bis einmal die Kinder sagten: Siehst, der ist ein Ries'!" Nun schlich ich sachte hin und wollte den Riesen genau sehen, ich machte mir erst nur so unauffällig mit seinen Spänen zu tun, und als er mich nicht beachtete, schaute ich dabei an ihm hinan. Als ich so in der Sonne stand und hinaufzwinkerte, flog ihm eine Wespe gegen die Stirne, ich dachte nicht daran, wie klein ich und wie groß er sei, sondern fuhr nur erschreckt mit abwehrender Hand, so hoch ich konnte, in die Luft.... Er lachte hell auf, schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel, hockte, sich aus den Fersen wiegend, zu mir auf die Erde, schaute mir nun schnurgerade in die Augen und sagte: Du Äff'!" Dann lachten wir alle beide, ich weiß nicht warum. Plötzlich kam aber die Wespe wieder angesaust und saß flugs auf seiner Nase..... Ohne mich zu besinnen, schlug ich tüchtig hin, und sie fiel tot nieder. Der Eng­länder schaute mich erst verdutzt an, fuhr sich selber nach der Nase, und dann hob er mich an den Falten meines Rockes auf, schleuderte mich ein wenig durch die Lust und setzte mich wieder neben seinen Pfosten auf den Boden Lachend raffte er mit dem Fuße Späne zusammen und deutete:Da nimm!" Mittlerweile war es Mittagszeit geworden, und die Gesellen verließen alle den Platz, nur der Engländer setzte sich auf einen Holzklotz, nahm Brot und Fleisch aus seinem blauen Leinensack, hieß mich Wasser holen in dem Kruge  , der neben ihm stand, und begann als» dann zu essen. Ich setzte mich still an seine Seite nieder und schaute so wie er in die helle Luft. Große blauschimmernde Fliegen hingen regungslos über uns und schwankten nur, wenn ein flüchtiger Hauch sie anwehte.... über den Feldern zitterte und glitzerte etwas Unfaßbares, Durchsichtiges, und weit oben kreisten Tauben, deren Flügel wie blankes Silber glänzten. Es war ganz ruhig ringsum, nur weit rückwärts hieben noch ein paar Gesellen darauf los; der taktmäßige Fall ihrer Beile war das einzige Geräusch; als aber ein dumpfer gleicher Schlag erscholl, hatten auch die ihre Beile ein-! fallen lassen und gingen bald grüßend an uns vorbei, hinaus durch die Felder.... Der Sonnenschein lag heiß wie ein klargoldener Schleier! über dem schattenlosen Platze, das frischbehauene Holz duftete scharf, und aus manchem abgeschälten Stamme quoll schweres reingelbes Harz   hervor. Unter dem ein-> zigen dichtbelaubten Baume, der da war, legte sich der Engländer nieder, streckte seine langen Beine aus und winkte mir. Wie heißt du?" Christel." So...," gähnte er, legte die Arme unter den Kops,! schob seinen breiten Strohhut über das Gesicht und lag die Weile wieder so still, daß ich dachte, er sei einge­schlafen, und mich nicht zu regen wagte. Willst du ein Stück Fleisch, Christel?" _(Schluß folgt.)! Glaubensbekenntnis. Von Friedrich Theodor Vtschcr. Wir haben keinen Lieben Vater im Himmel. Sei mit dir im reinen! Man muß aushalten im Weltgetümmel Auch ohne das. Was ich alles las Bei gläubigen Philosophen, Lockt keinen Hund vom Ofen. War' einer droben in Wolkenhöhn Und würde das Schauspiel mitansehn, Wie mitleidslos, wie teuflisch wild Tier gegen Tier und Menschenbild, Mensch gegen Tier und Menschenbild Wütet mit Zahn, mit Gift und Stahl, Mit ausgesonnener Folterqual, Sein Vaterherz würd' es nicht erttagen, Mit Donnerkeilen würd' er drein schlagen, Mit tausend heiligen Donnerwettern Würd' er die Henkerknechte zerschmettern. Meint ihr, er werde in anderen Welten Hintennach Bös und Gut vergelten, Ein grausam hingemordetes Leben Zur Vergütung in seinen Himmel heben? O> wenn sie erivachten in anderen Fluren, Die zu Tod gemarterten Kreaturen: Ich danke!" würden sie sagen, Möcht' es nicht noch einmal wagen. Es ist überstanden. Es ist geschehen. Schließ mir die Augen; mag nichts mehr sehen. Leben ist Leben. Wo irgend Leben, Wird es auch eine Natur wieder geben, Und in der Natur ist kein Erbarmen. Da werden auch wieder Menschen sein, Die könnten wie dazumal mich umarmen O, leg ins Grab mich wieder hinein!" Wer aber lebt, muß es klar sich sagen: Durch dies Leben sich durchzuschlagen, Das will ein Stück Roheit. Wohl dir, wenn du das hast erfahren Und kannst dir dennoch retten und wahren Der Seele Hoheit. In Seelen, die das Leben aushalten Und Mitleid üben und menschlich walten, Mit vereinten Waffen Wirken und schaffen Trotz Hohn und Spott, Da ist Gott  . LZerantworUich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  (Zundey, Wilhelmshöhe Post Degerloch bei Stuttgart  . Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart  .