_______ ....... 15. Jahrgang vie Gleichheit Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen Die.Gleichheit» erscheint all- vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 1H Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld öS Pfennig; unter Kreuzband LS Pfennig. IahreS-Abonnement 2,K0 Mark. Stuttgart   den 14. Juni 1905 Zuschriften an die Redaktion der»Gleichheit» find zu richten an Frau Klara Zetkin  <Zundel>, Wilhelmshöhe. Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expeditton befindet stch in Stuttgart  , Furtbach-Straße 12. Jnhalts-Verzeichnis. Die Ergebnisse des Gewerkschaftskongresses zu Köln.   Die Ein­wände. Bon Julian Borchardt.   Zur Lage der Zigaretten- arbeiterinnen in Dresden  . Bon Marie Wackwitz.   Aus der Bewegung: Von der Agitation. Die Frage der Agitation unter den Arbeiterinnen vor dem Gewerkschaftskongreß. Politische Rundschau. Von L. I.. Genossenschaftliche Rundschau. Von Simon Katzenstein  . Notizenteil: Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Sozia- listische Frauenbewegung im Ausland. Frauenbewegung. Frauenstimmrecht. Frauen in öffentlichen Ämtern. Feuilleton: Alle. Von Conrad Ferdmand Meyer.(Gedicht.) Käthes Federhut. Von Ada Christen.  (Schluß.) Die Ergebnisse des Gewerkschafts­kongresses zu Köln  . Die 213 Vertreter der Gewerkschaften, welche in Köln  tagten, haben eine reiche Fülle von Arbeit erledigt, welche im allgemeinen sicher die Entwicklung der Ge­werkschaftsbewegung fördern wird. Trotzdem zählt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung die Kölner  Woche zu jenen Tagungen, die kaum je ungeteilte An­erkennung finden dürsten. Nicht gleich befriedigend wie das, was der Kongreß auf dem Gebiet spezifisch gewerk­schaftlicher Fragen geleistet hat, dünkt uns, wie sehr vielen, sein Ergebnis hillsichtlich von Problemen, die über das unmittelbare Aktionsfeld der Organisationen hinausreichen und der allgemeinen Arbeiterbewegung Aufgaben stellen. Die Verhandlungen und Beschlüsse zu den verschieden­artigen Angelegenheiten rein gewerkschaftlicher Natur, die den Kongreß beschäftigten, spiegeln die kraftvolle äußere Entwicklung und die wachsende Klarheit und Reife wieder, mit der sich diese den Ausbau der Organi­sation angelegen sein lassen, die Erfolge ihrer Betätigung zu sichern streben. Die unvermeidlichen Grenzstreitigkeiten zwischen Gewerkschaften klangen trotz manchem scharfen Worte von hüben und drüben in einer Beschlußfassung aus, die eine ersprießliche Regelung der Materie in die Wege leitet. Mit der Festlegung von Richtlinien für die Streikunterstützung hat der Kongreß ein ebenso nütz­liches als nötiges Werk getan. Die Schaffung eines allgemeinen Streikfonds lehnte er ab und forderte dafür, daß die Gewerkschaften das eigene Leistungsvermögen durch angemessene Beiträge steigern. Finanzielle Hilfe der gesamten organisierten Arbeiter soll nur ausnahms­weise bei großen Kämpfen gewährt werden. Die General­kommission ist unter Zustimmung der Gewerkschafts­vorstände in solchen Fällen zur Vornahme einer all­gemeinen Sammlung ermächtigt, hat das Mitbestimmungs­recht in der Leitung und allen taktischen Maßnahmen der Bewegungen und entscheidet über die Verteilung der gesammelten Gelder. Bei der Erörterung der Frage wurde die Leitung im letzten großen Bergarbeiterausstand und die Taktik der übertriebenen Neutralität scharf kriti­siert. Unseres Erachtens gelang es ihren Verteidigern nicht, die erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Der treffliche Bericht Robert Schmidts über das Zentral-Arbeitersekretariat ist geeignet, den Blick der Arbeitermassen für die schweren Mängel der Sozial­gesetzgebung und die Dringlichkeit ihrer Ausgestaltung zu schärfen, ihnen aber auch die Wichtigkeit der Mit­arbeit der Organisationen bei der Durchführung und dem Ausbau dieser Gesetzgebung klar zum Bewußtsein zu führen. Die Fragen: Beseitigung des Kost- und Logiszwanges, Ausgestaltung desCorrespon- denzblattes", Agitation unter den ausländischen Arbeitern und Heimarbeiterschutz wurden ohne lange Debatten erledigt. Was der Kongreß zu der letzteren Materie beschloß, wird gewiß die Einbringung eines Antrags der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion beschleunigen, welcher die Forderungen des vorjährigen Heimarbeiterschutzkongresses an die Gesetzgebung formuliert. Die Verhandlungen über die Punkte: Genossenschaften und Gewerkschaften und Agitation unter den Ar­beiterinnen werden an anderer Stelle gewürdigt. Ob die Gewerkschaften Arbeitskammern oder Ar­beiterkammern fordern sollen, darüber gingen die Meinungen auseinander. Umbreit, der eine Referent zu der Frage, befürwortete die paritätisch aus Arbeitern und Unternehmern zusammengesetzten Arbeitskammern. Er erachtete es für nötig, daß eine Behörde geschaffen wird, die durch ihre Beschlüsse regelnd in die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingreift. Der Korreferent dagegen, Huö, trat für Arbeiterkammern ein. Seiner Ansicht nach müssen die Arbeiter und ihre Interessen vor allem eine amtliche Vertretung erhalten, wie sie die Unternehmer bereits in den Handels-, Ge­werbe- und Landwirtschaftskammern besitzen. Diese Ver- tretung würde in der Hauptsache eine begutachtende Be­hörde sein, neben der das Arbeitsamt zu funktionieren hätte. Der Kongreß entschied sich für Arbeiterkammern und stellte sich damit in Gegensatz zu der sozialdemo­kratischen Reichstagsfraktion, die Arbeitskammern fordert. Ein Konflikt zwischen Partei und Gewerkschaften aus Anlaß dieser Entscheidung ist jedoch ausgeschlossen. Die strittige Frage ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage, über welche auch in der Sozialdemokratie die Meinungen aus­einandergehen. In Württemberg   und Hamburg   zum Beispiel fordern die Vertreter der Partei Arbeiter­kammern. Eine weit größere Bedeutung kommt dem Ergebnis des Kongresses zu den Punkten General- beziehungs­weise Massenstreik und Maifeier zu. In ihnen hat er sich bedauerlicherweise nicht auf der Höhe seiner Auf­gabe gezeigt, sondern bekundet, daß die Vertiefung der Gewerkschaftsbewegung ihrer erfreulichen Ausdehnung und Erstarkung noch nicht nachgekommen ist. Was den Generalstreik anbelangt, so nahm der Kongreß mit allen gegen 30 Stimmen eine Resolution an, die dem Referat Bömelburgs entsprechend in ihrem wichtigsten Passus besagt:Die Taktik für etiva not­wendige Kämpfe solcher Art(zur Erzwingung von Re­formen oder zur Abwehr von Attentaten gegen Volks­rechte) hat sich nach den jeweiligen Verhältnissen zu richten. Der Kongreß hält daher auch alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen, für verwerflich; er empfiehlt der organisierten Arbeiterschaft, solchen Ver­suchen energisch entgegenzutreten." In seinem Schlußwort erklärte der Referent, die Re­solution solle sich nicht in Gegensatz zu dem einschlägigen Beschluß des Amsterdamer internationalen Sozialisten- kongresscs stellen. Diese Erklärung ist gewiß gut, und wir wollen angesichts ihrer nicht prüfen, ob sich nicht dennoch aus der Fassung des Kölner   Beschlusses ein solcher Wider­spruch mühelos herauslesen läßt, ja sich geradezu aufdrängt. Bedeutsamer ist, daß das Referat selbst den Geist schroffen Gegensatzes zu der Amsterdamer Resolution atmete, und daß dieser Geist durch die Haltung der übergroßen Mehr­zahl der Delegierten recht kräftig hervorgehoben wurde. Allerdings blieb eine energische Opposition dagegen nicht aus, die in den trefflichen Reden Timms, Kloths und ganz besonders v. Elms gipfelte. Allein ihr Hinweis auf die Möglichkeit, ja immer größere Wahrscheinlichkeit von Situationen, die zum Massenstreik drängen, auf die Notwendigkeit, über seine Bedingungen Klarheit zu er­langen: hat sicherlich aus die Arbeitermassen außerhalb des Kongresses überzeugender gewirkt als auf die Dele­gierten. Freilich, auch das muß betont werden: die Gedanken­gänge des Referats waren in sich selbst und unterein­ander voller Widersprüche, die durch das Schlußwort noch verschärft worden sind. Bömelburg drang nicht tief in die aufgerollte Streitfrage ein und schob alles beiseite, was aus geschichtlichen Erfahrungen und theore­tischen Untersuchungen über das Wesen des politischen Massenstreiks und seine Durchführung erhellt. Er hielt nicht die Unterschiede fest zwischen den verschiedenen Arten von General- oder Massenstreiks; erfolgreiche politische Massenstreiks schienen ihm unbekannt; die Klärung der vorliegenden Probleme erachtete er offenbar als gleich­bedeutend mit der Aufforderung zu kindlicher, gefähr­licher Spielerei, als gleichbedeutend mit der Vernach­lässigung jeder stetigen, ruhigen Kleinarbeit zur Auf­klärung und Organisierung der Massen. Das freche Treiben der Reaktion legt die Frage nahe: was tun,! welche Waffen anwenden im proletarischen Freiheits­kampf, wenn die Volksrechte zertrümmert werden? Bömelburg antwortet daraus zuversichtlich, daß das Proletariat auch ohne Wahlrecht und Koalitionsrecht noch lange nicht am Ende seines Lateins sei. Er, der erklärte Pessimist betreffs der Urteilsfähigkeit der Ar­beiter, wenn es sich um die bloße Erörterung des Massen­streiks handelt, ist mit unerschütterlichem Optimismus überzeugt, daß sie ohne klärende Diskussion in ent­scheidungsschwerer Stunde wissen werden, was tun, und wie tun. Seine Ausführungen pendelten alles in allem zwischen Widersprüchen und Selbstverständlichkeiten hin und her. Wir sprechen das offen aus, unbeschadet der hohen persönlichen Achtung und Sympathie, die wir für Bömelburg als einen der besten Vorkämpfer des Prole­tariats hegen. Gewiß: keine noch so haltlosen Gedankengänge und ungeschickt gefaßten Beschlüsse vermögen den Gang- der Geschichte zu ändern. Momente der historischen Ent­wicklung, die unter bestimmten Bedingungen mit Natur- wendigkeit aus dem Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie hervorwachsen, lassen sich nicht nach Einsicht und Belieben ausschalten. So wenig wie der politische Massenstreik in der Retorte eines Kongreß- befchlusses fabriziert werden kann, so wenig läßt er sich verbieten. Jedoch übersehen wir nicht, daß die mehr oder minder verständnisvolle Stellungnahme der Arbeiter­organisationen von beträchtlichem Einfluß auf den Grad der Einsicht, Disziplin, Opferfteudigkeit, kurz der Reise ist, mit welchem das Proletariat in die ihm aufgezwungenen Kämpfe eintritt. So unverantwortlich es wäre, bei jedem Anlaß mit dem Massenstreik zu drohen und ihn im Westentaschenformat inszenieren zu wollen, so verhängnis­voll müßte es wirken, die Proletarier im unklaren darüber zu lassen, daß unter Umständen trotz aller Gefahren und Opfer der Maffenausstand das einzige und äußerste Kampfesmittel sein kann, ja sein muß. Die schamlosen Attentate gegen das Wahlrecht in Hamburg   und Lübeck  reden eine noch eindringlichere Sprache als die unzwei­deutigen Drohungen der Manteuffel, Mirbach und anderer Möchtegern-Wahlrechtsräuber. Bereit sein, gerüstet sein, ist alles. Zur Frage der Maifeier drehte sich der Kampf der Meinungen um die Arbeitsruhe am 1. Mai. Robert Schmidt wendete sich inseinem Referat mit großem Nach­druck gegen sie, ihr erstanden jedoch in Glocke, Timm. Bock, Beyer und anderen eifrige und beredte Ver­teidiger. Heiß prallten die Gegensätze auseinander, und es fiel manche Äußerung, die des erprobten Gewerkschafts­und Parteiführers Bock Ausruf rechtfertigte: das Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen gewerkschaftlicher und politischer Bewegung scheine bei einzelnen Delegierten nicht mehr vorhanden zu sein. Drei Resolutionen standen einander gegenüber. Die des Referenten, der zufolge die Gewerkschaften erklärten, im Prinzip die Feier des 1. Mai durch Arbeitsruhe zu verwerfen, aber an der bisherigen Form der Maifeier nichts zu ändern, solange der Be­schluß des letzten internationalen Kongresses zu Recht bestehe. Des weiteren eine Resolution Glocke, die im Sinne der Parteitagsbeschlüsse gehalten war, und eine solche von Bock, dahingehend, die Generalkommisston möge sich mit dem Parteivorstand in Verbindung setzen, um dem nächsten Parteitag in der Angelegenheit gemein­same Vorschläge zu unterbreiten. Zur allgemeinen Über­raschung wurden sämtliche Resolutionen zurückgezogen. Wir bedauern, daß nicht durch namentliche Abstimmung eine Klärung und Entscheidung der Frage herbeigeführt worden ist. Sie wäre dienlicher gewesen als dieses Jn- der-Schwebe-bleiben, das den unerquicklichen Eindruck der Debatten verstärkt und lebendiger erhält, als ein bestimmter Beschluß. Über denTon" der Kölner   Debatten mögen sich Zeremonienmeister und Anstandstanten die Haare aus­raufen. Was uns schmerzlich berührt, ist die Tatsache, daß der Geist mancher Ausführungen wie die Faust aufs Auge zu dem tiefsten Gehalt der allgemeinen sozia­ listischen   Arbeiterbewegung paßte. Er verriet einen auf­fallenden Mangel der geschichtlichen Einsicht, aus welcher der proletarische Klassenkampf der gewerkschaftliche