92Die GleichheitNr. 16Frage von einer höheren Warte aus betrachtet werdenals der einer ziffernmäßigen Richtigkeit. Auch der Hinblickauf die Notwendigkeit, die Scheu der Frau vor demöffentlichen Leben zu überwinden, ihren Eifer zu beleben,ihr Perfönlichkeitsbewußtsein zu wecken, muß bei ihrer Beantwortung mitsprechen. Ebensowenig wie Sondergesetzezum Schutze der Arbeiterin gegen die kapitalistische Ausbeutung das Recht der Frau antasten, ebensowenig überspannt es die betreffende Sonderbestimmung des Statutszum Vorrecht. Wie jene dient sie zum Ausgleich bestimmter Sonderverhältnisse zu Ungunsten des weiblichenGeschlechtes. In Wirklichkeit ist sie weit weniger einVorrecht, als das Zugeständnis von der geringerenKonkurrenzmöglichkeit der Frau im Werben um einMandat. Die gleiche Leistungstüchtigkeit vorausgesetzt,kann man dem Stamme der tätigen Genossinnen stattder noch mangelnden großen Zahl von Mitkämpferinnenwohl die Zahl der Männer zugute rechnen, denenlediglich durch das bewußte Mühen und oft Entsagender Frauen politische Kampfestüchtigkcit gesichert wird.Unbegründet ist die Befürchtung, daß die Fortdauerder Bestimmung zu„einer Überschwemmung" des Parteitags mit Frauen führen würde, denen es mehr um dieBefriedigung ihrer Eitelkeit als um Mitarbeit in derPartei zu tun wäre, und die oft nur über„Gefälligkeitsmandate" verfügten. Daß in punkto der Zahl weiblicher Delegierten die Bäume nicht in den Himmelwachsen, dafür sorgen besser als alle Bestimmungen dieKosten einer eigenen Delegation seitens der Genossinnenund ihre bescheidenen Kaffenverhältnisse. Was aber die„Gefälligkeitsmandate" anbelangt, so ist die proletarischeFrauenbewegung organisiert genug, um eine scharfeKontrolle darüber auszuüben, daß Arbeitende und nichtbloß Paradierende als ihre Vertreterinnen in der Öffentlichkeit erscheinen. Gerade die Genossinnen haben seitJahren ihren Stolz darein gesetzt, sich nicht aus freundlichen Rücksichten, sondern auf Grund ihrer Leistungenfür die Bewegung und in der Bewegung delegierenzu lassen. Übrigens hat es der Parteitag in der Hand,in dieser Beziehung unnachsichtliche Strenge waltenzu lassen. Er„prüft die Legitimation seiner Teilnehmer" und kann jedes zweifelhafte Mandat zurückweisen. Die geringe, ja viel zu geringe Zahl weiblicher Mandatträgcr, welche— trotz des Dclegations-rechtes der Fraucnversammlungcn— an den bisherigenParteitagen teilgenommen haben, ließe Klagen darüberverständlicher erscheinen, als Ängste ob eines Qberwuchernsdes weiblichen Elements.Zerwürfnissen mit den Genoffen wegen der eigenenDelegation wirkt die Notwendigkeit entgegen, daß dieGenossinnen auf das Zusammenarbeiten mit den Männernangewiesen sind. Von vornherein wird daher überall dasgrößte Gewicht darauf gelegt, daß die selbständige Delegierung nicht den Charakter einer Demonstration gegendie Genossen trägt, sondern eine Maßregel praktischerZweckmäßigkeit ist, die im Einvernehmen mit ihnen erfolgt. Tatsächlich ist denn auch bis jetzt die Zahl derKonflikte unbedeutend und lokal beschränkt, die zwischenGenossinnen und Genossen anläßlich einer eigenen Delegation der crsteren zum Parteitag entstanden sind. Undwo sie doch auftraten, war die Delegation nicht dietreibende Ursache unerquicklichen Streites, sondern nurder Ausdruck eines bereits vorhandenen Mißverhältnisses.Das Recht der Frauenversammlungen, die Parteitagemit Delegierten zu beschicken, ist sicher keine Vollkommenheit, für die wir uns begeistern. Allein wie die Dingesind, erscheint eS als ein praktischer Notbehelf, der zurzeitnoch von Nutzen für die proletarische Frauenbewegung ist.Beim richtigen Gebrauch vermindert es die Reibungsflächenzwischen Genossen und Genossinnen, läßt keine Kleinlichkeit auf der einen Seite, keine Verbitterung auf deranderen aufkommen und hilft mit, die Arbeitsfrcudigkeit,den Bildungsdrang, die Kampfestüchtigkeit der Frauenzu erhöhen. Die Partei hat keinen Grund— zumalsolange die Delegierung zum Parteitag überhaupt nichtbesser geregelt ist als jetzt— engherzig formalistisch zu sein.Dagegen sprechen viele Erwägungen für eine weilherzigeRegelung der Frage, welche den Frauen als treuen Mit-arbeitenden auch volles tatsächliches Recht als Mitratcndeund Mitentscheidende sichert. Eine solche Regelungwürde ihr bescheidenes Teil zur Förderung der proletarischen Frauenbewegung beitragen, die Bein vom Beinund Fleisch vom Fleisch der allgemeinen sozialistischenBewegung ist. Im Interesse des Proletariats liegt jedeMaßregel, die ihre Kraft stärkt, die Proletarierinnenzum Klassenbewußtsein zu rufen und sie organisiert unddiszipliniert dem Klassenkampf zuzuführen.Jugend und Sozialismus.i.Freudig begrüße ich es, daß Genosse Krüger durch seinenArtikel in Nr. 15 der„Gleichheit" aufs neue vor einemgrößeren Forum die Frage zur Diskussion gestellt hat:„Wie gewinnen wir die Jugend für den Sozialismus?"Zweifellos gehört die aufgeworfene Frage zu denjenigen,denen näherzutreten immer mehr zur unabweisbaren Pflichtunserer Genossinnen und Genossen wird. Ich bin keineswegsder Ansicht, daß sie für uns mit der Erklärung erledigt ist:„Jugend ist nun einmal Jugend, die sich austoben will undfür den Ernst des Lebens nicht zu haben ist." MeinerMeinung nach bleibt dadurch, daß man sich mit der Agitationbisher speziell an die Jugend fast gar nicht wandte, sehrviel Kraft und Begeisterung ungenutzt. Man ist meinesErachtens viel zu sehr gewöhnt, den Erfolg unsererAgitation nur an unserer Stimmenzunahme bei denWahlen zu messen. Und naturgemäß wendet man sichbei derselben darum zuerst und vornehmlich an den Teil derBevölkerung, der für den Wahlausfall in Frage kommt:an die großjährigen Männer. In zweiter Linie denkt manerst an die Frauen und die Jugend. Hinzu kommt dannnoch, daß die reaktionäre Vereinsgesctzgebung in den verschiedenen Bundesstaaten der Agitation und Organisationsowohl unter den Frauen als auch unter der Jugend überaushemmend in den Weg tritt.Aber selbst dort, wo das nicht der Fall ist, wo die Jugendden politischen Vereinen angehören kann, bedingen es dieAufgaben der letzteren, daß dem Bildungsdrange der jungenMitglieder keineswegs im Rahmen der Organisationen Genügegeschehen kann. Das hat in lichtvoller Weise und mitzwingender Logik unser badischer Genosse, Or. Ludwig Frank,in der„Neuen Zeit"" nachgewiesen. Und doch hat wohljeder von uns den heißen Wunsch, schon bei der Jugend,während der Zeit, wo der Mensch der höchsten Begeisterungfähig ist, wo er in überschäumender Jugendkraft und Tatendrang den Himmel stürmen möchte, diese Begeisterung undKraft für den Dienst unserer Bewegung zu gewinnen. Aberwie dies anfangen?Genosse Krüger schlägt vor,„Jugendheime" zu gründen,und erörtert, wie er sich die Ausgestaltung der„Heime"und ihre Wirksamkeit denkt.Ganz abgesehen davon, daß solche„Heime" ebensowenigeinen festen Rahmen für die Zusammenfassung der Jugendsein würden, wie öffentliche Versammlungen, muß die Durchführung des Vorschlags scheitern an der Frage: Woher dieGeldmittel und die erforderlichen Anleitungs- und Lehrkräftenehmen? In kleineren Orten, wo die Zahl der organisiertenund sich für diese Frage interessierender Genossen und Genossinnen verhältnismäßig gering ist, wird die Beschaffungder Mittel für ein Heim die Kräfte übersteigen. Und dasselbe gälte für die großen Orte, wo der großen räumlichenEntfernung halber natürlich mehrere solcher„Heime" geschaffen werden müßten. Genau so sieht es aus betreffs derAnleitungs- und Lehrkräfte. Genosse Krüger gibt zwar derÜberzeugung Ausdruck, daß überall genügend Genossinnensein würden, die im Interesse der Partei gern in Heimenwirken würden. Ich bezweifle das sehr, das heißt nichtetwa den guten Willen der Genossinnen, wohl aber dasVorhandensein einer genügenden Anzahl von ihnen, die dienötige Zeit alltäglich zur Verfügung stellen können. Mandenke, für Gruppe I will Genosse Krüger das„Heim" von3 bis 7 Uhr täglich geöffnet wissen, für Gruppe ll von 7 bis10 Uhr abends.Doch hiervon ganz abgesehen, scheint mir, daß GenosseKrüger, wenn wir von der Gewinnung der„Jugend" fürdie Sozialdemokratie reden, einmal den Begriff„Jugend" zuweit faßt, und zweitens das Ziel mittels eines Weges erreichen will, welcher die Kritik herausfordert.Es kann meines Erachtens keineswegs Aufgabe der öffentlichen Agitation und einer Art Organisation sein, sich bereitsan die Kinder im Alter von 10 bis 1� Jahren zu wenden,wie Genosse Krüger es wünscht. Dieser weist uns da eineAufgabe zu, deren Lösung einmal der Familie und dannder Kommune obliegt. Nehmen wir das letztere vorweg.Es kann unmöglich Aufgabe der Partei sein, Kinderhorte zugründen, in denen Kinder nach Beendigung des Schulunterrichts Aufnahme und Unterweisung finden. Es ist unbedingtAufgabe der Kommune, Sorge zu tragen, daß Institutionengeschaffen werden, denen solche Eltern, die dem Broterwerbnachgehen müssen, ihre Kinder anvertrauen können, damitsie vor geisttgem, sittlichem und leidlichem Schaden bewahrtbleiben. Aufgabe unserer Vertreter in den Kommunalverwaltungen ist es, für die Durchführung dieser Forderungmit allem Nachdruck einzutreten. Unsere Ausgabe ist es,durch Propaganda die Massen aufzupeitschen, daß sie derForderung den nöttgen Nachdruck verleihen. Private Unternehmungen können nur einem ganz kleinen Prozentsatz derin Frage kommenden Kleinen Aufnahme gewähren, wirwürden uns unendliche Lasten mit der Gründung von Kinderhorten auflegen, das soziale Gewissen würde statt geweckt,eingeschläfert werden und— der Erfolg stände doch noch inFrage, da wir erst in der Öffentlichkeit Propaganda machenund indifferente Eltern(deren Kinder eine Beaufsichtigungam nötigsten hätten) für das Projekt gewinnen müßten.Im übrigen wird es Aufgabe der Familie sein, beiKindern im Alter von 10 bis 14 Jahren auf Gemüt undVerstand in unserem Sinne einzuwirken. Ohne sie systematischin die Ideen des Sozialismus einzuführen, kann man inihrenm Herzen und Hirn doch den Boden vorbereitenzur späteren Aufnahme dieser Ideen. Das geschieht dadurch,daß man sie lehrt, mit offenen Augen um sich zu schauen,zu beobachten, zu denken, zu urteilen. Klar sehen, logischdenken können, Freude an der Natur, der Kunst und Wissenschaft haben: dazu die Kinder zu erziehen, ist neben derSchule(die leider so unendlich viel zu wünschen übrig läßt)* Sozialistische Jugendorganisationen, vr. Ludwig Frank,„NeueZeit" 1S04, Nr. 4S.die Familie berufen. Genosse Krüger hat ganz recht, daßdie Kinderbeilage unserer„Gleichheit" in dem charakterisiertenSinne erzieherisch auf die Kinder wirkt. Desgleichen auchmanche andere Jugendliteratur. Indem wir mit ganzerKraft für die größtmögliche Verbreitung unserer„Gleichheit" Sorge tragen, sichern wir uns einengroßen Einfluß auf die Proletarierkinder.Ebenso wirkt eine möglichst intensive Agitation unterd en Frauen. Der Vorteil, der für unsere Allgemeinbewegungdurch die Agitation unter den Frauen insofern erzielt wird, alswir uns dadurch einen größeren Einfluß auf die heranwachsende Jugend sichern, wird meist in durchaus ungenügender Weise eingeschätzt. Eine sozialistisch denkende Frauhat täglich Gelegenheit, anknüpfend an die Erscheinungendes Lebens, ihren Kindern Solidarität zu lehren, den Klasseninstinkt zu wecken, Kritik zu üben an bestehenden Einrichtungen,zu zeigen, was eine sozialisttsche Gesellschaft schaffen, wie siehandeln würde usw. Aufgeweckte Kinder werden auch aufdie Gespräche der Elten: achten, wenn diese sich über Tagesfragen unterhalten oder über unsere Ideale. Sie werdenlernen an dem Beispiel, das Vater und Mutter ihnen inihrem Verhalten geben usw. Durch Belehrung, Beispiel undMilieu werden die Kinder vorbereitet für das spätere Eindringen in die Ideenwelt des wissenschaftlichen Sozialismus.Sie werden später ohne weiteres zu uns kommen, da siemit ihrem Denken und Fühlen schon zu uns gehören, wennsie die Schule verlaffen.Wie kann nun diese aus der Schule entlasseneJugend für uns gewonnen und in die Ergebnisseunserer Wissenschaft eingeführt werden?Meiner Meinung nach sollte man möglichst überall Jugendorganisationen gründen. Abgesehen von Mecklenburgwird das meines Erachtens überall angängig sein. Freilichkönnten diese Organisationen in manchen Bundesstaatenkeinen politischen Charakter tragen. Wo das ausgeschlossen wäre, müßten die Jugendorganisationen den Charaktervon Bildungsvereinen erhalten, und die Erörterungpolitischer Fragen müßte in die öffentlichen Versammlungengelegt werden.(Für Sachsen wäre allerdings das letztereebenfalls unmöglich.) Wir müßten uns in ähnlicher Weisezu helfen suchen, wie wir es bezüglich der Agitation unterden Frauen halten.Die Jugendorganisationen sollten ihren Mitgliedern nichtbloß Unterricht an den Vereinsabenden erteilen, sondernihnen möglichst die Arbeiterbibliotheken zugänglich machen,im Sommer gemeinschaftliche Ausflüge, im Winter literarisch!Abende usw. veranstalten. Wo die Vereinsgesetze der Jugendden Eintritt in die sozialdemokratischen Vereine nicht wehren,da sollte man keine besondere Organisation schaffen, sonderninnerhalb des Vereins wäre eine Jugendabteilung einzurichten. Diese Abteilung hätte dann ihre besonderen Vereinsabende, die der Aufilärung und der Vertiefung des Wissens der Mitglieder gewidmet sein müßten.Unnötig zu sagen, daß ich es für selbstverständlich halte,daß die Jugend nicht von der praktischen Kleinarbeit imDienste der Bewegung befreit werde. Im Gegenteil. IhreKraft soll nach jeder Richtung hin nutzbar gemacht werdenfür die Partei. Aber ihr Streben soll sich nicht erschöpfenin der Kleinarbeit. Die Jugend soll unterrichtet, geschult,diszipliniert werden und damit befähigt für den Kampf undall die zu bringenden Opfer. Mit einem Worte: die Jugendorganisationen sollen für uns bisher brachliegendeKräfte nutzbar machen und vor allem zur Vertiefung unserer Bewegung beitragen. Kann dieForm der Organisation und die Art der Agitation im„einigen"deutschen Vaterland leider keine einheitliche sein, so ist daskein Grund gegen die Sache selbst. Luise Zietz.II.Der Vorschlag des Genossen Krüger, in Jugendheimen dieRekruten der sozialistischen Armee heranzubilden, ist einesder vielen Wetterzeichcn, die ankünden, daß die Jugendfrageeiner Lösung entgegenschreitet. Immer lauter werden dieKlagen, daß„die Partei in die Breite, nicht in die Tiefewachse", daß„der Idealismus schwinde", daß„der Sinnfür die Theorie zurückgehe",— und aus all diesen verschiedenen Wendungen klingt wie ein gleicher Unterton dieÜberzeugung, daß der hohe, stolze Bau unserer Partei neusundamentiert werden müsse.Durch zwei Mittel, notwendig verbunden wie Griff undKlinge eines Schwertes, erreicht die Arbeiterklasse ihre weltgeschichtlichen Ziele: durch revolutionären Kampf undunermüdliche Selbsterziehung, und die Partei wird prüfenmüssen, ob keiner dieser beiden Faktoren in den letzten Jahrenvernachlässigt wurde, ob namentlich der erzieherische Teilihrer Aufgaben erfüllt worden ist. Das Ergebnis einersolchen Untersuchung ist für jeden, der die Dinge beim rechtenNamen zu nennen gewohnt ist, nicht zweifelhaft: Die Organisationen sind überlastet durch die kleine und manchmalkleinliche Tagesarbeit, deren Unentbehrlichkeit ja außerZweifel steht; fast alle verfügbaren Kräfte sind in Anspruchgenommen durch die Wahlen für die Parlamente, die Gemeinden, die Gewerbegcrichte, die Krankenkassen; die jungenMenschen, die voll Begeisterung zu uns kommen, werdensofort eingespannt an den Wagen der„praktischen" Tätigkeit;sie verteilen Flugblätter und Stimmzettel, sie suchen Abonnenten für die Presse,— aber wenn sie gehofft haben, planmäßig eingeführt zu werden in die Grundsätze und Geschichteder Partei, werden sie bald enttäuscht sein; man reicht ihnenSteine statt Brot. Ist aber festgestellt, daß dem politischenBildungsbedürfnis unseres Nachwuchses nicht genügt wird,so ergibt sich für die Partei die Pflicht, helfend einzugreifen,und es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die Gefahren einerUnterlassung auf diesem Gebiete zu unterschätzen, denn dü>>