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Die Sternenwacht.*
jene Tage find so fern,
Da einst Genuß des Menschen Los. Die Zeit ist hell vom Morgenstern, Doch sonnenlos.
In dieser Nacht, im Sternenschein Schläft rings das Volk auf feuchter Streu, Stets von der Träume bunten Reihn Genarrt aufs neu.
Rein Zagen tritt an sie heran,
Was ihnen träumt, scheint ihnen wahr: Vergessen dieser Schatten Bann,
Fern die Gefahr.
Doch die vom Fels im Sternenstrahl Gen Osten wenden ihr Gesicht, Sie fühlen dieses Dunkels Qual, Sie träumen nicht. Die großen Augen, hoffnungskühn, Erflehn die Stunde, da es tagt Die großen Augen bangend glühn Durch tiefe Nacht.
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Und ihre Schwerter, blank und flar, Funkeln im Sternenlicht
Sie kennen dieser Nacht Gefahr,
Sie träumen nicht!
Erwacht vom Traume bin auch ich Und schäme mich der langen Ruh: Ob manches schöne Bild entwich Noch leuchtest du,
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Du Hoffnung einer lichtren Welt, Du Sternbild , das im Osten flammt Und jedes Menschen Herz erhellt, Das gottentstammt!
Die Gleichheit
Während die zwei Kraglfinger draußen in der Glüh hizz arbeiten den ganzen Sommer lang und froh sind um jedes Büschel Heu und Stroh, das sie gut hereinbringen, werden in der Stadt so viele Bogen Papier verschrieben in Sachen Ranftlmoser contra Scheiblhuber, daß man damit den ganzen Guggenbichlacker zudecken könnt. Die Aften werden von selber alleweil dicker, und wie im Herbst die Felder leer gestanden sind, ist eine Gerichtsallo fommission hinausgekommen. Die Leute von Huglfing , Kraglfing und Zeidlhaching haben sich eingefunden wie bei einem Wettrennen oder einer anderen Lustbarkeit. Jeder ist glücklich gewesen, der als Zeuge vernommen worden ist, denn nichts hat ein Bauer lieber, als wenn das aufgeschrieben wird, was er sagt. Die Herren setzen es so schön hochdeutsch, daß es sich justament ausnimmt wie etwas Gedrucktes und ganz Gescheites. Außerdem hat man Gelegenheit, die Herren vom Gericht und die Advokaten recht genau zu beobachten, was sie sagen, und was sie dabei für eine Miene aufsetzen. Zu guter Letzt leidet das Zeugengeld eine Maß beim Unterwirt, wo man jetzt beinahe jeden Tag zusammenkommt und seine Meinung abgibt.
So ein Bürgermeister ist doch ein geplagter Mensch, denkt der Scheiblhuber; alle Augenblick wird er gefragt, wie und wo, und muß Red' und Antwort stehen für andere Leut. Und wenn der hinterste Gütler oder Häusler mit Fleiß die Wappelmarken nicht aufpappt, blasen sie im Bezirksamt drin dem Bürgermeister einen Landler auf. Möcht keiner sein, der Scheiblhuber.
Aber was ist denn das? Der Briefbot reibt sich ja auf seinen Hof zu; wüßt nicht, warum.
„ Grüß Gott, Bauer! Ich hab' eine Zustellung für dich." " War nit z'wieder! Wirst doch schon irrig sein, Langl maier, und den Bürgermeister meinen."
Der Briefbot Langlmaier war aber nicht irrig; es ist fein anderer gemeint gewesen als der Scheiblhuber, der sich jetzt von der Bäuerin die Brillen bringen läßt und das Schreiben bedächtig öffnet.
„ Klage des Advokaten Bierdimpfl namens Korbinian Ranftlmoser, Bauer in Kraglfing, gegen Kastulus Scheiblhuber, Bauer daselbst, wegen Besitzstörung."
Himmel Laudon--!
Ranftlmoser, wenn du jetzt über den Zaun schauen könntest, was müßtest du für eine Freud haben! Krebsrot ist der Scheiblhuber vor Zorn, und nach jedem Satz, den er aus der Schrift zusammenbuchstabiert, tut er einen abscheulichen Ausspruch. So ist's recht. Jetzt weiß er, warum er das March herausgerissen hat; jetzt sieht er, daß der Scheiblhuber nicht bloß Kegel scheiben darf und der Ranftlmoser müßt aufsetzen.
Endlich ist er am Schluß des Lesschreibens angelangt, wo es heißt:„ Der Beklagte soll sämtliche Kosten des Rechtsstreites tragen." Ja, halt auf ein bissel! So schnell geht das nicht beim Raftulus Scheiblhuber, Büchlbauer von Kraglfing!
Es gibt noch ein Gesetz im Land und Advokaten genug; eine Verhandlung muß her, und ein Augenschein, und auf den Schwur muß der Ranftlmoser hingetrieben werden. Richtig; am andern Morgen fnarzen wieder ein paar Glanzstiefel auf dem lehmigen Feldweg. Diesmal ist es der Scheiblhuber, der fuchsteufelswild mit dem Gehsteckerl links und rechts in die Grashalme hineinhaut und dabei eine Red' einstudiert für den Advokaten in München . Und um dieselbe Zeit, wann die Sonne am höchsten über Kraglfing steht, legt in der Stadt drin der Kanzleischreiber einen blauen Aftendeckel vor sich hin, schreibt fein säuberlich darauf: Ranftlmoser contra Scheiblhuber, und wickelt einen langen Spagat darum. Er denkt wohl nicht daran, was er da alles eingebunden hat; wie viel Zorn, Verdruß und Kummer, wie viel sauer erspartes Geld! Und der Scheiblhuber denkt auf dem Heimwege gewiß auch daran zu allerletzt; jetzt ist es schon, wie es ist, und muß halt weiter gehen. Und es geht auch weiter.
* Die Gedichte von Otto Erich Hartleben sind dem Bande entnommen: Meine Verse", Berlin , S. Fischer. Er enthält vom Edelsten und Schönsten der modernen deutschen Lyrik.
Am Tage Kordula, den 22. Oktober, ist dann das Urteil herausgekommen. Die Ranftlmoserin hat keine Freude gehabt über das Namenstagsgeschenk. Es hat in dem Schreiben freilich geheißen, daß der Scheiblhuber den alten Zustand herstellen muß, aber der Ranftlmoser auch; und weil jeder ein Teil Unrecht gehabt hat, muß jeder die Hälfte von den Kosten tragen. Aber trotzdem war sie froh, daß die Geschichte endlich vorüber war; vielleicht würden die Mannerleut doch wieder gut miteinander; es ist ihr arg genug gewesen, daß sie so lang mit der Scheiblhuberin keinen Diskurs mehr hat führen dürfen. Und es ist auch nach und nach so gekommen; weil keiner den Prozeß ganz und gar verloren hat, hat jeder glauben können, daß er doch in der Hauptsach der Gewinner war; es laßt sich aus jeder Sach etwas Gutes herausfinden. Und zuletzt darf man nicht vergessen, daß die Reputation von jedem durch den Prozeß gewonnen hat. Ein halbes Jahr hat er gedauert, die Advokaten haben schön geredet, und lateinisch ist schier mehr gespracht worden wie deutsch . Also Ranftlmoser, was willst noch mehr? Die Fretter im Dorf möchten auch diesmal eine Gaudi haben; jetzt haben sie noch einmal so viel Respekt vor den zwei. Bloß der Häusler Felberhofer hat einmal den Scheibl huber im Wirtshaus spöttisch gefragt, was denn der ganze Guggenbichlacker kostet, wenn drei Händ voll davon schon dreihundert Mark wert sind.
Der Habnichts! Das Tröpfel, das armselige!
In die Welt trat ich ein als ein wunschloser König, Singvogel auch, von der Sonne Gnaden; Auf die fremden Wunderharfen Spannt ich neuer Zeiten Sehnen; Weckte all die leisen, leisen Lieder,
Und die alten Märchen, die so lange schliefen, Stehen wieder auf in neuen Farben, Kränzen dir die müde Stirne, Zeigen dir Pfade, die niemand sieht, Bor deiner Sehnsucht die Zukunft niet! Welt, gib dein Tagwerk in Ruh, Höre mir zu.
Verklungen der Ton, verrauscht nun die Lieder, Keiner Liebe Echo brachte sie wieder; Meine Harfe schweigt wie ein wartend Kind, Wir flüstern uns zu, daß wir müde sind, Und lauschen doch immer wieder Bis der Weltenwinter das Herz erstarrt, Und die Sonnennot unsere Träume narrt Und das Sehnen müder und müder.
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Kein warmes Wort die arme Hoffnung weckt, Und keine Hand sich uns im Dunkeln streckt, Alles umsonst
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Was willst du nun, Welt? Fürwahr, du bist gut und groß, Es barmt dich der Singvögel Los; Streust trocken Brot in den Märchenwald, Fragst noch, ob er von Liedern hallt! Und der einst dein König und nun dein Knecht, Der Sänger, er neigt sich in Not So hört, was die Welt mir bot:
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Ein Krämerlos für den Königstuhl, Für mein Meer voll Gold einen Weltenpfuhl, Du liebsüße Kunst, meine Königin, Sollft beugen deinen stolzen Sinn! Genug der Pein! pm Welt, laß mich sein! Laß mich los.
Es schrie noch einmal die Harfe auf
Es stöhnte im Tann der Wind,
Es endet ein Stern den schnellen Lauf, Es starb ein Königskind!-
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Nr. 16
Da klingt durch die Welt ein verwaistes Lied, Und stärker schwillt der Ton;
Vor Dichters Schmerzen die Zukunft kniet, Des schlafenden Sängers Lohn.-
Erschlafft im Schlafe findischen Glaubens, hast Du lang genug jetzt, duldendes Volt, geruht. Ermannet euch und eurer Ketten Rostige Reife, fie werden brechen!
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Nicht länger betend winselt in leere Luft, Auf dieser Erde wirkt und erschafft das Heil. Verlacht der Pfaffen schnöde Lüge, Die da vertröstet aufs bessre Jenseits! Fort mit dem Trugbild ewiger Seligkeit, Das aus dem Leben, drin es zu leben galt, Euch tatenlose, freudelose,
Lockt in die schweigende Nacht des Todes!
Die Wiederkunft.
Von Otto Erich Hartleben . Prometheus brach jahrtausendalte Fesseln. Er reckt die Glieder, er erhebt das Haupt, Und wie ein Morgenrot erhellt die Welt Der ungebrochne Strahl der großen Augen. -Prometheus! Prometheus!
an
- Ihr Menschen, die mein Schöpfersehnen rief Hervor ans Licht der götterfrohen Sonne, Habt ihr vollendet, was ich ahnend sann? Lebt ihr und dankt ihr mir das Leben? Der Funke, der aus meinen Händen troff. Erhellt er eure Stirn?
Die Liebe, die mein Atem euch gehaucht In talte Brust, hat sie die Brust durchseelt? Ich lag, geschmiedet in die Eiſenbande, Am harten Fels. Zu meinen Füßen rauschte Das Meer, und seiner Brandung wilder, steter Laut übertönte alles Menschliche. Der Gischt der Fluten hüllte jede Ferne Vor meinem Blick in weiße Schleier.
Menschen!
Ich brach die Ketten neiderfüllter Götter Ich rufe euch! Hört mich! Prometheus! Prometheus!
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Da troch heran das sflavische Gezücht Der Menschen. Herr, wie sollen wir Dir dienen? Unterwürfigkeit im Blick, Gekrümmt den Rücken und gebeugt das Knie. Ein Mann mit einem goldnen Reif im Haar Sprach: Dein Geschenk verehren wir gebührend. Ich beuge mich vor deiner Schöpfergröße, Und meine Untertanen sind die deinen. Ein Mann im groben Kittel voller Schmutz Sprach: Herr, ich friste mir mit meiner Arbeit Das Leben, und mein Weib ernährt die Kinder. Wir sind zufrieden, und wir danken dir.
Und nach ihm kamen andere, ungezählt,
Und alle sprachen scheu und lallten: Herr! Herr!
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Ein Häuflein stand beiseit und blickte stumm
Auf jene, die vor ihnen lagen
Zu Füßen des entfesselten Gebieters.
Berachtung zuckte herb um ihre Lippen,
Auf ihren Brauen lag der Troß.
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Und ihr?
Der Funke, der aus deinen Händen troff, Der Strom der Zeiten hat ihn ausgelöscht. Die Liebe, die dein Atem einst gehaucht In Menschenbrust, sie ist erstickt und tot. Enterbt, im Staube wälzen sich Millionen Und fühlen keine Schmach.
Und andre treten auf die Menschenstirnen Und fühlen keine Scham.
Sieh dieses Volf zu deinen Füßen winseln, Das nur nach neuen Gößen noch verlangt, Und frage nicht!
Prometheus schweigt und sinnt.
Dann heftet er des Auges Glanz
Auf diese, die da aufrecht vor ihm stehn,
Und langsam rollen seine Worte:
- Geschaffen hab' ich Menschen.
Groß war das Werk, und Stolz füllt meine Brust, Seh' ich auf euch, auf meine echten Söhne. Doch nicht umsonst war ich gefesselt! Weit Größres wahrlich gilt's noch zu vollenden: Der Funke muß zur Flamme werden!
Da zuckt erhabner Freude lichte Glut Auf jenen düstren Stirnen auf. Sie jauchzen:
Prometheus! Prometheus!
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zettin( Bundel), Wilhelmshöhe
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