Nr. 20

Die Gleichheit

everer Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen es

Die Gleichheit" erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer

10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

Jena  .

Juhalts- Verzeichnis.

-

-

-

Jugend und Sozialismus. XI. Von Georg Davidsohn  . XII. Bon Franziska Kuppe. Woher kommt der Profit? II. Bon Julian Borchardt  . Über Schulgesundheitspflege. III. Von Dr. Zadek. Katholische Arbeiterinnenvereine. Von Lea Heiden­Deutschmann. Aus der Bewegung: Von der Agitation. Weibliche Delegierte zum sozialdemokratischen Parteitag.- Poli­

-

-

tische Rundschau. Von G. L.

Notizenteil: Soziale Gesetzgebung.- Gewerkschaftliche Arbeiterinnen­organisation.Soziales. Quittung.

Feuilleton: Mut. Von Wolfgang Goethe.  ( Gedicht.) Von Ada Christen  .

Jena  .

-

Irrlichter.

Stuttgart   den 4. Oktober 1905

15. Jahrgang

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

revolutionär im besten geschichtlichen Sinne des Wortes| Die Wünsche nach größerer Initiative des Parteivor­waren. Eine schlüssige Antwort ergibt sich dann auf standes fanden Berücksichtigung dadurch, daß die Zahl die Fragen, ob die Sozialdemokratie im Banne ihres seiner Mitglieder im Statut nicht festgelegt wurde, son­Dogmas" verknöchert oder aus dem Born des lebendigen dern von jedem Parteitag nach den vorliegenden Auf­Lebens neue Erkenntnisse und Kräfte gewinnt, und ob gaben bestimmt werden soll. Für das neue Tätigkeits­sie durch ihre steigende Macht und Berantwortlichkeit jahr wurde ein Schriftführer mehr bestellt. Die Bestim nach rechts oder nach links gedrängt wird. mungen, welche die Stellung der Frauen innerhalb der

"

Eine erschöpfende Erörterung aller Seiten und Tiefen Sozialdemokratie regeln, gelangten unverändert zur An­des Problems konnte natürlich weder in Bebels glänzen- nahme. Wir sind überzeugt, daß unsere Genossinnen dem Referat erfolgender großzügigen Auseinander- allerwärts nicht die lässigsten sein werden, dem neuen segung eines politischen Kämpfers par excellence mit Statut entsprechend mit aller Kraft für den festeren der Situation und ihren Anforderungen noch in Zusammenschluß der Partei zu wirken.

-

den Debatten, deren Höhepunkt, was die revolutionäre Die Berichte des Parteivorstands und der Reichstags­Stimmungsgewalt anbelangt, wohl die Rede des Ge- fraktion sowie die an sie anknüpfenden Debatten und Der Parteitag zu Jena   hat gehalten, was das deutsche, nossen v. Elm bildete. Jedoch die Aufgabe des Partei- Beschlüsse kündeten frisch pulsierendes Leben, kraftvolle das internationale kämpfende Proletariat von ihm er- tags zu Jena   war es auch nicht, die Diskussion des Arbeits- und Kampfesfreudigkeit. Und in der Haupt­wartete, erwarten mußte. Er gehört zu den Tagungen, politischen Massenstreits abzuschließen, vielmehr sie in sache befriedigend ward die Frage zum Austrag gebracht, welche in der Geschichte der Sozialdemokratie zählen kräftigen Fluß zu bringen. Er mußte sich damit be- welche nach dem Glauben und Wünschen der bürger­werden. Von den Flammenzeichen einer ungewöhnlich gnügen, dem kämpfenden Proletariat Deutschlands   die tlichen Welt das Kern- und Spektafelstück des Parteitags bedeutsamen historischen Situation umloht, hat er von neue Waffe zu überweisen, die es unter dem Zwange werden mußte: die der Polemiken zwischen verschiedenen dem festen Boden der sozialistischen   Auffassung aus das bestimmter Umstände gebrauchen kann und gebrauchen Parteiblättern, an der Spitze die Neue Zeit" und die Kampfesfeld des flassenbewußten Proletariats überblickt muß. Nun gilt es, durch gewissenhaftes Studium die Leipziger Volkszeitung  " auf der einen Seite, der Vor­und in flarer Erkenntnis dessen, was ist und was als Waffe zu schärfen, durch unablässige Aufklärungs- und wärts" auf der anderen Seite. Daß die Angelegenheit der Geschichte ew'ges Muß" heraufsteigt, die praktischen Organisierungsarbeit die proletarischen Massen für ihren an eine Kommission verwiesen wurde, hat sich als zweck­Konsequenzen der Stunde gezogen. Gebrauch zu schulen. Das aber keineswegs in Gegen- mäßig herausgestellt. Sie konnte dadurch sachgemäßer

Das wichtigste Ergebnis davon ist die Stellungnahme satz zu den Arbeiten und Kämpfen des Tages, sondern und eingehender behandelt werden, als dies im Plenum zum politischen Massenstreit. Seitdem die Sozialdemo- in innerem organischem Zusammenhang mit ihnen, sie möglich gewesen wäre. Allerdings bezweifeln wir, ob es fratie sich grundsätzlich für den Parlamentarismus als vertiefend und fördernd. Wie immer einzelne Gewerk- eine glückliche Entscheidung war, dem Parteivorstand die eine Kampfeswaffe des Proletariats erklärt hat, ist unseres schaftsführer heute noch den politischen Massenstreit be- Befugnis zuzusprechen, unter Umständen vermittelnd" Erachtens feine gleich wichtige Entscheidung gefallen, werten mögen: dieses Studium und diese Arbeit muß einzugreifen, um die mit aller Schärfe gerügten Formen wie sie diese Stellungnahme in sich begreift. Denn so Partei und Gewerkschaften immer inniger zu der einen der Polemik zwischen Parteiorganen in Zukunft zu ver­wertvoll und richtunggebend auch das Werk mehrerer revolutionären Arbeiterbewegung zusammenschließen. meiden. Was dagegen die beschlossene Resolution betreffs Parteitage für die innere und äußere Entwicklung der In der gleichen Richtung hat der Parteitag sicherlich des sachlichen, prinzipiellen und taktischen Untergrunds Sozialdemokratie gewesen ist: es hat sich im wesentlichen durch seine Behandlung der umstrittenen Maifeier ge- der jüngsten Breßpolemiken erklärt, war betreffs der über­darauf beschränkt, unser Arbeits- und Kampfesfeld scharf wirkt. In Anschluß an Fischers Referat, das wägende weisung kritischer Untersuchungen des Parteiprogramms zu umgrenzen, die Bedingungen für den Gebrauch der Berücksichtigung der nüchternen Wirklichkeit mit dem hin- an die Neue Zeit" und der Verpflichtung der Partei­beiden bewährten Methoden des proletarischen Befrei reißenden Feuer des sozialistischen   Gedankens vereinte, presse, die prinzipille Aufklärung entsprechend unserem ungstampfes Parlamentarismus und Gewerkschaften- brachten die Debatten eine Auseinandersegung über das Programm im Sinne der Dresdener   Resolution zu för­zu prüfen und ihre Anwendung auf neuen Gebieten zu Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaften, die wohl dern: das wird sicherlich der gesunden inneren Entwick­beschließen. Der Parteitag zu Jena   ist dagegen über in dem und jenem Punkte noch tiefer schürfen konnte, lung der Partei frommen. Es ist geeignet, die theo­dieses Werk hinausgegangen. Er hat die Methoden des deren klärender und einigender Charakter aber hoch retischen Studien aus der Mißachtung emporzuheben, der Klassenkampfes selbst um eine neue vermehrt, um die des veranschlagt werden muß. Die in dem Wesen und sie in weiten Parteifreisen anheimgefallen sind, dem mo­politischen Massenstreiks. den Aufgaben der Gewerkschaften begründeten Ten- dischen Gerede zu steuern, das jede Auseinandersetzung Damit verabschiedete er nachdrücklich den Glauben, denzen, welche den proletarischen Klassenkampf un- über prinzipielle und taktische Probleme als Akademiker­daß Parlamentarismus und Gewerkschaften die allein- günstig beeinflussen könnten, müssen durch die lebendige spielerei verschreit, das Ansehen und die Verbreitung seligmachenden Mittel des proletarischen Klassentampfes Kraft der sozialistischen   Erkenntnis überwunden werden. des wissenschaftlichen Organs der Partei zu heben und seien. Dieser Glaube berief sich vorzüglich, aber irrtüm- Tue deshalb jeder Genosse als Gewerkschafter in dieser durch das alles wie durch die geforderte feste Haltung licherweise, auf Engels' bekannte Vorrede zu den Klassen- Hinsicht seine volle Pflicht, um die Form der Organi  - der Parteipreffe zur theoretischen Schulung der Genossen fämpfen in Frankreich  " und gipfelte in der Überzeugung, ſation mit sozialistischem Geist zu erfüllen, das war der und zur Einheit der Partei beizutragen. das Proletariat müsse auch die schlimmsten Nackenschläge Grundton der Verhandlungen. Und wenn, von dem der Reaktion ohne die äußerste Gegenwehr in der Hoff- Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit durchdrungen, nung über sich ergehen lassen, daß der Menschheit große Parteiorganisationen und Gewerkschaften mit gleichem Gegenstände nicht von der Tagesordnung verschwinden Eifer, gleicher Begeisterung und Hingabe zur Maifeier tönnen". Der Parteitag zu Jena   hat entgegen dieser rüsten, so muß diese ihrem Wesensinhalt gemäß zu einer christlichen Sklavenmoral, die sich als politische Klugheit immer weiterfassenden und wirksameren Willenstund­gebärdete, die Pflicht des revolutionären Kampfes durch gebung des kämpfenden Proletariats werden. den politischen Massenstreik proklamiert. Er brachte zum Das neue Organisationsstatut, welches die rote Woche" Ausdruck, daß außergewöhnliche Situationen, welche die gab, ist geeignet, an seinem Teil dazu beizutragen, die Todfeinde des Proletariats revolutionär zuspißen, auch Reihen der Partei fest zum Ansturm gegen den Feind mittels außergewöhnlicher Kampfesmethoden durchgefoch- zusammenzuschließen. Nach einem sachlich wertvollen ten und überwunden werden müssen. und eindringenden Referat des Genossen Vollmar und Binnen verhältnismäßig furzer Zeit hat sich die Sozial- sorgfältiger Prüfung der eingegangenen Anträge seitens demokratie dank des Anschauungsunterrichts der Tat- der Kommission ist der vorgelegte, nur unwesentlich ge- Wie vorauszusehen war, ist der erste Teil der Krügerschen sachen der Massenstreits im Ausland, der schamlos änderte Entwurf zur Annahme gelangt. Wohl wird Anregung: die Kinder zwischen 10 und 14 Jahren in den brutalen Reaktion in der Heimat- zu dieser Erkenntnis die Partei durch das neue Statut einheitlicher und Jugendorganisationsplan einzubeziehen, allenthalben auf durchgerungen. Als Parvus 1896, als erster in Deutsch  - straffer zusammengefaßt, jedoch in Würdigung des ge- wie die Dinge nun einmal liegen, fällt es schon schwer Widerstand gestoßen. Meines Erachtens mit Recht; denn land, dafern wir nicht sehr irren, den Gedanken erörterte, schichtlich Gewordenen nicht so fest, daß dadurch die wie die Dinge nun einmal liegen, fällt es schon schwer den Umsturz von oben unter Umständen durch den politi- Lebens- und Arbeitsfähigkeit der Landes- und Provinzial- wachsenen heranzukommen, geschweige denn an die der genug, in Preußen- Deutschland   an die der Schule Ent­schen Massenstreik zu bekämpfen, da begegneten seine Aus- verbände gefährdet würde. Die dahin abzielenden Be- Schule noch mit Leib und Seele verschriebene Jugend. Es führungen fühler Nichtbeachtung, ja scharfer Feindseligkeit denken sind unseres Erachtens unbegründet. Abgesehen empfiehlt sich aber nach allen Erfahrungen, einen sonst brauch­und billigem Hohn. Unwidersprochen wurde auf dem von den selbständigen Aufgaben, welche das politische baren Vorschlag, wie den des Genossen Krüger, gleich von Parteitag zu Lübeck   1901 als Quintessenz seiner Ge- Leben der Einzelstaaten den Landesorganisationen in vornherein alles Beiwerks zu entkleiden, das ihn auch nur dankengänge verspottet, daß man nächstens durch eine reicher Fülle zuweist, werden die geäußerten Be- teilweise zum Scheitern zu bringen vermöchte. große Revolution, durch politische Massenstreits die Ge- fürchtungen schon durch die praktischen Notwendig- Unsere Schul- ,, Disziplin" perfügt über so viele Mittel und walt bekommt und dann in drei Monaten die sozial- feiten hinfällig, unter denen die Verbindung mit der Mittelchen, daß sie ohne weiteres Bestrebungen, die ihr nicht demokratische Gesellschaft fix und fertig aufrichtet". Man Bentralleitung sich vollzieht. Eine demokratischere Ge- Es soll hier nicht von den Schikanen gegen die Jugend­in den Kram passen, den Garaus zu machen imstande ist. messe daran den Inhalt, das Gepräge, die Stimmung staltung des Vertretungssystems zu den Parteitagen abteilungen der Arbeiterturner die Rede sein, noch von den der Verhandlungen zu Jena   über den politischen Massen- unterblieb, weil zunächst die Durchführung des neuen Schwierigkeiten, die man den Jugendbildnern der frei­streit, die, wie kaum je Beratungen eines Parteitags, Statuts die rechnerischen Grundlagen dafür liefern muß. religiösen Gemeinden gemacht hat; es sei nur gestattet, eines

Mit Genugtuung darf die Sozialdemokratie auf das Werk ihrer letzten Tagung zurückblicken. Es hat im Zeichen des schärfsten Klassenkampfes gestanden, die Partei entschieden einen guten Schritt weiter nach vorwärts, nach links gebracht, und in ihr lebendige Kräfte der re­volutionären Erkenntnis und Energie zum Bereitsein auf­gerufen. In festgegliederten Reihen, kampfesgerüsteter als je schreitet die Sozialdemokratie der Zukunft, ihren Schlachten und Siegen entgegen.

Jugend und Sozialismus.

XI.