138Die GleichheitNr. 23Revolution,«s-lRußland 1905.)Von Otto K rille.'In der Tiefe lodert die Glut,Sklavisch von steinernen Schergen bewacht.Wild pocht der Erde feuriges BlutAn den herrschergewaltigen Schacht.Alles, was in der Tiefe rollt,Lava, Schlamm und funkelndes Gold,Sehnt sich nach Himmel und Sonne.Da auf den Bergen schmilzt der Schnee,Und die große Sehnsucht naht.Nieder der Erde drückendes WehReißt der Lawine befreiende Tat.Gipfelkühne Diebe des GlücksHüllt sie ein in des grausen GeschicksWeithin donnernde Würfel.Und in die Tiefe schießt ein Strahl,Der sich brausend dem Feuer vermengt.Rasend von hoffender Knechtschaft QualHat es der Freiheit Pfad gesprengt.Von gigantisch gesteigerter KraftFallen die felsigen Fesseln der Haft,Und über die toten Trümmer ziehtJubelnd der Urwelt siegreiches Lied.Durch der Natur gewaltiges ReichSehen wir, Revolution, dich gehn,Unter den Völkern herrschergleichDeine gewaltige Schönheit erstehn.Freiheit dein Atem, Gericht dein Wort,Schreitest du über den Erdball fort,Ewig der Knechtschaft Schrecken.Irrlichter.Von Ada Christen.(Fortsetzung.)Die jungen Studenten traten herausfordernd zu demLehnstuhl des Hausherrn, Hans richtete sich hastig auf, setztesich aber wieder, betrachtete seine Nägel der Reihe nach miteiner Art gewissenhaften Nachdenkens und sagte endlich,jedes Wort betonend, mit kaltem Ernst:„Du bist jäh, nimm das Wort zurück... Ich dulde nie,daß in meiner Gegenwart ein Weib beleidigt wird, sei diesesWeib, was es wolle... Diese aber mochte ich nicht schützen,weil sie eine Heuchlerin ist nach dem, was ich von ihr hörte."Ein Bürschchen mit einem nichtssagenden Gesicht kicherteboshaft. Friede! hörte es nicht, sein ganzes Wesen sog dieWorte des leidenschaftslosen Sprechers ein.„Willst du also dein Wort zurücknehmen, oder willst du michvon dem Gegenteil dessen, wasso viele behaupten, überzeugen?"„Das will ich!"„Womit?" fragte Hans ruhig und bestimmt.„Damit, daß ich dir sage," erwiderte Friede! hastig, abersein blühendes Gesicht wurde fahl, er ließ seine Uhr in dieTasche gleiten, zerrte an seiner Halsbinde,„sa-ge," einkeuchender Laut rang sich aus seiner Brust...„sage, daßich jahrelang in dem Hause dieses Weibes lebe... daß ihrMann mein einziger wahrhaftiger Freund war... daß siefür mich sorgte wie eine Mutter für ihr Kind, daß ich durchsie bin, was ich bin, daß ich sie genau kenne und weiß, was sietut und läßt, und daß ich jedem jederzeit für sie einstehe..."Der breitschulterige starke Mann taumelte, griff nach einerStuhllehne, hielt den Atem an, grüßte, betäubt mit demKopfe nickend, und schritt wie ein Geschlagener schwerfälligaus der Stube."Einer der Studenten schloß das rechte Auge, blinzelle mit demanderen schlau nach der Türe und höhnte boshaft-nachahmend:„Wie eine Mutter für ihr Kind!"...Hans faßte den Spötter an der Schulter und rüttelte ihn,daß er mit aufgesperrtem Munde stehen blieb.„Spotte nicht," grollte er,„der Mann hat uns eine sodemütigende Beichte abgelegt, daß ich lieber den„Lügner"hingenommen hätte, als ihn zu diesem Geständnis gezwungen.An all diesem Elend trägt auch jener polnische Schuft dieSchuld. Hütet euch, daß ihr nicht solchen Kerlen in dieHände kommt, ich habe teures Lehrgeld bezahlt— aber nichtso teures wie der arme prächtige Friede!. Schweigt wieMänner über diese Geschichte und laßt mich jetzt allein—bitte— es war doch noch ein wenig zu viel für mich."Friede! schleppte sich durch Straßen und Gassen; er trugden Hut in der Hand, denn sein Kopf glühte, und einschmerzender Gedanke jagte den anderen. Vergeblich suchteer sich damit zu beruhigen, daß er seine Schuld an Lorelängst bei Heller und Pfennig bezahlt hatte!... War er ihrdenn nur Geld schuldig? O, diese qualvolle Beschämung,die ihn anfiel wie ein plötzlicher Faustschlag, als er für sieeintreten muhte, für sie, die Geschmähte... Und wenn siedie Wahrheit sagten, so hat sie alle die Schmach auch fürihn getragen, so hat er teilgeiwmmen einst an ihrerSchande!...„Ich aß ihr Brot!"Er lenkte die Schritte seiner Wohnung zu, rannte aberwieder einen anderen Weg; er konnte nicht heimkehren, erwollte erst ruhig werden, die quälenden Empfindungen betäuben und dann mit diesem unglücklichen Weibe reden.*„Aus Welt und Einsamkeit". Gedichte von Otto Krille.Berlin 1906. Johann Sassenbach.Nur im Sonnenlicht mochte er ihr nicht begegnen nachdiesem Auftritt, er mochte ihr bei dem, was er sie zu fragenhatte, nicht in die Augen sehen, in die geschmähten zürnenden Augen... Ein dunkles Gefühl zukünftiger Vereinsamungkam mit schwerer Trauer über ihn; er lehnte an einemBrückengeländer, schaute auf das dahinschießende Wasserund wußte nicht, wie er zu dem Flusse gekommen war; ertrocknete sich immer wieder die Stirne und sann nach,warum er ihre Augen so ganz und gar vergessen habe....„Der springt vielleicht ins Wasser," sagte ein kleines zerlumptes, rotbackiges Mädel zu einem schmutzigen Buben, dererst Räder schlug und dann rittlings über das Brückengeländer rutschte.„Der? Fällt dem gar nicht ein, hat eine goldene Ketteanhängen..." schrie der Bube, streckte die Zunge herausund schlug wieder Räder bis an das andere Ende der Brücke.Friede! sah und hörte die Kinder, und etwas in denAugen des Mädchens erinnerte ihn wieder an die anderenbrennenden Augen.„Ihre Augen waren es doch, die auch mich damals sotoll machten, daß ich ihr den albernen Brief schrieb, vondem sie nie, nie wieder sprach. Alles vergessen... warum?Bin ich denn blind gewesen die Jahre hindurch, daß ichweder ihre Schönheit noch ihre Schande gesehen?"...Der qualvolle Tag ging zu Ende. Seine Seele erfülltvon Grimm und Zweifel, lenkte er die Schritte heimwärtsund stand mit einem Male voll fieberischer Erregung in derkleinen Stube.... Der Abendwind bewegte geräuschlos dieweißen Vorhänge an dem offenen Fenster hin und her, undsie saß dort und weinte still. Ihre schlanke Gestalt hob sichschwarz und scharf von dem gelben Dämmerlicht draußenab, so daß er jedes widerspenstige Härchen sehen konnte,das im Winde zitterte... Der vorgebeugte feine Kopf, dieschlaff niederfallenden Arme, der ganze nachgiebige Leib,alles war so zerbrochen, so hilflos, so schutzbedürftig undrein; alles Straffe und Herbe ihres Wesens schien von ihrabgefalle», hinweggeschwemmt von den großen Tropfen, dielangsam über ihre blassen Wangen flössen... Und je längerer hinschaute auf die einsame, hilflose Gestalt, desto klarerund ruhiger wurde es in seiner Seele, der Grimm und dieZweifel schwanden, und ein unendlich tiefes menschlichesMitleid zog durch sein Herz...„Lore!"Rasch wandte sie sich um und hob ihren Arm hastig gegendie Decke empor.„Droben auf dem Dachboden im allerfinstersten Winkelliegt der Tabakkorb, und meine zwei Hände sollen mir abfallen, wenn ich ihn noch einmal berühre— verhungerneher, als noch einmal so vor Ihnen dastehen wie heute—so— wissen Sie?!"„Nicht vor mir, Lore, ich kenne Sie— ich will Sie aberbitten, daß Sie das Auswärtslaufen, dieses armselige Tabakverkaufen aufgeben, um der anderen Leute willen," sagte erberuhigend.Was ihr die anderen Leute seien? Ob die anderen Leutefür ihren gelähmten Mann gesorgt hätten oder sie— sieganz allein?! Ob die Leute Arzt, Apotheke oder auch nurdas Begräbnis bezahlt hätten?— Ob bei ihr sogar Mühe,Sorge und Entbehrung von Kindestagen her zum Unrechtwürden, bei ihr, die all ihr Lebtag ein braves Weib gewesen sei, das sich wie ein Lasttier um jeden Bissen Brotabgeplackt habe. Ihr alter kranker Mann sei der einzigeMensch gewesen, der sie lie...Schluchzend und erschreckt unterbrach sie ihre trotzigenfragenden Reden, rang die Hände, biß die Zähne übereinander, stellte sich vor Friede! hin und schaute mit weitgeöffneten Augen zu ihm auf. Beschämt ließ er die Lidersinken... Sie schüttelte befremdet den Kopf, wartete einenAugenblick, stieß ihn dann mit der flachen Hand vor dieBrust, trat rasch zurück und sagte mit unsicherer Stimme:„Daß Sie aber geglaubt haben, was vielleicht die„anderenLeut'" glauben, das weiß ich jetzt erst, und das kann Ihnenunser Herrgott nicht verzeihen."Er wollte reden, aber schon war sie von ihm weg undhinausgehuscht, er griff ihr mit den Händen nach, als ob erie noch erfassen könnte, aber er rührte sich dabei nicht vondem Flecke, auf welchem er stand. Siedend heiß rann esdurch seine Adern, aus allen dunklen Ecken der Stube meinteer die feuchten zürnenden Augen leuchten zu sehen, er riefden Namen der Entflohenen mit ungestümer Zärtlichkeit,aber es regte sich nichts in dem Gemach, es wurde immer'tiller... nur aus geheimnisvoller Entfernung drang dasersterbende Geräusch der Stadt zu ihm, und seine Uhr tickteleise und erzählte flüsternd-geschwätzig:„Er lügt... Er lügt... Er lügt..."Von jenem Abend an sah Friedet erst, wie blühend schönLore geworden war, seit sie nimmer an dem Lager ihreskranken Mannes wachte, nur für sich allein zu sorgen hatteund nimmer atemlos die halben Tage treppauf treppablaufen mußte.Zuweilen warf er die Feder hin, wenn er schrieb, oderdas Buch, in welchem er las, denn aus dem weißen Papierchaute statt der Buchstaben das braune traurige Gesichtder schönen Frau zu ihm hinauf. Lore arbeitete still inihrer Wirtschaft weiter, und es dünkte ihr, daß kaum einMensch auf der Welt mehr an sie dächte. Sie wußte nicht,daß ein Paar neugierige blaue Augen, so oft es anging,die ihren suchten und ihr so lange überall nachblickten, bisallmählich auch der hinter ihr her lief, dem die Augen angehörten. Der sah aber so schmuck und vornehm aus, daßes die Lore kaum glauben mochte, als in einer Zwielicht-tunde seine Lippen auf den ihren brannten und als er ihragte, daß er sie jetzt viel viel lieber hätte als damals, woer ihr den albern-kecken Brief geschrieben.Lore dachte seit Jahren nicht mehr daran, daß sie Friede!einst aus der wüsten Stube des Polen geHoll und für ihngetan hatte, was sie vermochte. Wie er aber jetzt so vorihr stand, war ihr zu Mute, als sei er nie etwas anderesgewesen als der reiche Bürgersohn, der verhätschelte Liebling seiner Mutter, der lebensfreudige Mann. Es flog ihrso durch den Sinn, warum er sie lieb hätte, sie, die nur dasarme Kind, das unwissende Weib eines Arbeiters war, sie,die alle ihre Tage nicht so hoch hinaus wollte... Und nunkam ihr seine Liebe wie vom Himmel herabgefallen, undwie sie seine sehnsüchtigen Worte hörte, da wußte sie auchmit einem Male, warum es ihr so bitter weh getan hatte,als sie meinte, er dächte übles von ihr. Sie wußte jetzt,warum sie seit jenem Abend nicht mit ihm reden konnte,ohne daß ihr war, als ob sie einer schweren Krankheit entgegenginge.„Lore, willst du die Meine sein?" flüsterte ihr eine heißeStinime zu.Sie hielt ihr Tüchelchen über der Brust verwirrt zusammen, als ob sie ihr Herz damit zuHallen könnte, undnur in ihren treuen Augen lag die überselige Antwort aufseine glühenden Fragen... Er schaute aber nicht in diesegroßen wahrhaftigen Sterne, er hielt nur das Weib in seinenArmen fest.Es mochte ein sonderbares Glück sein, das den lebenslustigen Friede! so verändern konnte, seit er die braune Lorezum erstenmal geküßt hatte. Er sah ihr noch immer nach,wenn sie durch die Stube schritt; er suchte noch immer ihreschönen Augen zu sehen, aber sein Blick hatte etwas Lauerndes, seine Lippen zuckten schmerzhaft-zornig, wenn er sieküßte, und ein grimmiger Zug entstellte sein Gesicht, wennsie ihm ein liebes Wort sagte. Öfter faßte er spielend ihreHände, schob alle seine Finger durch die ihren und drücktedie Flächen nach rückwärts, daß ihre Handgelenke knackten,alle Glieder nachgaben und sie endlich nach vergeblichemlachendem Widerstreben vor ihm auf die Knie fallen mußte.Wenn er sich dann jäh über sie beugte und ihr starr in dieAugen blickte, sagte sie erschauernd:„Friede!, du schaustmich an, als ob ich dir etwas Schlimmes getan hätte."„Ich will nur wissen, ob meine Uhr lügt oder—"Mit einem matten Lächeln zog er sie wieder von der Dieleauf, schaute zerstreut auf ihre groben Hände, schob sie sanftvon sich und nahm hastig, wie wenn er die Gedanken forttreiben wollte, ein Buch aus dem Schranke....Nach etwa einem Jahre kam ein krausköpfiger blonderBube auf die Welt, und da wurde es nun mit einem Schlagewieder ganz hell und klar in der Seele des jungen Vaters.Er sprang deckenhoch in seinem ersten Freudentaumel undredete in einer geheimnisvollen fremdartigen Sprache zu demkleinen Geschöpf, das ihn schier verstehen mochte, denn esriß die Augen weit auf... und der Vater jubelte, dennaus dem hochroten faustgroßen Gesichtlein guckten seineeigenen blauen Augen heraus. Lore rief den seelenvergnügtenFriede! manchmal zu ihrem Lager, nahm seine Hand undbat ihn treuherzig, er möge mit ihr und dem Kinde in eineandere Vorstadt ziehen, sie fürchte sich vor dem Gerede derLeute, sie hätte viel zu erdulden gehabt in der letzten Zeit,es sei ein Schimpfen und Zischeln gewesen, wo sie sich nurzeigte.„Ei was da, sie sollen schimpfen und zischeln," trotzteFriede! keck,„unseren blonden Buben zischeln sie uns dochnimmer weg, und einmal werden sie schon still sein, diePhilister."Sie schwiegen nun freilich nicht so schnell, wie der obenhin denkende Vater meinte, sie schwatzten und schlugen dieHände zusammen, als ob das kleine Kind die ganze ehrsameBürgerschaft um ihr Ansehen gebracht hätte, und nachMonaten mußte auch Friede! an den Einfluß seines Söhnchens glauben, denn er wurde erst in einem, im Laufe desJahres aber dann in all den Häusern ausbezahlt, wo esheiratsfähige Töchter gab. Friede! spottete über die Engherzigkeit, denn es blieb ihm genug über, um für Mutterund Kind zu sorgen, aber es ging ihm nahe, wenn sie untenin der Brauschenkstube ihre plumpen Spässe machten, oderwenn es zufällig mäuschenstill wurde, sobald er sich aneinen Tisch setzte, wo junge Mädchen mit Vater und Muttersaßen....Nur der Bäckermeister sprach einmal ganz laut seineMeinung über die Geschichte aus, so laut, daß es Friede!bis in die zweite Schenkstube, wo er saß, hinüberhörenkonnte. Der Bäcker redete wie ein echter Lebemann, undals ihn die Zunftgenossen verwundert anstierten, wurde erin seiner Verlegenheit beinahe frivol.„Pah!" pustete er und lachte leichtfertig,„was ist es dennweiter? Ist er nicht ledig und frei? Er mietet eine andereStube, bezahlt der Lore seine Rechnung— und geht—gehl— sag' ich!"Der Krauskopf drinnen klappte die Hand zusammen undlauschte mit herabgezogenen Mundwinkeln:„He!? Waren wir nicht auch einmal jung? jung undfidel? � Solche Vögel wie der," er wies mit kollerndemLachen verschmitzt hinein,„geben unter den Augen eineserfahrenen Schwiegervaters oft die besten Ehemänner."Drinnen fiel eine schwere Faust auf die blanke Tischplatte.„Na"... brummte der Brauer und schaute im Vorbeigehen nach dem einsamen Zecher, der sich eben erhob. Langsam ging Friede! an dein Stammgasttisch vorbei, zog Höftichden Hut, grüßte zum erstenmal den Bäcker mit einer lustigenVertraulichkeit und schlenderte hinaus. Vor der Türe stießer an die blonde Hanne, die dunkelrot wurde und unschlüssigvor ihm stand._(Schluß folgt.)Veranlwortltch für die Redaltton: Fr. Klara Zettln(Zundel), WilhelmShöhePost Degerloch bei Sluttgart.Druck und Verlag von Paul Singer tn Stuttgart.