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Silvesternacht.
Von Otto Krille.
Nun sthveigt ihr Tage feindlich harter Mühen Vor dieser Nacht erhaben stillem Glanz. Mag stolze Ahnung jeden Traum durchglühen Und Farbenlust von einem Siegesfranz Für alle Kämpfer, die mit reinen Händen Das Schwert geführt in dornigen Geländen, Wegfroher Größe heldentreue Schar. Wirf ab, o Herz, was an dir zeitlich war. Hinab ins Meer des Gestern sinkt der Schemen Erlittner Qualen. Nichtig wird dein Grämen, Bu spotthaft flein für die gewalt'ge Zeit. Was Menschengeist den Jahren abgerungen Trägt fühn uns aus des Lebens Niederungen, Sandkorn auf Sandkorn, Bau- der Ewigkeit! Nun strahle, Zukunft, in der Kerker Grauen Vergolde jeden Webstuhl, jeden Schacht! Den Kampfesmüden laß Erfüllung schauen, Dem Dulder sprich ein gläubiges:„ Vollbracht!" Schärf unsere Waffen für den Kampf der Stunde, An der so mancher schwache Sinn zerbricht. D wehe fühl um jede Todeswunde! Die trüben Augen helle durch dein Licht. Des Jahres letzter Ton ist leis zerronnen. Wir grüßen start, was noch im Dunkel ringt. Es ist ein Lied von neuen Sommersonnen, Das tröstlich aus der Sterne Reigen klingt!
Die Gleichheit
Schlampig genug sieht sie aus neben dem Militär. Das gelbe Sonnentuch fällt ihr über die Augen, unter dem ein paar wirre graue Haarsträhnen sich hervor stehlen, und den großen schmutzigen Hut hat sie tief in das runzelige Gesicht gezogen.
Der Rock hängt zerfetzt an ihr herum; Sonne, Regen und Schnee haben die Farben längst ausgezogen. Die hohen Stiefel find schief getreten und jappen an den Seiten weit auf, daß Schmuz und Nässe eindringen können. Ein Bild von Not und Verkommenheit.
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Aber wie das Militär jetzt in festem Gleichtritt mit straffer Haltung vorüberzieht, leuchtet es in den alten, tief in ihren Höhlen liegenden, entzündeten Augen auf: ein Blitzstrahl der Erinnerung.
Sie sieht sich wieder, wie sie vor vielen, vielen Jahren zuerst vom Lande herein in die Stadt als Magd gekommen. Ihr erster Schatz war Gefreiter gewesen.
Wie stolz war sie an dem freien Sonntag mit ihm ausgegangen, wie hatte ihr die schmucke bunte Uniform gefallen.
Er hatte ihr versprochen, sie zu heiraten, und sie hatte nicht gezögert, ihm zu glauben und alles für ihn zu tun. Täglich zählte sie die Zeit ab, wann er frei fommen würde. Als endlich die drei Jahre vorüber waren, ging er in sein Heimatsdorf, nur auf kurze Zeit, wie sie meinte. Sie wartete, daß er wiederkommen werde, wie er versprochen. Sie schrieb Briefe auf Briefe. Aber er fam nicht und antwortete nicht einmal.
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Ein paar Jahre später heiratete sie einen fleinen Handwerker, einen Tapezierer, der für ihre Herrschaft 18 gearbeitet, und den sie so kennen gelernt hatte.
ine drückend schwüle Hize lagert schon am Vormittag über der Stadt. Die Kastanien des Hofgartens lassen ihre breitschattenden Blätter schlaff hängen. Seit Wochen liegt der feine graue Staub darauf, den der warme Morgenwind von der Straße aufwirbelt, und den kein Regen bis jetzt wieder abgewaschen hat.
Ein paar Sperlinge baden sich in dem heißen Straßenstaub und fliegen dann zankend auf, um vom Dache der Residenz ihr Geschrei über den Wagen, der sie verscheucht hat, ertönen zu lassen.
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Das alte Weib in Männerstiefeln, trotz der Hitze ein gelbes Tuch um den Kopf gewunden, mit ihrem Männerbut und dem hundertfach geflickten, durch Regen undSonne völlig farblosen, schlichten Rocke, hat einen Augenblick mit ihrem Straßenfehren aufgehört, um den Wagen vorüberzulassen. Dann wirbelt sie weiter den Staub auf; denn alles Wassersprengen vermag nicht, ihn der trockenen Gluthige zu berauben.
Die Sperlinge kommen wieder auf die Straße herab und zanken sich um frischgefallenen Pferdedünger; und glühendheiß prallt die Morgensonne von dem ausgedörrten Erdboden zurück.-
Den ersten hatte sie allmählich vergessen. Sie hatte fich zu trösten gesucht.
Bald aber wünschte sie sich in ihre alte Stellung zurück, denn sie hatten um das tägliche Brot oft bitter zu ringen. Ein Mädchen und zwei Buben kamen, und die ver langten was. Aber sie wuchsen auf, stark und rüftig.
Als der Krieg gegen Frankreich ausbrach, zogen sie mit ins Feld. Wie stolz war sie, die beiden in ihren schmucken Uniformen zu sehen. Sie dachte nicht an die Gefahren, die ihnen drohen konnten.-
Sie standen beide in einer Kompagnie, und beide fielen fie an einem Tage.
Der Krieg war beendet. Die Sieger kehrten heim. Ihre Buben waren nicht dabei. Sie schliefen in fremder Erde. Ihr Mann begann zu kränkeln. Das Geschäft ging schlecht, und Not und Elend mehrten sich täglich.
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Eines Tages wurde sie ihrer letzten Stütze beraubt. Ihre Tochter lief aus dem Hause und kehrte nicht wieder. Sie hatte eine Liebschaft mit einem Offizier angefangen und war auf und davon gegangen.
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Sie hörte später einmal wieder von ihr, aber fie machte keinen Versuch, ihr nachzuforschen. Es war ihr Ein fernes, leises Rollen läßt das alte Weib mit gleichgültig. Wenn sie zurückgekommen wäre, sie hätte dem rungligen Geficht und den abgemagerten, farblosen Sie jetzt höchstens wieder aus dem Hause gejagt. Händen, die den Stiel des Besens umflammern, aufhorchen. Dann eines Tages starb ihr Mann, und nun stand Ist es Militär oder nur ein fern hinrollender ras- sie ganz allein in der Welt. Eine Zeitlang hielt sie sich fümmerlich hin, dann mußte sie ihre Wohnung verlassen. selnder Wagen? Sie wurde daraus vertrieben.
Es flingt näher und näher. Es ist Trommelwirbel, der seltsam dumpf in diese brütende Morgenhitze hinein tönt. Nun biegen die Tamboure um die Ecke und schwenken in das Arkadentor des Hofgartens ein.
Der Tambourmajor sentt seinen Stab, beschreibt wagerecht die Schwenkung, schwingt ihn zwei-, dreimal elegant im Kreise und weist dann mit der Spize in die neue Richtung.
Wieder geht es geradeaus, während er leicht bei jedem Schritte den Taft angibt.
Sie war alt und ungeschickt geworden, zu nichts mehr zu gebrauchen, außer um die Straßen zu kehren. So verdiente sie sich nun mit dem Besen ihr Brot.
Die letzte Kompagnie ist an ihr vorübermarschiert. Am Eingang der Hofgartenfaserne sind die Spielleute eingeschwenkt, und der Parademarsch ist abgenommen. Die Trommeln wirbeln zu der lärmenden Musik, wie ein grollendes Murren.
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Ein Wagen kommt aus dem Tore der Residenz geHinter ihm drein schnurgerade die Sektionsfolonnen des Bataillons, das vom Exerzierplatz in die Raserne einrückt, jagt. Beinahe hätte er das alte Weib überfahren, das Der Tambourmajor gibt das Schlußzeichen, die noch immer auf den Besenstiel gelehnt im hellen SonnenTrommelwirbel verstummen, die Musik fällt ein, und der schein ihre Vergangenheit durchträumte. Die Musik ist verstummt. Dort um die Mauerecke Schritt wird sofort stramm und energischer. Es gilt, vor dem Einrücken noch einen guten Parademarsch zu machen.verschwindet die glitzernde Schlange. Die zusammenDas alte Weib ist beiseite getreten, dem Hofgarten gelaufenen Menschen strömen wieder auseinander. Die Alte aber ballt plöglich die Faust und sendet zu, wo die überhängenden Zweige der Bäume einen dem letzten Manne, der gerade noch um die Ecke zum spärlichen, nutlosen Schatten spenden. Sie sieht die Musiker an sich vorüberziehen, die Kasernenhofeingang biegt, einen unverständlichen Fluch Stabsoffiziere auf ihren müden Pferden vorüberreiten, nach. Sie weiß selbst nicht, weshalb. dann kommt die Kolonne. Dann greift sie wieder zum Besen und fegt rechts Den Soldaten perlt der Schweiß an den sonnen- und links, voller Groll, daß der graue Staub hoch aufverbrannten braunen Schläfen herab und mischt sich wirbelt; unermüdlich fehrt sie im glühenden Sonnenmit dem von den schweren Stiefeln in dichten Wolken brand weiter, bis sie einmal selbst vom Besen des Todes aufgewirbelten, grauen Staube, daß die Gesichter unter auf den allgemeinen Kehrichthaufen gefegt wird.- den Helmen noch wilder aussehen.
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Auf den Stiefeln, den Pickelhauben, auf den Schultern und den Gewehrläufen liegt dicht der feine, farblose Staub. Und boshaft dringt er in die Augen ein, in Nase und Mund, daß die Kehle noch trockener wird, als sie schon von der Hiße ist, daß die Zunge am Gaumen flebt. Gleichmäßig geht es im Marsche fort, eins
eins
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zwei.
Das alte Weib stüßt sich auf den Besen.
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zwei,
* Aus„ Neuland", ein Sammelbuch moderner Prosadichtung, herausgegeben von Dr. Cäsar Flaischlen. Berlin , Alfred Schall.
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1.
Vierzig Schafe und zwölf Malter Weizen nebst drei Eimern Weines wurden täglich am Altar des großen Baal geopfert: und am nächsten Morgen war es alles aufgezehrt, und gnädig und gesättigt grinste Baal herab auf seine Knechte. Aus„ Meine Verse". Berlin , S. Fischer,
Auch der König Cyrus diente täglich seinem Gott und ging hinab zum Tempel, am Altar des großen Baal zu beten. Und er sprach zu Daniel, seinem Freunde, den er ehrlich hielt, obwohl er Jude: Sage mir, was betest du nicht auch an meinen Gott, den großen Baal ชิน Babel?
Daniel versetzte: Keine Götzen,
die von Menschenhand gemacht, verehr' ich, einzig den lebendigen Gott des Himmels, Zebaoth, den Herren über alles!
Nr. 1
Sprach der König: Hältst du denn den Baal nicht für lebendig? Siehst du nicht, wie viel er täglich ist und trinkt?
Doch Daniel lachte: Herr, mein König, laß dich nicht betören! Dieser Baal ist eine tote Puppe, draußen Erz und drinnen eine Höhle: was der Göze frißt, verdaut der Priester! Zornig ward der König. Rufen ließ er seine Priester, und er sprach zu ihnen: Wenn ihr mir nicht sagt, wer all die Opfer täglich frißt, die wir dem Baal bereiten, müßt ihr alle sterben. Rönnt ihr aber mir beweisen, daß sie Baal verzehre, so muß Daniel sterben, denn er lästert unsern Gott! Und Daniel rief: Herr! König! Es geschehe so, wie du geredet!
2.
Siebzig Priester dienten Baal , dem Gotte. Siebzig Priester traten mit dem König in den Tempel, und es sprach der Altste:
Siehe, Herr, wir lassen dich gewähren. Du, der König, mögest Trank und Speise selber opfern und die Tür verschließen und versiegeln mit dem eignen Ringe. Kommst du wieder dann, am nächsten Morgen und du findest, daß der Baal nicht alles aufgezehrt, so wollen gern wir sterben.
Findest du jedoch, daß Baal die Speise und den Trant, so ihm gebührt, verzehrt hat, so muß Daniel des Todes sterben, wie du sagtest, weil er Gott gelästert. Und sie gingen grollend. Cyrus aber hieß vor seinen Augen alles häufen, vierzig Schafe und zwölf Malter Weizen nebst drei Eimern Weines, Baal zum Opfer. Daniel indes befahl den Knechten, daß sie Asche holten: diese ließ er streun ums Opfer, durch den ganzen Tempel. Schweigend und verwundert sah's der König, Danach gingen sie hinaus. Die Türe ward verschlossen von des Königs Händen und versiegelt mit des Königs Ringe.
3.
Und am andern Morgen in der Frühe stand der König auf und ging mit Daniel vor den Tempel. Und der König fragte: Ist das Siegel unversehrt? Das Siegel
hat kein Mensch berührt, versette Daniel. Und die Tür sprang auf. Leer war der Altar. Cyrus aber rief mit lauter Stimme: Baal , du bist ein großer Gott! Bei dir ist tein Betrug! Verzeih mir! Und er wollte vorwärts eilen.
Halt! rief Daniel lachend: Halt, mein König, warte nur ein wenig. Siehe dort! Was siehst du auf dem Boden? Wes sind diese Stapfen? Und der König
sah und sprach: Ich sehe wohl die Tritte. Männer gingen aus und ein und Weiber, Kinder auch... Und siehst du auch, woher sie alle tamen und wohin sie laufen? In den großen Bauch des großen Baal! Dort mündet ein geheimer Gang... Ja, König: was der Göze frißt, verdaut der Priester! Da ergrimmte Cyrus! Alle Priester ließ er fangen. Und noch einmal mußten sie mit Weib und Kindern durch die Höhle in den Tempel friechen statt der vierzig Schafe wurden siebzig Priester festlich Baal geschlachtet, der gesättigt grinste.
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Aber dann zerschlug das Bild des Götzen Daniel und zerbrach des Tempels Säulen und zerstörte seine festen Hallen.