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Lebewohl!
Ein Schlußkapitel von Wilhelm Holzamer .
Sie hatte eben den Brief empfangen und trat ans Fenster. Sie öffnete es und sah hinaus. Eine Weile stand sie still und ließ sich von dem Aprilsturm anwehen und lauschte seinem Rauschen im Walde drunten und sah den Bäumen zu, die sich schüttelten und bäumten and immer wieder gegen ihn ansprangen.
Es war ihr heiß, und der frische lustige Wind tat ihr wohl. Sie faßte mit der Rechten in den dunkelgrünen Efeu, der das Fenster umrahmte, und beugte sich weiter hinaus. Sie sah die Sonne, die in den Abend sant, und ein schräger Strahl fiel auf sie und glizerte in ihrem goldenen Haar. Eine kleine Weile ließ sie sich von der lächelnden Aprilsonne so bescheinen. Ihre Augen glänzten, zart wie Perlmutter, ohne bestimmten Ausdruck. Denn in ihrer Seele war eine Ungewißheit. Sie begriff es nicht. Was war es nur?
Die Gleichheit
Das Abendrot hängt überm Walde, über den Bergen, fließt über den Himmel, schwimmt im Flusse. Es ist wie Morgenrot so zart. Und der Wind harft Lebenslieder. Sie betrachtete den Brief. Ist's nicht, als liege auch der rote Sonnenglanz auf dem weißen Papier, wie sie ihn nun hebt?-
Sie greift ins Haar, nimmt eine Nadel und öffnet ihn. Sie ist ganz blaß geworden vor Spannung. Sie bezwingt sich, ganz ruhig zu bleiben. Die Rechte drückt fie gegen ihre Brust. Ganz langsam will sie lesen, Wort für Wort, langsam, ohne Haft.
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Nr. 2
Ich hörte sie sagen: Laß hoffen und klagen, Die scherende Klinge verschont nicht das Schaf; Sind wir denn nicht stärker als all unsre Kerker, Sobald die Erkenntnis uns schüttelt vom Schlaf?
Komm, uns zu verbinden, die Stunden entschwinden, Und Rettung liegt nur in mir und in dir! Die Hoffnung belebt uns und Licht umschwebt uns, In siegender Klarheit marschieren wir!
Laß tältere Herzen nur lachen und scherzen Mit flüchtiger Lust von der Furcht vergällt; Indes wir erglühend und Leben versprühend Dem Kampfe uns weihn für die neue Welt!
Komm, uns zu verbinden, eh' Stunden entschwinden, Die Sturmfaat fliegt über den Erdenball! Die Welt erzittert, von ihr erschüttert, Und Freude nur bringt sie für uns all!
Geheimrat Schwarzkopff ist ein sehr gebildeter Mensch,
Er fönne es nicht tragen durch sein Leben. Er verstehe die Schmerzen der Menschen zu gut, um einen Schmerz zufügen zu können. Sie möge sagen, die Kraft fehle ihm. Ja, fie fehle ihm. Sie möge ihn verachten. Er wisse, was er verliere: sich selbst. Aber er wolle das Opfer sein. Er wolle sich hingeben, daß andere ihren Frieden haben möchten. In seinen Briefen stehe es, was sie ihm gewesen sei, in seinen Werken, was sie ihm gegeben habe. Sie stand an den Rahmen des Fensters gelehnt. Er könne nicht danken, er empfinde das als eine Roheit, Was war's nur? Wie hatte sie sich sonst gefreut, er fönne es nur immer wiederholen. Aber er werde wenn er ihr geschrieben hatte! Wie hastig hatte sie seine wahnsinnig, er sei an der Grenze, er könne nicht geben, Briefe immer aufgerissen, ungeduldig gelesen, und wie weil er damit nehmen müsse. Er wolle lieber untergehen. war sie stets froh gewesen, wenn auch der Inhalt traurig Wie? Geistig nur, förperlich auch, das sei gleich. Das gewesen war, denn er schrieb immer so traurige, schwer mache das Leben schon von selbst. Er verdämmere und mütige Briefe. Aber er schrieb so selten, und dann, wie verkümmere dann wenigstens ruhigen Gewissens. Und und, was mehr sagen will, er ist im Besitz eines echten traurig fie auch sein mochten, sie waren doch von ihm, nun danke er ihr doch. Was könne er denn mehr tun? sozialen Gewissens". Er weiß, wie die heutige Geselldiese Briefe, diese seuszenden, klagenden, schreienden Briefe Danken, was habe er denn noch zu geben als seinen zelnen Klassen verteilt. Er besitzt ein tiefes inniges Mitschaftsordnung Lasten und Rechte ungleich auf die einaus einer matten, wunden, selbstlosen Seele. Dank. Der bleibe, solange er lebe. Aber er müsse ihr leid mit allen Hungernden und Darbenden und kennt Lebewohl sagen. Er müsse, müsse, müsse! Er unterliege die vielgeschmähte Volksseele im tiesinnersten Grunde. der Macht der Verhältnisse, er fordere nichts mehr, nicht von allen Freunden und Bekannten wird er als ein von sich, nicht von anderen, er gehe still im Joche seiner Mann, welcher die soziale Frage wohl zu lösen imstande Pflicht, zu Recht und Gerechtigkeit der Menschen. Die Hände sinken ihr. Sie zittert, sie seufzt, fie atmet hätte, hochgeehrt und tief bewundert. wäre, wenn er nur die nötige Macht dazu in Händen schwer! Lebewohl! haucht sie mechanisch die Wieder holung seines Wortes. Ihr Auge iſt ſtarr. Im Flusse Weinstube, allwo er sich von des Tages Nichtstun ausschwimmt das Abendrot, es ist tief und schwer wie Blut. zuruhen pflegt, zu Fuß nach Hause, als er unterwegs Es ist stumpf und ohne Glanz.
Und heute hielt sie seinen Brief noch unerbrochen in
der Hand. Was war's nur?
Sie betrachtete ihn. Es war nichts Auffälliges daran. Es war seine Schrift, seine große, breite Schrift, fest, ohne Zittern, ohne Besinnen, ohne Angstlichkeit, in raschem freiem Zuge. Und das war sein Siegel, so wie er's immer ausdrückte, ganz klar und bestimmt, fast gewissenhaft, daß an der Zeichnung des Monogramms nichts verdorben sei.
Ja, so war's bei ihm, Sorglosigkeit und pedantische Gewissenhaftigkeit lagen dicht beieinander bei ihm. Er war überhaupt ein Mensch aus Extremen. Er hatte nur
er war vielleicht ein Philister sogar. Aus Gewissens zartheit, aus der Subtilität seines Empfindens, aus einem menschlich sehr lobenswerten, persönlich aber schwächlichen ,, tout comprendre".
Buh, sie lächelte. Wie war ihr doch! Sie sezierte ihn ja. Und sie liebte ihn doch, so wie er war, mit all seinen Widersprüchen und Unebenheiten.
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fie starrt
Eines Abends geht Geheimrat Schwarzkopff von der
Ein Windstoß reißt ihr das Kuvert aus der Hand. von einer in Lumpen gehüllten Gestalt angeredet wird. Ein Windstoß reißt ihr das Kuvert aus der Hand. der Brief entfliegt ihr dabei. mit einem sozialen Gewissen" begnadeten Menschen Sie will ihm nachgreifen,- der Brief entfliegt ihr dabei. Zunächst schaut er gar nicht hin, denn es ist für einen momentane Kraft, es war fein dauernder, stetiger Kraft- Aber sie kann nicht schreien, sie starrt nur hinaus in immer sehr peinlich, an das Vorhandensein sozialen strom in ihm. Er war auch keine freie Natur, trotz all die Landschaft, in der sie die Schauer des Sterbens fühlt. Elends handgreiflich gemahnt zu werden. Er hörte auch feiner Freiheiten. Er stand ganz nahe der Philistergrenze, Erst fliegt das Papier ein wenig höher, dann treibt's nicht hin, denn wer ein soziales Gewissen" hat, besitzt der Wind weiter, es sinkt, sinkt, sinkt. Es hängt in auch ein soziales Gehör, und ein solches ist ebenfalls der kahlen Krone einer Birke, ein Windstoß faßt es auf nicht allezeit für Geschichten sozialen Elends aufnahmejagt's ein wenig in die Höhe, treibt's weiter, und nun fähig. Als aber die in Lumpen gehüllte Gestalt nicht sintt's und finft's und sinkt's immer mehr, aufhörte, ihn zu verfolgen und auf ihn einzusprechen, da und starrt und sieht seinen Brief in der aufgewirbelten übermannte seine wachsende Neugier das anfängliche Luft wirbeln und hinabsinken, bis ihn die blutigen Wellen Grauen. Er schaute hin und sah ein unsäglich verhärmtes des Flusses fassen und verschlingen. Der Wind heult auf. Sie will schreien. Sie kann schauen und eine abgezehrte Hand ihm entgegenstrecken. Kindergesicht aus schwärzlichgrauen Frauenfleidern herausnicht. Stumm steht sie am Fenster. Der Abend verhüllt In dieser Hand aber befanden sich Streichhölzer, welche die Welt. Der Wind hat Wolken aufgejagt, graue, das arme Mädchen mit gleichzeitigem Vorjammern ihres drohende Wolken, der Himmel ist verhängt. Man ist ganzen häuslichen Elends feilbot. Geheimrat Schwarzwie in einem Sack. schweigend, aber sehr energisch ab. Mochte das Mädchen fopff ging jetzt aus seiner Reſerve heraus. Er winkte feiner Wege gehen und einen anderen anbetteln. Erstens empfand sein zartbesaitetes soziales Gewissen zu viel Weh bei Berührung mit dem Elend der unteren Volksklassen, und zweitens fonnte er Streichhölzer beim besten Willen nicht gebrauchen, denn... Also tat es ihm sehr leid!-
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Wieder sah sie zum Fenster hinaus und träumte in die Landschaft. Das also ist der Frühlung! über Nacht, über Tag, und gleich die Herrschaft in Prunk und Herrlich feit! Das ist der Frühling im Aprilsturm, im Waldesrauschen. Duftete nicht Daphne herauf aus dem Gebüsch, Sie atmet schwer. Sie hat einen Mlp auf der Brust. floß nicht Veilchenduft in der Luft! Sie zog den Atem ein. Die Tannen haben grüne Spitzen, die Lärchen ihre Wenn sie nur schreien könnte! Noch einmal setzt sie an. „ Lebewohl!" Es gelang, aber es war dumpf, heißer, grünen Röschen hübsch auf den haarzarten Zweigen aufgereiht; bald ist der Wald grün, und nicht nur der Buchfint, der Prolet unter den Finken, lockt sein Weibchen, auch die anderen sind da, die Amseln und Drosseln, die Trost. Grasmücken und Lerchen. Das ist der Frühling. Er macht weit, was eng war, er treibt heraus zum Leben, was schlummerte, er erweckt, was sich die Lebenskraft bewahrt hat. Denn feine Kraft des Lebens darf verLoren gehen. Was wert ist zu leben, das lebt!
Das lebt! Sie jubelt innerlich! Sie sieht über die Ebene hin, auf der der Glanz der sinkenden Sonne liegt. Sie ist viel weiter heut, die Ebene, und man fühlt die Welt hinter ihr, die weite, weite Welt, die noch hinter ihr liegt.
Merkwürdig, daß der Fluß noch so still geblieben. Sie steht hinunter, wo er sich zwischen den Bergen durchwindet, fie sieht, wo er in die Ebene tritt. Da schwimmt eben das Abendrot in ihm. Ganz zart und dünn und blaß und durchsichtig, und das Wasser ist noch so sanft. Aber bald, wenn die Bäche im Gebirge losgehen, dann braust's und rauscht's und schäumt's, es springt zum Ufer hinauf und ist so wild und unbändig.
D, die Nächte dann! Dann wird sie wieder nicht schlafen. Sie wird auf das Rauschen des Flusses hören und träumen, es sei das Meer, das weite, weite, tosende Meer, dem ihre Jugend gehörte, es sei ihre Jugend, in der Kraft und Ungebrochenheit ihrer sechzehn, achtzehn, zwanzig Jahre, in ihrer Blüte, in ihrer Freudigkeit, in ihrem heißen Willen.
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Aber das wird rasch vorbei sein. Eine Nacht und ein Tag, noch eine Nacht und noch ein Tag, dann still, und nach Tagen und Tagen und Nächten und Nächten noch einmal ein Brausen und Aufbäumen, - und dann für immer still, still und milde, ergeben und gelassen.
Sie träumt.
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es war wie ein Röcheln.
Der Abend hat die Erde umfangen, aber er ist ohne
Ich hörte sie sagen: Laß hoffen und klagen, Es wird doch immer dasselbe sein!
So heute wie morgen bringt Kummer und Sorgen, Bringt endlose Sorgen und trostlose Bein!
Als die Welt noch jünger, in Qual und Hunger, Die Hoffnung, sie stählte uns Herz und Arm. Da führten Gelehrte, in Worten bewährte, Uns gegen das Unrecht und gegen den Harm.
Lies in den Geschichten und Ruhmesgedichten Die Namen der Großen, wie sich's gebührt; Dann sieh, wie wir werben und langsam versterben, Inmitten der Freiheit, zu der sie geführt!
Wo geschwind und geschwinder der eiserne Schinder, Den wir geschaffen, das Werkzeug treibt; Heißt uns Schäße ergründen und Kurzweil erfinden Für andre, daß uns nichts übrig bleibt.
In elenden Kammern verkümmernd wir jammern, Was wissen wir, ob die Welt ist schön! Wir müssen uns scheuen, unsrer Brut uns zu freuen, Sie wird, gleich uns ja, zugrunde gehn.
Rein Gott läßt sich rühren; wer soll uns nun führen Heraus aus der Hölle, die uns umloht? Wir sehen nur Lügner, Betrogna, etrüger, Die Großen sind klein und die Weisen sind tot
Aber das Kind ließ nicht nach. Es hatte noch nicht viel Schachteln verkauft und mußte doch wenigstens einige Groschen mit nach Hause bringen. Der Eltern Verdienst reichte sowieso zur Ernährung der vielen kleinen Geschwister nicht aus. Sie bettelte weiter.
Geheimrat Schwarzkopff war außer sich. Nicht daß er das Nachlaufen des Mädchens als Zudringlichkeit empfunden hätte. Dazu war er sozial viel zu sehr eingeweiht und schätzte die Beweggründe des armen Mädchens ganz richtig ein. Aber er sah in dieser Hartnäckigfeit des Proletarierkindes eine soziale Gefahr der Zukunft, welche durch die, wie er selbst sehr wohl empfand, roh und grausam scheinende Abweisung nicht gerade gemildert wurde. Also war er schuld, wenn die Klassengegensätze sich noch mehr zuspizen, er, wenn das Herz dieses jungen Kindes sich in Haß verhärtete. Das durfte sein so ausgeprägtes soziales Gewissen nicht dulden. Mißverständnisse durften zwischen ihm und diesem armen Kind nicht aufkommen. Rasch entschlossen wandte sich Geheimrat Schwarzkopff zu dem immer noch neben ihm daherlaufenden Mädchen und schaute ihm dabei durch seine blauen Brillengläser hindurch tief in die rotumränderten Augen und dann, so wohlwollend, wie nur je ein Lehrer zu einem etwas unbegabten Schüler, sprach er mit tiefster Stimme: „ Liebes Kind, du mußt wissen, wir haben zu Hause elektrisches Licht."
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Stolz ging er weiter. Die Kleine war verschwunden. Geheimrat Schwarzkopff aber glaubte, dem„ Klassenhaß" die Spitze abgebrochen zu haben.
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