Sl Die Gleichheit Nr. 8 Der Tag des Äerrn. Bon Ludwig Pfau . Der Tag des Herrn, das ist ein Tag, Der sich erschließt wie eine Blüte, Da jede Seele hoffen mag, Und jauchzen möchte jed' Gemüte. Ein Duft und Schein ist rings verbreitet, Der kleinste Halm treibt Ähren gern, Weil still der Geist der Weihe schreitet Durch alles Feld am Tag des Herrn. Da, wenn das Jrd'sche grollend wich, Beginnt, was himmlisch ist, zu klingen; Die Glocken rührten selber sich, Vergaß' der Glöckner sie zu schwingen: Denn wo in eine Brust voll Mühe Nach langer Nacht der Morgenstern Heraufführt eine goldne Frühe— Da läutet sanft der Tag des Herrn. Und wenn durch eines Dyckers Hirn Der Wollustblitz der Wahrheit zittert; Und wenn, den Staub noch ans der Stirn, Ein Knecht die Kette jäh zersplittert; Und wenn der alten Knechtschaft Erben, Die Völker, aufstehn nah und fern, Sich ihre Freiheit zu erwerben— Das ist der schönste Tag des Herrn. Der Tag des Herrn, das ist ein Tag, Ein Tag der Wonnen und der Wunden; Der harrt auf keinen Glockenschlag Und ist an keine Frist gebunden. Wo Augen glänzen, Herzen klingen, Und Wurzeln schlägt ein edler Kern, Und wo die Geister sich erschwingen— Da ist der wahre Tag des Herrn. Rahel. Von Ada Christen. (Schluß.) Mich aber rührte die Angst und der Wehruf des Kindes nicht, mich überkam alle die Härte und Furcht, die mir eingeflößt worden war, als ich selbst noch ein Kind ge- wesen, die Furcht davor, daß ich von meinem Gott wie von einem mir gleichenden Wesen sprach, und die Härte gegen das arme, gehetzte, mißhandelte Volk... Mit kindisch-trotziger Bosheit rief ich darum der Kleinen zu: „Wer ihn gekreuzigt hat?— Ihr!— Ihr Juden!" Mein Lebtag werde ich das erblaßte Kind nicht ver-- gessen, wie es sich mit seinen mageren Händen an meinen Arm klammerte und zu mir hinausstierte, wie sich die geschlossenen Lippen langsam auftaten, daß die weißen Zähne sichtbar wurden, und wie es durch die Zähne ver- achtungsvoll hindurchzischte: „Du lügst!" Ich weiß nicht, warum mich diese zwei Worte so er- schütterten, mir schwindelte, mir war zu Mute, als hätte ich dem Kinde ein ungeheures Unrecht zugefügt— dem Kinde uild von jeher ihnen allen— allen!— Ich schüttelte die kleinen Hände von mir ab und lief hinüber zu Jakob, um Liese zu holen, bei ihr wollte ich mir Trost suchen, sie sollte mich beruhigen, sie sollte kommen, damit wir, wenn auch in einem jüdischen Hause, dennoch nach rechter Art unseren Christabend feiern konnten. Ich suchte und suchte, fand sie aber nirgends. Eben wollte ich zurück- kehren in unsere Stube, als der Mond aufging, und da sah ich sie droben auf dem Söller stehen, dicht in ihr weißes Tuch gehüllt---- Ich kletterte hinauf zu ihr und bat sie, daß sie in unsere Stube kommen möge, aber sie stand unbeweglich und schaute hinaus in die Ebene... Der Schnee glitzerte im hellen Mondlicht, und auch nicht ein dunkler Punkt war auf der weißen endlosen Fläche sichtbar, Liese aber streckte sich auf den Fußspitzen, um weiter hinausspähen zu können; sie lauschte mit vor- gebeugtem Leib hinab, aber nichts war hörbar als das lärmende Gejauchze der Panduren unten, die auch den Christabend feierten. „Siehst du nichts— jetzt?" frug Liese, ohne mich anzusehen. „Nein... Ja!... etwas Schwarzes, dort... jetzt vorbei an dem Friedhof!" „Ein Reiter?!" Die Frage klang wie Lachen und Weinen zugleich. „Ja, ein Reiter!..." stieß ich hervor und bebte vor Kälte und Angst, denn Liese schwebte fast in der Luft, so hatte sie sich hinailsgebcugt. Der Reiter kam näher und näher, er jagte bald durch den Markt dem Schloßberg zu, und als er eben gegen die Mauer einbog, da zog mich Liese herab auf die Treppe, und Hand in Hand liefen wir über den Burghof unserer Stube zu. „Geh ein wenig zu Rahel hinüber," bat ich Liese. Sie nickte glückselig, schaute zu den flimmernden Sternen empor, schloß dann ihre frommen blauen Augen, einen Pulsschlag lang, preßte mich an ihre Brust, als ob sie Abschied nähme, und huschte dann hinauf in die Stube unseres Hauswirts. Obwohl sie nie mehr mit mir von Rafael gesprochen hatte, so wußte ich doch, daß er es war, desien sie harrte, und daß der gedämpfte Hufschlag seines Rostes zu uns heraufscholl. Ich ging in unsere Stube, steckte die Lichter des Christ- bäumchens an, ordnete noch einmal die Geschenke für Liese, dachte auch daran, was sie mir Hübsches geben würde, plappette gedankenlos ein Gebet her, brannte einen Tannen- zweig an, damit es recht frisch duftete, und als nun alles vorbereitet war, ging ich hinüber, um die Liese zu holen. O du unvergeßliche Stunde!... Sachte öffnete ich die Türe, steckte erst nur den Kopf dazwischen und stolperte aber gleich dann selbst hinein..., denn mitten in der Stube lag sie... meine Freundin und Gefährtin, meine Liese lag an der Brust Rafaels, an der Brust des Juden... Der Alte hatte die Hände auf ihre Schultern gelegt, und Rahel stand, wie ein Kobold zu zu mir hin lachend,'.eben ihrem Großvater. Daß die Welt nicht ultterging, beg.iff ich nicht, bedenklich drehte sich zwar die ganze Stube um mich, und nach meiner innersten Überzeugung wankte mindestens der alte Turm. „Liese!" schluchzte ich laut auf,„schau hinüber, der Christbaum ist angezündet, ich meine, wir setzen uns beide drüben zusammen, das paßt bester für uns, als daß... du da..." „Still, mein Liebling," unterbrach sie mich mit ihrer sanften Stimme,«gehe ruhig in deine Stube zu deinem Christbaum, ich habe dich von Herzen lieb, aber den Rafael habe ich doch noch lieber... Weine nicht, ich werde bald seine Frau sein, und darum habe ich keinen Christabend mehr... denn seit vier Wochen bin ich eine Jüdin..." Der alte Turm stand fest— er hörte alle diese Greuel und rührte sich trotzdem nicht, ich aber setzte mich auf einen Stuhl und wartete immer noch, daß etwas ganz Besonderes geschehen müsse, so ein wenig Feuer vom Himmel regnen, oder irgend etwas anderes, aber es geschah gar nichts, nur die kleine Rahel kam wie eine Katze näher geschlichen und sagte im allerboshaftesten Tone: „Lea heißt die Liese seit vier Wochen, weil sie schon so lange zu uns gehört... Du, hat die auch geholfen, den blutig bemalten Mann an das Kreuz hängen?"... Schweigend und allein ging ich in unsere Stube und ließ meinen betäubten Kopf schwer auf die Tischdecke fallen. über mir knisterten Tannenendcn, die manchmal auf- flammten, die Kerzlein verlöschten eines nach dem anderen, ich aber dachte, ich sei verlassen, vergessen, allein auf der weiten Welt... Ich hörte nicht, wie Liese eintrat und ein Päckchen vor mich hinlegte, ich taumelte erst auf, als sie mich in ihre Arme zog. Die halbe Nacht hindurch erzählte sie mir die Ge- schichte ihrer Liebe. „Du sahst es," schloß sie,„wie ich ihn wiederfand in seinem armen Vaterhause; was er nicht konnte und durste um der Seinen willen, das durfte ich, die Einsame... ich entsagte meinem Glauben, um sein Weib werden zu können..."—————————— Das ist lange her, o wie lange! Die kleine Rahel ist heute eine schöne junge Frau, der Augapfel ihrer Schwägerin, meiner Liese, die mir überglückliche Briefe von ihrem Pachthof aus Ungarn schreibt. Ich habe die Menge sündhaft-weltlicher Bücher gelesen und mich viel- leicht darum nie wieder mit der schönen Rahel— die mich doch einst der Lüge zeihte— gezankt. Aus dem Ofterspaziergang des„Faust". Von Wolfgang Goethe . Faust und Wagner(FamuIuZ). Faust. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; Im Tale grünet Hoffnungsglück; Der alte Winter, in seiner Schwäche, Zog sich in rauhe Berge zurück. Von dorther sendet er, fliehend, nur Ohnmächttge Schauer körnigen Eises In Streifen über die grünende Flur; Aber die Sonne duldet kein Weißes; überall regt sich Bildung und Streben, Alles will sie mit Farben beleben; Doch an Blumen fehlt's im Revier, Sie nimmt geputzte Menschen dafür. Kehre dich um, von diesen Höhen Nach der Stadt zurückzusehen. Aus dem hohlen finstern Tor Dringt ein buntes Gewimmel hervor. Jeder sonnt sich heute so gern; Sie feiern die Auferstehung des Herrn: Denn sie sind selber auferstanden, Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, Aus der Straße quetschender Enge, Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht Sind sie alle ans Licht gebracht. Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge Durch die Gärten und Felder zerschlägt, Wie der Fluß, in Breit' und Länge, So manchen lustigen Nachen bewegt; Und bis zum Sinken überladen, Entfernt sich dieser letzte Kahn. Selbst von des Berges fernen Pfaden Blinken uns farbige Kleider an. Ich höre schon des Dorfs Getümmel; Hier ist des Volkes wahrer Himmel, Zufrieden jauchzet groß und'klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Wagner. Mit euch, Herr Doktor, zu spazieren Ist ehrenvoll und ist Gewinn; Doch würd' ich nicht allein mich her verlieren, Weil ich ein Feind von allem Rohen bin. Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben Ist mir ein gar verhaßter Klang; Sie toben, wie vom bösen Geist getrieben, Und nennen's Freude, nennen's Gesang. Bauern unter der Ltude. Tanz und Gesang. Der Schäfer putzte sich zum Tanz, Mit bunter Jacke, Band und Kranz: Schmuck war er angezogen. Schon um die Linde war es voll, Und alles tanzte schon wie toll. Juchhe! juchhe! Juchheisa! heisa! he! So ging der Fiedelbogen. Er drückte hastig sich heran, Da stieß er an ein Mädchen an Mit seinem Ellenbogen; Die frische Dirne kehrt sich um Und sagte: Nun, das find' ich dumm! Juchhe! juchhe! Juchheisa! heisa! he! Seid nicht so ungezogen! Doch hurtig in dem Kreise ging's, Sie tanzten rechts, sie tanzten links, Und alle Röcke flogen. Sie wurden rot, sie wurden warm Und ruhten atmend Arm in Arm. Juchhe! juchhe! Juchheisa! heisa! he! Und Hüft' an Ellenbogen. Und tu mir doch nicht so vettraut! Wie mancher hat nicht seine Braut Belogen und betrogen! Er schmeichelte sie doch beiseit, Und von der Linde scholl es weit: Juchhe! juchhe! Juchheisa! heisa! he! Geschrei und Fiedelbogen. Alter Bauer. Herr Dvktvr, das ist schön von Eur� Daß Ihr uns heute nicht verschmäht Und unter dieses Volksgedräng', Als ein so Hochgelahtter, geht. So nehmet auch den schönsten Krug, Den wir mit frischem Trunk gefüllt. Ich bring' ihn zu und wünsche laut, Daß er nicht nur den Durst Euch stillt; Die Zahl der Tropfen, die er hegt, Sei Euren Tagen zugelegt. Faust. Ich nehme den ErquickungStrank, Erwidr' euch allen Heil und Dank. (Faust und Wagner gehen weiter.) Faust. O glücklich, wer noch hoffen kann, Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen! Was man nicht weiß, das eben brauchte inan, Und was man weiß, kann man nicht brauchen. Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern! Betrachte, wie in Abendsonneglut Dte grünumgebnen Hütten schimmern. Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt, Dort eilt sie hin und fördert neues Leben. O daß kein Flügel mich vom Boden hebt. Ihr nach und immer nach zu streben! Ich säh' im eivigen Abendstrahl Die stille Welt zu meinen Füßen, Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal, Den Silberbach in goldne Ströme fließen. Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten; Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten Vor den erstaunten Augen auf. Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken; Allein der neue Trieb erwacht, Ich eile fort, ihr ewges Licht zu trinken, Vor mir den Tag und hinler mir die Nacht, Den Himmel über mir und unter mir die Wellen. Ein schöner Traum, indessen sie entweicht. Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht Kein körperlicher Flügel sich gesellen. Doch ist es jedem eingeboren, Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, Wenn über uns, im blauen Raum verloren, Ihr schmetternd Lied die Lerche singt, Wenn über schroffen Fichtenhöhen Der Adler ausgebreitet schwebt, Und über Flächen, über Seen Der Kranich nach der Heimat strebt. BeranlworUich für die RedaNton: Fr. Klara gelstn(Zundel), WUHeimshöh« Post Degerloch bei Staltgan. Druck und Verlag von Paul Singer in Stuttgart .
Ausgabe
16 (18.4.1906) 8
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