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Von der Straße.
Von Otto Krille.
E3 treibt der Tag dahin mit lautem Haften, Das Leben wogt wie Meeresflut vorbei, Und um des Daseins Freuden, Leiden, Lasten Entbrennt der Kampf mit dumpfem Zornesschrei.
Ein Siegen hier und dort ein Unterliegen. Es schwankt das Glück im wild entfachten Streit, Und mitten drein, in all das tolle Kriegen Zum steten Kehraus fegt der Sturm der Zeit.
( Schluß.)
Dann," sagte die Großmutter, gab es ein Braut paar, und die kleine Barbara wurde deine Großmutter, wie sie hier unter euch sitzt und die alten Geschichten erzählt. So weit war's aber noch nicht. Erst gab es eine Hochzeit, und dazu ließ dein Urgroßvater den Saal bauen. Mit dem Garten und den Blumen war's nun wohl vorbei; es hatte aber nicht not, er befam bald lebendige Blumen zur Unterhaltung in seinen MittagsStunden. Als der Saal fertig war, wurde die Hochzeit gehalten. Es war eine lustige Hochzeit, und die Gäfte prachen noch lange nachher davon.- Thr, die ihr hier igt, und die ihr jetzt allenthalben dabei sein müßt, ihr maret freilich nicht dabei; aber eure Väter und Großväter, eure Mütter und Großmütter, und das waren auch Leute, die ein Wort mitzusprechen wußten. Es war bamals freilich noch eine stille, bescheidene Zeit; wir vollten noch nicht alles besser wissen als die Majestäten und ihre Minister; und wer seine Nase in die Politik steckte, den hießen wir einen Kannegießer, und war's ein Schuster, so ließ man die Stiefeln bei seinem Nachbar machen. Die Dienstmädchen hießen noch alle Trine und Stine, und jeder trug den Rock nach seinem Stande. Jetzt tragt ihr sogar Schnurrbärte wie Junker und Kavaliere. Was wollt ihr denn? Wollt ihr alle mit regieren?"
" Ja, Großmutter," sagte der Enkel.
Und der Adel und die hohen Herrschaften, die doch dazu geboren find, was soll aus denen werden?"
--Adel" sagte die junge Mutter und sah mit stolzen, liebevollen Augen zu ihrem Mann hinauf. Der lächelte und sagte:„ Streichen, Großmutter; oder wir werden alle Freiherrn , ganz Deutschland mit Mann und Maus. Sonst seh' ich keinen Rat."
Die Gleichheit
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Nr. 20
nachmittags der Großvater wieder die kleine chinesische Stadt herum und dann nach Hause... Ja und Treppe herab, vielleicht" ist's noch trüber, noch häßlicher als hier. Nehmen wir einmal an, ich hätte diesen Tag angenehm verlebt schön! aber was weiter? Immer dieselben grauen Wände immer derselbe Wachtdienst, immer dieselben Gratulations briefe...
Die Großmutter lächelte:„ Du bist ein Phantast," sagte sie; dein Großvater war es auch."
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Die Lösung.
Aus dem Russischen von Dr. Josephsohn.
Newyrafimow blieb mitten in der Wachtstube steher und dachte nach. Das Verlangen nach einem neuen, besseren Leben war derart übermächtig in ihm, daß s Gnädiger Herr, Vater und Wohltäter!" schrieb der ihm das Herz zusammenpreßte. Er empfand den leiden Subalternbeamte Newyrafimow, möge Gott Ihnen verschaftlichen Wunsch, sich auf der Straße zu zeigen, in der gönnen, noch viele Male das heilige Osterfest in Gesundheit fröhlichen Menge unterzutauchen, gemeinsam mit den und Glück zu feiern! Und auch Ihrer Familie wün...." anderen dieses Fest zu feiern, um deffentwillen alle die Die Lampe, in der das Petroleum zur Neige ging, Glocken läuteten und die Equipagen rasselten... Ihn blakte und verbreitete einen üblen Geruch. Auf dem Tisch verlangte nach dem, was er irgendwann einmal in seiner neben der schreibenden Hand Newyrafimows lief aufgeregt Kindheit gekannt hatte: Familienkreis, festliche Gesichter, ein verirrter ,, Schwabe" hin und her. Zwei Zimmer von Verwandte, ein weißes Tischtuch, Licht, angenehme der Wachtstube entfernt reinigte der Portier Paramon seine Wärme... Er erinnerte sich des Wagens, in welchem Galastiefel schon zum drittenmal und mit solcher Energie, damals eine Dame vorübergefahren war, des Paletots, daß das Geräusch der Wichsbürsten durch alle Zimmer in welchem der Exekutor einherstolzierte, der goldenen zu hören war. Rette, welche die Brust des Sekretärs schmückte... Er Was könnte ich dem Halunken noch mehr schreiben?" erinnerte sich des warmen Bettes, des Stanislausordens überlegte Newyrafimow, die Augen zur rauchgeschwärzten seines Vaters, der neuen Stiefel, der Schuluniform ohne Decke erhebend. durchgestoßene Ellbogen.... Er erinnerte sich daran, weil er alles das jetzt nicht hatte....
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An der Decke sah er einen dunklen Kreis- den Schatten des Lampenschirms, etwas niedriger die staubige Stuffa tur, noch niedriger die Wände, welche einstmals mit blauer Farbe gestrichen gewesen sein mochten. Und das Wachtzimmer erschien ihm so öde, daß er nicht nur sich selbst, sondern sogar den Schwaben auf dem Tisch bemitleidete...
Ich size meine Zeit ab und gehe nach Hause, aber der muß seine ganze Insektenlebenszeit hier verbringen, dachte er, sich dehnend... Langweilig! Ob ich mir viel leicht die Stiefel puze?
Sich noch einmal dehnend, ging Newyrafimow langsam in die Portiersloge. Paramon putte nicht mehr. In der einen Hand die Bürste haltend, mit der anderen sich bekreuzigend, stand er an dem geöffneten Luftfenster und horchte....
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Da! Man läutet!" flüsterte er Newyrafimom zu, ihn mit ſtarren, weitgeöffneten Augen anblickend.„ Man läutet!" Newyrafimom näherte das Ohr dem Luftfensterchen und horchte. Durch das Luftloch drang zusammen mit dem frischen Frühlingsduft das Osterläuten ins Zimmer. Das Dröhnen der Glocken mischte sich mit dem Rollen der Equipagen, und aus dem Tonchaos hob sich nur der rasche Tenorton der nächstgelegenen Kirchen ab.
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Wieviel Volf!" seufzte Newyrafimow, auf die Straße hinunterblickend, wo an den brennenden Laternen eiligst Die Großmutter erwiderte nichts darauf; sie sagte menschliche Schatten vorüberhuschten. Alle gehen sie zur nur:„ Auf meiner Hochzeit wurde nichts von Staats- Frühmesse.... Unsere haben jetzt sicherlich ein Gläschen geschichten geredet; die Unterhaltung ging ihren ebenen getrunken und treiben sich in der Stadt herum; nur ich Tritt, und wir waren ebenso vergnügt dabei als ihr in allein habe das Pech, an solch einem Tage hier fizen zu euren neumodischen Gesellschaften. Bei Tische wurden müssen! Und jedes Jahr passiert mir das!" spaßhafte Rätsel aufgegeben und Leberreime gemacht," Wer zwingt Sie denn dazu? Sie haben doch heute beim Dessert wurde gesungen, Gesundheit, Herr Nachbar, feinen Dienst? Heute hat doch Saftuzow... Die einen das Gläschen ist leer und alle die anderen hübschen gehen spazieren, andere tun Dienst, wenn sie's nicht Lieder, die nun vergessen sind; dein Großvater mit seiner brauchen. Habsucht!" hellen Tenorstimme war immer herauszuhören. Die" Habsucht? Hat sich was- Habsucht! Zwei Rubel Menschen waren damals noch höflicher gegeneinander; Geld und eine Halsbinde als Zugabe!... Not, aber das Disputieren und Schreien galt in einer feinen Ge- nicht Habsucht!... Wie schön wär's jetzt, mit den anderen sellschaft für sehr unziemlich. Nun, das ist alles anders zur Frühmesse zu gehen und dann zum erstenmal nach geworden; aber dein Großvater war ein sanfter, fried- den Fasten Fleischspeisen zu genießen!... Ein Gläschen licher Mann. Er ist schon lange nicht mehr auf dieser trinken, etwas nachessen und dann... Man sitzt am Welt; er ist mir weit vorausgegangen; es wird wohl Tisch, man ißt das geweihte Osterbrot... Da zischt der Zeit, daß ich nachkomme." Samowar, und neben dir sitt irgend eine Freundin.. Du hast ein Gläschen getrunken und faßt sie unters Rinn... Du fühlst dich als Mensch... Ach!... Ein verlorenes Leben!... Sieh nur den Schelm, der dort in der Equipage vorüberfährt! Aber unsereins muß hier fißen und..."
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" Jedem das Seine, Jwan Danilitsch! Wenn Gott will, werden Sie sich in die Höhe dienen und auch mal Equipage fahren..."
" Ich? Nein, Bruder, nie im Leben! Ich komme nicht weiter als bis zum Titularrat, und wenn ich gleich plate!... Ich bin ungebildet..."
Die Großmutter schwieg einen Augenblick, und es sprach niemand. Nur ihre Hände fühlte sie ergriffen; fie wollten sie alle noch behalten. Ein friedliches Lächeln glitt über das alte liebe Geficht; dann sah sie auf ihren Enfel und sagte:„ Hier im Saal stand auch seine Leiche; du warst damals erst sechs Jahre alt und standest am Sarg zu weinen. Dein Vater war ein strenger, rücksichtsLoser Mann., Heule nicht, Junge, sagte er und hob dich auf den Arm., Sieh her, so sieht ein braver Mann aus, wenn er gestorben ist. Dann wischte er sich heimlich selbst eine Träne vom Gesicht. Er hatte immer eine„ Unser Chef ist auch ungebildet, und doch..." große Berehrung für deinen Großvater gehabt. Jetzt" Ja, aber bevor der Chef so weit fam, hat er auch find sie alle hinüber; und heute habe ich hier im Hunderttausende unterschlagen.... Und dann seine HalSaal meine Urenfelin aus der Taufe gehoben, und ihr tung, Bruder! Die ist ganz anders als meine.... Mit habt ihr den Namen eurer alten Großmutter gegeben. meiner Haltung kommt man nicht weit.... Mit einem dann lebe, und willst Möge der liebe Gott sie ebenso glücklich und zufrieden Wort: troftlos!... Willst du zu meinen Tagen fommen lassen!" du nicht häng' dich auf!" Newyrafimom trat vom Luftfenster fort und ging schwermütig im Zimmer auf und ab. Das Dröhnen der Glocken wurde stärker und stärker. Man brauchte nicht mehr am Fenster zu stehen, um es zu hören. Und je vernehmlicher die Glocken flangen, je lauter die Equipagen collten, desto dunkler schienen die dunklen Wände, die rauchgeschwärzte Stuffatur, desto stärker blafte die Lampe .
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Die junge Mutter fiel vor der Großmutter auf die Knie und füßte ihre feinen Hände.
Der Entel sagte:„ Großmutter, wir wollen den alten Saal ganz umreißen und wieder einen Biergarten pflanzen; die fleine Barbara ist auch wieder da. Die Frauen sagen ja, sie ist dein Ebenbild; sie soll wieder in der Schaufel figen, und die Sonne soll wieder auf goldene Kinderlocken scheinen; vielleicht kommt dann auch eines Sommer
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Ob ich vielleicht vom Wachtdienst fortlaufe? überlegte Newyrafimow. Aber was kommt dabei Gescheites heraus? 1... Ich laufe fort, treibe mich ein paar Stunden m oer
Vielleicht etwas stehlen? überlegte er. Stehlen ist nicht schwer, aber sich nicht erwischen lassen, das ist schwierig.... Man sagt, Diebe pflegen mit dem Gestohlenen nach Amerika zu gehen, aber der Teufel weiß, wo dieses Amerifa ist! Selbst zum Stehlen muß man Bildung haben!
Das Geläute verstummte. Man hörte nur noch das gedämpfte Geräusch der Wagen und das Husten Paramons, aber die Traurigkeit und der Groll Newyrafimows wurden immer stärfer, unerträglicher.... In der Wachtstube schlug die Uhr halb eins.
Vielleicht irgend jemand denunzieren? Proschfin denun zierte, und von da an ging's mit ihm bergauf....
Newyrafimow setzte sich auf seinen Stuhl und grübelte. Die Lampe , in der das Petroleum ausgebrannt war, qualmte unerträglich und drohte zu erlöschen. Der verirrte Schwabe rannte immer noch auf dem Tisch hin und her und fand keinen Schlupfwinkel....
Denunzieren schön! Aber wie stellt man das an? Das muß mit allen möglichen Schikanen, mit Schlauheit gemacht werden, wie Proschfin es tat.... Aber wie fann ich das? Ich mache das gewiß so, daß man mich hinterher dafür bestraft.... Ach! der Teufel hole mich ganz und gar!...
Sich den Kopf darüber zerbrechend, wie er aus dieser trostlosen Lage herauskommen könnte, legte Newyrafimow die Ellbogen auf den angefangenen Brief. Der Brief war an einen Vorgesetzten gerichtet, den er von ganzer Seele verabscheute und haßte, von welchem er aber schon zehn Jahre die Beförderung aus der 16 Rubel- Stelle in die 18 Rubel- Stelle zu erlangen trachtete....
Ah... du läufft hier herum, Teufel," rief er und schlug geärgert mit der flachen Hand nach dem Schwaben, auf den unglücklicherweise gerade seine Blicke fielen. Pfui, wie ekelhaft!"
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Der Schwabe fiel auf den Rücken und zappelte verzweifelt mit den Beinen. Newyrafimom ergriff ihn an einem Bein und warf ihn in den Lampenzylinder.... In der Lampe brannte er hell auf und zerplatte... Und Newyrafimow wurde es leichter zu Mute....
Serbstabend.
Bon Otto Krille.
Horch, wie der Wind in den Bäumen rauscht! Trüb nur flacfert das Straßenlicht, Und zwischen den schwankenden Zweigen lauscht Der Tod mit blühendem Jünglingsgesicht. Gute Nacht!
Dein Atem geht heiß, deine Stirne glüht? Bang erzittert des Herzens Schlag. Der Sommer verweltt und die Jugend verblüht, Und die Zukunft ein trüber Wintertag. Zerbrochen der Sehnsucht Bogen und Pfeil Und das flingende Schwert der jungen Kraft. Ein stilles Dulden das letzte Heil
In der Notdurft Fessel und drückender Haft. Wie des welken. Laubes müder Duft Mir schanerweckend die Seele streift, Aus toter Wünsche zerfallener Gruft Ein letztes Verlangen das Herz ergreift: Einen Halm von dem Samen, den wir streun! Einen Erntetag in der Jahre Flucht, Gleich dem sorglosen Knaben sich zu erfreun, Der im Waldgras die reifen Eicheln sucht. Und wird's uns nicht, sei still und fest! Es hegt, bringst du auch sonst nichts heim, Verstürmter Gluten Aschenrest Wohl einer Winterblume Keim.