88 Die Gleichheit Nr.w Aus dem Empedokles von F. Hölderlin  . Wirken soll der Mensch, Der sinnende, soll entfaltend Das Leben um ihn fördern und heitern. Denn hoher Bedeutung voll, Voll schweigender Kraft umfängt Den Ahnenden, daß er bilde Die große Natur. Daß ihren Geist hervor Er rufe, trägt die Sorg' im Busen und die Hoffnung Der Mensch. Tiefwurzelnd strebt Das gewaltige Sehnen in ihm auf, Und viel vermag er; und herrlich ist Sein Wort, er wandelt die Welt Unter den Händen. ? Note Ostern. Kistorisches Gemälde aus dem Bauernkriege. Von Robert Schweichel  . Karfreitagmorgen war's. Eben aus der Messe zurück- gekehrt, stand die Gräfin von Helfenstein an einem der Fenster des Schlosses Weinsberg  , im Volksmundedie Weibertreu' genannt. Die Gräsin war eine junge, schöne Frau und noch stolzer als schön. Ihr Einzug vor wenigen Wochen durch das Städtchen in das Schloß hatte dem einer Königin geglichen, und es rollte auch sürstliches Blut in ihren Adern. Margarete war eine Tochter des vor sieben Jahren gestorbenen Kaisers Maximilian L, zwar nur eine uneheliche Tochter, jedoch der väterlichen Abstammung gemäß erzogen und von jenem Hochmut erfüllt, welcher den Zufall der Geburt als ein Verdienst sich anrechnet. Schweifwedler aller Art wetteiferten, sie hierin zu bestärken. Der junge Adel trug ihre Farben im Kampfspiele, hungrige Poeten be­sangen ihre Schönheit, die Armen priesen ihre fteigiebige Hand. Sie war schon einmal verheiratet gewesen, allein der Tod hatte ihre Ehe sehr bald wieder gelöst, und strahlender war sie aus dem schwarzen Witwenschleier hervorgetteten, als sie vor nun fünf Jahren dem Grafen Ludwig Helfrich von Helfenstein die Hand gereicht. Der Graf, welcher seit seinem fünfzehnten Jahre in deutschen  und französischen   Kriegsdiensten gebildet worden, war ein Liebling des Erzherzogs Ferdinand von Osterreich, und dessen Gunst hatte ihn in diesen schweren Zeitläuften, die einen ganzen Mann forderten, zum Obervogt des Amtes Weinsberg   erwählt. Herzog Ulrich war aus seinen Landen vertrieben und geächtet, und in Stuttgart   herrschte österreichisches Regiment. Wegen des Karfreitags   trug die Gräfin schwarzes Gewand. Es war von kostbarem venetianischen Samt und schleppte lang aus dem Boden nach. Die Schleppe ließ die blühende Gestalt noch majestätischer erscheinen, und blendender hob der schwarze Stoff die Weiße der Hände und des Halses hervor. Eine schwarze Samt- Haube, welche mit Perlen gestickt war, ruhte auf den dicken Flechten des goldblonden Haares. Wie Frau Margarete gern im Sonnenlicht des Lebens badete, so liebte sie es, sich mit kostbarem Geschmeide zu zieren; heute bestand ihr Schmuck aber nur in einem Ringe mit vielen dunkelroten Rubinen, die auf das Blut deuteten, das Christus an diesem Tage für die Erlösung der Menschheit vergossen hatte. Die Erlösung war aber schon längst zu einem Privilegium der Vornehmen und Reichen geworden. Die Zeit war prachtliebend. Indien   und Amerika  überschütteten Europa   mit ihren Schätzen, und Luxus- gesetze mußten der Verschwendung steuern. Das Zimmer, in welchem die Gräfin am Fenster stand, war prächtig ausgestattet. Morgensonnig, im ersten Frühlingsgrün, lag das Weinsberger   Tal zu Füßen der stolzen Kaisers- tochter, und nur das süße Singen der Lerchen tönte in der feiertäglichen Stille. Die blauen Augen der Gräfin aber waren nicht heiter wie der Frühlingshimmel. Trübe richteten sie sich über das Städtchen hinweg auf eine schwache Rauchsäule, welche am südöstlichen Horizonte, links von Schloß Löwenstein, das vor dem Walde wie Silber in der Sonne glänzte, kerzengerade aufftieg. Der Rauch kam von einem erlöschenden Brande, der in der Nacht vom Mittwoch zum Gründonnerstag den Himmel mit seinem Gleische schrecklich gerötet hatte. Dort lag, zwei Stunden von Weinsberg   entferitt, das Frauenkloster Lichtenstern  . Die ausgestandenen Bauern hatten es ge- plündert und mit Feuer angestoßen. Die Nonnen waren zuvor nach Löwenstein   entflohen, und vor diesem Schlöffe lagen nun die Bauernhausen. Da wirbelte in der Ferne Staub auf. Der Türmer stieß dreimal schnell hintereinander in das Horn. Die blühenden Wangen der Gräfin erbleichten bei den un- heimlichen Tönen. Einige Sekunden später trat Graf Ludwig von Helfenstein   in voller Rüstung in das Zimmer, ein wohlgebildeter, stattlicher Mann, in der blühenden Kraft seiner siebenundzwanzig Jahre. Sie kommen?' fragte ihn Margarete besorgt, wäh- rend doch ihre Augen in freudigem Stolze aufleuchteten über die prächtige Erscheinung des Grafen, der seine blinkende Rüstung so leicht trug, als befände er sich in seiner gewöhnlichen Kleidung. Mögen sie kommen," beruhigte er seine Gemahlin. Sie werden schwerlich Lust verspüren, sich die dicken Schädel an den Mauern von Weinsberg   einzurennen. Haben sie doch auch gegen Löwenstein   nichts unter- nommen, sondern sich begnügt, die entflohenen Grafen Ludwig und Friedrich unter Androhung, ihre Ländereien zu verwüsten, aufzufordern, in ihrem Lager sich zu stellen, um in ihre Gemeinschaft einzutreten. Rat und Bürgerschaft von Weinsberg   stehen treu zu mir, und wo das Bauernpack Ernst sieht, hält es sich weislich fern.' Lachend erzählte er, wie er vorgestern, als er mit seinen Rittern und Reisigen von Stuttgart   herunter- gekommen, unter den Bauern, die ihm begegnet wären, eine Hasenjagd abgehalten hätte.Es war gar kurz- weilig, die Kerle über die Wiesen springen zu sehen, bevor sie erritten und erstochen worden. Freund Dietrich von Weiler wäre fast vor. Lachen vom Pferde gefallen über ein Bäuerlein, das Haken schlug, wie's kein Hase besser gekonnt hätte. Vor Lachen könnt' es der Die- trich nicht erretten, und so entrann es zuletzt in einen Weinberg." Auch die rosigen Lippen der Gräfin lächelten, statt sich über solche Bluttat an Unschuldigen und Wehrlosen zu entsetzen. Was galt aber auch in jenen Zeiten, wo der Mensch erst mit dem Adel begann, das Leben eines Bauern, ob frei oder leibeigen, und vollends, da sich zur Verachtung die Erbitterung gesellte, daß sich der ge- tretene Wurm zu krümmen wagte? Jahrhundertelang hatte der arme Mann mit seinem Antlitz im Staube gelegen, auf seinem Nacken den Fuß der großen und kleinen weltlichen und geistlichen Herren. Steuern und Fronden, bei deren Auflage nur. das Bedürfnis der Herren den Maßstab gab, hatten ihm das Mark erbar- mungslos aus den Knochen gepreßt. Wahrlich, das Wild im Walde genoß mehr Schonung, Recht und Freiheit als er. Das Maß seines Elends war ftbon längst ge­rüttelt voll. Dennoch hätte er die materielle und mora- tische Mißhandlung von feiten des Adels, der Geist- lichkeit und des Patriziats der Städter wohl noch länger widerstandslos forterttagen, wenn Luthers Lehre, seinen sittlichen Mut nicht gehoben und entflammt hätte. Die Verzweiflung hatte wohl schon ftüher die Bauern hier und dort zur Empörung gegen ihre Dränger getrieben; allein diese vereinzelten Aufstände aus Notwehr waren rasch wieder erstickt worden. Jetzt, wo Luther   seinen Fehdehrief gegen die höchste Autorität, gegen den Papst, an die Kirchtüre zu Wittenberg   genagelt; wo er zu Augsburg   vor Kaiser und Reich unwiderlegt mit seiner Lehre gestanden hatte; wo das Evangelium, von dem pfäffischen Unrat gereinigt, durch reisende Prediger und Prädikanten allerorten in Deutschland   verkündet wurde, da verlieh der neue Glauben dem Gemüt der armen Leute in Stadt und Land jenen Schwung und jene Be- geisterung, welche keine Menschenfurcht kennt. Da wurden sie der schmählich in ihnen geschändeten Menschenwürde inne, erhoben ihr Antlitz aus dem Staube und, ihr Recht auf die Heilige Schrift stützend, zerbrachen sie das Joch, in welches Adel und Geistlichkeit sie geschmiedet hatten. Noch hätten diese, als schon der Hammer zur zwölften Sttrnde ausgehoben, es in der Hand gehabt, den Sturm zu beschwichtigen, den ihr Mißregiment her- aufbeschworen. Denn überall, ehe sie zum letzten Mittel griffen, erboten sich die Bauern gegen ihre Blutsauger zu Recht. Aber die Herren hätten lieber ihr Leben ge- lassen, als die unerttäglich gewordenen Lasten der armen Leute erleichtert, und wo sie wirklich auf Unterhandlungen eingingen, geschah es nur, um Zeit zu gewinnen, und die heut geschlossenen Verträge wurden morgen wieder von ihnen gebrochen. Da brach in den ersten Tagen des Jahres 1525 der Sturm los, und so weit die deutsche Zunge klang, schlug aus den längst glühenden Kohlen der helle Brand auf. Im Weinsberger   Tale waren alle Dörfer des Amtes mit Ausnahme von Eberstadt   demevangelischen Heere" zugefallen. Diesen Namen hatte sich der helle Haufen beigelegt, dessen Kern aus den Bauern des Odenwaldes und denen der Landwehr der freien Reichsstadt Rothen­burg an der Tauber bestand. Zu seinem obersten Haupt- manne hatte er Jörg Mezler, welcher Gastwirt zu Ballenberg war, gewählt; sein Kanzler war Herr Wendel Hippler. Wie dasevangelische Heer", welches das Wort Gottes, namentlich die Lehre Pauli handhaben «wollte, aus dem Schüpfergrunde im Odenwalde, wo eZ sich in den letzten Tagen des März gesammelt hatte, gegen den Neckar   heraufzog, stießen überall die Bauern zu ihm: aus dem Deutschherrischen, dem Limburgischen, dem Hohenlohischen und wie die Herrschaften, in welch« damals Württemberg   zerfetzt war, alle heißen mochten, und jetzt hatte bei dem Kloster Lichtenstern die Vereini- gung mit den Bauern des unteren Neckartales statt« gefunden. Hier war's Jäcklein Rohrbach  , ein junger Weinschenke aus dem schönen Dorfe Böckingen  , eine halbe Stunde oberhalb Heilbronn   gewesen, welcher ringsum die Landschaft aufgemahnt hatte und mtt vier- hundert Bauern vor das Kloster gezogen war. Graf Ludivig von Helfenstein war in Stuttgart   ge-, wesen, um Hilfe zu holen. Etwa siebenzig Ritter und Reisige waren alles gewesen, was man ihm hatte mit- geben können. Daß er mit seinen wenigen Leuten dem Bauemheere in der Länge nicht würde widerstehen können, verhehlte er sich nicht, und er hatte auch in diesem Sinne gleich am Gründonnerstag, den 13. Zftml, an die Re­gierung in Stuttgart   geschrieben«nd die Verantwort- lichkeit für allen Nachteil und Schaden von sich abge- lehnt, wenn ihm nicht mit Reisigen oder anderen Knechten Hilfe oder Zusatz käme. Dennoch war er als Edel- mann und Berufssoldat weit davon entfernt, den Feind nach seinem wahren Werte zu schätzen. Die Bauern waren in seinen Augen eine zusammengelaufene Rotte feigen, mordbrennerischen Gesindels,«nd mit einer ge- ringschätzigen Handbewegung gegen die Staubwolke, welche sich immer dichter gegen Weinsberg   heranwälzte, sagte er:Noch eine kleine Weile Geduld, und der so lustig begonnene Fastnachtsscherz hat einen Ausgang mit Schrecken! Haben sich die Bauern vollgesoffen an Klosterwein, wir wollen ihnen Blut zu trinken geben, daß sie daran sticken. Der Truchseß, Georg von Wald- bürg, des Schwäbischen Bundes Feldhauptman  », hat es ihnen an der Donau   schon in Strömen zu kosten gegeben. Doch ich muß hinunter in die Stadt. Der Rat hat mich beschickt; es ist ein Brief von den Bauern hereingekommen." Und was schreiben sie? Was verlangen sie?' ftagte die Gräfin gespannt. Vermutlich ist'S eine Aufforderung, in ihre christ- liche Gemeinschaft einzutreten," entgegnete ihr Gemahl mit einem Achselzucken. Aber du wirst nicht zugeben, daß die Stadt einem so schmachvollen Ansinnen Folge leistet?" rief die schöne Frau lebhaft. Eher soll mir mein Wappenschild zerbrochen vor die Füße geworfen werden," versetzte er. Er stieg den Abhang gegen das Städtchen hinunter, welches, in starke Mauern und Türme gegürtet, bis zur schmalen Talsohle sich hinabstteckte. Zu höchst lag die Kirche und durch die Aussvllpforte bei derselben erhielt der Graf Einlaß. Als das Pförtchen hinter ihm zufiel. streckte sich durch das Eisengitter, welches das schmale Luftloch über dem Burgtore verwahrte, eine geballte Faust ihm drohend nach. Semmelhans, ein Salzsührer aus Neuenstein  , saß dort seit Mittfasten gefangen. Der Mann hatte in der Schenke des Hans Schocher zu Weinsberg   gegen einen reisigen Knecht verfängliche Reden geführt, wie: er sei an einem Ort gewesen, da hätte man den Herren zu Werk geschnitten, daran sie dies Jahr zu arbeiten haben würden. Während Graf Ludivig die steile Gasse von dem Kirchhofe nach dem Rathause hinunterstieg, begann Semmelhans laut zu singen. Es geschah nicht aus Fröhlichkeit, sondern um das leise Kreischen seiner Feile an den Gitterstäben zu verdecken. In Weinsberg   wurde die Lärmttommel umgeschlagen und die Bürger eilten mit ihren Wehren durch die schmalen steilen Gassen der unteren Mauer zu, vor der aus der Staubwolke Waffen blitzten, Fahnen wehten. War es auch dem Grafen gelungen, seine eigene Zuversicht seiner Gattin mitzuteilen, so zog sich doch das Herz der schönen stolzen Frau bang zusammen, als sie die Massen vor dem Städtchen sich aufftauen sah. So weit ihr Auge reichte, flimmerte das grüne Tal von Waffen. Aber die Bauern unternahmen nichts Feind- seliges, und nach kurzer Stockung setzte sich die Maffe wieder in Bewegung und wälzte sich die Talenge entlang, durch welche der Weg nach Heilbronn   führt. Es war ein endlos scheinender Sttom, der brausend in der Tiefe dahinflutete. Waffenklirren, Gesang, Gelächter, Trommelwirbel, Brüllen des Viehs schlug an das Ohr der Gräfin. Jäcklein Rohrbach   bildete mit seinen Niederschwaben, den Böckingern und den Bauern des Weinsberger Tales den Vorttab. Ein Bundschuh im weißen Felde war sein Banner, und der Träger desselben hatte sich aus einer kostbar gestickten Altardecke einen Mantel gemacht, der weit hinter ihm her durch den Staub der Landstraße schleifte.(Forlsetzunz folgt.) ver-mrworM« für»U RedoM-n- Fr.«ara Z-Mn(Zundev, Wllhilmthöh, Post Degerloch bet Stuttgart  . Druck und oerlag oen Paal Swger t» fHirttstiwt.